Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Gustav Schwab -

Sagen des Klassischen Alterthums



Schwab-Sagen-000.04 Flip arpa

König Ödipus zeigt sich seinem Volke


Theseus und Peirithoos —Lapithen- und Kentaurenkampf

Theseus stand im Rufe außerordentlicher Stärke und Tapferkeit. Peirithoos, einer der berühmtesten Helden des Altertums, empfand Lust, ihn auf die Probe zu stellen, und trieb Rinder, die jenem gehörten, von Marathon weg; und als ihm zu Ohren kam, daß Theseus, die Waffen in der Hand, ihm nachsetze, da hatte er, was er wollte, und floh nicht, sondern wandte sich um, ihm entgegenzugehen.



Schwab-Sagen-182 Flip arpa

Als die beiden Helden einander nahe genug waren, um einer den andern zu messen, da wurde jeder von Bewunderung der schönen Gestalt und der Kühnheit des andern so sehr ergriffen, daß sie wie auf ein gegebenes Zeichen die Streitwaffen zu Boden warfen und aufeinander zueilten. Peirithoos streckte dem Theseus die Rechte entgegen und forderte ihn auf, selbst als Schiedsrichter über den Raub der Rinder zu entscheiden; welche Genugtuung Theseus bestimmen werde, der wolle er sich freiwillig unterwerfen. "Die einzige Genugtuung, die ich verlange," erwiderte Theseus mit leuchtendem Blick, "ist die, daß du aus einem Feinde und Beschädiger mein Freund und Kampfgenosse werdest." Nun umarmten sich die beiden Helden und schwuren einander treue Freundschaft zu.

Als hierauf Peirithoos die thessalische Fürstentochter Hippodameia aus dem Geschlecht der Lapithen freite, lud er auch seinen Waffenbruder Theseus zu der Hochzeit. Die Lapithen, unter denen die Festlichkeit gefeiert wurde, waren ein berühmter Stamm Thessaliens, rohe, zur Tiergestalt sich neigende Bergmenschen, die ersten Sterblichen, welche Pferde bändigen lernten. Die Braut aber, welche diesem Geschlecht entsprossen war, hatte nichts den Männern dieses Stammes Ähnliches. Sie war holdselig von Gestalt, zarten, jungfräulichen Antlitzes und so schön, daß den Peirithoos alle Gäste um ihretwillen glückselig priesen. Alle Fürsten Thessaliens waren bei dem Fest erschienen; aber auch die Verwandten des Peirithoos, die Kentauren, fanden sich ein, die Halbmenschen, die von einem Wolkenungeheuer abstammten, daher sie auch alle zusammen die Wolkensöhne hießen. Diese waren die beständigen Feinde der Lapithen. Diesmal aber hatte die Verwandtschaft mit dem Bräutigam sie den alten Groll vergessen lassen und zu dem Freudenfeste herbeigelockt. Die festliche Hochburg des Peirithoos erscholl von wirrem Getümmel; Brautlieder wurden gesungen, von Glut Wein und Speisen dampften die Gemächer. Der Palast faßte nicht alle die Gäste. Lapithen und Kentauren, in bunten Reihen gemengt, saßen an geordneten Tischen in baumumschatteten Grotten zu Gaste.

Lange rauschte das Fest in ungestörter Fröhlichkeit. Da begann vom vielen Genuß des Weines das Herz des wildesten unter den Kentauren, Eurytion, zu rasen, und der Anblick der schönen Jungfrau Hippodameia verführte ihn zu dem tollen Gedanken, dem Bräutigam seine Braut zu rauben. Niemand wußte, wie es gekommen war, niemand hatte den Beginn der unsinnigen Tat bemerkt. aber auf einmal



