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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEN DREI ÄPFELN

Man erzählt, o größter König der jetzigen Zeit, der dem Jahrhundert und Weltalter seinen Namen leiht, daß der Kalif Harûn er-Raschîd eines Nachts seinen Wesir Dscha'far rufen ließ und zu ihm sagte: ,Ich möchte hinuntergehen in die Stadt und die Leute des Volks befragen über die, so mit ihrer Leitung betraut sind; und jeden, über den sie klagen, wollen wir seines Amtes entsetzen, und wen sie loben, den wollen wir befördern.' Dscha'far erwiderte: ,Ich höre und gehorche!' So zog nun der Kalif mit Dscha'far und Masrûr hinab in die Stadt, und sie gingen durch die Basare und Straßen. Und als sie durch eine enge Gasse schritten, sahen sie einen sehr alten Mann mit einem Fischnetz und einem Korb auf dem Kopfe und einem Stab inder Hand; und indem er langsam dahinging, sprach er die Verse:

Sie sagen zu nur wohl: ,Du bist in der Welt
Durch dein Wissen gleichwie die mondhelle Nacht!'
Ich sag: ,Laßt mich mit euren Reden in Ruh;
Das Wissen bedeutet doch nichts ohne Macht.
Verpfändet man mich und mein Wissen mit mir,
Dazu jedes Buch und das Tintengerät
Um Brot eines Tages -das Pfand käm zurück,
Man würf's zum Papier, darauf Abweisung steht.
Der Arme -, o sehet, des Armen Geschick,
Das Leben des Armen, wie trüb ist es doch!
Im Sommer, da fehlt ihm das tägliche Brot,
Im, Winter wärmt er sich am Kohlentopf noch.
Die Hunde der Straße stehn auf gegen ihn,
Und jeder Gemeine schreit schimpfend ihn an;



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Wenn er seine Lage bei jemand beklagt,
So tut ihn ein jeglich Geschöpf in den Bann.
Kommt nur solch ein Los auf den Armen herab,
So wär es das beste, er lage im Grab!'

Als der Kalif seine Verse hörte, sprach er zu Dscha'far: ,Sieh diesen armen Mann und höre sein Lied; denn wahrlich, das deutet auf seine Not.' Dann wandte der Kalif sich zudem Alten und fragte: ,O Scheich, was ist dein Gewerbe t' Jener erwiderte: ,O Herr, ich bin ein Fischer, und ich habe daheim Weib und Kind. Um Mittag ging ich von Hause fort und bin bis jetzt unterwegs; aber Allah hat mir nichts zuerteilt, womit ich den Meinen Brot schaffen könnte. Ich bin des Lebens überdrüssig und sehne mich nach dem Tode.' Da sprach der Kalif: ,Willst du mit uns zum Tigris zurückkehren, am Ufer stehen und auf mein Glück hin dein Netz auswerfen? Was auch herauf kommt, ich will es um hundert Goldstücke von dir kaufen.' Der Alte freute sich, als er diese Worte hörte, und rief: ,Gern will ich mit euch zurückgehen.' Darauf kehrte der Fischer mit ihnen zum Flusse zurück, warf sein Netz aus und wartete eine Weile; als er dann die Stricke einzog und das Netz ans Ufer holte, lag eine Kiste darin, verschlossen und schwer an Gewicht. Wie der Kalif die erblickte, faßte er sie an und fand, daß sie sehr schwer war. Da gab er dem Fischer hundert Dinare, und der ging seiner Wege; Masrûr und Dscha'far aber hoben die Kiste auf und trugen sie hinter dem Kaufen in den Palast. Dort zündeten sie Kerzen an. Und als nun die Kiste vor dem Kaufen stand, gingen Dscha'far und Masrûr daran und brachen sie auf; sie fanden darin einen Korb aus Palmblättern, der mit roten Wollffäden zugenäht war. Den schnitten sie auf und erblickten in ihm ein Stück Teppich; und als sie dies aufhoben, fanden sie einen Frauenmantel, und in ihm sahen sie einen jungen



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Frauenkörper, der schön war wie ein Barren Silbers, aber tot und zerstückelt. Als der Kalif dies erblickte, war er tiefbetrübt, und die Tränen rannen ihm auf die Wange herab; er wandte sich aber zu Dscha'far und sagte: ,Du Hund von Wesir, sollen da Menschen unter meiner Herrschaft ermordet und in den Fluß geworfen werden, so daß ich am Tage des Gerichts ihretwegen zur Verantwortung gezogen werde? Bei Allah, ich muß diese Frau an ihrem Mörder rächen, und ich will ilm des ärgsten Todes sterben lassen!' Und er sagte ferner zu Dscha'far: ,So wahr ich von dem Kaufen aus dem Hause des 'Abbâs abstamme, wenn du uns den nicht bringst, der sie ermordet hat, damit ich sie an ihm rächen kann, so werde ich dich am Tore meines Palastes aufhängen lassen, dich und vierzig deiner Vettern.' Und der Kalif war von heftigem Zorn entflammt. Da trat Dscha'far vor ihm zurück und bat ihn: ,Gib mir drei Tage Frist!' Der Kalif erwiderte: ,Ich gewähre sie dir.' Nun ging Dscha'far betrübt zur Stadt hinab, indem er bei sich selber sprach: ,Wie soll ich in Erfahrung bringen, wer diese Frau ermordet hat, daß ich ihn vor den Kaufen bringen kann? Bringe ich ihm einen andern als den Mörder, so 'werde ich dereinst für ihn zur Verantwortung gezogen werden. Ich weiß nicht, was ich tun soll.' Dann blieb er drei Tage zu Hause; und am vierten Tage schickte der Kalif einen der Kammerherren, um ihn zu holen. Und als er vor den Kalifen trat, fragte dieser: ,Wo ist der Mörder der Frau?' Dscha'far erwiderte: ,O Beherrscher der Gläubigen, bin ich der Hüter der Ermordeten, daß ich ihren Mörder kennen müßte?' Da ward der Kalif zornig und befahl, ihn vor dem Palaste aufzuhängen; ferner befahl er einem Rufer, in den Straßen von Baghdad auszurufen: ,Wer da sehen möchte, wie Dscha'far, der Barmekide, der Wesir des Kaufen, mit vierzig der Barmekiden, seinen Vettern, vor dem Tore des



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Kalifenpalastes gehängt wird, der möge kommen und es sich ansehen.' Das Volk strömte herbei aus allen Teilen der Stadt, um zu sehen, wie Dscha'far und seine Vettern gehängt würden; doch niemand wußte, warum sie hingerichtet werden sollten. Derweilen errichtete man die Galgen und stellte die Verurteilten unter ihnen zur Hinrichtung auf; man wartete nur noch darauf, daß der Kalif durch das bestimmte Zeichen den Befehl geben würde. Das Volk aber weinte um Dscha'far und seine Vettern. Da kam plötzlich ein Jüngling, schön von Angesicht und mit schneeweißen Kleidern angetan; sein Antlitz glich dem Mondenschein, sein Auge dem schwarzen Edelstein, seine Stirn war glänzend rein, rot seine Wangen, von zartgrauem Flaum umfangen, drin sah man ein Mal wie ein Amberkörnchen prangen. Er bahnte sich unermüdlich einen Weg durch die Menge, bis er vor Dscha'far stand; da rief er: ,Du bist gerettet aus dieser Pein, o du der Emire Herr, der Armen Hort und Wehr! Ich bin es, der jene, die ihr tot in der Kiste gefunden habt, ermordete. Man hänge mich auf und sühne sie an mir!' Als Dscha'far die Worte und das Geständnis des Jünglings hörte, freute er sich über seine eigene Rettung, aber er trauerte um den schönen Jüngling; und während sie noch sprachen, siehe, da drängte sich ein uralter, hochbetagter Greis durch die Menge, und er bahnte sich einen Weg durch die Massen, bis er zu Dscha'far und dem Jüngling kam. Er grüßte sie und sprach: ,O du Wesir, der Fürsten ragende Zier, glaube den Worten dieses Jünglings nicht! Denn niemand hat die Frau ermordet als ich; sühne sie an mir! So du es nicht tust, werde ich dich vor Allah dem Erhabenen zur Rechenschaft ziehen.' Aber der Jüngling sprach: ,O Wesir, dies ist ein alter Greis, der faselt und nicht weiß, was er sagt; ich bin es, der sie ermordet hat, also sühne sie an mir.' Der Alte rief: ,O mein Sohn, du bist jung



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und liebst die Welt, ich aber bin alt und bin der Welt überdrüssig; ich will mein Leben als Lösegeld für dich darbringen und für den Wesir und seine Vettern. Niemand hat die Frau ermordet als ich; darum beschwöre ich euch bei Gott, hängt mich sofort auf! Denn mir bleibt kein Leben, da ihres dahin ist.' Als der Wesir dies alles erlebte, erstaunte er, und er nahm den Jüngling und den Alten und führte sie beide vor den Kalifen. Er küßte den Boden und sprach: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich bringe dir den Mörder der Frau!' Der Kalif fragte: ,Wo ist er?' Dscha'far antwortete: ,Dieser Jüngling sagt: ich bin der Mörder; doch dieser Alte straft ihn Lügen und sagt: ich bin der Mörder; und siehe, hier stehen die beiden vor dir.' Da sah der Kalif den Alten und den Jüngling an und fragte: ,Wer von euch hat jene Frau getötet?' Der jüngling erwiderte: ,Ich'; und der Alte: ,Niemand hat sie getötet als ich.' Da befahl der Kalif dem Dscha'far: ,Nimm sie und laß sie alle beide aufhängen'; doch nun warf Dscha'far ein: ,Da nur einer von ihnen der Mörder ist, so wäre es ein Unrecht, den anderen zu hängen.' Der Jüngling aber rief: ,Bei dem, der die Himmelsfeste errichtete und die Erde hinbreitete wie einen Teppich: ich bin es, der die Frau getötet hat! Und dies ist die Art, wie sie zu Tode kam.' Als er dann schilderte, was der Kalif gefunden hatte, war dieser überzeugt, daß der Jüngling der Mörder der Frau war. Er wunderte sich aber darüber, wie es um die beiden stehen mochte, und fragte: , Aus welchem Grunde hast du diese Frau so unmenschlich zu Tode gebracht? Und aus welchem Grunde hast du den Mord eingestanden ohne Bastonade, bist selbst hierher gekommen und sprichst: sühnet sie an mir?' Da erwiderte der Jüngling: ,Wisse, o Beherrscher der Gläubigen, diese Frau war mein Weib und meine Base; und dieser Alte ist ihr Vater, er ist der Bruder meines Vaters. Ich vermählte mich



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mit ihr, als sie noch Jungfrau war, und Allah segnete mich durch sie mit drei männlichen Kindern; sie liebte mich und diente mir, und ich sah nichts Arges in ihr, denn auch ich war ihr in herzlicher Liebe zugetan. An dem ersten Tage dieses Monats nun verfiel sie in eine schwere Krankheit, und ich rief Arzte zu ihr; aber die Genesung kam nur ganz langsam. Dann wollte ich sie ins Bad führen, aber sie sagte: ,Ich wünsche etwas, ehe ich in das Bad gehe, und ich habe danach ein großes Verlangen.' Ich sprach: ,Ich höre und gehorche; was ist es?' Sie antwortete: ,Mich verlangt nach einem Apfel, um an ihm zu riechen und ein bißchen davon zu beißen.' Auf der Stelle ging ich in die Stadt und suchte nach Äpfeln, aber ich konnte keine finden; und doch, hätte auch ein einziger ein Goldstück gekostet, ich hätte ihn gekauft. Da war ich betrübt, ging nach Hause und sagte: ,O Tochter meines Oheims, bei Allah, ich kann keinen finden!' Und sie war sehr enttäuscht, denn sie war noch schwach, und ihre Schwäche nahm stark zu in jener Nacht; so verbrachte ich die Nacht in Sorgen. Als der Morgen dämmerte, ging ich wiederum von Hause fort, zog von Garten zu Garten, fand aber nirgends Äpfel. Schließlich traf ich einen alten Gärtner, den fragte ich nach Äpfeln, und er erwiderte: ,Mein Sohn, diese Frucht ist selten zu finden, und jetzt fehlt sie hier ganz; sie findet sich nur noch in dem Garten des Beherrschers der Gläubigen zu Basra, wo der Gärtner sie für den Kaufen hält.' Nun kehrte ich nach Hause zurück; und meine große Liebe zu meinem Weibe trieb mich dazu, daß ich mich zur Reise entschloß und mich rüstete. Ich machte mich auf und wanderte fünfzehn Tage und Nächte hinaus und wieder nach Hause, und ich brachte ihr drei Äpfel, die ich von dem Gärtner in Basra für drei Dinare erstanden hatte. Aber als ich eintrat und sie ihr reichte, hatte sie keine Freude an ihnen und



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ließ sie beiseite liegen; denn ihre Schwäche und ihr Fieber hatten zugenommen, und ihre Krankheit dauerte unvermindert noch zehn Tage lang, dann erst wurde sie langsam gesund. So verließ ich das Haus und begab mich in meinen Laden und saß dort beschäftigt mit meinem Kaufmannsberufe. Während ich nun um Mittag dasaß, siehe, da ging ein schwarzer Sklave an mir vorbei; der hielt in seiner Hand einen der drei Äpfel und spielte damit. Ich rief ihn an: ,Mein guter Sklave, woher hast du diesen Apfel? Ich möchte mir einen gleichen kaufen.' Da lachte er und sagte: ,Den habe ich von meiner Geliebten erhalten; denn ich war fortgewesen, und als ich wiederkam, fand ich sie krank und neben ihr drei Äpfel. Da sagte sie zu mir: ,Mein Mann, der Hühnrei, hat ihretwegen eine Reise nach Basra gemacht und sie für drei Dinare erstanden.' So nahm ich den einen davon.' Als ich diese Worte von dem Sklaven hörte, o Beherrscher der Gläubigen, da wurde die Welt mir vor den Augen schwarz; ich stand auf, verschloß meinen Laden und ging nach Hause, außer mir vor rasender Wut. Und ich sah nach den Äpfeln, fand aber nur zwei; da fragte ich mein Weib: ,Wo ist der dritte?' Sie antwortete: ,Ich weiß es wirklich nicht!' Da war ich überzeugt, daß der Sklave die Wahrheit gesprochen hatte; und ich nahm ein Messer und trat von hinten an sie heran, sagte kein Wort, sprang ihr auf die Brust, stieß ihr das Messer in den Hals und schnitt ihr den Kopf ab. Dann legte ich sie eilends in einen Korb, nachdem ich sie mit einem Frauenmantel bedeckt, ihn zugenäht und auch noch ein Stück Teppich auf sie gelegt hatte. Das Ganze tat ich in eine Kiste, verschloß sie und lud sie auf mein Maultier; und ich warf sie mit eigenen Händen in den Tigris. Ich beschwöre dich bei Allah, o Beherrscher der Gläubigen, laß mich sofort hängen; denn ich fürchte, sie wird mich zur Verantwortung ziehen am Tage des



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Gerichts. Als ich sie nämlich in den Tigris geworfen hatte, ohne daß jemand davon wußte, ging ich nach Hause und fand meinen ältesten Sohn in Tränen, und doch wußte er nichts von dem, was ich an seiner Mutter begangen hatte. Ich fragte ihn: ,Worüber weinest du, mein Sohn?' Er erwiderte: ,Ich hatte mir einen der Apfel genommen, die bei der Mutter lagen, und ich ging mit ihm hinunter auf die Straße, um mit den Brüdern zu spielen; da kam ein langer schwarzer Sklave und riß ihn mir weg und sagte: ,Woher hast du den?' Ich sagte: ,Mein Vater hat eine Reise darum gemacht und ihn aus Basra geholt für meine Mutter, und die ist krank; er hat drei Äpfel für drei Dinare gekauft.' Er aber behielt den Apfel und kümmerte sich nicht um mein Bitten. Dann bat ich ihn zum zweiten und zum dritten Male; aber er kümmerte sich nicht um mich, ja, er schlug mich und ging mit dem Apfel davon. Doch ich hatte Angst, die Mutter würde mich um des Apfels willen schlagen, und so ging ich mit den Brüdern aus Furcht vor ihr zur Stadt hinaus und blieb dort, bis es Abend wurde; und ich habe immer noch Angst vor ihr. Bei Allah, o mein Vater, sag ihr nichts davon; sonst wird ihr Leiden wohl noch schlimmer!' Als ich aber hörte, was der Knabe sagte, da wußte ich, daß der Sklave mein Weib gemein verleumdet hatte; und es wurde mir zur Gewißheit, daß ich mit ihrer Ermordung ein großes Unrecht begangen hatte. Darauf weinte ich bitterlich; und alsbald trat dieser Alte, mein Vaterbruder und ihr Vater, zu mir ein. Ihm berichtete ich, was geschehen war; und er setzte sich neben mir nieder und weinte, und wir hörten nicht auf zu weinen bis Mitternacht. Seit fünf Tagen klagen wir um sie und trauern darüber, daß sie zu Unrecht getötet wurde. All das kommt nur von dem Sklaven her, und er ist die Ursache ihres Todes. Doch ich beschwöre dich bei der Ehre deiner Väter, töte mich sofort;



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ich mag nach ihrem Tode nicht mehr leben. Sühne sie an mir!' Als der Kalif die Worte des Jünglings hörte, staunte er und sprach: ,Bei Allah, ich will niemand hängen lassen als den verfluchten Sklaven, und ich will eine Tat tun, die soll dem Kranken Heilung bringen und des allglorreichen Königs Gefallen erringen.' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sic hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 20. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif schwur, er werde niemanden hängen lassen als den Sklaven; denn der Jüngling sei entschuldbar. Darauf wandte er sich zu Dscha'far und sprach zu ihm: ,Schaff mir diesen verfluchten Sklaven zur Stelle, von dem dies Verhängnis ausgegangen ist! Schaffst du ihn nicht herbei, so wirst du an seiner Statt sterben.' Dscha'far ging weinend davon, indem er bei sich sprach: ,Zwei Tode drohten mir schon, aber nicht alleweil bleibt der Krug heil. In dieser Sache wird menschliche Klugheit zuschanden; nur Er, der mich das erste Mal rettete, kann mich auch zum zweiten Male retten. Bei Allah, ich will drei Tage lang mein Haus nicht verlassen; dann mag die Gottheit tun, wie es ihr gefällt.' So blieb er drei Tage in seinem Hause, und am vierten Tage ließ er die Kadis rufen und die Zeugen, und er setzte seinen letzten Willen auf und nahm weinend Abschied von seinen Kindern. Doch alsbald trat der Bote des Kalifen bei ihm ein und sagte: ,Der Beherrscher der Gläubigen ist in heftigstem Zorn; er hat nach dir gesandt und geschworen, er wolle diesen Tag nicht verstreichen lassen, ohne daß er dich gehängt sähe.' Als Dscha'far diese Botschaft hörte, weinte er, und seine Kinder und Sklaven und alle, die im Hause waren, weinten mit ihm. Und als er von allen Abschied genommen hatte, außer von seiner jüngsten Tochter, trat er zu



