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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DER MESSINGSTADT

In alten Zeiten und in längst entschwundenen Vergangenheiten lebte zu Damaskus in Syrien ein König und Kalif, 'Abd el-Malik ihn Marwân' geheißen. Der saß eines Tages zusammen mit den Großen seines Reiches, den Unterkönigen und Sultanen, und da kam ihr Gespräch auf die Erzählungen von den Völkern der Vergangenheit, und sie gedachten der Gel.



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schichten von unserem Herrn Salomo, dem Sohne Davids - über beiden sei Heil! —. und all dessen, was Allah der Erhabene ihm verliehen hatte, all der Herrscherherrlichkeit und der Gewalt über Menschen, Geister, Vögel, wilde Tiere und andere Wesen. Der Kalif sagte: ,Wir haben von denen, die vor uns waren, gehört, daß Allah, der Hochgepriesene und Erhabene, keinem Menschen das verliehen hat, was er unserem Herrn Salomo gewährte, und daß dieser König erreicht hat, was kein einziger jemals erlangte, ja, daß er sogar die Geister, die Mârids und die Satane in Messingflaschen einsperrte, die er mit geschmolzenem Blei verschloß und mit seinem Siegel versiegelte! —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 567. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif 'Abd el-Malik ibn Marwân, als er sich mit seinen Hofleuten und den Großen seines Reiches unterhielt und sie unseres Herrn Salomo und der Herrscherherrlichkeit gedachten, die Allah ihm verliehen hatte, damals sagte: ,Fürwahr, er hat erreicht, was kein einziger jemals erlangt hat, ja, er sperrte sogar die Mârids und die Satane in Messingflaschen ein, die er mit geschmolzenem Blei verschloß und mit seinem Siegel versiegelte.' Da hub Tâlib ibn Sahl an: ,Einst begab sich ein Mann mit einer Reisegesellschaft auf ein Schiff; und sie machten sich auf die Fahrt nach dem Lande der Inder.' Sie segelten dahin, bis sich plötzlich ein widriger Wind erhob; der verschlug sie in ein unbekanntes Land der weiten Erde Allahs des Erhabenen, und das geschah im Dunkel der Nacht. Wie es dann heller Tag ward,



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kamen ihnen aus den Höhlen jenes Landes Scharen von Menschen entgegen, die waren von schwarzer Farbe und nackten Leibes, gleich als ob sie wilde Tiere wären, und sie verstanden nichts, wenn sie angeredet wurden. Doch sie hatten einen König, der von ihrer Art war, und er allein von all den Leuten kannte die arabische Sprache. Als nun das Schiff mit seinen Reisenden in Sicht gekommen war, zog er ihnen mit einer Schar von seinen Leuten entgegen, begrüßte die Fremdlinge, hieß sie willkommen und fragte sie nach ihrem Glauben. Nachdem sie ihm berichtet hatten, wie es um sie stand, fuhr er fort: .Euch soll kein Leid widerfahren!' Als aber der Seefahrer nach dem Glauben der Schwarzen fragte, ergab es sich, daß jeder von ihnen einen von den Glauben hatte, wie sie früher gewesen waren, ehe der Islam kam und ehe Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —gesandt ward. Da sagten die anderen Reisenden: ,Wir begreifen nicht, was du sagst, und wir verstehen nichts von diesem Glauben!' Dann hub der König wieder an: ,Vor euch ist noch nie ein Menschenkind zu uns gekommen!' Darauf bewirtete er sie mit Fleisch von Vögeln und Tieren des Feldes und Fischen; denn sie hatten keine andere Speise. Und nun gingen die Reisenden an Land, um sich in jenem Orte umzuschauen. Da sahen sie, wie ein Fischer sein Netz ins Meer hinabließ, um Fische zu fangen; und als er es emporzog, war darin eine Flasche aus Messing, mit Blei verschlossen und mit dem Siegel unseres Herrn Salomo, des Sohnes Davids -über beiden sei Heil! —, versiegelt. Der Fischer holte sie heraus und zerbrach sie; da stieg aus ihr ein blauer Dunst empor, der sich in den Wolken des Himmels verlor. Und plötzlich hörten alle eine furchtbare Stimme, die da rief: ,Ich bereue, ich bereue, o Prophet Allahs!' Darauf wurde jener Dunst zu einer menschlichen Gestalt, deren Anblick Schrecken



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erregte, die von fürchterlichem Aussehen war und deren Haupt bis zum Gipfel der Berge emporragte. Doch alsbald entschwand die Gestalt ihren Blicken. Den Reisenden war, als ob ihnen das Herz aus der Brust gerissen würde; aber die Schwarzen kümmerten sich nicht darum. Da wandte der Seefahrer sich an den König und fragte ihn nach dem, was geschehen war. Jener erwiderte ihm: ,Wisse, dies war einer von den Geistern, denen Salomo, der Sohn Davids, zürnte; die sperrte er in solche Flaschen, verschloß sie mit Blei und warf sie ins Meer. Wenn ein Fischer bei uns das Netz ins Meer wirft, so bringt er meistens eine solche Flasche herauf; und wenn sie zerbrochen wird, so steigt ein Geist aus ihr empor. Der glaubt dann, Salomo sei noch am Leben; und darum ruft er, um seine Reue zu zeigen: Ich bereue, o Prophet Allahs!'

Der Beherrscher der Gläubigen 'Abd el-Malik ibn Marwân wunderte sich sehr über diese Erzählung und sprach: ,Allah sei gepriesen! Wahrlich, dem Salomo ward gewaltige Macht verliehen!' Nun war unter den Anwesenden damals auch an-Nâbigha edh-Dhubjâni, und der sagte: ,Tâlib hat die Wahrheit gesprochen in dem, was er uns berichtet hat; für die Richtigkeit zeugt auch der Spruch des alten Weisen:

Es heißt von Salomo, daß Allah zu ihm sprach:
Du sollst der Weltenherr, der weise Richter sein.
Wer dir gehorcht, den ehr' ob seiner Willigkeit;
Wer dir sich widersetzt, den sperr auf ewig ein.

So pflegte er sie denn in Messingflaschen einzuschließen und ins Meer zu werfen.' Der Beherrscher der Gläubigen hatte Gefallen an diesen Worten, und er rief: ,Bei Allah, ich möchte doch gern einmal eine solche Flasche sehen!' Ihm antwortete



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Tâlib ibn Sahl: ,O Beherrscher der Gläubigen, das kannst du tun, ohne dein Land zu verlassen. Schicke einen Boten an deinen Bruder 'Abd el-'Azîz ibn Marwân', er solle sie dir aus dem Westlande verschaffen, indem er an Mûsa' schreibt und ihm befiehlt, vom Westlande bis zu jenem Berge zu reiten, in dem Lande, von dem ich erzählt habe, und dir von jenen Flaschen so viele zu bringen, wie du verlangst; denn an den äußersten Grenzen seines Gebietes hängt das Festland mit jenem Berge zusammen.' Da der Beherrscher der Gläubigen diesen Rat für gut befand, so sprach er: ,Tâlib, du hast recht mit deinen Worten. Ich wünsche, daß du in dieser Sache mein Bote an Mûsa ibn Nusair seiest; du sollst die weiße Flagge' erhalten und alles, was du an Geld, Ehren und ähnlichen Dingen verlangst; ich selbst aber will an deiner Statt für die Deinen sorgen.' ,Herzlich gern, o Beherrscher der Gläubigen!' erwiderte Tâlib; und der Kalif gebot ihm: ,Ziehe hin mit dem Segen und der Hilfe Allahs des Erhabenen!' Darauf befahl er, einen Brief an seinen Bruder 'Abd el-'Azîz, seinen Statthalter in Ägypten, und einen zweiten an Mûsa ihn Nusair, seinen Statthalter im Westlande, zuschreiben mit dem Befehle, daß Mûsa selbst auf die Suche nach den salomonischen Flaschen gehen und seinen Sohn als Statthalter im Lande zurücklassen solle; auch solle er Führer mit sich nehmen, an Geld nicht sparen, noch an Männerscharen, ohne Verzug das Werk beginnen und nicht auf Ausflüchte sinnen. Dann versiegelte er die beiden Briefe, übergab sie dem Tâlib ibn Sahl und befahl ihm, zu eilen und die Banner über seinem Haupte wehen zulassen; ferner gab er ihm Schätze und Mannen zu Pferd und zu Fuß, die ihn auf seiner