Schwab-Sagen-183 Flip arpa

sahen die Gäste den wütenden Eurytion, wie er die sich sträubende und hilferufende Hippodameia an den Haaren gewaltsam auf dem Boden schleifte. Seine Untat war für die weinerhitzte Schar der Kentauren ein Zeichen, Gleiches zu wagen, und ehe die fremden Helden und die Lapithen sich von ihren Sitzen erhoben hatten, hielt schon jeder der Kentauren eines der thessalischen Mädchen, die am Hofe des Königs dienten oder als Gäste bei der Hochzeit zugegen waren, mit rohen Händen als eine Beute gefaßt. Die Hofburg und die Gärten glichen einer eroberten Stadt. Das Geschrei der Weiber hallte durch das weite Haus. Schnell sprangen Freunde und Geschlechtsverwandte der Braut von ihren Sitzen empor. "Welche Verblendung treibt dich, Eurytion,"rief Theseus, "den Peirithoos zu reizen, während ich noch lebe, und so zwei Helden in einem zu kränken?" Mit diesem Worte drängte er auf die Stürmenden ein und entriß dem wütenden Räuber die Geraubte. Eurytion sprach nichts darauf, denn er konnte seine Tat nicht verteidigen, sondern er hob seine Hand gegen Theseus auf und versetzte diesem einen Schlag auf die Brust. Aber Theseus griff — da ihm keine Waffe zur Hand war — einen ehernen Krug mit erhabener Arbeit, der zufällig neben ihm stand; diesen schmetterte er dem Gegner ins Antlitz, daß er rücklings in den Sand fiel und Gehirn und Blut zugleich aus der Kopfwunde drangen. "Zu den Waffen!" scholl es jetzt von allen Seiten an den Kentaurentischen. Zuerst flogen Becher, Flaschen und Näpfe; dann entriß ein tempelräuberisches Untier die Weihgeschenke den benachbarten heiligen Stätten, ein andrer riß die Lampe herab, die voll Kerzen über dem Mahle brannte, wieder ein andrer focht mit einem Hirschgeweih, das an den Wänden der Grotte als Schmuck und Weihgeschenk hing. Ein entsetzliches Gemetzel wurde unter den Lapithen angerichtet. Röthos, der Schlimmste nach Eurytion, ergriff die größte Brandfackel vom Altar und bohrte sie einem schon verwundeten Lapithen wie ein Schwert in die klaffende Wunde, daß das Blut wie Eisen in der Esse zischte. Gegen diesen jedoch hob der tapferste Lapithe Dryas einen im Feuer geglühten Pfahl und durchbohrte ihn zwischen Nacken und Schulter. Der Fall dieses Kentauren tat dem Morden seiner rasenden Gesellen Einhalt, und Dryas vergalt nun den Wütenden, indem er fünf hintereinander niederstreckte. Jetzt flog auch der Speer des Helden Peirithoos und durchbohrte einen riesigen Kentauren, den Peträos, wie er gerade einen Eichenstamm aus der Erde zu rütteln bemüht war, um damit zu kämpfen; sowie er den Stamm eben umklammert hielt,



Schwab-Sagen-184 Flip arpa

heftete der Speer seine schwer atmende Brust ans knorrige Eichenholz. Ein zweiter, Diktys, fiel von den Streichen des griechischen Helden und zerknickte im Fallen eine mächtige Esche. Ein dritter wollte diesen rächen, wurde aber von Theseus mit einem Eichpfahl zermalmt. Der schönste und jugendlichste unter den Kentauren war Kyllaros, goldfarben sein langes Lockenhaar und sein Bart, sein Antlitz freundlich, Nacken, Schultern, Hände und Brust wie vom Künstler geformt; auch der untere Teil seines Körpers, der Roßleib, war ohne Fehl, der Rücken bequem zum Sitzen, die Brust hochgewölbt, die Farbe pechschwarz, nur Beine und Roßschweif lichtfarbig. Er war mit seiner Geliebten, der schönen Kentaurin Hylonome. beim Feste erschienen, die sich beim Mahle liebkosend an ihn lehnte und auch jetzt mit ihm vereint im wütenden Kampf an seiner Seite focht. Diesen traf, von unbekannter Hand, eine leichte Wunde ins Herz, daß er sterbend seiner Geliebten in die Arme sank. Hylonome pflegte seine sterbenden Glieder, küßte ihn und versuchte vergebens den entfliehenden Atem aufzuhalten. Als sie ihn verscheiden sah, zog sie ihm den Wurfpfeil aus dem Herzen und stürzte sich darein.

Noch lange wütete der Kampf zwischen den Lapithen und den Kentauren fort, bis die letzteren ganz unterlegen waren und nur Flucht und Nacht dem weiteren Gemetzel sie entrückte. Jetzt blieb Peirithoos im unbestrittenen Besitz seiner Braut, und Theseus verabschiedete sich am andern Morgen von seinem Freunde. Der gemeinschaftliche Kampf hatte das frischgeknüpfte Band dieser Verbrüderung schnell in einen unauflöslichen Knoten zusammengezogen.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt