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Hauffs Werke


Erster Teil Gedichte — Märchenalmanache

Herausgegeben und mit einem Lebensbild versehen von

Max Drescher



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Varlin Leipzig — Wien — Stuttgart Deutsches Verlagshaus Bang & Co.



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Spamersche Buchdrukerei in Leipzig


Hauffs Leben und Wirken.

Mehrfach bereits ist die Frage erörtert worden. ob die Werke Wilhelm Hauffs heute überhaupt noch die Bedeutung verdienen, die ihnen im allgemeinen zuerkannt wird. Vom rein ästhetisch-künstlerischen Standpunkte aus mag — der Maßstab der einzelnen Kritiker war zu allen Zeiten verschieden — daran gezweifelt werden können. Jedenfalls dürfen wir Hauff nicht zu den gewaltigen Geistesheroen rechnen. deren Schöpfungen wir als etwas bisher Unerreichtes und für alle Zukunft Unerreichbares staunend bewundern. Sicherlich gibt es auch literarische Erzeugnisse, die Hauffs Können überragen, ohne daß sie eine annähernd gleiche Popularität erlangt haben. Hier ist eben der Theoretiker nicht allein maßgebend, sondern die Leserwelt spricht ein gewichtiges Wort mit, und von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, gebührt unserm Hauff zweifellos nach wie vor ein Platz innerhalb der deutschen Literatur. Noch immer bilden seine Schriften einen Teil des nationalliterarischen Gutes unseres deutschen Volkes, und — bei aller Objektivität, mit der wir sein Schaffen prüfen wollen, mag das gesagt sein — dessen wollen wir uns freuen. Viele Tausende unserer Kinder werden auch in Zukunft leuchtenden Auges, mit angehaltenem Atem seinen spannenden Märchen lauschen, sein lebensfrohes und lebenswahres, jugendfrisches und ungekünsteltes Wesen, wie es im "Lichtenstein" oder in den "Memoiren" zum Ausdrucke kommt, mag auch fernerhin unserer Jünglinge Herz erfreuen, und selbst der literarische Feinschmecker kann, wenn er nur Hauffs Gaben aus dem Geiste ihrer Zeit heraus bewertet und unter Berücksichtigung des Alters, in dem er sie verfaßte, den "Phantasien" And einzelnen Novellen ein Wort der Anerkennung nicht versagen.

Wenn die folgende Darstellung des zwar kurzen, aber arbeitsvollen, an interessanten Momenten keineswegs armen Lebens unseres Hauff dazu beitragen würde, das Verständnis seiner Dichtungen und die Zahl seiner Freunde zu erhöhen, dann hätte sie ihren Zweck erfüllt.



000.r10 Vorwort des Herausgebers Flip arpa

Auf dem kleinen Graben Nr. 1358 zu Stuttgart (jetzt Eberhardstr. 23) wurde am 29. November 1802 Wilhelm Hauff geboren. Sein Vater, der damalige Regierungs-Sekretarius und Registrator, August Friedrich Hauff, gehörte einem während des 30 jährigen Krieges nach Schwaben eingewanderten österreichischen, ursprünglich gräflichen Geschlechte an und wird als feine Natur von gewinnender Erscheinung und natürlichem Geistesadel geschildert. Ihm verdankte der Dichter das gewandte gesellschaftliche Auftreten, die Sicherheit im Umgange. Als Erbteil seiner Mutter Wilhelmine, geb. Elsässer, einer verständigen und zartfühlenden Frau, die nach Justinus Kerners Angaben zeitweilig Nachtwandlerin war, ist das ruhelos vorwärtsdrängende, nimmermüde, nicht selten sogar aufgeregte Wesen, aber auch die Herzlichkeit und Gemütstiefe und jedenfalls die dichterische Veranlagung zu betrachten. Dankbar erinnert er sich der Stunden, da ihn sein Vater auf den Knien schaukelte, da er auf seines Großvaters langem Meerrohr mit dem goldenen Knopfe reiten durfte. Mit keinem Worte aber erwähnt er das Mißgeschick, das der Familie früher widerfahren war. August Friedrich Hauff hatte nämlich das Unglück, wahrscheinlich auf böswillige Verdächtigungen hin, die an seinen freien politischen Ansichten und seinem mannhaften Eintreten für Recht und Freiheit Anstoß nahmen, das Mißfallen seines Fürsten zu erregen. Der ließ ihn im Jahre 1800 plötzlich eines Nachts verhaften, nach dem Asperg bringen und neun Monate dort gefangen halten, dann aber, ohne ihm den Prozeß gemacht zu haben, auf freien Fuß setzen und wieder in sein Amt eintreten. Es ist durchaus zweifelhaft, ob dieses Ereignis auf die Entwicklung des Knaben den Einfluß gewonnen hat, den man gewöhnlich annimmt. Einmal lag es fast zwei Jahre vor der Geburt des kleinen Wilhelm zurück und konnte also nur indirekt auf ihn gewirkt haben, zum andern versuchte der Fürst ja auch, die dem Regierungs-Sekretarius zugefügte Kränkung dadurch auszugleichen, daß er ihn 1806 zum Oberappellations-Tribunal Tübingen und 1808 als "Geheimen Kabinetts-Ministerial-Registrator" in das Ministerium berief, und wenn auch namentlich die zart veranlagte Mutter in der unglückseligen Zeit seelisch gewiß schwer gelitten hat, so vermied man es doch absichtlich. die Kinder davon wissen und spüren zu lassen. Aus des Dichters eignem Munde wissen wir es, daß seine ersten Lebensjahre eine Zeit heiteren Sonnenscheins und kindlicher Lust gewesen sind; nennt er sie doch in den "Phantasien" (S. 23, 36) selbst eine "Wonnezeit voll holder



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Träume, reich behängt mit Bilderbüchern, Christbäumen, Mutterliebe, Osterwochen und Ostereiern, mit Blumen und Vögeln, Armeen aus Blei und Papier und den ersten Höschen und Kollettchen, in welche sich die kleine sterbliche Hülle, stolz auf ihre Größe, kleiden ließ". Leider war es dem Vater Hauffs nur ein Jahr vergönnt, sein Amt im Ministerium zu verwalten, schon 1809 starb er, und es ist eine Verbindung zwischen seinem Tode und der früher erfahrenen Unbill wenn auch nicht unbedingt erwiesen, so doch immerhin möglich. Das war jedenfalls der erste Schatten, der in des Knaben heitere Jugend fiel, dunkel genug, um ihm, als er zum Dichter herangereift war, die Worte in die Feder fließen zu lassen: "Erinnerst du dich des Morgens, als sie dich hineinführten zu einem wohlbekannten Mann, dessen Gesicht so blaß geworden war, dessen Hand du weinend küßtest, weinend, ohne zu wissen, warum? Denn konntest du glauben, daß die harten Männer, die ihn in einen Schrank legten mit schwarzen Tüchern zudeckten, konntest du glauben, daß sie ihn nicht mehr zurückbringen würden?" — Die nächste wichtige Veränderung, die des Vaters Hinscheiden veranlaßte, war die dauernde übersiedlung der Familie von Stuttgart nach Tübingen. Sie erfolgte wahrscheinlich auf den Wunsch des Regierungs- und Appellationsgerichtsrates Elsässer, des Großvaters unseres Dichters, da dieser — selbst in Tübingen ansässig — seiner Tochter und ihren Angehörigen hier viel kräftiger zur Seite stehen konnte. Und Wilhelmine Hauff bedurfte des väterlichen Rates und Schutzes gar wohl, hatte sie doch außer dem siebenjährigen Wilhelm und dem um zwei Jahre älteren Hermann noch zwei kleine, erst 1806, beziehentlich 1807 geborene Mädchen zu erziehen. Dankbar wird sie es darum begrüßt haben, als ihr Vater sich erbot, seinen ältesten Enkel dauernd bei sich aufzunehmen und seine Erziehung zu leiten. Wilhelm wuchs indessen im Kreise seiner jüngeren Schwestern auf. Er war von jeher von zarter körperlicher Beschaffenheit, etwas schwach auf der Brust, und so mag wohl die ängstliche Fürsorge, womit seine Mutter ihn pflegte, durchaus begründet gewesen sein. Mit Rücksicht auf seine gefährdete Gesundheit gab man ihm wahrscheinlich reichliche Gelegenheit, sich in Gottes freier Natur zu tummeln, und er selbst erzählt, wie gern er aufs Feld gegangen sei, die Vögel singen zu hören und die Fische den Fluß hinabgleiten zu sehen. Eine so ausgesprochene Vorliebe für freies, ungebundenes Umherstreifen in Wald und Flur im Verein mit der träumerisch phantastischen Veranlagung des Knaben



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mußte natürlich bald zu Konflikten mit den Pflichten führen, welche die Schule ihm auferlegte. Auch darüber spricht er sich später aus in den Worten: "Ich genoß eine gute Erziehung, denn meine Mutter wollte mich durchaus zum Theologen machen, und weil dieser Stand in meinem Vaterland der eigentlich privilegierte Gelehrtenstand ist, so wurde mir in meinem siebenten Jahre mensa, in meinem achten amo, in meinem zehnten typto, in meinem zwölften pakat eingebläut. Sie können sich denken, daß ich bei dieser ungemeinen Gelehrsamkeit keine gar angenehmen Tage hatte; ich hatte, was man einen harten Kopf nennt, sprang lieber mit meinen Kameraden, als daß ich mich oben in der Dachkammer, die man zum Musensitz des künftigen Pastors eingerichtet hatte, mit meinem Bröder, Buttmann, Schröder, und wie die Schrecklichen alle heißen, die den Knaben mit harten Köpfen wie böse Geister erscheinen, abmarterte." Mag auch in dieser Stelle — der Eigenart der "Memoiren", denen sie entnommen ist, entsprechend — manches Moment übertrieben sein, so wissen wir doch aus sicherer Quelle, daß seine wissenschaftlichen Leistungen keine besonderen gewesen sind, und Gustav Schwab, der erste Biograph des Dichters, sagt ausdrücklich: "Sehr bezeichnend für die Richtung, die sein Geist schon frühe genommen hatte, erscheint das Zeugnis, das der Rektor seiner Schule, ein sehr eifriger Schulmann, der manchen trefflichen Lateiner gebildet hatte und überhaupt die Geistesgaben seiner Schüler in dieser Beziehung herauszukennen und zu wecken wußte, unserem Hauff in das sogenannte Landexamen, — wo die zum Studium der Theologie bestimmten Jünglinge, die in eines der niederen theologischen Landesseminarien aufgenommen werden wollen, geprüft werden — an die Oberbehörde nach Stuttgart mitgab. ln litern, besonders in der lingua hebraic war Wilhelm sehr mittelmäßig prädiziert; dagegen machte der Rektor auf das überraschende Deklamiertalent des Knaben aufmerksam, damit der Arme doch auch etwas für sich hätte, das ihn als dereinstigen geistlichen Redner empfehle." Das überraschende Detlamiertalent war aber nicht nur für den zukünftigen Kanzelredner, sondern auch für den dereinstigen Schriftsteller bemerkenswert, und wir gehen gewiß nicht fehl, wenn wir behaupten, daß die ersten Keime dieser Lust zum Fabulieren seine Mutter gelegt hat. Julius Klaiber berichtet, ihre Erzählungsgabe sei unvergleichlich gewesen. "Alles lebte vor ihrem Auge, und der einfachste Vorgang gewann in ihrem Munde einen eigentümlichen Reiz. Noch heute sprechen ältere Männer mit Entzücken von dem Zauber ihrer Unterhaltung, und wie oft hat mir meine Mutter von den glückseligen



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Abenden erzählt, wenn die Kinder, um ihren Lehnstuhl gedrängt, ihren Geschichten lauschten! Sie hat insbesondere die Phantasie des fein angelegten Knaben geweckt 1)." Ein zweites Element, wodurch Hauffs eigenartige geistige Entwicklung begünstigt wurde, war des Großvaters Büchersaal. Wenn er auch, wie er selbst zugesteht, die dort aufgestellten Bücher in Gesellschaft seines allerdings bedeutend ernster und ruhiger veranlagten Bruders nicht immer in der rechten Weise verwendete, indem er bisweilen aus den in Leder gebundenen großen Folianten Hütten und Ställe für sein Vieh, ein anderes Mal Schanzen und Festungen baute, oder wohl gar regelrechte Schlachten lieferte, wobei die Bücher als Wurfgeschosse dienen mußten, so verdankt er doch vor allem den illustrierten Werken einen gewissen historischen Sinn, und bei Schwab, der dem älteren Hermann Hauff wörtlich nacherzählt, heißt es: "Namentlich aber prägte sich ihnen das Mittelalter und die Zeit seines Übergangs in die neuere Geschichte gar lebhaft ein, weil dazu des Großvaters Folianten den meisten Stoff boten, und jene Periode wurde dadurch in der Phantasie der Brüder eine Art Lieblingsperiode. Sie, die Götz und Egmont und Wallenstein auswendig wußten, waren entzückt, in Hortleders ,Ursachen des deutschen Krieges' die eisernen Fürsten und Herren, die Lanzenknechte mit ungeheuren Hosen und Partisanen (vgl. Lichtenstein 246, 21), die Belagerungen und Feldschlachten und alle jene lehrreichen Kupfer zu finden." Auch die erste Bekanntschaft mit den Erzeugnissen der deutschen Literatur machte der Knabe in dem erwähnten Bibliothekssaale. Er selbst nennt gelegentlich "Sophiens Reise von Memel nach Prag", Lessings Schriften und — last not least —unsere beiden Hauptklassiker, die er bis zum zwölften Jahre durchgelesen, wenn auch vielleicht nicht allenthalben verdaut hatte. Immerhin spricht die große Zahl von Reminiszenzen und Zitaten, die er aus Schiller und Goethe später in seine eignen Werke einstreut, für eine das gewöhnliche Maß des Verständnisses auf dieser Altersstufe übersteigende Beherrschung. Aber das Interesse Wilhelms wuchs bald über die in der großväterlichen Büchersammlung aufgestapelte historische und literarische Wissenschaft hinaus. Möglicherweise durch einen seiner Mitschüler aufmerksam gemacht, verfiel feine Lesewut auf Fouqués Ritterromane. Außer den "Fahrten Thiodolfs des Isländers" scheint besonders der Zauberring" einen bleibenden Eindruck auf ihn gemacht zu haben; denn noch ein Jahrzehnt darnach erinnert er sich Ottos



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von Trautwangen, der in Frankreich "mit seinem vernünftigen, lichtbraunen Rößlein eine Höhle bewohnte", sowie der "fittigen, blauäugigen" Bertha von Lichtenrieth (vgl. Memoiren S. 137, 21), und es ist ihm wohl zu glauben, daß er oft auf seinem Dachkämmerlein saß, "vor sich die hebräische Bibel und die griechischen Unregelmäßigen und auf ihnen seine Romane". Waren schon Fougués Schriften für einen Knaben eine wenig geeignete Lektüre, so mußten die Ritter- und Räuberromane eines Cramer, Spieß und Vulpius, die er in jener Zeit wahllos verschlang, geradezu gefährlich für ihn werden; kannte er doch erwiesenermaßen einen "Hasper a Spada," "Adolf den Kühnen, Raugraf von Dassel" ebenso geläufig als den "Domschütz", den "deutschen Alcibiades", den "alten Überall und Nirgends" und "Rinaldo Rinaldini". Auf welche Weise er zu diesen Büchern gelangte, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen; er selbst erzählt, daß sie aus der Sparbüchse Amaliens, seiner Jugendfreundin, angeschafft worden seien. "Wenn ein Roman gelesen war, so empfing ich ihn, las ihn auch, trug ihn dann wieder in die Leihbibliothek und suchte dort immer die Bücher heraus, welche entweder keinen Rücken mehr hatten, oder vom Lesen so fett geworden waren, daß sie mich ordentlich anglänzten. Das sind so die echten nach unserem Geschmack, dachte ich." Zwar hat natürlich auch in diesen Worten, ebenso wie in der Darstellung seiner Jugendliebe innerhalb der "Memoiren", die dichterische Phantasie gewaltet, immerhin lassen sie erkennen, daß die unpassende Lektüre sowohl, als die gewiß mehr eingebildete wie tatsächliche Neigung zu Amalien außerordentlich stark ablenkend wirken und sein ohnehin lebhaftes, reizbares Naturell immer mehr erregen mußten. Die ergötzliche Geschichte mit dem Aufsatze, die Garnmacher (Memoiren S. 137, 25 ff.) berichtet, ist sicherlich gleichfalls zum großen Teil erfunden, doch zeigt auch sie, vie der Schüler Hauff in die Gefahr geriet, die Verhältnisse seiner Zeit an den innerhalb jener Schmöker geschilderten zu messen, wie er innerlich teilnahm an den Taten und Schicksalen der Helden, wie er mit den unglücklichen klagte, mit den siegreichen jubilierte. Daß eine derartig überhitzte Phantasie, die den Inhalt der Schundromane sicher noch während der Unterrichtsstunden nach Möglichkeit weiterspann, nur geringe Erfolge in den Wissenschaften zeitigen konnte, ist nicht verwunderlich. So kam es denn. daß Wilhelm nicht — wie seine Mitschüler — schon mit dem dreizehnten, beziehentlich vierzehnten, sondern erst mit dem fünfzehnten Jahre imstande war, das Examen abzulegen, das seinen Eintritt in eines der niederen theologischen Seminare



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ermöglichte. Für seine Angehörigen war diese Aufnahme deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil die Zöglinge solcher Anstalten außer freiem Unterricht auch Kost und Wohnung unentgeltlich erhielten und nach dreijährigem Besuche die Berechtigung zum Übergange in das Tübinger Stift, ein höheres evangelisches Seminar, erwarben. Gleich bedeutungsvoll ward sie für den jugendlichen Hauff selbst, kam er doch damit in eine völlig andere Sphäre, und der energischen, gleichmäßigen Zucht der folgenden Jahre ist es wohl in der Hauptsache zu danken, daß die Erinnerung an die phantastischen Gedankenkreise früherer Zeit allmählich erblaßte und sich in ihrer Wirkung abschwächte. Freilich war damit zugleich die heitere, sorglose Kindheit für immer vorüber; schon machte sich jetzt des Lebens Ernst bemerkbar, und gar bange mag dem schmächtigen, hochaufgeschossenen Knaben wohl das Herz geklopft haben, als er vor dem Tore des Blaubeurer Klosters von seiner Mutter Abschied nahm, um vor völlig fremden, würdig dreinschauenden Herren davon Zeugnis abzulegen, was er auf der schola anatolica in literis gelernt hatte. Über den Verlauf des Examens ist etwas Genaueres nicht bekannt geworden. Jedenfalls sehen wir den jungen Hauff im Jahre 1817 als Schüler des Blaubeurer theologischen Seminars. In dem aktenmäßig erhaltenen Verzeichnisse der damals eingetretenen 39 Zöglinge, das nicht alphabetisch, auch nicht chronologisch, also wohl nach dem Ausfalle der Aufnahmeprüfung, beziehungsweise nach dem mitgebrachten Zeugnisse angelegt worden sein mag, nimmt Wilhelm Hauff den 31. Platz ein.

Für die bisher skizzierte Jugendperiode unseres Dichters waren wir bis vor wenigen Jahren auf das Material angewiesen, das sein Neffe, Julius Klaiber, in "Nord und Süd", 5. Band, S. 212ff. und Gustav Schwab in der ersten Biographie zur Gesamtausgabe der Hauffschen Werke bot. Von Hauff selbst rühren die mehrfach herangezogenen biographischen Notizen in den "Memoiren" her, die indessen nur mit Vorsicht benutzt werden dürfen. Zuverlässiger sind gewiß schon die in den Anfang der "Phantasien" eingestreuten Bemerkungen. Aber auch wirklich authentisch-autobiographische Mitteilungen für jene Zeit besitzen wir, wenn sie auch noch so kurz aphoristisch sind, in Gestalt der sogenannten Memorabilien. Sie wurden zum ersten Male in "Meine Eltern, ihre Geschwister und ihre Freunde" (Stuttgart 1897) von Karl Riecke veröffentlicht, der in diesem Buche unserem Dichter, dem vertrauten Freunde seines Vaters, Christian Heinrich Riecke, einen ganzen Abschnitt widmet und außer den erwähnten Memorabilien eine Reihe



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von Briefen Hauffs an Riecke und dessen Antworten darauf mitteilt. Da Karl Rieckes Buch aber nur als Handschrift gedruckt und nicht in den Handel gebracht wurde, auch in den Bibliotheken nur selten zu haben ist, wäre sein Inhalt der Allgemeinheit fast verschlossen geblieben, hätte nicht Dr. Hans Hofmann in "Wilhelm Hauff, eine nach neuen Quellen bearbeitete Darstellung seines Werdeganges mit einer Sammlung seiner Briefe und einer Auswahl aus dem unveröffentlichten Nachlaß des Dichters", einen Teil davon der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Memorabilien sowohl als die Briefe sind für die Einsicht in die Entwicklung Hauffs von allergrößter Bedeutung, and sie sollen daher auch in unsere Darstellung — nicht in extenso, wohl aber auszugsweise mit Einverständnis der Verwandten des verstorbenen Ministers Riecke —hier und da zur Illustration eingefügt werden. Was sind nun zunächst die Memorabilien? Karl Riecke leitet in seinem Buche S. 114 den betreffenden Passus durch folgende Verse ein: "Memorabilien schrieben viele, oft eine ganze Seite voll, die mahnten an der Jugend Spiele, ans Burschentreiben ernst und toll." Diese Zeilen entstammen dem Werke Gustav Griesingers "Fuimus Trocs, Eine Festgabe zum 400jährigen Jubiläum der Universität Tübingen im August 1877 von einem ehemaligen Musensohn". Riecke fährt dann fort: "Von demselben Gustav Griesinger findet sich in der Schwäbischen Chronik vom 27. Februar 1881 ein längerer Aufsatz ,über die weiland studentischen Stammbücher' und in diesem der Satz: ,Von vielen wurde außer den Stammbuchsentenzen auch noch besondere Symbola, wie sie schon bei ben Alten gebräuchlich waren, beigefügt, und einen besondern Reiz gewährten die sogenannten "Memorabilien" (kurz angedeutete Erinnerungen ian gemeinschaftlich ausgeführte Suiten, an gemeinschaftlich erlebte Begegnisse, Feste, Ausritte, Reiseabenteuer usw.), die gewöhnlich auf die Rückseite des Blattes geschrieben wurden.' So haben sich in dem Nachlasse meines Vaters auch Memorabilien von Wilhelm Hauff erhalten, die, in größerer Ausführlichkeit Breite, als vielleicht sonst üblich, angelegt, hier wenigstens im Suis zuge mitgeteilt werden können." Riecke ordnet sie nach den Rubriken I. Schule, II. Kloster Blaubeuren, III. Tübingen. Unterm J sind zunächst "Die Schuljahre in Tübingen" unb "Erwachen eines liederlichen Geistes in der Schule" erwähnt. Dann wird des "Heimlichen Rauchens im 13. Jahre", einer "Suite mit Conz und Riecke nach Rottenburg", einer "Aufführung des Siegfried von Lindenberg" gedacht. Auch mit "Marionettentheater, Sprichwörter- und



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Kartenspiel" hat sich der Knabe offenbar bisweilen unterhalten. Scheinen auch manche der Notizen für uns heute belanglos, insofern wir sie nicht bestimmt zu deuten wissen, ich denke da an "Der Neffe als Onkel", "Rheinwald" — das war einer seiner Kameraden — "als Balcour", so bleibt doch die Mehrzahl interessant, weil sie eine Menge von Einzelheiten bietet, die in ihrer Gesamtheit für die Stimmung jener Tage durchaus charakteristisch wird, so namentlich die ersten auf den Blaubeurer Aufenthalt bezüglichen. "Meine Einlieferung ins Kloster", "Die ersten traurigen Tage in Blaubeuren" heißt es gleich im Anfange. Darnach scheint es unserem Hauff in seinem neuen Wirkungskreise zunächst ,; :r nicht sonderlich behagt zu haben, und das ist verständlich. War es doch das erste Mal, daß er sich für längere Zeit von denen getrennt sah, die ihm bisher als die Liebsten auf Erden galten. Jetzt umgaben ihn nur fremde Gesichter, jede Miene und jedes seiner Worte neugierig belauschend, und es ist fürwahr selbst für stärker besaitete Gemüter in solcher Situation nicht immer leicht, an sich zu halten und die Gedanken des Heimwehs zu unterdrücken. Fremd muteten ihn auch die Räume an, in denen er die nächsten Jahre zubringen sollte; gehörten sie doch einem ehemaligen Benediktinerkloster an und hatten schon dadurch etwas Feierliches, aber auch wenig Anheimelndes, wenngleich sie kurz vor seinem Eintritte einer durchgreifenden Renovation unterzogen worden waren. Recht unbehaglich wird ihm jedenfalls auch die einen Tag wie alle gleichmäßig verlaufende Schul- und Hausordnung vorgekommen sein, ihm, der bis dahin nur der milden mütterlichen Zucht unterstellt gewesen. Frühmorgens um fünf Uhr schellte die Dormentsglocke einen aus dem besten Schlafe" erzählt er selbst. Dann gings ans Waschen und Ankleiden. Nun folgte gemeinsames Gebet, hierauf Arbeitsstunde, bis kurz vor 7 Uhr das Frühstück in Form einer Wassersuppe eingenommen werden durfte. Der Unterricht war, ganz ähnlich wie in den Internaten unserer jetzigen Fürstenschulen und Seminare, auf den Vor- und Nachmittag verteilt und wurde teils durch Musik-, teils durch Turn- oder Privatarbeitsstunden unterbrochen. Abends 9 Uhr konnte jeder sein Lager aufsuchen oder noch bis 10 Uhr sich beschäftigen. Freizeit gab es alltäglich, auch Sonntags, nur von 12 bis 2 Uhr, und so ist Hauffs Klage über die "Eingeschränktheit" ebenso zu verstehen wie die folgende Stelle aus einem Briefe vom 21. Januar 1820: "Es dreht sich alles im alten Kreise, und ich komme mir vor wie ein Färbergaul, der im ewigen Kreislauf immer wieder an den



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oft betrachteten Gegenständen hingetrieben wird. 's ist doch ein verflucht langweiliges Leben, das Klosterleben. Die langen Wintertage, Tag für Tag wird man um 5 bis 6 Uhr aus dem besten Schlaf aufgeschellt, muß schanzen bis 12 Uhr. Dann kommt schlechtes Essen. 1/2 Stündchen im schlechten Wetter auf den wenigen, ost besehenen Spaziergängen sich herumzutreiben, ist auch großes Vergnügen! Die übrige Rekreationszeit hat man Langweile, dann geht das Schaffen wieder an bis 8 Uhr, um am Ende die langweiligste Erholung auf seiner Stube bei einer Pfeife Tabak der Verdauung zu pflegen. Ringsherum fades Geschwätz; zu lesen ist auch nichts da; da kommen oft Deine Briefe wieder aufs Tapet, und es bleibt mir am Ende nichts mehr, als an die seligen Vakanztage zu denken und am Ende — das Heimweh zu bekommen. Conz klagt mir auch dasselbe in den langen Winterabenden, wo er nicht mehr heraus darf. Oft,' schreibt er, ,wünsche ich Dich und Riecke zu mir, nicht daß wir gerade hinter den Bierhumpen säßen, sondern um im vertraulichen Gespräch uns einander mitzuteilen!' Es geht mir gerade so wie ihm, — und wann werden wir wieder beisammen sein? — Acht lange Wochen sinds noch in die Vakanz. Darf man Hoffnung haben, Dich zu sehen? Schreibe mir doch bald wieder, ich kanns brauchen in meiner Einsamkeit [1)]!" Bedenkt man, daß dieser Brief dem Anfange des Jahres 1820 entstammt, einer Zeit also, zu der Hauff schon über zwei Jahre dem Verbande des Seminars angehörte, so kommt man allerdings zu der Vermutung, daß er sich durchaus nicht in das Anstaltsleben hat eingewöhnen können. Indessen tut man gut, seine Äußerungen nicht allzu tragisch zu nehmen und die Stimmung, aus der heraus jene Zeilen geschrieben wurden, zu berücksichtigen. Hauff hatte wegen eines Frieselausschlages unmittelbar vorher "8 Tage hindurch das Bett hüten müssen". Ferner war dei Brief an einen Freund, einen jungen Mann, gerichtet, der nach Wilhelms Meinung ein viel freieres, ungebundenes Leben führen, der im Neckar baden, ins Theater gehen, reiten und abwechslungsreiche Spaziergänge unternehmen konnte. Wie leicht kommt da ein Jüngling in die Versuchung, seine eigne Lage zu schwarz zu malen, und wer heutzutage Zöglinge derartiger Internate fragen wollte, würde gewiß ganz ähnliche Lamentationen zu hören bekommen, ohne dah den betreffenden Anstalten daraus ein Vorwurf erwachsen könnte. Zu anderen Zeiten schreibt Hauff auch weit zuversichtlicher. So heißt es unterm 3. August



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1819. "Die klösterliche Bildung hat doch entschieden größere Vorteile als die Lage, die mir in Tübingen geworden wäre, besonders da man im Lyceum nicht ganz ausstudieren kann, und da hätte ich vielleicht noch an euer Gymnasium wandern müssen 1 )." Hiernach suchte er sich im Hinblicke auf das Ziel, das ihm gesteckt war, mit seinem Schicksale abzufinden. "Ich bin wirklich sehr gerne hier", sagt er am 19. Juli 1819 und am 7. November 1819 "doch bin ich schon wieder und gerne hier," fügt aber nach seiner launigen Weise sofort in Klammern hinzu (" wenn man anders in einem solchen Nest im Winter gern sein kann."). Die Art der klösterlichen Zucht freilich, der Druck und Zwang, unter dem er fortwährend stand, haben seinen Beifall nie gefunden. Jedenfalls wurden die Zöglinge an peinliche Pünktlichkeit gewöhnt, darauf deutet die Stelle der Memorabilien "Den 9. Commerell und ich gingen Schwend entgegen. Er kommt nicht. Schnelles Heimjagen, weil es schon geschlagen hat." über seine Lehrer erfahren wir aus seinen Briefen verhältnismäßig wenig. Der Direktor des Seminars führte den Titel Ephorus, und Hauff schreibt — gewiß recht schmeichelhaft für den betreffenden Herrn — am 3. August 1819: "Mit unserem Ephorus sind wir wirklich außerordentlich zufrieden. Er kommt allen unsern Wünschen zuvor. Wenn er mit seiner Milde so fort macht, so kommt er doch in den Himmel [2] [)]." Allerdings gibt es für seine Unterrichtsstunden am meisten zu arbeiten; "muß bei Ephorus schanzen wie ein Vieh anderes liegen lassen," berichten die Memorabilien; doch hing das offenbar damit zusammen, daß Hauff die behördliche Erlaubnis erhielt, ein Jahr früher als die übrigen in das Tübinger Stift einzutreten, "auf den Fall, daß er in angestrengtem Fleiß bis zum Ende des Halbjahrs beharre". In dem Gutachten vom 19. Mai 1820, das der Ephorus Reuß in dieser Angelegenheit anden Studienrat abzugeben veranlaßt wurde, bemerkt er ausdrücklich, daß er "auf alle Fälle hin den Jüngling durch den Gedanken an die Möglichkeit einer früheren Aufnahme in das Seminar Tübingen zu recht ernstlichem Fleiße (er war bisher nicht unfleißig, war ernst und gesetzt) ermuntern und durch besondere philologische übungen auf seinem Zimmer noch mehr begründen wolle, damit ihm der frühere Übergang die Universität erleichtert und ja nicht schädlich werde [3] [)]." Ohne Zweifel leistete Wilhelm damals, was in seinen Kräften



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stand. Schon im vorhergehenden Winter, am 7. November 1819, berichtet er an Riecke: "Der Gedanke, ein Jahr früher mit den Meinigen und meinen Freunden vereinigt zu werden, auch sobald als möglich der hiesigen Klosterzucht zu entgehen, treibt mich auch zu großer Tätigkeit an, und ich darf mir wenigstens wirklich das Zeugnis geben, daß ich fleißiger sei als in dem vorigen Jahr [1] [)]," und am 20. Juni, als die Genehmigung der obersten Schulbehörde erfolgt war, schreibt er: "Es freut mich recht, daß Du auch teilnimmst an meiner Freude darüber. daß wir in 103 Tagen miteinander den Fuchsenstand antreten. O, wie freue ich mich auf den Winter! Wie manche selige Stunde muß uns dann, wenn wir so eng und brüderlich verbunden leben, wohlgenossen entfliehen! Die Freude, aus diesem Jammertale erlöst zu werden, ist bei mir sehr groß und wächst mit jedem Tage, da ich wirklich außerordentlich geplagt bin. Schaffen muß ich, daß mir der Kopf wehe tut, und habe überhaupt wenig freie Zeit. Ich finde es aber für nötig, noch recht zu arbeiten, indem ich eben doch ein Jahr zu frühe ans Ziel komme und den Kursus nicht ganz durchgemacht habe [2] [)]." Trotz der klösterlichen Absperrung fehlte es unserem Hauff in Blaubeuren keineswegs völlig an Abwechslung und Vergnügen, bei denen es sich namentlich um Tabak, Bier und Suitisieren handelt. So lesen wir in den Memorabilien: "Liederlicher Winter", "Erstürmung des Mäuerleins, Untersuchung, Manch in Nöten", ferner "Spielen und Rauchen auf Leipzig" (jedenfalls der Name einer Stube im Kloster), "Fürchterlicher Kommers vor der Vakanz. Ephorus wütet", oder "Bierverbot und Einschwärzung des Biers", späterhin "Den 11. Rauchen. Lustiger Abend in Weilheim". In einem Briefe vom 25. Febr. 1820 erzählt er, daß es seinen Pfeifen "neulich scharf an den Kopf" gegangen sei. "Es gab große Untersuchungen. Dein Vetter Hauff (damit meint er sich selbst) saß acht Stunden im Loch. Doch habe ich mich mit 32 anderen gut salviert. Ich habe der großen Gefahr wegen das Rauchen bis in die Vakanz aufgegeben, wo ich mich aber desto reichlicher entschädigen werde [3] [)."] Und nicht Hauff allein war ein Freund von Tabak und Bier, das lehrt folgende Episode. Christian Riecke hatte ihm am 24. Oktober 1819 von den Anstalten berichtet, die man zum Empfange des Königs traf und an denen sich auch die Gymnasiasten, "wie der Retor sagt — in corpore und öffentlich" —



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beteiligen sollten. Darauf antwortet nun Wilhelm Hauff ziemlich resigniert am 1. November: "Bei uns gings ganz anders her. Es war hier wie an einem andern Tage. Wir saßen hinter den Büchern, der eine oder andere auch abends hinter einem Schöppchen Neuen, sprach wohl auch über die Verfassung und fluchte recht über den kalten, unpatriotischen Ephorus, der an eine Feier nicht denke. Erbat uns zwar versprochen, den Huldigungstag recht feierlich mit uns zu begehen; aber es siehet windig damit aus; denn Wein, Bier, Feuer und Gesang, was uns Jungen das Liebste ist, fürchtet er ärger als den Teufel und seine Lüsten. Und da wird der alte Herr eine von seinen trockenen, gedehnten und mit langen Perioden, worin er gewöhnlich das Schlußverbum vergißt, ausstaffierten Reden preisgeben [1] [)]." Hauff hatte jedoch zu schwarz gesehen. Der Ephorus brachte seine Zöglinge nicht um die versprochene Feier, und zwar sollte diese gemeinsam mit den Uracher Zöglingen in Feldstetten abgehalten werden. Sie verlief aber gar nicht nach dem Sinne Hauffs, noch viel weniger nach dem Geschmacke des Herrn Ephorus, wie Hauffs ausführlicher Bericht an Riecke zeigt. Er sagt darin, schon am Tage zuvor sei ihnen der Wut gesunken, da die Nachricht kam, daß kein Bier genehmigt wäre. Dann beschreibt er den Weg bis Feldstetten. Die Blaubeurer waren vor den Urachern da, hatten Hunger und Durst und setzten sich zum Weine, bis der Ephorus kam, vor dessen Eintritt das Getränke noch rechtzeitig entfernt werden konnte. Darauf folgt die Beschreibung der auf freiem Felde abgehaltenen offiziellen Feier und endlich die Festlichkeit in dem engen und niedrigen Saale des "Rathäuschens", die nach einer einstündigen Rede des Blaubeurer Ephorus aus einem Festessen bestand. "Als das Essen vorüber war, erwarteten wir, daß jetzt die Alten sich schieben würden, daß wir kommersieren könnten. Aber daran war nicht zu denken. Finth, Professor in Urach, sagte laut: ,Ich will doch nicht hoffen, daß die Blaubeurer kommersieren werden? In diesem Fall würde ich mit meinen Leuten sofort aufbrechen.' — Unser Ephorus, der alte Ja! Herr stimmte ihm bei, und so wurde uns das handwerk gelegt. Man sang zwar einige Lieder; aber was wars? Einige Lieder. die der Uracher Speismeister mit seinen Leuten probiert hatte: Schütze Gott unsern Herrn usw., lauter alte. durchgepeitschte Sachen. Als wir trotz dem Mißfallen, das es vor jenen hohen herren hätte erregen können. einige Lieder,



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z. B. den Landesvater anstimmten, gab man uns keinen Wein mehr. Die meisten gingen nun geradezu aus dem Rathaus ins Wirtshaus und kamen ziemlich betrunken zurück. Des Ephorus Buben, die trotz unserer Mißbilligung mitgenommen worden waren, haben wir so besoffen gemacht, daß der betrübte, niedergeschlagene Mann sie auf ein Bett legen und mit ihnen heimfahren mußte. Unser Rückzug war traurig und unter lauten Verwünschungen 1 )." — über die Misere des Klosterlebens half unserem Hauff bis zu einem gewissen Grade wohl auch die schöne Umgebung Blaubeurens hinweg, nennt er selbst doch die Gegend herrlich, "man trifft selten eine solche an, wo so viel Erhabenes gemischt ist. Alte Schlösser auf hohen Felsen, große Höhlen usw. machen das Blautal und die Umgegend sehr interessant [2] [)]." Zwar klagt er an anderer Stelle darüber, daß er jene Schönheiten nicht als freier Mann genießen darf, "Wenn oft morgens die Sonne so herrlich hinter den Bergen aufgeht und die Felsen und Naine im Blautal beleuchtet, da kann ich dieses Schauspiel kaum durch das Fenster meines Käfigs bewundern [3] [)]," doch hat sich auf den in den Memorabilien verzeichneten Suiten nach Hechingen ins Nonnenkloster, nach Schorndorf, Ehingen, bei der Besteigung des Hohenzollern und Ausflügen ähnlicher Art Gelegenheit geboten, Land And Leute der Umgegend genügend kennen zu lernen, und die wiederholten Wanderungen nach Ulm während der Vakanzen vervollständigten und vertieften die erhaltenen Eindrücke. Auch andere Unterbrechungen des ewigen Einerlei melden die Memorabilien, so z. B. ein "Turnfest", "Besuch der Schönthaler", "Fabers Abschied in Feldstetten", "Den 1. Juni, 17 dürfen nach Ehingen. Nachmittags 1—sin Schelklingen. Lustiger ordentlicher Kommers." — Eine wichtige Rolle spielen während des Jahres 1819 in Hauffs Briefen die politischen Verhältnisse seines Vaterlandes, und es muh uns wunder nehmen, wie ein siebzehnjähriger Jüngling mit so dauerndem Interesse an staatlichen Vorgängen Anteil nimmt, deren Verständnis unsrer Meinung nach ein weit reiferes Alter voraussetzt. Seinem Wunsche gemäß wird er durch Riecke von Zeit zu Zeit über die Sitzungen des damaligen Landtages orientiert, zu denen sich dieser mehrfach Zutritt zu verschaffen verstand. Allerlei Einzelheiten über die Vertreter des Landes sowohl wie über die derzeitigen Minister werden berichtet, und Riecke spricht da



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trotz seiner Jugend manch kräftiges Wörtlein. "Denke Dir, was uns der (gemeint ist der Minister Otto, von dem vorher die Rede war) vor einigen Tagen für ein Verbot zuschickte, wir jungen Leute sollten nicht mehr politisieren, es sei gar nicht unsere Sache, über Verfassungsgegenstände abzuurteilen. Noch recht gut erinnere ich mich, wie wir Buben darüber lachten, als der vorige König in Tübingen austrommeln ließ, man dürfe nicht mehr politisieren. Und das war doch noch eine andere Zeit, wo man solchen Befehlen Nachdruck geben konnte. Allein jetzt, in diesen Zeiten, so etwas verbieten zu wollen! Sollte denn wirklich der Herr Minister glauben, daß wir alle verstummen werden, wenn er es befehle? Ja, da hat sich der gute Mann gewaltig geirrt. Denn wie überhaupt jedes Verbot zum Übertreten reizt, so ist dies ganz besonders in diesem Punkte der Fall. Man soll nicht mehr reden! Selbst das Denken hat man uns so halb und halb verboten! Ja! nur zu befohlen! Es tut doch jeder, was er will. Das sind schöne Aussichten auf den kommenden Landtag [1] [)]!" In ähnlicher Weise sehen wir Hauff um die Zukunft seines Vaterlandes besorgt. Was denkst du", heißt es in einem Briefe vom 3. August 1819, von Tübingen und seinen Stürmen? Wir hören hier beinahe nichts von solchen Sachen. Vor 8 Tagen schrieb mir zwar meine Mutter, Völker und Gräter haben ihre Papiere hergeben müssen, aber in 8 Tagen geschieht so viel Neues! Was wird wohl endlich das Ziel aller dieser Sachen sein? Gott gebe, es sei ein heilsames! . . . . Mit der edlen Turnkunst und der allgemeinen Burschenschaft, diesem so nützlichen Verein, wird es wohl in Tübingen bald auf der Neige sein, und auch uns droht das Ende unseres Turnens. Mögen sie es immer aufheben; wir setzen es dennoch im stillen fort, und Ephorus und Professoren, die unserem Turnen gar nicht abhold sind, ignorieren es und lassen es fortdauern wie zuvor. Oken und einige andere, die dem preußischen Despotismus noch entgangen sind, spürt man scharf nach. Bei uns herum ist man sehr wachsam auf sie [2] [)]." Klingen hier nicht Gedanken an, die wir später in den "Memoiren" ausführlich dargestellt finden? Möglicherweise gehen die allerersten Entwürfe davon noch in die Blaubeurer Zeit zurück. — Recht wohltuend für das im Kloster sehr verwaiste Gemüt" des jungen Hauff war sicher das Bewußtsein, in der Ferne einen guten Freund zu haben, mit dem



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man sich während der Vakanzen austauschen und gütlich tun konnte. und Riecke muß in der Tat als ein treuer, aufrichtiger Freund bezeichnet werden, der in vielfacher Beziehung überdies anregend auf Wilhelm wirkte. Von welch offner und herzlicher Art seine Gesinnungen für Hauff waren, läßt folgende Briefstelle von ihm erkennen: "Ob Du mich unbewußt beleidigt habest? Da kennst Du mich schlecht, wenn Du das auch nur vermuten oder als möglich denken kannst. Denn einmal kann mich niemand, den ich liebe, beleidigen, und daß ich Dich mehr als keinen andern liebe, stelle mich auf jede Probe, ich werde es beweisen! Zweitens aber, gesetzt auch, Du hättest mich wirklich beleidigt, hältst Du mich denn für so verschlossen und verstellt, daß ich, anstatt mit ein paar Worten die Sache wieder ins reine zu bringen, den Groll in mich schlucken und im stillen darüber brüten würde [1] [)]?" —Ziemlich frühzeitig scheint Hauff damit begonnen zu haben, zarte Bande zu flechten, und auch das mag ihm wohl als Trost über die Stunden der Kümmernis hinweggeholfen haben. Wenige Bemerkungen nur deuten darauf hin. Einmal steht in den Memorabilien der Buchstabe "E" und bald darnach "Hoffnungen!!!?," später "Ungewisses Hoffen wegen N. N. Traurige Gedanken." Wahrscheinlich beziehen sich diese Notizen auf eine Verwandte in Ulm; doch ist etwas Genaueres nicht bekannt.

Alles in allem ergibt sich. Hauff hat nach Möglichkeit versucht, sich die Blaubeurer Jahre erträglich zu gestalten, und es scheint mir ebenso bezeichnend wie ehrend für den reifer denken Dichter, daß er sich später dankbaren Herzens jener Zeit erinnert, wenn er in den "Phantasien" ausruft: "Sei mir gegrüßt, du Felsental der Alb! Du blauer Strom, an welchem ich drei lange Jahre hauste, die Jahre lebte, die den Knaben zum Jüngling Machen. Sei mir gegrüßt, du klösterliches Dach, du Kreuzgang mit den Bildern verstorbener Äbte, du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar, ihr Bilder. alle in schönes Gold des Morgenrots getaucht! Seid mir gegrüßt, ihr Schlösser auf den Felsen, ihr Höhlen, ihr Täler, ihr grünen Wälder! Jene Täler, jene Klostermauern waren das enge Nest, das uns aufzog, bis wir flügge waren, und ihrer rauhen Albluft danken wir es, daß wir nicht verweichlichten." Alle die kleinen und früher von ihm vielleicht auch kleinlich kritisierten Unannehmlichkeiten des Klosterlebens sind hier vergessen, nur die Vorzüge und Schönheiten der Rasur, die ihn damals umgab,



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leben noch in seinem Geiste, und namentlich eines Vorteils ist gedacht, des Umstandes, daß der Aufenthalt in Blaubeuren für seine Gesundheit von günstigem Einflusse gewesen ist. Aus den Briefen jener Zeit wissen wir, wie der Jüngling Hauff im Winter 1818/19 und auch noch in der ersten Hälfte des folgenden Sommersemesters viel auf der Brust zu leiden hatte; er bezeichnet das als ein "Erbteil noch aus seiner Kindheit" "Autenrieth (ein Tübinger Arzt) hatte, ehe ich hierher kam, immer viel zur Hebung dieses Leidens getan [1] [)]." Die kräftige Luft des Blautals aber scheint im Vereine mit der zwar einfachen, aber streng geregelten Lebensweise das genannte übel völlig behoben zu haben; denn bei seiner Entlassung aus dem Kloster gab man ihm das Zeugnis "valetudo firma", und Klaiber sagt ausdrücklich, daß die Familie Wilhelm völlig verändert gefunden habe, als er im Herbst 1820 zurückkam. Aus dem schmächtigen Knaben war ein schlanker, wohlgebildeter Jüngling geworden, dem der feine Schnitt des blassen Gesichts, die blauen Augen im Kontrast mit den dunkelfarbigen Haaren einen eigenen Reiz gaben [2)]." Aber nicht nur in rein körperlicher, sondern auch — abgesehen von der wissenschaftlichen Ausbildung, die nicht unterschätzt werden darf — in psychologischer und moralischer Beziehung ist Blaubeuren für Wilhelm Hauff von größter Bedeutung geworden. Gerade die Jahre, die ihn "flügge" machten, waren für ihn deshalb doppelt wichtig, weil er ungemein rasch und nachhaltig alles erfaßte, was von außen ihm nahte, und schlechte Gesellschaft hätte in jener Zeit gewiß viel verderblicher gewirkt, als ihn früher die verhängnisvolle Lektüre beeinflußt hat. War auch der Kreis, innerhalb dessen seine Entwicklung sich vollzog, nicht groß und glänzend, so hat doch der beständige Umgang mit der Natur, so langweilig ihm die Spaziergänge auch vorkommen mochten, seinen Blick für das Schöne und Erhabene geschärft, und wenn wir im "Lichtenstein" sehen, mit welcher Farbenpracht er sein liebes Schwabenland zu malen versteht, so verdankt er die größte Zahl der Motive sicherlich den Blaubeurer Jahren. Hier hat er sein Auge geübt, hier lernte er die vielen scheinbaren Kleinigkeiten beobachten, deren es bedarf, um eine Naturszene wahrheitsgetreu wiederzugeben, und viele seiner späteren Schilderungen — man denke an die Beschreibung des Weges über die Alb, oder des Bauernhauses, wo Bärble und deren Mutter den schwerverwundeten



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Georg pflegen, oder des Eingangskapitels zum "Lichtenstein" mit der plastischen Zeichnung Ulms — sind zweifellos Erinnerungen aus der Blaubeurer Zeit. Durch seinen Freund Riecke, der schon als Jüngling große Kunstliebe an den Tag legte, wurde Hauff eingeladen, die Gemäldesammlung der Boisserée in Stuttgart gelegentlich zu besichtigen und zugleich gefragt, was das für ein Gemälde sei, "welches sich in der Kirche zu Blaubeuren befinden soll. Ich habe schon mehreremal viel Wesens davon machen hören [1)]." Ob er dieser Einladung damals gefolgt ist, wissen wir nicht — die Heranziehung der Boisseréeschen Sammlung in der "Bettlerin vom Pont des Arts" kann auch auf späteren Eindrücken beruhen — aber die Auskunft über das Kirchenbild gibt er, wie folgt: "In der Stadtkirche kenne ich keines als einige alte Helfensteinsche Wappen; es muß also wohl im Klosterchor sein, denn die Kirche selbst ist ein Fruchtboden. Im Chor steht ein unermeßlich hoher Hochaltar, der nach dem Zeugnis aller Kenner, ich will mich für keinen solchen ausgeben, sehr viel künstlerischen Wert hat und viel Fremde herbeilockt. Er hat doppelte Türen, die außen und innen bemalt sind . . ." [2] [)] Reminiszenzen aus dieser Beschreibung sind in den "Lichtenstein" übergegangen, auch andere Einzelheiten aus dem Briefwechsel mit Riese, wie die auf das Turnen, die Politik und die Burschenschaft bezüglichen, kehren später in Hauffs Werken wieder (Memoiren S. 71), und es ist wohl möglich, daß jene Stelle der Memorabilien "und anderes liegen lassen" einen Hinweis auf seine ersten schriftstellerisrhen Betätigungen in sich schließen. Ebenso besteht H. Hofmanns Annahme, daß einige Gedichte, wie "Der Kranke" (vgl. S. 10) und "Mutterliebe", infolge der über ihnen liegenden schwermütigen Stimmung, die — wie wir aus seinen Briefen wissen — Hauff bisweilen überkam, in jene Zeit gehören, entschieden zu Recht. Als hervorstechenden Charakterzug, den nach seiner Rückkehr aus Blaubeuren seine Angehörigen an Wilhelm bemerkten, erwähnt Klaiber neben der Bestimmtheit seines Urteils und der Lebhaftigkeit seiner Empfindung" einen "spöttischen Zug, einen ausgesprochnen Hang zur Satire," und auch die Memorabilien und Briefe geben genugsam Proben davon. Wahrscheinlich ist die Veranlagung dazu von Kindheit auf vorhanden gewesen; denn schon als Knabe karikierte er "Figuren aus der bekannten Umgebung" und ahmte, mit alten Kleidungsstücken drapiert,



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die Opfer seines Humors in Stimme und Gebärden nach". Jedenfalls aber hat dieser Keim in Blaubeuren reichliche Nahrung zur Weiterentwicklung gefunden; vielleicht ist ihm auch einer seiner Mitschüler unbewußt zum Vorbilde geworden, gibt doch an und für sich das Zusammenleben so vieler gleichaltriger Zöglinge oft genug Anlaß zu Wortgefechten und humorvollen Auseinandersetzungen, die nur zu leicht eine satirische Wendung bekommen.

Über die letzten Tage in Blaubeuren geht Hauff in seinen Notizen und Briefen sehr rasch hinweg. Die Präparation auf das Examen forderte viel Zeit. "Erlösung vom Jammertal" nennt er seinen Austritt. "Mittwoch halte ich meine Abschiedsrede," schreibt er am 3. September 1820 an Riecke, fügt aber — natürlich ironisch — in Klammern sofort hinzu sehr rührend", "abends ist ein Abschiedskommers, Donnerstag ist das Turnfest und Promotionskommers (was sehr erbärmlich ausfallen wird)". Am Samstag gedenkt er dann gemeinsam mit Riecke, der ihn während der letzten, "der lustigsten Woche" besuchen will, nach Tübingen zu pilgern. Wir fahren zu vier bis fünf bis an die Uracher Steige, und dann gehts zu Fuß über St. Johann nach Reutlingen und Tübingen." Fürsorglich setzt er hinzu: "Im Fall es regnen sollte, so können wir in Urach herrliche Retouren nach Tübingen haben, da die Tübinger am nämlichen Tage in die Vakanz gehen [1] [)."]

So war denn endlich das Blaubeurer "Jammertal" glücklich durchwandert, vor sich sah der hoffnungsvolle Jüngling jetzt ein Land voller Blütenpracht und .frischen, fröhlichen Lebens; mit raschen Schritten ging es jetzt dem Ziele seiner Träume, der Studentenzeit, entgegen. Da tritt ihm noch in der Muluszeit in dem Elternhause der Gebrüder Klaiber, der Söhne des Pfarrers Johann Christan Klaiber in Roßwag, dessen Tochter Nane entgegen, und diese Bekanntschaft ist es, die sein Denken für die nächsten Monate stark beschäftigt, ja völlig in Anspruch nimmt. "Roßwag. Bekanntschaft mit Nane. (Schöne Zeit!) Rückreise" steht in den Memorabilien und bald danach "Sehnsüchtige Gedanken an die schönen Tage in R.". An die erste Begegnung schloß sich von Hauff angeregt — ein Briefwechsel an, der uns interessante Einblicke in den Charakter des Jünglings wie in das Wesen jener Pfarrerstochter gestattet. Nane war ein



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feinsinniges, äußerst zartfühlendes Mädchen, das an dem gewandten, lebenslustigen jungen Manne mit seiner herzlichen, offenen Art Wohlgefallen gefunden hatte. Leider scheint sie von Kindheit an kränklich gewesen zu sein, und in Hauffs ersten Briefen bildet die Sorge um ihre Gesundheit das Hauptthema. "Aber wie geht es mit Ihrer Gesundheit? Ist sie noch so gut wie in der Vakanz? Wie Sie oft recht heiter waren, da freute ich mich und dachte, jetzt sei es wieder recht gut! und dennoch klagten Sie so oft; darf ich nicht hoffen, daß es besser sei? . . . Daß ich recht herzlich Teil daran nehme, werden Sie überzeugt sein. O! Daß ich Ihnen eine recht heitere Seelenruhe geben könnte, die gewiß für Sie so heilsam wäre [1] [)."] In der Antwort, die leider fehlt, scheint Nane die Hoffnung ausgesprochen zu haben, daß sich Hauff inzwischen besser in das Tübinger Leben einrichtete; denn er schreibt am 19. November 1820: "Ich habe mich freilich jetzt mehr angewöhnt in meinen neuen Verhältnissen, aber dennoch finde ich oft noch Stoff zum Mißmut . . . Doch aus so düsteren Gedanken richtet mich Ihr freundliches Immergrün auf; denn es ruft mir zu, daß etwas doch dem Menschen geblieben sei, das er aber gläubig bewahre vor des Lebens Stürmen, die Hoffnung 2 )!" Zu bald nur sollten auch diese beiden jungen Leute die bittere Wahrheit des bekannten Wortes erfahren, daß Liebe mit Leide gerne lohnt. Nach einem Besuche Hauffs während der Osterferien trat plötzlich eine Trübung des freundschaftlichen Verhältnisses ein. Die noch vorhandenen Briefe lassen nicht recht erkennen, wer die eigentliche Veranlassung dazu gegeben hat. Sicherlich war es für einen jungen Mann von Hauffs kecker, selbstbewußter Art nicht ganz leicht, dem empfindsamen, vielleicht krankhaft empfindlichen Wesen einer Nane, die den nahen Tod im Herzen fühlte, in jeder Beziehung gerecht zu werden. Das Tagebuch gibt gar keinen Anhalt; es berichtet nur: "Roßwag. Annäherung an N. Abschied !?! Eilig heim!!! Der unglückliche Brief an Ne. Rückkehr nach Tübingen." Deutlicher spricht schon ein Schreiben, das Lina Geiger, eine Schwester Nanens, ohne deren Wissen an Hauff richtete. Danach scheint ihn eine Äußerung Nanens gekränkt und zur Abreise bewogen zu haben. "Ich gebe es zwar zu, daß jene Äußerung N. vor Ihrer Abreise Sie befremden, ja kränken konnte, aber daß Sie nicht fühlten. daß sie unmöglich die Absicht haben



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konnte. Sie kränken zu wollen, in dieser Stimmung, in der Sie selbst sie sahen, daß Ihr Stolz so ganz die Stimme des Herzens bemeisterte, das tut mir wehe [1)]." Nane selbst hat am 9. August durchaus versöhnlich an Hauff geschrieben, einen Brief, sehr bezeichnend für ihr edles, tiefes Gemüt, ihr ansprechendes, verständiges Wesen, aber auch für ihre gediegene geistige Bildung. Es heißt da: "Mit schwacher Hand ergreife ich die Feder, um an Sie, mein Freund, zu schreiben. Aber — indem ich bedenke, wie lange es ist, daß ich nicht mehr geschrieben habe — ziehen die verschiedenen Bilder der Vergangenheit an meiner Seele vorüber und erfüllen mein Herz mit Wehmut. — Auch zwischen uns beiden ist manches vorgefallen, das niemals hätte geschehen sollen, und die Erfahrung mag uns lehren: daß aus übereilung nichts Gutes hervorgeht . . . Ungern berühre ich das Vergangene — und es ist mir recht leid, wenn ich unangenehme Empfindungen in Ihnen erneuert habe; vielmehr wünsche ich völlige Vergessenheit. Meinem Herzen ist es immer, besonders in Tagen schweren Leidens — eigentlich Bedürfnis, mit jedem in Frieden zu leben; und ich wünsche recht sehnlich: daß auch zwischen uns alles vergeben und vergessen sei; auch Sie, lieber Wilhelm, wünschen dies, und Ihr letzter Brief, der aus unbefangenem Herzen, voll des innigsten Mitgefühls, floß, verbürgt mir Ihre Gesinnung. Glauben Sie, daß meine Freundschaft noch die gleiche ist; denn ich kann das Vergangene nicht auf Rechnung Ihres Herzens schreiben; und in Ihrem letzten Briefe habe ich Sie wieder ganz erkannt und gefunden. Sie waren krank, lieber Wilhelm, sehr krank! und in der Sorge um Sie hatte ich manche bange Stunde. Sind Sie doch wieder ganz wohl? Möge das Gefühl der völligen Gesundheit Ihr Herz erfreuen! Möge künftig die Sorge um Ihre treue, kindlich verehrte Mutter nicht den reinen Himmel Ihrer Jugend trüben [2)]!" Im Frühlinge des folgenden Jahres ist Nane abberufen worden zu einem besseren Dasein, und Hauff hat ihr ein ehrendes Gedächtnis bewahrt, ihr, der es vergönnt war, zum ersten Male eine ernste Neigung in ihm zu erwecken und ihm damit manche Stunde freilich nicht ungetrübten Glückes zu bescheren.

Mitten hinein in diese Herzensangelegenheiten fallen nun Ereignisse ganz anderer Art. Wilhelm Hauff ist inzwischen Student geworden und zwar, soweit wir nach seinen



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Aufzeichnungen ermessen können, ein flotter Student. Anfangs zwar mußte er sich den Regeln des Stifts fügen, in dessen Räumen er wohnte, doch war die Hausordnung "viel leidlicher" als die Blaubeurer. Immerhin fanden auch die Verhältnisse innerhalb der Tübinger Klostermauern seinen Beifall nicht, er klagte Raue gegenüber über die langweiligen Herbst- und Winterabende, und schon im Sommer des Jahres 1821 sehen wir ihn deshalb mit Genehmigung des Ephorus zu seiner Mutter in die Haaggasse übersiedeln. Gab er auch damit nicht das Recht auf, an den gemeinsamen übungen der Stiftler, sowie an ihren Mahlzeiten teilzunehmen, so ermöglichte das Externat doch eine viel größere Bewegungsfreiheit, und danach hatte er ja schon in Blaubeurer Tagen geschmachtet. Einmal ganz sein freier Herr zu sein, das war sein Herzenswunsch schon lange gewesen. Seine Freunde Frisch, Christian, Göriz und Röder, mit denen er bereits im ersten Semester viel verkehrte — "Spaziergänge mit diesen. Arge Graßheit" — melden die Memorabilien, traten schon damals in die Burschenschaft. Er selbst zögerte auch im Sommer noch damit; wahrscheinlich fühlte er sich körperlich nicht ganz wohl, seine Notizen, auch Nanens Brief sprechen von einer Krankheit. Erst im Winter 1821/22 lesen wir "Fideles, und von da ab gab er sich mit Jugendlust und Begeisterung dem fröhlichen Treiben des akademischen Lebens hin. Die Burschenschaft — erst wenige Jahre zuvor, am 12. Juni 1815 in Jena gegründet und beim Wartburgfeste 1817 zum ersten Male als Einheit aller deutschen Studenten hervorgetreten — stellte nach §2 ihrer Verfassungsurkunde "vom 18. Tage des Siegesmondes im Jahre 1818" als Richtschnur ihres Wirkens folgende Grundsätze auf a) Einheit, Freiheit und Gleichheit aller Burschen untereinander, Gleichheit aller Rechte und Pflichten, b) christliche deutsche Ausbildung jeder geistigen und leiblichen Kraft zum Dienste des Vaterlandes oder — wie es in der Leipziger Urkunde heißt,: Volkstümliche Ausbildung für den Dienst dr:: Vaterlandes, Aufrechterhaltung und Beförderung der Gerechtigkeit,, Sittlichkeit, Ruhe und Ordnung sowohl in Beziehung auf die inneren Verhältnisse der Burschenschaft unter sich als auf die Verhältnisse zu den bestehenden Behörden und zu allen Studierenden. Das waren in der Tat hohe, edle und ideale Zwecke, denen man da nachstreben wollte, wohlgeeignet einen jungen Mann von Hauffs Denkweise zu enthusiasmieren. Dazu stand die Tübinger Burschenschaft



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die damals den Namen Germania und die Farben schwarz-rot-gold trug, in hohem Ansehen auch bei älteren und besonnenen Männern, so daß z. B. im Stuttgarter Gymnasium der Religionslehrer, der gestrenge nachmalige Prälat Klaiber noch bis zum Jahre 1822 seinen Schülern den Anschluß an die Burschenschaft empfohlen hat" [1] [)]. Gerade der Sommer 1819 wird als eine Zeit mächtigen Aufblühens bezeichnet; die akademischen Behörden behelligten die Verbindung in keiner Weise. Leider wurde das mit der Ermordung Kotzebues durch Georg Sand mit einem Schlage anders. Im August 1819 wurden auf dem Kongreß der Bundesregierung die berüchtigten Karlsbader Beschlüsse gefaßt, die eine Beaufsichtigung der Disziplin und Verbindungen unter den Studierenden durch besondere Kuratoren forderte, und da Sand auch in Tübingen immatrikuliert gewesen war, konnte es nicht ausbleiben, daß die "höchstprmßliche Zentraluntersuchungskommission" [2] [)] natürlich auf die Tübinger Burschenschaft ihr nachdrücklichstes Interesse konzentrierte. Die Professoren bewahrten ihr zwar persönlich ihre Sympathie, aber die Regierung drang allerorten auf Beseitigung des Namens "Burschenschaft", und auch die Tübinger konnte ihre Existenz nur dadurch retten, daß sie ihn in "Burschenverein" umtaufte. Im Jahre 1825 verschärften die Behörden die Gewaltmaßregeln gegenüber den Verbindungen abermals, viele Studenten wurden auf den Asperg geschickt, und für Hauff, dessen akademische Laufbahn um die Zeit abschloß, waren lene unerquicklichen Verhältnisse so frisch im Gedächtnisse, daß er ihrer in seinen Satansmemoiren ausführlich gedenken mußte. Als Höhepunkt im Leben der Burschenschaft galt das sogenannte Waterloofest, das mit großem Aufwand an Pomp und Glanz alljährlich am 18. Juni auf dem Wörth gefeiert wurde. Drei Jahre hindurch findet sich Hauff in der Liste der Festdichter, und die betreffenden Poeme sind S. 19 ff. dieser Ausgabe abgedruckt. Eine weitere beliebte Festlichkeit bildeten die "Ausritte"; sie nahmen ihren Anfang stets auf dem Marktplatze, nachdem der im sechsspännigen Wagen sitzende Marschall ein laut tönendes Hoch auf die scheidenden Brüder "in Champagner" gebracht hatte. Für die Philister mögen diese Ausritte ein um so größeres Ereignis gewesen sein, als viele der Burschenschaftler sich damals in altdeutsche Kostüme kleideten, um schon äußerlich das Wiederaufleben des altdeutschen Wesens zu bekunden. Hauff hat wahrscheinlich diese mehr als



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eigentümliche Sitte nicht mitgemacht, wenigstens nicht in dem Umfange, wie er sie mit folgenden Worten selbst beschreibt, beziehungsweise karikiert: "Die jungen Herren zogen die modischen Fräcke aus, ließen Haar und Bart wachsen, an die Hemden eine halbe Elle Leinwand setzen. Sie hatten wunderbare Mützen auf dem Kopf, die fast anzusehen waren wie Pfannkuchen. Lange wallende Haare fielen in malerischer Unordnung auf Rücken und Schulter; den Hals trugen sie frei und hatten breite, zierlich gestickte Kragen, wie heutzutage die Damen tragen, herausgelegt. Ein Rock, der nach antiker Form gemacht war, kleidete sie nicht übel; er schloß sich eng um den Leib und zeigte überall den schönen Wuchs der jungen Männer. In sonderbarem Kontrast damit standen die weiten Pluderhosen von grober Leinwand. Aus ihren Röcken sahen drohend Dolchgriffe hervor, und in der Hand trugen sie breite Stöcke, ungefähr wie die römischen Liktoren. Gar nicht recht aber wollte zu diesem Kostüm passen, daß sie Brillen auf der Nase hatten und gewaltig Tabak rauchten." In den Memorabilien spielen jetzt Suiten nach Roseck, Hechingen, Niedernau, Reutlingen eine wichtige Rolle. Besonders wanderlustig zeigt sich Hauff während der Ferien. In der Herbstvakanz 1821/22 erwähnt er eine Reise mit Theuren, Riecke 1 und 2, Reyscher über Gmünd nach Ellwangen, eine andere über Aalen nach Ulm mit den übrigen und Pfäfflein. Verfrorene Fahrt von Heidenheim nach Ulm. Tanz und Tanzmusik in Pfuhl. Fahrt ins Steinhäule." Mit dem als Pfäfflein angeführten Freunde ist Moritz Pfaff gemeint, der seit 1851 am Obertribunal in Stuttgart tätig war und 1853 zum Mitgliede des Geheimen Rats und Staatsrats ernannt wurde; denn Gustav Pfaff, gleichfalls zum Bekanntenkreise Hauffs gehörig und später Direktor des Kreisgerichtshofes in Eßlingen, wird gewöhnlich "der Lange" genannt. Außer mit diesen beiden verkehrte der Studiosus Hauff besonders intim mit dem schon oft erwähnten, durch den Briefwechsel mit ihm bekannten Christian Heinrich und mit dessen Bruder Viktor Adolf Riecke, die Jura, beziehentlich Medizin studierten, ferner mit Adolf Christian, genannt Cocles, mit Friedrich Freiherr von Röder, genannt der Reichsbaron, und mit Karl Göriz, vulgo Schnee. Hauff führt den Kneipnamen "Bemperlein", der Seelenhirtschaft Anbildling. Bemperlein, auch Bemperle oder Pömperle, ist als schwäbische Diminutivform zu "Pumper" oder "Pomper" gedacht. So hatte man einen älteren Hauff, den nachmaligen Oberamtsarzt und Medizinalrat in Kirchheim, als Student genannt. Alle die angeführten



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jungen Leute bildeten innerhalb der Burschenschaft eine kleinere Gruppe, die gewöhnlich "die kleine Kompagnie", wohl auch die Feuerreiter" heißt, welch letzteren Namen ihnen, so schreibt Griesinger in der schwäbischen Chronik von 1879, "ihr Eifer sowohl in burschenschaftlichen als in allgemein studentischen Angelegenheiten zugezogen hat, der aber von ihnen selbst auch gerne adoptiert worden ist. Es war ein sehr ehrenwerter Kreis strebsamer Jünglinge, die besonders auch zur Aufrechterhaltung und Belebung der burschenschaftlichen Idee wesentlich mitgewirkt und sich nicht geringe Verdienste um die Verbindung erworben haben, wie denn einer von ihnen (Knaus) als staatsgefährlicher Umtriebe bezichtigt, zwei Jahre seiner Jugend als Untersuchungs- und Strafgefangener auf dem Asperg zubringen durfte. Ehre ihrem Andenken [1] [)!"] Über die Studentenzeit hinaus haben sich die Feuerreiter die Gesinnungen echter Freundschaft bewahrt, ja auf ihre Kinder und Enkel hat sich in einzelnen Fällen das schöne Verhältnis der ehemaligen Farbenbrüder übertragen. Neben dem von Griesinger als Charakteristikum angeführten ernsten Streben kamen innerhalb der kleinen Kompagnie auch jugendlicher Humor und studentische Keckheit zum Ausdrucke. Davon zeugen mehrfache Episoden, welche des Dichters Freunde berichteten. Eines Tages — es war gerade Markt in Tübingen — kehrte Christian in seine Wohnung zurück. Da stand Bemperlein am Fenster und war im Begriffe, die Garderobe seines Kommilitonen öffentlich zum Verkauf auszubieten. Einen anderen Streich soll Hauff einst nachts ausgeführt haben, indem er auf den Jörgenbrunnen kletterte und der jetzt nicht mehr vorhandenen Statue des St. Georg die Beine rot bemalte. Möglicherweise wollte er — die Feuerreiter trugen damals rote Beinkleider — dadurch die Zugehörigkeit jenes hohen Herrn zu ihrem Bunde dokumentieren. Ein weiteres Zeugnis seines studentisch fröhlichen Lebens und Treibens liefern Hauffs eigne Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit. Als umfangreichstes Werk kommt da zunächst "Die Seniade" in Frage, ein teilweise humoristisches Studentenepos in der Art des "Renommisten" von Zachariä. Seni, die Abkürzung von Senior, war der Kneipname für den Mediziner Friedrich Hauff von Marburg gewesen, der mehrere Jahre lang als "das Faktotum der Burschenschaft, als feiner Redner, tüchtiger Schläger, kühner Reiter, gewandter Turner, galanter Tänzer und bester



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Billardspieler galt. Sein Schläger führte den Namen Viktor. Im Jahre 1820 in Tübingen immatrikuliert, mußte er im Herbst 1824 mit andern angeblichen Demagogen den Asperg besteigen; er wurde aber schon im folgenden Jahr als ein schwer Kranker entlassen und starb bald darauf [1)]." Zu seinem Gedächtnisse, zugleich der gesamten Burschenschaft zu Ehren, ist die "Seniade" verfaßt, die neben vielen örtlichen und zeitlichen, die Allgemeinheit weniger interessierenden Anspielungen doch auch Strophen enthält, die von ernster, echt jugendlicher, idealer Begeisterung getragen werden. So spricht z. B. Armin, der Genius der Burschenschaft, nachdem er Seni gegenüber Gott, Ehre, Freiheit und Vaterland als die vier Säulen des hohen Domes seiner Verbindung gepriesen hat, am Schlusse des vierten Gesanges:

Dies ist das Heiligtum, so fest gegründet, Die Säulen dies, auf die es aufgebaut, Ein Banner auf der Zinne euch verkündet, Worauf der feste Heldentempel traut. Das schwarzgoldrote Zeichen, Das nimmer wird erbleichen, Solang' des Tempels hohe Säulen stehn, Wirst du, Panier, frei durch die Lüfte wehn.

Denn nicht ein Meteor, das, schnell entzündet, Am schwarzen Himmel wieder untergeht, Nein, dieses Rot hat Schöneres verkündet, Nichts Eitles, was die eitle Zeit verweht. Die schwarze Nacht muß sinken, Ein Morgenrot erblinken, Schon bricht sein goldner Strahl hervor mit Kraft — Das ist dein Zeichen, deutsche Burschenschaft [2] )!"



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Mehr humoristisch-burschikoser Art sind Hauffs "Briefe eines Mädchens", jedenfalls ursprünglich als Beitrag zu einer Kneipzeitung oder dergleichen gedacht und daher nur flüchtig skizziert Sie sollen den Eindruck des akademischen Lebens in Tübingen auf die Tochter eines Pfarrers wiedergeben, eines einfachen, biederen Landmädchens, das dem ihr völlig neuen sonderbaren Treiben der Studenten natürlich ganz verwundert zuschaut und in ihrem oft genug komisch anmutenden unbeholfenen Stile an eine Freundin berichtet, wie folgende Probe zeigt: "Doch, daß ich



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in der Ordnung bleibe, so will ich Dir auch etwas von dem Studentenfest erzählen. Man heißt es das Waterloofest, und es soll einmal eine schreckliche Schlacht da geliefert worden sein. Deswegen ist auch das Fest und der Ball [1] [)."] Die Briefe sind von Dr. Gustav Wilhelm aus dem Nachlasse seines Großvaters Viktor Adolf Riecke in der Beilage zur "Münchner Allg. Zeitung" vom 17. August 1895 unter dem Titel: "Ein Anfang Hauffs in der Novelle" vollständig zum Abdrucke gebracht. — Recht bezeichnend für den Charakter des jungen Studenten für seine Neigung zur Ironie, die nicht selten zur Selbstironie wird, vielleicht auch für die nicht allzugünstigen äußeren Verhältnisse, unter denen er lebte, die aber seiner frohen Laune keinen Eintrag zu tun vermochten, sind die "Phantasien für den September 1850", vorgelesen bei einem am 11. Februar 1825 in der Post zu Waldenbuch veranstalteten Feste der Kompagnie. Da sieht sich Hauff im Geiste schon als kinderreichen Dorfpastor. Er steht im Begriffe, seinen ältesten Sohn Wilhelm zum Studium nach Tübingen zu schicken; die vorangehenden Ferien aber soll er im Hause des Professors Christian in Stuttgart, an den der Brief gerichtet ist, verleben. Darin heißt es unter anderem: "Fünfundzwanzig Jahre! Ein langer Abschnitt in dem Leben eines Sterblichen, sie waren doch zu kurz, den Spiegel der Erinnerung mit ihrem Hauche zu trüben. Der Herr hat mir vieles gegeben, er hat mir manches auch genommen, doch ich klage nicht . . . . . Ich sende Dir hier meinen Sohn . . . Wie gerne hätte ich ihn begleitet. Ich hätte Dich wiedergesehen, Du alter, treuer Freund, Dr. Riecke und meinen guten Moritz hätte ich in Stuttgart getroffen, und Frisch hätte die 5 Stündchen wohl auch seinem alten Freunde zulieb gemacht, und so hätten wir ja einen guten Teil unserer Kompagnie beisammen gehabt. Aber Wilhelms Ausstattung auf die Universität kostete viel, die 4 Jahre seines dortigen Aufenthaltes werden auch viel wegnehmen, und Du weißt, wie wenig glänzend meine Verhältnisse sind. So muß ich den lang gehegten Wunsch wieder unterdrücken; transeat cum ceteris! Unser Leben ist ja so reich an Entbehrungen. Ich will dafür Luisen ein neues Kleid und den Kleinen warme Winterschuhe kaufen; sie haben es nötig und sollen nicht darben, wenn auch ihr Vater den Anblick seiner Freunde darüber entbehren muß. Über Wilhelm schreibe ich Dir nichts, Du magst ihn selbst prüfen. Man will große Ähnlichkeit mit mir an ihm finden, Du kannst selbst darüber entscheiden. Wahr ist es, sein lustiger, leichter Sinn,