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Fahrt schützen sollten; endlich wies er noch das Geld für alle Ausgaben an, deren sein Haus bedurfte. Nun machte Tâlib sich auf den Weg nach Ägypten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 568. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Tâlib ibn Sahl mit seinen Begleitern von Damaskus aus die Länder durchmaß, bis er in Kairo ankam. Da zog der Statthalter von Ägypten ihm entgegen und nahm ihn bei sich auf und erwies ihm die höchsten Ehren, solange er dort verweilte. Dann gab er ihm einen Führer nach Oberägypten mit zudem Emir Mûsa ibn Nusair. Als der von dem Kommen Tâlibs hörte, zog er ihm entgegen und hatte seine Freude an ihm. Der Gesandte überreichte ihm das Schreiben, und nachdem der Emir es hingenommen und gelesen und seinen Inhalt verstanden hatte, legte er es auf sein Haupt und sprach: ,Ich höre und gehorche dem Beherrscher der Gläubigen!' Nun hielt er es für das beste, die Großen seines Reiches zu berufen; und als die sich versammelt hatten, fragte er sie nach ihrer Ansicht über den Brief. Sie antworteten: ,O Emir, wenn du jemanden suchst, der dir den Weg zu jenem Orte zeigt, so laß den Scheich 'Abd es-Samad ibn 'Abd el-Kuddûs es-Samûdi kommen. Der ist ein weiser Mann, der viel gereist ist; er kennt die Wüsten und Einöden, die Meere und ihre Bewohner und Wunder, ja, alle Lande weit und breit. Laß ihn holen; er wird dir überall, wohin du nur wünschest, den rechten Weg weisen.' Also gab er Befehl, den Alten zu bringen; und wie dieser vor ihm stand, erblickte er in ihm einen hochbetagten Greis, den der Jahre und Zeiten Flucht gebrechlich gemacht hatte. Der Emir Mûsa begrüßte ihn und sprach zu ihm: .Scheich 'Abd es-Samad, unser Herr, der Beherrscher



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der Gläubigen 'Abd el-Malik ibn Marwân, hat mir dasunddas befohlen; ich aber habe wenig Kenntnis von jenem Lande. Nun ist mir gesagt worden, daß du jene Länder und die Wege dorthin kennst; willst du den Wunsch des Beherrschers der Gläubigen erfüllen?' ,Wisse, o Emir,' erwiderte der Alte, ,der Weg dorthin ist beschwerlich und von langer Dauer, und der Straßen sind wenige.' Da fragte der Emir ihn: ,Wie lange währt die Reise dorthin?' Und der Scheich antwortete: ,Zwei Jahre und etliche Monate dauert es, um dorthin zu gelangen, und ebenso lange währt die Rückkehr; und der Weg ist voller Gefahren und Schrecken, voller Wunder und seltsamer Dinge. Nun bist du aber ein Glaubensstreiter, und unser Land liegt nahe dem Feinde; daher könnten die Nazarener während deiner Abwesenheit leicht hervorbrechen. Deshalb geziemt es sich, daß du in deinem Reiche einen Verweser als deinen Stellvertreter einsetzest.' ,Gut', erwiderte Mûsa und setzte an seiner Stelle seinen Sohn Harûn als Reichsverweser ein, indem er ihn Treue schwören ließ und den Truppen gebot, allen Befehlen seines Sohnes ohne Murren zu gehorchen. Da hörten die Truppen auf sein Wort und versprachen Gehorsam. Sein Sohn Harûn aber war ein Mann von hohem Mut. ein berühmter Degen und ein Held verwegen.' [Ferner sagte der Scheich: ,O Emir, nimm mit dir tausend Kamele, die Wasser tragen, und tausend Kamele, die mit Wegzehrung beladen sind, dazu auch Krüge!' ,Was sollen wir damit tun?' fragte der Emir Mûsa; und jener erwiderte: ,Auf unserem Wege liegt die Wüste von Kairawân'; das ist eine weite Wüste, in der es wenig Wasser



