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Kapitel 

Gustav Schwab -

Sagen des Klassischen Alterthums



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König Ödipus zeigt sich seinem Volke


Der Sturm auf die Stadt

Der Orakelspruch war erfüllt; Kreon bezähmte seinen Jammer; Eteokles teilte den sieben Torbeschirmern sieben Scharen zu; und wo er diese hinweggenommen, stellte er Reiter hinter Reitern zum Ersatz auf, dazu leichtes Fußvolk hinter die Schildträger, um überall, wo die Mauern durch den Angriff leiden sollten, sie mit Heeresmacht schirmen zu können. Auch das Heer der Argiver brach jetzt auf, und der Sturm auf den Wall nahm seinen Anfang. Der Kriegsgesang erscholl, und vom feindlichen Heere wie von den Mauern der Thebaner herab schmetterten zu gleicher Zeit die Trompeten. Zuerst führte Parthenopäos, der Sohn der Jägerin Atalanta, den Trupp der Seinigen, Schild an Schild gedrängt, wider eines der Tore. Auf dem Felde seines Schildes war seine



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Mutter abgebildet, wie sie einen ätolischen Eber mit fliegendem Pfeil erlegte. Auf ein zweites Tor zog, Opfertiere auf seinem Wagen, der priesterliche Seher Amphiaraos los; er trug schmucklose Waffen, ohne Wappenschild oder sonstigen Prunk. Aufs dritte Tor rückte Hippomedon heran. Auf seinem Schilde war der hundertäugige Argos zu schauen, wie er die von Hera in eine Kuh verwandelte Jo bewacht. Zum vierten Tor lenkte Tydeus seine Scharen, der eine struppige Löwenhaut im Schilde führte und mit wilder Gebärde in der Rechten eine Brandfackel schwang. Der vertriebene König Polyneikes befehligte den Sturm auf das fünfte Tor; sein Schild stellte ein in Wut sich bäumendes Rossegespann vor. Zum sechsten Tor führte seine Kriegerschar Kapaneus, der sich vermaß, mit dem Gott Ares um die Wette streiten zu können. Auf dem Eisenrücken seines Schildes war ein Gigant ausgeprägt, der eine ganze Stadt, ihrem Grunde enthoben, auf den Schultern trug, ein Schicksal, das dieser Schildträger der Stadt Theben zugedacht hatte. Zum siebenten und letzten Tor endlich kam Adrastos, der Argiverkönig, herangerückt. Auf dem Felde seines Schildes waren hundert Schlangen abgebildet, welche in ihren Kiefern thebanische Kinder davontrugen. Als alle nahe genug vor die Tore gerückt waren, wurde der Kampf zuerst mit Schleudern, dann mit Bogen und Speeren eröffnet. Aber den ersten Angriff wehrten die Thebaner siegreich ab, so daß die Scharen der Argiver rückwärts gingen. Da riefen Tydeus und Polyneikes schnell besonnen: "Ihr Brüder, was brechet ihr nicht, ehe die Geschosse euch niederwerfen, mit vereinigter Macht auf die Tore ein, Fußoölker, Reiter, Wagenlenker, alle miteinander?" Dieser Ruf, der sich schnell durch das Heer verbreitete, belebte den Mut der Argiver aufs neue. Alles lebte wieder auf, und der Sturm begann mit verstärkter Macht, aber nicht glücklicher denn zuvor. Mit blutbespritzten Köpfen sanken sie zu den Füßen der Verteidiger nieder, und ganze Linien röchelten unter den Mauern ihr Leben aus, so daß der dürre Boden vor der Stadt von Blutbächen floß. — Da stürzte der Arkadier Parthenopäos wie ein Sturmwind auf sein Tor und rief nach Feuer und Äxten, um es in den Grund zu hauen. Ein thebanischer Held, der auf der Mauer nicht fern seinen Posten hatte, beobachtete seine Anstrengungen und riß, als es höchste Zeit war, ein Stück der steinernen Brustwehr von der Mauer, so groß, daß es eine ganze Wagenlast ausgemacht hätte; dieser Wurf zermalmte dem Stürmer sein blond



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gelocktes Haupt und zerriß ihm die Knochen, daß er zerschmettert zu Boden stürzte. Sobald nun Eteokles dieses Tor gesichert sah, flog er den andern zu. Am vierten traf er den Tydeus, der wütete wie ein Drache, den die Sonne sticht. Er schüttelte sein Haupt unter dem fliegenden Helmbusch, und sein Schild, den er über dasselbe hielt, tönte von gellenden Glocken, die den Rand umgaben. Er selbst schwang mit der Rechten die Lanze hoch nach der Mauer. und eine ganze Schar Schildträger umgab ihn, die einen Hagel von Speeren auf den höchsten Burgsaum aufwärts schleuderten, so daß die Thebaner sich von dem Rande der Brustwehr flüchten mußten. In diesem Augenblick erschien Eteokles, sammelte sie wie ein Jäger zerstreute Hunde und führte sie auf die Mauerzinne zurück. Dann eilte er weiter von Tor zu Tor. Da stieß er auch auf den tobenden Kapaneus, der eine vielsprossige Sturmleiter wider die Stadt herantrug und prahlend ausrief, selbst des Zeus Blitz solle ihn nicht aufhalten, die Grundfeste der eroberten Stadt zu brechen. Mit solchen Trotzworten legte er die Leiter an und klomm unter seinem Schilde, umsaust von Steinen, die glatten Sprossen empor. Aber ihn für seinen Frevelmut zu züchtigen, blieb nicht den Thebanern überlassen; Zeus selbst übernahm es und traf ihn, als er schon über den Mauerkranz drang, mit seinem Donnerkeil. Es war ein Schlag, daß die Erde dröhnte; seine zerrissenen Gliedmaßen flogen weit umher von der Leiter, das entflammte Haar flatterte gen Himmel, das Blut floß auf die Erde; Hände und Füße rollten im Kreise wie ein Rad; der Rumpf stürzte endlich feurig auf den Boden nieder.

Der König Adrastos erkannte aus diesem Zeichen, daß der Göttervater seinem Vorhaben feindselig sei; er führte seine Scharen aus dem Stadtgraben heraus und wich mit ihnen rückwärts. Die Thebaner dagegen, als sie das glückbringende Zeichen, das ihnen Zeus gesandt hatte, erkannten, brachen zu Fuß und zu Wagen aus der Stadt hervor. Ihr Fußvolk stürzte mitten unter die argivische Heerschar, Wagen rannten an gegen Wagen, Leichname lagen zu Haufen; der Sieg blieb den Thebanern, und erst nachdem sie die Feinde auf eine gute Strecke von der Stadt zurückgeworfen, kehrten sie in dieselbe zurück. Auf dieser Flucht der Argiver 'geschah es auch, daß der thebanische Held Periklymenos den Seher Amphiaraos nach dem Strande des Flusses Ismenos verfolgte. Hier hemmte den mit Roß und Wagen Fliehenden das Wasser. Der Thebaner war



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ihm auf den Fersen. In der Verzweiflung hieß der Seher seinen Wagenlenker die Pferde ihren Weg durch die tiefe Furt suchen, aber ehe er im Wasser war, hatte der Feind das Ufer erreicht, und sein Speer drohte seinem Nacken. Da spaltete Zeus, der seinen Seher nicht auf unrühmlicher Flucht umkommen lassen wollte, mit einem Blitze den Boden, daß er sich auftat wie eine schwarze Höhle und die Rosse, die eben den übergang suchten, mitsamt dem Wagen, dem Seher und seinem Genossen verschlang.


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