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der hie und da an die Grenzen von Leichtsinn streift, nötigt mir oft ein Lächeln ab. Ich war einst auch so und Du, mein Freund, würdest wohl schwerlich in mir den wieder erkennen, der Dir durch so manchen schlechten Spaß ein Lächeln abzunötigen suchte. . . Beikommendes Säcklein mit Kartoffeln schickt meine Frau Deiner H. zum Gruß. Du weißt, die Weiber haben immer solche liebenswürdige Zeremonien untereinander, daher entschuldige ich mich nicht über diesen Küchengruß [1] [)] . ." Es läßt sich denken, daß die mehr oder minder poetischen Erzeugnisse des jungen Hauff — auch die Soldatenlieder, "Turnerlied" und "Burschentum" gehören nachgewiesenermaßen jener Zeit an — von den Mitgliedern der Kompagnie äußerst beifällig aufgenommen wurden, und das gab dem Autor Veranlassung zu weiterer Betätigung auf diesem Gebiete. Die in Blaubeuren nur an wenig Proben wahrnehmbaren dichterischen Anfänge nehmen durch die mancherlei Anregungen in Tübingen feste, greifbare Gestalt an, und die Perlen der Hauffschen Gedichte entstammen — merkwürdig genug — nicht dem späteren, reiferen Alter, sondern eben der Studentenzeit. — Während des Winters 1821/22 berichten die Memorabilien mehrfach von Kränzchen. "Konstituierung ordentlicher Kränzchen," dann "Musikkranz" und fast unmittelbar darauf "Eintritt in die Fidolia-Kommerze der Fidolia". Es ist im einzelnen nicht völlig klar, weshalb Hauff als Mitglied der Kompagnie in die Fidolia eintrat. Unter "Allgemeine Bemerkungen über dieses Semester" schreibt er in den Memorabilien: "In der Allgemeinheit zeigt sich wenig Interesse, deswegen ist auch der Ausschuß nicht gar frisch, ob er gleich Händel mit dem Senat hat und sich endlich auflösen muß. In der Burschenschaft zeigt sich kein großer Eifer. Daher Streitigkeiten der Feuerreiter, Gemäßigten und Fidelen. Die Fidolia bringt einen fideleren Geist in die Kneipe, der aber ausartet. Am Ende größeres Interesse darin". Darnach läßt sich vermuten, daß er in der Kompagnie nicht das fand, was er suchte, daß ihm die Fidolia mehr Anregung bot, war doch ihr Zweck nach seinen eigenen Worten "rechte Fidelität und Herzlichkeit. Fidelität im Sinn und Geist der Burschenschaft; Fidelität, die dem Burschen die Jahre seiner Jugend erheitert und die er noch ins Geschäftsleben hinübernimmt; Fidelität, die den Burschen nicht schon in der schönen Zeit seines Burschenlebens zum Philister werden lassen will, gleich weit entfernt von roher Kneipenrenommage und Liederlichkeit, als von jenem ernst sein sollenden Wesen, womit sich



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jugendliche Philister eine gewisse Grandezza geben wollen [1] [)."] Trotzdem scheint die hier so gerühmte Fidolia nur ein kurzes Dasein gefristet zu haben; denn nachdem das Tagebuch "Verdrießlichkeiten mit der Kompagnie, die sich durch meinen Eintritt in die Fidolia beleidigt fühlt", notiert hat, erzählt es von einem "Auszug der Fidolia auf einen Berg mit biergefüllten Ranzen", der "Auflösung der Fidolia und den Folgen davon", von "ihrem Begräbnis" und der "Aussöhnung mit den Kränzchen". Am 22. Januar 1822 bereits hält Hauff im Kränzchen der Kompagnie eine Rede, worin er sich wegen seines Eintrittes in die Fidolia rechtfertigt. "Eine schöne Frucht unserer geselligen Verbindung ist, daß die Mitglieder, die an Musik Freude haben, sich entschlossen, einen Abend in der Woche sich mit Musik zu vergnügen. Zu diesen Unterhaltungen wurde ich eingeladen. Schon früher bekannt mit den Mitgliedern dieses Kranzes, wurde ich es hier immer mehr, ich lernte hier den traulichen, frohen Geist des Vereins kennen und trug um so weniger Bedenken, mich ganz daran anzuschließen, da ich an ihrer Spitze einige eurer ersten Glieder der Burschenschaft, die auch ich mir zur Richtschnur meines Burschenlebens gemacht habe, stehen sah. Betrachtet ihr meinen individuellen Charakter, der so gerne sich anschließt, wo er Frohsinn, Heiterkeit und Herzlichkeit findet, betrachtet ihr endlich das Bedürfnis der Zeit, das auch ich fühlte, daß auf irgend eine Art mehr Herzlichkeit herbeigeführt werden müsste, betrachtet ihr endlich, was auch ich ernstlich erwog, daß das Anschließen an jene Verbindung mich euch, meine liebsten Freunde, nicht entzieht, so wenig euch euer Beitritt zur Burschenschaft mir entzogen hat, so glaube ich, werdet ihr, wenn ihr das alles ernstlich bedenkt, mir eure Verwunderung darüber, daß ich zur Fidolia trat, nicht mehr so stark zu zeigen brauchen" [2] [).] Auch in einem Vortrage, dessen Motto "Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang" lautete, kommt Hauff beim Beginn des Sommersemesters auf die Angelegenheit zurück. "Ja, auch unter uns gab es Irrungen, unselige Mißverständnisse, die die treuesten Herzen trennen können. Doch, unser Schuldbuch sei zernichtet, ausgesöhnt die ganze Welt. — Und so biete ich auch euch die Hand in dieser geweihten Stunde; hinter uns liegt die Qual des Mißtrauens, vor uns liege Vertrauen und Treue, fest wie der Druck unserer Rechten. Einigkeit und Vertrauen möge uns verbinden zum Kampf für alles Gute. zum Kampf gegen alles Böse . . [3] [)] In einer dritten



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Rede, die er am 21. Mai 1822 im Kränzchen hält, behandelt er die Frage: Warum steht die Freundschaft in den späteren Tagen nicht mehr auf dem hohen Standpunkt, auf dem sie in den Tagen der Vorzeit stand? Er beantwortet sie dahin, daß er sagt, das Christentum gab dem Weibe die Rechte wieder, die ihm durch verjährte Gewohnheiten genommen waren. Das Christentum schuf für die Liebe eine edlere, reinere Gestalt, und das ist es, was die Freundschaft anders gestalten mußte. — So nahm Hauff an den Veranstaltungen der Kompagnie fortan regen aktiven Anteil, kein Wunder, daß bald alle früheren Mißstimmungen vergessen waren und er die Sympathie aller Mitglieder wieder genoß. überblickt man die Menge von Gelegenheiten, die ihm innerhalb der Studentenschaft sowohl, als durch die wissenschaftlichen Arbeiten an der Universität geboten wurden, um sich geistig zu betätigen und fortzubilden, so ist der damit erzielte Gewinn für ihn ein außerordentlicher gewesen, viel mannigfaltiger, als eine noch so ausführliche Darstellung nachzuweisen, viel höher vor allem. als der zu erwägen vermag, der nur aus der Ferne, vielleicht kopfschüttelnd, dem ungebundenen Wesen studentischen Lebens zuschaut. Nie hat Wilhelm Hauff diesen unsagbaren Zauber jener Jahre vergessen, und bis in die letzten seiner Werke hinein verweben sich Erinnerungen an seine Freunde und die mit ihnen genossenen Stunden sorglosesten, heitersten Glückes. Wie treffend spricht er in den "Phantasien" einige Jahre darnach über seine Burschenzeit: "Ihr duftet auf in herrlicher Schöne, Jahre meiner Jugend, wie das Aroma aufsteigt aus dem Römer; mein Auge wird wacker, o Seele: denn sie sind um mich, die Freunde meiner Jugend! Wie soll ich dich nennen, du hohes, edles, rohes, liebliches, unharmonisches, gesangvolles, zurückstoßendes und doch so mild erquickendes Leben der Burschenjahre? Wie soll ich euch beschreiben, ihr goldenen Stunden, ihr Feierklänge der Bruderliebe? Welche Töne soll ich euch geben, um mich verständlich zu machen? Welche Farben dir, du nie begriffenes Chaos! Ich soll dich beschreiben? Nie! Deine lächerliche Außenseite liegt offen, die sieht der Laie, die kann man ihm beschreiben, aber deinen innern, lieblichen Schmelz kennt nur der Bergmann, der singend mit seinen Brüdern hinabfuhr in den tiefen Schacht. Gold bringt er herauf, reines, lauteres Gold, viel oder wenig, gilt gleich viel. Aber dies ist nicht seine ganze Ausbeute. Was er geschaut, mag er dem Laien nicht beschreiben, es wäre allzu sonderbar und doch zu köstlich für sein Ohr. Es leben Geister in der Tiefe, die sonst kein Ohr erfaßt, kein Auge schaut. Musik ertönt in jenen Hallen, die dem nüchternen Ohr



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leer und bedeutungslos ertönt. Doch dem, der mit gefühlt und mit gesungen, gibt sie eine eigene Weihe, wenn er auch über das Loch in seiner Mütze lächelt, das er als Symbolum zurückgebracht."

Ganz besondere Bedeutung für die Zukunft des jungen Hauff sollte ein Ausflug erlangen, den er im Herbste 1823 nach Ulm und von da auf einer "Ulmer Schachtel" nach Donauwörth unternahm. Hier besann er sich plötzlich, daß im nahen Nördlingen eine ihm bisher nur dem Namen nach bekannte Tante — Margarete Barbara Eberhardine Hauff — lebte. Kurz entschlossen, stattete er ihr einen Besuch ab, den er, was keinesfalls vorher beabsichtigt war, auf mehrere Wochen ausdehnte, und zwar lag das ihn fesselnde Moment nicht nur in der Gastfreundlichkeit seiner Verwandten und in dem dort herrschenden heiteren Tone des Umgangs, sondern vor allem in der Tochter des Hauses, seiner Cousine Louise. Von Anfang an mochte der Verkehr der beiden jungen Leute etwas förmlich gewesen sein, wie sich weiterhin ergeben wird, bald aber traten sie sich näher. In Louisens Gesellschaft besucht Wilhelm Hauff die Reimlinger Kirchweih und einen Ball im Kasino, ihr erteilt er Unterricht im Gitarrespiel, und so wird aus Cousin und Cousine ein Liebespaar, das sich Treue schwört für alle Ewigkeit. Zu schnell naht für sie beide die Stunde des Abschiedes. Ins Album der Geliebten schreibt er am 13. Oktober 1823; "Wenn du, I. Louise, an den Herbst 1823 dich erinnern- so denke dabei auch an meine steife Ankunft und an die chinesischen Komplimente, an die Gänge in den Garten. an die Rose in Reimlingen. . . . an die Gitarrestunden und die aufmerksame Schülerin, vor allem aber an den weiß und blauen Ball den 12. Oktober und an den Herrn Rentamtmaun — vor allem aber an deinen treuen Vetter aus Tübingen.

Was wir im Scherz so oft gesungen, Sei mir ein ernstes Abschiedswort, Denn, sind die Töne bald verklungen, — Es lebt der Geist der Töne fort.

"Wenn mir in weiter, weiter Ferne Dein liebevolles Bild erscheint, Dann wünsch' ich still, dann möcht' ich gerne, Daß uns die Liebe wieder eint."

Noch aber ist Louisens Mutter nicht ins Vertrauen gezogen, darum beginnt von Tübingen aus zunächst ein durchaus offizieller,



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in den Formen der landläufigen Galanterien gehaltener Briefwechsel mit der Tante, daneben aber ein geheimer mit Louise. Leider sind aus dieser Zeit keine Briefe Hauffs erhalten. Hans Hofmann, der sich darum bemüht hat, vermutet, daß sie von den Verwandten endgültig vernichtet seien. Auch die Memorabilien werden jetzt merkwürdig kurz; jedenfalls hat der junge Student mit seinen Gedanken mehr in Nördlingen als bei den Veranstaltungen seiner Kommilitonen geweilt. Die Gedichte jener Tage, "Sehnsucht" (S. 28 d. Ausg.), "Stille Liebe" (S 27), "Lied aus der Ferne" (S. 30) und "Ihr Auge" (S. 30), auch Serenade" (S. 31), sind getreue Abbilder seiner Stimmung. Vor allem ließ er sich jetzt, um möglichst bald zum Abschlusse zu kommen, seine Studien ernstlich angelegen sein. Ostern 1824 treibt es ihn natürlich wieder nach Nördlingen, und wenige Tage nach seiner Ankunft entdeckt er sich der Mutter Louisens, die zu seiner großen Freude nichts gegen seine Werbung einwendet. Nun folgen begreiflicherweise "Glückliche Stunden", und der Abschied mag ihm diesmal noch schwerer geworden sein als im vorjährigen Herbste. Wieder nur wenige Worte füllen in den Memorabilien das letzte Semester aus; es gilt, für das Examen fleißig zu arbeiten. Jeder der Freunde bringt sein Stammbuch, worein Hauff ein Wort des Abschiedes — meist scherzhafter, aber herzlicher Art — einträgt. Endlich die schweren Tage der Prüfung, und dann ist "der Seelenhirtschaft Anbildung" ein candidatus ministern geworden, der, die Brust voller Hoffnungen für die Zukunft, das Herz voll Liebe zu seiner Louise, den Kopf voller Pläne und Entwürfe —mancherlei Skizzen und Fragmente (vgl. Einleitung zu den "Memoiren" und zum "Mann im Mond") lagen schon unter seinen Papieren — ins Philisterland zieht. Schon die vorhergehenden Wochen wurden bestimmend für die weitere Zukunft des jungen Hauff; in ihnen lag der wichtigste Wendepunkt seines ganzen Lebens. Ursprünglich war es sein Herzenswunsch, möglichst schnell in Amt und Würden zu kommen, um die geliebte Braut zum Altare führen zu können; er soll auch bereits Aussicht auf Erlangung einer Vatronatsstelle in der Gegend von Nördlingen gehabt haben. Da legte sich der Bruder seiner beiden Schwäger, der Konsistorial-Assessor Christian Friedrich Klaiber, der offenbar die Begabung des früher so gering eingeschätzten Jünglings und vor allem seine rhetorischen Fähigkeiten erkannt hatte, ins Mittel, indem er ihn vor einer übereilten Heirat warnte und zugleich auf ein höheres Ziel, die Erlangung einer Professur in Tübingen, hinwies. Er riet auch



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zu einer größeren Reise und vermittelte ihm endlich eine Hauslehrerstelle im Hause des Kriegsratspräsidenten von Hügel in Stuttgart. Leicht mag es natürlich dem jungen Kandidaten nicht geworden sein, seine früheren Entschlüsse zu ändern; aber schließlich siegte doch die bessere Einsicht, daß der bisher erlangte Grad von Lebenserfahrung nicht die nötigen Qualitäten bot, die das verantwortungsreiche Amt eines Seelsorgers erforderte. Vielleicht wurde er sich auch immer mehr darüber klar, daß ihm das geistliche Amt wohl kaum dauernde Befriedigung gewähren werde. Nach mancherlei schriftlichen Auseinandersetzungen mit seiner Braut erlangte er auch deren Zustimmung zur Annahme der ihm angebotenen Hauslehrerstelle. Ende Oktober trat er in das Hügelsche Haus und damit in eine gesellschaftlich völlig neue Sphäre ein; doch scheint er sich vom ersten Tage an hier wohlgefühlt zu haben. Offenbar kam ihm sein flottes, akkommodationsfähiges Wesen dabei zustatten, das ihn dem General sowohl, als seiner Gemahlin, einer äußerst gebildeten und distinguierten Dame, sympathisch machte. Wie sich der Verkehr mit seinen Schülern gestaltete, wissen wir im einzelnen nicht; jedenfalls hat er nicht allzuviel Zeit und Kraft beansprucht, da wir Hauff noch in demselben Jahre mit den verschiedensten literarischen Arbeiten, mit der Durchsicht, Sammlung, Ordnung und Ergänzung der Entwürfe zu den "Memoiren", die er seinerzeit in Tübingen möglicherweise ohne bestimmte Absicht flüchtig skizziert hatte, wohl auch schon mit den Vorarbeiten zum "Mann im Mond" beschäftigt sehen. Den Beginn des Jahres 1825 füllten die Vorbereitungen auf die höhere Dienstprüfung aus. An dem entscheidenden Morgen war Hauff vom Fieber und Halsweh geplagt und mußte des schändlichen Tau- Regen- und Schneewetters wegen auf Veranlassung des Generals von Hügel in dessen Wagen nach dem Konsistorium fahren. "Da hättest Du nun", erzählt er selber, "die Gesichter sehen sollen, die aus dem Konsistorio herausschauten. Ein prachtvoller Stadtwagen mit Glasfenstern, herrliche Pferde mit schönem Geschirr, der Kutscher in voller Livree, ein Bedienter hinten droben! Vor dem Konsistorium schreit der Kutscher: Brrr! die Pferde stehen, der Bediente fliegt heran, öffnet feierlich die Glastüre, schlägt die reichgestickten Tritte auseinander, ein Paar seidene Strümpfe werden sichtbar, ein Arm mit einem prachtvollen Patenthut kommt heraus — Wer mag es wohl sein? — Der Magister Hauff!!! Heißt das geistliche Armut, höre ich die Herren sagen, heißt das christliche Demut [1] [)?"] Den darauf



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folgenden Sommer verbrachte er mit der Familie! Hügel auf deren Schlosse Guttenberg am Neckar, wo das ohnehin romantisch gestimmte Gemüt des jungen Hofmeisters reichlichen Stoff für spätere literarische Werke, aber auch Muße genug zur Abfassung des 1. Teiles der "Memoiren" und des "Mannes im Mond" fand, die beide fast gleichzeitig Ende August bei Franckh in Stuttgart erschienen. "Es war nicht die Franckhsche Firma", schreibt er im Frühlinge 1826 an seinen Bruder, "oder seine miserablen Verlagswerke, sondern der Stolz, bei dem kleinsten Krämer zu verlegen und einzig durch mich selbst bekannt zu werden." In den Winterabenden 1824/25 sowohl, als bei den vom Schlosse Guttenberg aus unternommenen Ausflügen hatte Frau von Hügel Gelegenheit, sein Talent im Märchenerzählen zu beobachten, und auf ihr Zureden gab er im November 1825 den ersten Märchenalmanach heraus. Ungemein schnell folgten sonach diese drei Veröffentlichungen aufeinander, die erste, die Herausgabe der "Kriegs- und Volkslieder", war schon 1824 vorausgegangen; ebenso schnell verbreitete sich nach Bekanntwerden seines Namens sein Ruhm in der Schriftstellerwelt wie unter dem Publikum. Man kann es Hauff kaum nachfühlen, wie glücklich er über diese ersten Erfolge war. "Franckh ist seit gestern", heißt es in einem Briefe vom 23. September, "wie ein Narr, und es fehlte wenig, so wäre er mir um den Hals gefallen . . . Ich bin doch so glücklich, ein wenig Talent zu besitzen; denn um den Namen und das Geld, das man dadurch bekommt, ist es doch etwas Schönes." [1] [)] Noch aber waren die dichterischen Leistungen des Jahres 1825 nicht erschöpft. Für den 1. Dezember bereits hatte Hauff seinem Verleger den 1. Teil des "Lichtenstein" versprochen. Die Vorstudien dazu mußten notwendigerweise neben der Konzeption der vorher aufgezählten Werke hergehen, die Abfassung des 2. und 3. Teils erfolgt in den ersten Monaten des Jahres 1826. Nimmt man noch hinzu, daß Hauff im Oktober 1825 sein Doktorexamen abgelegt hat, bedenkt man ferner, wie eingehend er damals die Lektüre Clauren's. Hoffmanns, Walter Scotts, Jean Pauls und Tiecks betrieben haben muß; so ergibt sich, daß die Zeit vom Austritte aus der Universität eine an Arbeit fast überreiche gewesen ist. Vielleicht fühlte Hauff selbst, daß in der bisher gewohnten Hast ein Weiterschaffen nur auf Kosten der Gesundheit möglich sei, vielleicht war es auch die alte, schon in der Jugend- und Studienzeit an ihm beobachtete Wanderlust, hauptsächlich aber wohl der Rat seines Verwandten, der ihn bewog, Ende April 1826 seine



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Stellung im Hügelschen Hause aufzugeben und die von ihm selbst als "große Tour"[1] [)] bezeichnete Bildungsreise zur Vertiefung und Erweiterung seiner Kenntnisse und Erfahrungen anzutreten. Anfang Mai ging er zunächst nach Nördlingen, um sich von Louise zu verabschieden, dann führte ihn die Eilpost nordwärts nach Frankfurt und über Met, Saarlouis, Courcelles nach Paris. Einige Kapitel aus dem 2. Teile der "Memoiren" und die erst nach seinem Tode veröffentlichte Skizze "Ein paar Reisestunden" verdanken stofflich ihre Entstehung jenen Reisetagen. In Paris wohnt er im Hotel garni der Madame J. Floret. Wahrscheinlich wird er die ersten Tage seines Aufenthaltes zu sprachtechnischen Studien, die nächsten Wochen aber dazu benutzt haben, das eigenartige Leben der Stadt, ihre Umgebung, Anlagen, Kunstsammlungen, Theater und Konzerte, vor allem aber auch ihre Bewohner tennen zu lernen. "Die ersten Tage," heißt es in einem Schreiben an seinen Bruder, ging mir das Getümmel sehr im Kopf herum, jetzt habe ich einen klareren Blick gewonnen, auch mich ganz trefflich orientiert und fände mich von St. Lazare bis zum Observatoire, von la Roquette bis zum Place de Louis XV. zurecht [2] [)]." Schon Ende Juni aber kommt ihm allmählich ein Überdruß an den Sehenswürdigkeiten. "Diese Herrlichkeiten fangen an, nachdem ich sie 5 Wochen genossen, zu langweilen," und dabei hatte er — ein Beweis, wie sehr er an geregelte Tätigkeit gewöhnt war — jeden Morgen bis um 11 Uhr gearbeitet. Die Kontrovers-Predigt ist zum Teil in Paris konzipiert, außerdem schrieb er vom 16. Juni an Berichte für die "Abendzeitung" über das Auftreten der deutschen Sängerin Henriette Sonntag an der italienischen Oper. Im Juli unternahm er einen 14 tägigen Ausflug nach der Normandie. die ihm durch die Wunder ihrer Naturszenen besonders imponierte. Ende Juli begab er sich die Rückreise, die ihn über Brüssel, Antwerpen und Gent nach Aachen führt. Dort erhielt er einen Brief des Stuttgarter Verlagsbuchhändlers Cotta, der ihm die Redaktion seines Damenalmanachs, andeutungsweise auch die des Morgenblattes anbot und ihm sogar die Kosten einer eventuellen Fortsetzung seiner Reise nach England zur Verfügung stellte. Hauff nahm vorläufig nur die Redaktion des Damenalmanachs an, bewahrte sich aber im übrigen freie Hand. Daß er nicht nach England ging, lag gewiß zum Teil an der Sehnsucht, die ihn nach Nördlingen rief; vielleicht aber war er sich auch darüber



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klar, daß ein wirklicher Gewinn aus dem Besuche eines fremden Landes nur dann zu erwarten stand, wenn man der betreffenden Sprache völlig mächtig war, und das bezweifeln wir bezüglich des Englischen bei ihm [1] [)]. Von Aachen aus geht nun sein Weg über Köln, Kassel und Göttingen nach Bremen, wo er im Kreise von lieben Freunden und Verwandten fröhliche Stunden verlebt und jedenfalls Studien zu den später verfaßten "Phantasien" unternimmt. Mitte September trifft er in Berlin ein. Welch festlicher Empfang ihm da zu teil wird, lassen die Worte erkennen, die er bald nach seiner Ankunft an seine Angehörigen daheim berichtet: "Ich wurde glänzend, fast wie im Triumph, aufgenommen. Hier wohnt Clauren und wird von den Gebildeten verabscheut; darum war alles neugierig auf den Menschen, der es gewagt, mit ihm anzubinden. Es geht mir wie in einem Märchen: Die berühmtesten Männer, Künstler, Schriftsteller, Buchhändler besuchen mich, Fougué, Rauch, Schadow. Wilibald Alexis, Devrient usw. [2)]." Bei dieser Menge neuer Bekanntschaften und literarischer Anregungen ist es kein Wunder, daß er über einen Monat hier verweilt. Noch am 12. Oktober schreibt er: "Gerne bliebe ich bei den lieben Leuten hier noch den ganzen Winter; es ist sehr angenehm, so geehrt und geliebt zu sein." Etwa eine Woche später nimmt er endlich Abschied, besucht Leipzig, wo er in Beziehung zu Brockhaus tritt, und Dresden. wo ihn Tieck "ungemein ehrenvoll" aufnimmt, und am 17. November finden wir ihn in Nördlingen im Kreise seiner Lieben. Sieben Monate War er fern von der Heimat gewesen, und mit berechtigter Genugtuung konnte er auf seine Reise zurückblicken; war es ihm doch möglich gewesen, während derselben nicht nur die "Kontrovers-Predigt" und den "Märchenalamanach auf 1827", sondern auch den ll. Teil der "Memoiren" und "Die Bettlerin vom Pont des Arts" fertigzustellen. Mancherlei Pläne, die er inzwischen gefaßt, harrten noch der Verwirnichung. Mit der Zahl seiner Werke war auch sein Schriftstellerruhm in Deutschland immer mehr gewachsen, und das erneute Bemühen Cottas, ihn für die Redaktion seiner Morgenzeitung zu gewinnen, nachdem die Verhandlungen mit Heine zu keinem Resultate geführt hatten, ist darum durchaus verständlich. Allem Anscheine nach hat auch Hauff die damit gebotene Gelegenheit, eine Stellung zu erwerben, die ihn in den Stand setzte, einen selbständigen Haushalt zu führen, jetzt nicht ungern ergriffen; sollte doch der



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solange still im Herzen getragene Plan, seine Louise heimzuführen, nun bald zur Wahrheit werden. Am 1. Januar 1827 trat er sein Amt als Leiter des belletristischer Teiles der Morgenzeitung an; aber schon nach einem Monate — wenige Wochen vor der bereits festgesetzten Hochzeit — kam es zu einer Auseinandersetzung mit Cotta, die beinahe zu einer Lösung seines Vertrages geführt hätte. Er berichtet darüber an Theodor Hell "Ich wage zu behaupten, daß unter allen Redaktmren in Teutschland keiner ein so schwieriges Amt habe als ich, nicht allein wegen der ungeheuren Menge mittelmäßiger und schlechter Stoffe, die täglich eingehen, sondern wegen des Charakters des Eigentümers dieses Blattes. Cotta hat es zu verschiedenen Zeiten und namentlich in den letzten vier Jahren allein mil seinem Sohn (einem Stallmeister und Kammerherrn) geführt. Arglos übernahm ich das Blatt. Nachdem ich es aber einmal einen Monat geführt hatte, gab er mir so oft zu verstehen, was er, als Eigentümer, anders haben wollte, daß ich ihm endlich, wiewohl mit blutendem Herzen, da mein Hochzeittag schon bestimmt war, die ganze Geschichte heimschlug und — abtrat. So hatte er es aber auch nicht haben wollen; er knüpfte die Verbindung wieder an, gab nach. Die größte Schwierigkeit machten mir die Rücksichten, die ich wegen ihm zu nehmen hatte; bald war ein Manuskript schon früher bezahlt, bald hatte man eine alte Rechnung an einem andern abzuziehen; bald sollte man auf die Regierungen Rücksicht nehmen, bald wieder nicht. So kam es, daß wir ausmachten, ehe ich die Sache von neuem übernahm: Alle Artikel, die polemischer Natur sind, sollen dem Literaturblatt (der von Wolfgang Menzel geleiteten Beilage zum Morgenblatte — d. Herausg.) übergeben werden . . . Ich bin ein junger, armer Mensch, der sich mit seiner Feder durch die Welt schlagen muß; aber diesen Stolz habe ich mir doch aufbewahrt, daß, wenn auch alle übrige Freiheit verloren ist, diese Freiheit noch in meinem Innern fortlebt und meine Gedanken wie meine Handlungen leitet. Ich gehöre allen, ich gehöre mir selbst, aber keiner Schule gehöre ich an, der Meister möchte sich nennen, wie er wollte. Ich fühle keinen Herrn und Meister über mir, dem ich Gehorsam schuldig wäre, als die ewigen Gesetze des Guten und Schönen, denen ich, wenn auch auf unvollkommene Weise, nachzustreben suche. Es mag sein, daß ich die Form nicht vor dem Einfluß der Zeit bewahren kann, doch soll mir der Geist ungegöthet, ungetieckt [1] [),] ungeschlegelt



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und ungemeistert bleiben [1] [)."] Das sind in der Tat herrliche Worte, ebenso bezeichnend für Hauffs bescheidenes, wie für sein natürliches und freimütiges Wesen, das durch keinerlei Rücksichten, Schranken und Muster eingeengt und gegängelt sein will. — Mitte Februar 1827 ist Wilhelm Hauff in den Hafen der Ehe eingelaufen. Welche hohe Freude und Wonne es für ihn bedeutete, nun für immer mit der Geliebten seines Herzens verbunden zu sein, geben am besten seine eignen Worte wieder, die er drei Tage nach der Hochzeit an Adolf Christian, einen seiner Studienfreunde, schrieb. "Ich habe bis jetzt viele Stände durchlaufen, war Lyceist, Seminarist, Student, Burschenschaftler, Kandidat, Hofmeister, Schriftsteller, Reisender, Rezensent, Redakteur — aber kein Stand, ich versichere Dich, hat mir so wohl gefallen, als der Ehestand! Soll ich Dir von meinem Glück erzählen, wie wir leben, essen, schwatzen, sorgen, schlafen, — wie wir uns freuen? Beschreiben läßt es sich nicht, darum komm bald und sieh selbst; denn die Teilnahme, geliebter Freund, würzt noch das Glück, macht aus einem stillen ein lebhaftes, frohes . . ."[2] [)] Eine noch anschaulichere Schilderung seiner behaglichen Häuslichkeit bietet der Anfang eines am 18. Februar an Moritz Pfaff, der gleichfalls mit zur Tübinger Kompagnie gehört hatte, gerichteten Schreibens. "Ich habe viele Bilder in diesem Leben gesehen, gedacht, auch wohl erfunden und niedergeschrieben, aber keines hat mir so gefallen wie ein ,Stillleben', das ich Dir beschreiben will. Denke Dir ein kleines (warmes) Stübchen: es ist tief am Abend und die Kerze auf dem Tisch beinahe abgebrannt . Eine Tür ist geöffnet in ein Schlafzimmer (was an zwei Betten bemerklich), vielleicht um dort ein wenig Warm zu halten. Auf dem Sofa hinter dem Tisch und dem Stümpfchen Licht sitzt ein Mann im Pelzschlafrock; er schreibt. Neben ihm sitzt eine junge Frau; sie hat das Strickzeug in den Schoß sinken lassen. Sie heftet ihr Auge voll Liebe auf den Schreibenden, sie scheint über ihn nachzudenken, und das Licht, das auf ihre angenehmen Züge fällt, zeigt, daß ihre Gedanken ein zufriedenes, glückliches Resultat geben können. — Jetzt sieht der Mann von seiner Arbeit auf, er sieht die Frau voll Freude an, und —Du, wenn zufällig statt des Mondes ins Stübchen schautest, würdest Deinen glücklichen Freund erkennen.

Mein Lieber! ich bin froh, daß ich um zweitausend Jahre nach Polykrates geboren bin und keinem Aberglauben mehr anheimfalle, sonst müßte mich mitten im Glück der furchtbar



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mahnende Gedanke traurig machen, ,noch keinen sah ich glücklich enden, auf den mit immer vollen Händen die Götter ihre Gaben streun.' . . ."[1] [)] Scheint es nicht, als ob in diesem letzten Satze eine Ahnung des tragischen Geschickes anklänge, das ihm beschieden sein sollte? — Während der nächsten Zeit sehen wir Hauff stark mit literarischen Arbeiten für das Morgenblatt beschäftigt. Jahrgang 1827 desselben brachte von ihm außer einer Anzahl von Gedichten [2] [)] vor allem die Novelle "Jud Süß", die Selbstrezension der "Letzten Ritter von Marienburg" und eine übersicht über die Taschenbücher von 1828. Leider gewährte ihm seine Tätigkeit als Redakteur auch jetzt noch nicht die innere Befriedigung, die zu einem gedeihlichen Wirken erforderlich ist. Noch immer hegte er die Hoffnung, der von ihm geleiteten Zeitung ein einheitlicheres Gepräge verleihen, sie auf ein höheres literarisches Niveau heben zu können. An der Person Cottas scheiterten indessen alle diesbezüglichen Versuche, und das mag ihn doch für manche Stunde recht mißmutig gestimmt haben, wie die folgende, einem Briefe an Ludwig Robert vom 7. Juni 1827 entnommene Stelle erkennen läßt. "Sie haben mich aufs Neue mit einem Schreiben erfreut, das um so ehrenvoller für mich ist, als es mir Gelegenheit gibt, über einige Punkte mit Ihnen mich zu unterreden, die für mich selbst von hohem Interesse sind. Ihre Bemerkungen über Form und Inhalt finde ich, wenn ich es sagen darf, um so richtiger, als sie dem größten Teil nach mit dem übereinstimmen, was ich Herrn von C(otta) über das Blatt schrieb, als er mich um Rat darüber fragte und darauf hindeutete, mir die Leitung anzuvertrauen. Ich schmeichelte mir auch, als ich die Sache von ferne sah, daß es mir, soweit es in meinen Kräften stünde, gelingen möchte, dieses schwierige Reformationsgeschäft zu vollbringen. Aber — ich hatte die Rechnung, wie man sagt, ohne den Wirt gemacht, und dieser machte mir einen Strich durch die Rechnung. Nämlich ich stieß auf zweierlei große Hindernisse: einmal sagte mir Herr von C(otta) deutlich, daß sein Blatt kein rein belletristisches, sondern ein allgemein bildendes und unterhaltendes seyn solle, und in diesem Sinne müsse es redigiert werden, daher konnte ich Naturhistorien, sehr spezielle Länderkunde, Reisen. nicht entfernen, unbenommen bleibt es mir freilich (wenn kein anderes Motiv im Spiele ist), allzu abstrakte oder rein speziell wissenschaftliche Arbeiten abzuweisen, dafür darf aber auch in diesen Fächern, die Herr v. C., als ein Mann



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von sehr vielseitiger Bildung und so allgemeiner Tendenz, liebt, in keinem Monat eine Lücke eintreten. Die gesetzmäßigen Fächer des Blattes sind — Allgemeine Aufsätze — Naturgeschichte — Reisen —Länder- und Völkerkunde —Biographie — Gedichte — Erzählungen — Correspondenzen. An diese Vielseitigkeit und Allgemeinheit des Instituts hat sich Herr v. C. (der es seit 20 Jahren streng beobachtet) so sehr gewöhnt, daß er, wie ich glaube, nicht mehr davon abgehen wird.

Sehr enge hängt damit ein zweiter Punkt zusammen: das Vielerley, das sich in jedem Blatte findet; leider lassen sich so heterogene Theile nicht wie in einem Calleidoskop täglich zu einem neuen schönen Ganzen zusammen würfeln, und Sie nennen diese Blätter nicht mit Unrecht "Probekarten". Sie dürfen mir sicher glauben, daß es für den Redakteur nichts Unangenehmeres gibt als das kurze plötzliche Abbrechen, das, wenn es kurz seyn soll, oft nach der Discretion des Setzers sich richten muß

Wenn Sie die Blätter zu Anfang dieses Jahres vergleichen, so werden Sie die einzelnen Theile länger finden. Mit diesem Versuch eines überganges zu noch längeren Stücken habe ich mir übrigens wenig Dank verdient, sey es, daß man Herrn v. C. darüber befragte, warum weniger bunte Abwechslung als früher statt finde, oder daß er das frühere gewöhnt war und solches durch langjährige Erfahrung gut und probat gefunden haben mochte — er ersuchte mich, mehr Abwechslung in die einzelnen Blätter zu bringen, d. h. mehrerley zu geben. Auch wünschte man jeden Monat oder doch von sechs zu sechs Wochen eine Erzählung zu finden; daß auch hier das Gegenteil mir angenehm gewesen wäre, können Sie sich denken, da man von mir mehrere wünscht und es doch für einen Redakteur Von einiger Discretion nicht angenehm ist, sich selbst einen Monat lang zu lesen.

Herr v. C. ist Eigentümer des Blattes und hat es nicht unter meine freie Willkür gestellt, deswegen fürchte ich durch auffallende Einsprüche, besonders wenn sie sich auf das Formelle beziehen, eher Mißtrauen in meine Einsicht, als ein geneigtes Ohr zu finden, und, redlich gestanden, gegenüber Herrn v. Cotta, der soviel älter an Erfahrung in dieser Sache ist, möchte ich auch nicht für unbescheiden gelten. Tröstlich war es daher für mich, zu finden, daß Sie, Verehrter! in der Ansicht dieser Dinge mit mir übereinzustimmen scheinen, und es brachte mich auf den Gedanken, ob Sie, ein vieljähriger Geschäftsfreund Herrn v. C.'s, nicht vielleicht hin und wieder Gelegenheit finden könnten, über eine einfacher gestaltete Form etwas zu sagen? Sodann bleibt



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auch unter dieser Gestalt immer noch ein starker Spielraum in dem Artikel "allgemeine Aufsätze" übrig, nur ist es zu bedauern, daß ich Ihnen hier eine Blöße des Morgenblattes oder vielmehr —Teutschlands aufdecken muß, (die Ihnen übrigens nicht fremd seyn kann.) Wo finden wir denn auch nur ein halb Duzend, die allgemein, gründlich und doch leicht und gefällig, scharf aber elegant ein Thema durchführten? Das leidige Romanschreiben hat die Besten auf Abwege geführt. Es wäre lächerlich, wenn ich Ihnen bey dieser Stelle ein Compliment machen wollte, aber seyen Sie einen Augenblick nicht Dr. Robert und sagen Sie mir, wer etwa ein anderes oder ähnliches Thema mit dieser Schärfe, Eleganz und Consequenz durchführen würde, wie Sie die Sache des guten Geschmacks in Hinsicht auf das Theater in Ihren Aphorismen und in Ihrem Aufsatz über die Hofbühne führten? Sie sind ein Mitarbeiter des Morgenblatts, aber das gerade ist der Fehler der früheren Redaktion, daß sie die regelmäßigen Mitarbeiter nach und nach sich verlieren ließ, daß man nun nach und nach von neuem sammeln und bauen muß! . . ."1 )

Einen zweiten hierher gehörigen Brief, der nicht nur Einsicht in Hauffs Tüchtigkeit bei der Erledigung rein technisch geschäftlicher Fragen gewährt, sondern auch zeigt, mit welchem Eifer und Interesse er seinen Verlag vertritt, hat Dr. Max Mendheim unter der Überschrift: "Wilhelm Hauff als Redakteur und Geschäftsmann" in der "Zeitschrift für deutschen Unterricht" 14. Jahrgang S. 532 und 533 veröffentlicht. — Neben Hauffs redaktioneller Tätigkeit her geht während des Sommers die Herausgabe des Cottaschen "Damen-" und des "Frauentaschenbuchs für 1828", die Abfassung der "Phantasien im Bremer Ratskeller", der Novelle "Das Bild des Kaisers", der Skizzen Die Bücher und die Lesewelt" und "Ein paar Reisestunden", sowie die Vorarbeit für den geplanten "Andreas Hofer" . Gerade dieses Thema scheint ihm besonders am Herzen gelegen zu haben, unternahm er doch im August sogar eine Reise in das Etsch- und Passeiertal, um Land und Leute an Ort und Stelle studieren zu können. Noch in demselben Monate —früher als ursprünglich beabsichtigt —kehrte er nach Stuttgart zurück; die gesundheitlichen Verhältnisse seiner Frau veranlaßten ihn dazu. Einige Wochen darnach finden wir ihn selbst auf dem Krankenlager. Am 8. Oktober 1827 hatte er seinen Freund Frisch zur letzten Ruhe begleitet, und bei dieser Gelegenheit — so nimmt man gewöhnlich an — soll er sich eine Erkältung zugezogen haben. Christian



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Riecke stellt das in Abrede. Nach ihm begann die Krankheit Hauffs "wenige Tage nach Hermanns Hochzeit, [1] [)] erschien aber lange gar nicht bedeutend oder gefährlich; er war nur ins Haus gesprochen, klagte über schlechten Magen und allgemeines Übelbefinden, sein Bruder suchte ihn durch Vomieren [2] [)] und Laxieren zu heilen, und wirklich fühlte er sich am Sonntag, den 4. vorigen Monats, [3] [)] wieder soweit hergestellt, daß er mittags bei schönem Wetter eine kleine Spazierfahrt machte. Allein wie erstaunte ich, als ich, nachdem ich wegen einer Erkältung selbst Z Tage zu Hause geblieben war, am nächsten Donnerstag zu Hauff kam! Ich dachte nicht anders, als ich werde ihn nun wieder vollkommen gesund finden; da kommt mir aber Louise mit der Nachricht entgegen wie es in der vorhergehenden Nacht mit Hauff schlimmer geworden sei und wie gerade Hermann mit dem nunmehr zugezogenen Dr. Zeller bei ihm seien. Beide wußten aber nicht, was sie aus der Krankheit machen sollten, welche sich jetzt durch Beengungen heim Atmen äußerte; wir waren sogar geneigt, die ganze Sache für Einbildung und Hypochondrie zu halten; wir verargten es dem Hauff, daß er so wenig Rücksicht auf seine Frau nehme, und ich hatte mir schon vorgenommen, ihm seinerzeit darüber die Meinung zu sagen. So wenig wir jedoch in dieser Ansicht von Hauffs Krankheit recht hatten, so sehr rechtfertigten sich unsere Besorgnisse für seine Frau." Sie genas am 10. November, einem Sonnabend, unter schwierigen Umständen eines Töchterleins, und Hauff, "der bereits zu krank war, tat sich an diesem Tage doch zuviel Gewalt an, indem er ungefähr 3 Stunden außer Bett zubrachte. Demungeachtet war er am folgenden Morgen noch imstande, seine Frau einen Augenblick zu besuchen, und dies war das letztemal, daß sie einander sahen. Ich kam an diesem Tage auch hinauf traf ihn ziemlich heiter, er ließ sich sein Kind herüberbringen, nahm es auf die Arme und gab es dann auch mir. So mußte man ihm dasselbe noch die drei folgenden Tage zeigen, das letztemal lag er schon im Fieber. Erst an jenem Montag erhielt die Krankheit den Namen "Schleimfieber". aber am folgenden Donnerstag hieß es "Nervenfieber". Das Delirium begann zuerst mit langen Unterbrechungen, in den letzten Tagen aber wurde es nur selten durch schnell sich wieder verwischende und nie ganz lichte Momente des Bewusstseins unterbrochen. In



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solchen Augenblicken schwebte ihm der Tod vor; schon am Montag hatte ihn das Vorgefühl desselben ergriffen; er entdeckte es seiner Mutter und bat sie, ihm die Augen zuzudrücken. Später nahm er mehreremal von ihr und seinen übrigen Verwandten Abschied; dies namentlich am Vorabende seines Todes; er äußerte in seinen letzten Tagen unter anderem: "Er fühle mehr, als er sagen könne", "er wolle zeigen, wie man sterben müsse", "er verdanke es dem Gebet seiner Mutter, daß er dem Tod lächelnd entgegensehen könne", "22 und 25 Jahre, ein braves, liebes Weib, die schönsten Aussichten und alles dies vorbei." Er betete einmal mit besonders deutlicher Stimme: "Vater, in deine Hände empfehle ich meinen unsterblichen Geist!" Der Todeskampf war hart und lang. Bei der Sektion zeigte sich das Herz zu klein und die Milz zu groß; im Hirn hatte sich durch die Krankheit eine Verhärtung gebildet: sonst fand man aber nichts, so daß man die Gewißheit erhielt, Hauff sei einzig an seiner letzten Krankheit gestorben. Ob aber diese ohne äußere Veranlassung oder durch eine solche entstanden, ist sehr zweifelhaft. Frischs Pflege und Beerdigung kann nicht wohl den Grund dazu gelegt haben; ob ein anderer Arzt, durch den Anfang der Krankheit aufmerksam geworden, ihrem unglücklichen Ausgang hätte vorbeugen können, ist schwer zu entscheiden [1] [)."] — So ist am 19. November Wilhelm Hauff, der Götter Liebling, wie ihn Haug einst nannte, nur allzufrüh für die Seinen von diesem Leben, mitten heraus aus einer reich gesegneten Tätigkeit, abberufen worden zu den lichten Höhen, allzufrüh auch für uns, die wir uns noch heute seiner heiteren, liebenswürdigen und herzlichen Art erfreuen . Er selbst empfand es im Jahre 1827 schmerzlich, als er an zwei Novellen gleichzeitig arbeiten mußte, um übernommenen Verpflichtungen gerecht zu werden, daß die ersehnte Zeit innerer Sammlung und ruhiger Vertiefung wieder um etwas hinausgeschoben sei. Damit hat er zugleich bekundet, was seiner Produktionsweise fehlte, was ihn mit zunehmender Reife der Jahre als abgeklärten Geist sicher befähigt hätte, aus dem Schatze reicherer Erfahrung auch höhere künstlerische Aufgaben zu erfüllen, was vielleicht auch imstande gewesen wäre, seinem Leben eine längere Dauer zu verleihen. Ganz Deutschland nahm teil an der Trauer über seinen Tod. "Die Begräbnisfeier war trotz der ungünstigsten Witterung schön und würdig." Alle bedeutenderen Literaturblätter brachten warmempfundene Nachrufe; Wilibald Alexis widmete dem Heimgegangenen einen



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besonderen Artikel, Friedrich Haug, Ludwig Uhland und Gustav Schwab verfaßten Trauergedichte. Seine Freunde ließen nach der Totenmaske durch Theodor Wagner, einen Schüler Danneckers, eine Büste modellieren, die von allen dem Dichter Näherstehenden als vortrefflich gelungen bezeichnet worden ist. Seine letzte Ruhestätte deckt ein einfaches Felsstück vom Lichtenstein, das nur seinen Namen und die Musenleier als Schmuck trägt und mit Efeu vom Eingange der Nebelhöhe dicht umrankt ist. Das bleibendste Denkmal aber werden seine Werke sein. Mögen sie das Gedächtnis an den "ewig strebenden Jüngling" im Herzen unseres Volkes nie verlöschen lassen!


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