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gibt, und sie ist vierzig Tagereisen lang. Dort hört man kein Geräusch, keinen Laut; dort wird kein menschliches Wesen geschaut. Auch wehen dort der Samum und andere Winde, el-Dschudschâb geheißen, von denen die Wasserschläuche ausgedörrt werden. Wenn aber das Wasser in den Krügen ist, so kann ihm nichts geschehen.' ,Du hast recht', sagte Mûsa, schickte alsbald nach Alexandrien und ließ eine große Menge von Krügen holen. Dann nahm er seinen Wesir und zweitausend Reiter, alle gepanzert und gerüstet, und ritt davon, begleitet von der reisigen Schar, den Kamelen und dem Scheich, der auf seinem Klepper an der Spitze ritt, um ihnen den Weg zu weisen. Schnell zogen sie dahin, bald durch bewohnte Gefilde, bald durch Ödland, bald durch Wüsten voller Schrecken. bald durch einsame, durstige Strecken, bald über Berge, die sich gen Himmel recken. Ein ganzes Jahr reisten sie immer weiter, bis sie eines Morgens, nachdem sie die lange Nacht hindurch geritten waren, gewahrten, daß sie den Weg verloren hatten und sich in einer Gegend befanden, die sie nicht kannten. Da rief ihr Führer aus: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Beim Herrn der Kaaba, wir sind vom Wege abgeirrt!' Der Emir Mûsa rief: ,Was ist denn geschehen, o Scheich?' Jener antwortete: ,Wir sind vom Wege abgeirrt!' ,Wie ist das möglich?' fragte der Emir; und der Alte erwiderte: ,Ich konnte nicht auf die Sterne achten, da sie überwölkt und unsichtbar waren.' Weiter fragte Mûsa: ,Wo in aller Welt sind wir denn?' ,Ich weiß nicht,' gab der Scheich zur Antwort, ,ich habe dies Land bis zum heutigen Tage noch nie gesehen.' Da befahl der Emir: .So führe uns denn an die Stelle zurück, von der aus wir von dem Wege abgeirrt sind!' Doch der Alte beteuerte: ,Ich kenne sie nicht mehr.' ,So laß uns weiterziehen,' sagte Mûsa,



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,vielleicht wird Allah uns dorthin führen und uns in seiner Allmacht auf dem rechten Wege leiten.' Nun ritten sie bis zur Zeit des Mittags gebetes weiter; da kamen sie in ein ebenes und schön gleichmäßiges Land, das so flach war wie das Meer, wenn es still und ruhig ist. Und wie sie dort ihres Weges dahinzogen, erblickten sie plötzlich auf der einen Seite in der Ferne ein schwarzes Etwas, groß und hoch, und aus seiner Mitte schien Rauch zu den Wolken des Himmels aufzusteigen. Sie ritten schnurstracks darauf zu, bis sie in seiner Nähe waren; und da zeigte es sich, daß es ein hoher Bau war, mit festgefügten Säulen, mächtig und schauerlich, der einem sich türmenden Berge glich. Er war aus schwarzen Quadern erbaut und hatte dräuende Zinnen und ein Tor aus chinesischem Eisen, das da glänzte und die Augen blendete und aller Blicke auf sich wendete, und bei dem der Verstand endete. Er maß tausend Schritt im Umkreis, und was den Ankommenden als Rauch erschienen war. das war eine bleierne Kuppel in der Mitte, die hundert Ellen hoch emporragte und die aus der Ferne aussah wie eine Rauchwolke. Bei diesem Anblick war der Emir aufs höchste erstaunt, zumal die Stätte ganz menschenleer war. Der Führer aber sprach: ,Laßt uns näher treten, um diese Burg anzuschauen und zu erfahren, was sie uns zu sagen hat!' Nachdem er dann genauer hingeschaut hatte, rief er: ,Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist der Prophet Allahs!' Da sagte der Emir: ,Ich sehe, wie du Allah den Erhabenen voll Freude preisest und heiligest.' Der Scheich erwiderte darauf: ,O Emir, freue dich der frohen Botschaft! Allah, der Gepriesene und Erhabene, hat uns befreit von diesen Wüsten voller Schrecken und all diesen öden durstigen Strecken!' ,Woher weißt du das?' forschte Mûsa; und jener antwortete: ,Wisse, mein Vater hat mir von meinem Großvater berichtet, der habe ihm erzählt,



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wie er einst in diesem Lande reiste, in dem wir umhergezogen sind und uns verirrt haben, und wie er dann zu diesem Schlosse kam und weiter zur Messingstadt; von dort bis zu der Stätte, die du suchst, sind es nur noch zwei volle Monate, aber du mußt dich an die Meeresküste halten und sie nicht verlassen, denn an ihr gibt es Wasserplätze und Brunnen und Lagerstätten. Diesen Weg hat einst König Alexander, der Zweigehörnte', eröffnet, als er ins ferne Westland zog; da fand er weite Einöden und Wüsten und legte dort Wasserstellen und Brunnen an.' Nun rief der Emir Mûsa: ,Allah lohne dir die frohe Botschaft mit Komm, laß uns in dies Schloß gehen, das eine Mahnung ist für alle, die sich mahnen lassen!' Da ging der Emir Mûsa zusammen mit dem Scheich 'Abd es-Samad und seinen nächsten Vertrauten näher heran, bis sie zum Eingangstor kamen, und sie fanden, daß es offen war. Es hatte hohe Pfeiler, und Stufen führten im Torweg hinauf;