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ihr, um auch von ihr Abschied zu nehmen; die liebte er mehr als all seine andern Kinder. Er drückte sie an seine Brust und küßte sie und weinte, daß er sich von ihr trennen mußte; und dabei fühlte er in ihrer Tasche. etwas Rundes und fragte sie: ,Was hast du da in deiner Tasche?' ,Väterchen', erwiderte sie, ,das ist ein Apfel, auf dem der Name unseres Herrn, des Kaufen, geschrieben steht. Raihân, unser Sklave, hat ihn mir vor vier Tagen gebracht, und er wollte ihn mir nicht geben, bis er von mir zwei Dinare dafür erhielt.' Wie Dscha'far von jenem Sklaven und dem Apfel hörte, freute er sich und griff mit der Hand in die Tasche seiner Tochter, zog den Apfel hervor, erkannte ihn und rief: ,O du, dessen Hilfe so nahe war!' Darauf befahl er, den Sklaven zu bringen, und als dieser kam, sagte er zu ihm: ,Heda, Raihân! Woher hattest du diesen Apfel?' ,Bei Allah, o Herr', erwiderte er, ,wenn die Lüge helfen kann, so kann die Wahrheit doch noch viel besser helfen! Ich habe diesen Apfel nicht aus deinem Palast gestohlen noch aus dem königlichen Palaste, noch aus dem Garten des Beherrschers der Gläubigen. Die Sache ist so: Vor fünf Tagen ging ich aus, und als ich in eine der Gassen der Stadt kam, sah ich Knaben beim Spiel, und einer von ihnen hatte diesen Apfel. Ich riß ihn ihm weg und schlug ihn, und er weinte und rief: ,Du Mann, dieser Apfel gehört meiner Mutter, und die ist krank. Sie hatte sich von meinem Vater einen Apfel gewünscht; da ist er nach Basra gereist und hat ihr drei Äpfel für drei Dinare gebracht. Einen davon habe ich mir genommen, um damit zu spielen.' Dann weinte er wieder, aber ich kümmerte mich nicht darum und nahm den Apfel und kam hierher; und meine kleine Herrin kaufte ihn mir ab um zwei Golddinare; das ist die ganze Geschichte.' Als Dscha'far diese Worte hörte, staunte er, daß der Mord des Mädchens und all dies Elend hatte durch seinen Sklaven verursacht



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werden können; und es tat ihm leid, daß es gerade sein Sklave war, aber er freute sich doch der eigenen Rettung und sprach die Verse:

Wenn ein Unheil kommt durch einen Sklaven,
Bringe ihn statt deiner ins Gericht!
Denn du wirst noch viele Diener finden,
Doch ein zweites Leben findst du nicht.

Dann nahm er den Sklaven bei der Hand und führte ihn vor den Kaufen und erzählte ihm die Geschichte von Anfang bis zu Ende; da geriet der Kalif in höchstes Staunen und lachte, bis er auf den Rücken fiel, und befahl, daß die Geschichte aufgezeichnet und dem Volk bekanntgegeben würde. Dscha'far aber sagte: ,Staune nicht, o Beherrscher der Gläubigen, über dies Abenteuer, denn es ist nicht wunderbarer als die Geschichte des Wesirs Nûr ed-Dîn 'All von Ägypten.' Da sprach der Kalif: ,Her damit! Aber was könnte seltsamer sein als dies Abenteuert' Dscha'far erwiderte: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich erzähle sie dir nur unter der einen Bedingung, daß du meinen Sklaven vom Tode begnadigst.' Der Kalif darauf: ,Wenn sie wunderbarer ist als das, was wir jetzt erlebt haben, so schenke ich dir sein Blut; doch wenn nicht, so werde ich deinen Sklaven töten lassen.' Da begann Dscha'far


Copyright: arpa, 2015.

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