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unter diesen befanden sich zwei breite Stufen aus buntem Marmor, dergleichen er noch nie gesehen hatte. Die Decken und die Wände waren mit Gold und Silber und Edelsteinen verziert. Und über dem Eingang befand sich eine Tafel mit griechischen Schriftzeichen. Da fragte der Scheich 'Abd es-Samad: ,Soll ich das lesen, o Emir?' ,Tritt hinzu und lies,' antwortete jener, ,Allah segne dich! Alles, was wir auf dieser Reise erleben, kommt nur durch deinen Segen!' Er las es, und siehe, es waren Verse, die lauteten:

Du siehst, wie hier das Werk, das einst ein Volk sich baute,
Jetzt weint, da diesem Volk die Macht entrissen ward.
In diesem Schlosse hier ist noch die letzte Kunde
Von stolzen Herren, längst im Staube eingescharrt.
Der Tod hat sie vertilgt, zerstreut in alle Winde;
Was sie sich einst erwarben, ist im Staub verzehrt.
Es ist, als hätten sie die Waren nur gelagert,
Um auszuruhn, und wären eilends heimgekehrt.'

Da weinte der Emir Mûsa, bis er fast die Besinnung verlor. Und er sprach: ,Es gibt keinen Gott außer Allah, dem Lebendigen, dem Ewigen, der immerdar währt!' Dann trat er in das Schloß ein und war wie bezaubert von der Schönheit seines Baues. Er schaute auch auf die Bilder und Gestalten, die darinnen waren, und plötzlich sah er über einem zweiten Tor wiederum Verse geschrieben stehen. Da sprach er: ,Tritt herzu, Scheich, und lies!' Und der Alte las:

Wie manche Schar hat unter diesem Dach geweilt
In alter Zeit und ist dann wieder fortgeeilt!
Hier kannst du sehen, was der Zeiten Wechselspiel
An anderen vollbrachte, wenn es sie befiel.
Sie teilten unter sich der Schätze reichen Hort
Und ließen all das Glück und zogen wieder fort.



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Wie konnten sie die Freude kosten, wie das Essen!
Nun sanken sie in Staub und wurden selbst gefressen!

Da weinte der Emir Mûsa bitterlich, und die Welt wurde ihm schwarz vor den Augen; und er sprach: ,Fürwahr, wir sind zu Großem erschaffen!"Darauf schauten sie sich weiter in dem Schlosse um und sahen von neuem, daß es ohne Bewohner war, jeglichen lebenden Wesens bar; Höfe und Räume ringsumher lagen alle wüste und leer. In der Mitte aber war jene hohe Kuppel, die in die Lüfte emporragte, und rings um sie lagen vierhundert Gräber. Der Emir Mûsa trat an jene Gräber heran und entdeckte unter ihnen eines, das aus Marmor erbaut war und eine Inschrift mit diesen Versen trug:

Wie viele bekämpft ich! Wie viele erschlug ich!
Wie manche Gefahren des Lebens ertrug ich!
Wie hab ich geschmauset! Wie oft mich berauschet!
Wie oft dem Gesange der Mädchen gelauschet!
Wie konnt ich gebieten! Wie konnt ich verwehren!
Wie manche der Burgen mit trutzigen Wehren
Erstürmte ich einst, und dann suchte ich drinnen
Und trug draus die schönsten der Mädchen von hinnen.
Und dennoch, ich Tor habe oft mich vergangen
Und wollte nur nichtige Wünsche erlangen.
Drum prüfe dich selber, o Mensch, und bedenke,
Noch ehe der Becher des Todes dich tränke!
Denn nur noch ein kleines, so streut man dir Staub
Aufs Haupt, und du bist der Vergänglichkeit Raub.

Und von neuem weinten Emir Mûsa und seine Begleiter. Darauf trat er nahe an die Kuppel heran und erkannte, daß sie acht Türen aus Sandelholz hatte; die waren mit goldenen Nägeln beschlagen und mit silbernen Sternen besetzt und mit allerlei Edelsteinen eingelegt. Auf der ersten Tür aber standen diese Verse geschrieben:



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Was ich verlassen hab, verließ ich nicht aus Großmut;
Es war des Schicksals Spruch - und der trifft alle Welt.
Solange ich in Glück und Freuden leben konnte,
Bewachte ich gleichwie ein grimmer Leu mein Feld.
Ich hatte keine Ruh, ich wollt kein Senfkorn schenken
Aus Geiz, und wurf man mich zum Höllenpfuhl hinab,
Bis mich das Schicksal traf, das Gott vorherbestimmte,
Er, der in seiner Macht der Schöpfung Leben gab.
Dieweil ein früher Tod mir vom Geschick beschieden,
Konnt ich durch viele List mich nicht dagegen fei'n.
Da nützte nichts das Heer, das ich gesammelt hatte;
Da half mir nicht ein Freund noch auch der Nachbar mein.
Mein ganzes Leben lang plagt ich mich auf der Reise
Zu meines Lebens Ziel, in Not und auch in Glück'. [Sind dann die Beutel auch vom Golde voll geworden,
Und legtest du Dinar stets auf Dinar zurück, ]'
Eh noch der Morgen graut, gehört dein Gut dem andern;
Man bringt dir einen Tröger, einen Gräber her.
Und dann am Jüngsten Tag trittst du vor Gott hin, einsam,
Von Sünden und Vergehn beladen -ach, so schwer.
Dich täusche nicht die Welt mit ihrem schönen Schein:
Was sie an Freund und Nachbar tat, bedenk allein!

Als der Emir Mûsa diese Verse vernommen hatte, weinte er bitterlich, bis er die Besinnung verlor. Wie er dann wieder zu sich gekommen war, trat er in die Kuppel ein und erblickte darin ein langes Grab, dessen Anblick Grausen erregte, und darauf lag eine Platte aus chinesischem Eisen. Scheich 'Abd es-Samad trat näher und las huf ihr diese Inschrift: ,Im Namen Allahs, der nie vergeht, der in Ewigkeit besteht! Im Namen Allahs, der nicht gezeugt hat und nicht gezeugt ward und dem keiner gleich ist in seiner Art!' Im Namen Allahs, des Herrn



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der Herrlichkeit und Kraft! Im Namen Dessen, der da lebendig ist, nie vom Tode hingerafft!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 569 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Scheich 'Abd es-Samad, nachdem er diese Worte gelesen hatte, dahinter noch auf der Tafel diese Inschrift fand: ,O du, der du an diese Stätte kommst, laß dich warnen durch das, was du erlebst von den Wechselfällen der Zeit und von des Schicksals Wandelbarkeit! Laß dich nicht täuschen durch diese Welt mit all ihrem schönen Schein, ihrer Falschheit und Lüge, ihrem Trug und ihrem eitlen Glanz! Sie ist schmeichlerisch und lügnerisch und trügerisch; ihre Dinge sind nur geliehen, und der Verleiher kann sie dem Entleiher jederzeit entziehen. Sie ist wie das Wahngebilde des Schläfers eitler Schaum und wie des Träumenden Traum; es ist, als wäre sie die Luftspiegelung der Wüste, die der Durstende für Wasser hält: und Satan schmückt sie mit falschem Schein für die Menschen bis in den Tod hinein. Solcher Art ist die Welt; vertraue nicht auf sie, und neige dich nicht ihr zu; denn sie betrügt den, der auf sie baut und in seinen Dingen auf sie vertraut. Hüte dich davor, daß ihr Netz dich umflicht; und an ihre Säume klammere dich nicht! Ich besaß einst viertausend braune Rosse und ein Schloß; ich hatte tausend Prinzessinnen zu Frauen, hochbusige und jungfräuliche, wie Monde anzuschauen; auch waren mir tausend Söhne gleich trutzigen Leuen beschieden. Ich lebte tausend Jahre dahin, mit frohem Herzen und frohem Sinn; und ich häufte so große Schätze an, wie sie keiner von den Königen der Erde sein eigen nennen kann. Dabei glaubte ich, mein Glück würde ewig dauern; aber ehe ich mich dessen versah, kam Der zu uns, der die Freuden



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schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt, der die Häuser verödet und die bewohnten Stätten in Trümmer schlägt und groß und klein, Säuglinge, Kinder und Mütter in das Nichts hinüberträgt. Denn während wir noch wohlgemut und sicher in diesem Palaste waren, kam plötzlich das Gericht des Herrn der Welten, des Herrn der Himmel und der Erden, auf uns herabgefahren, und es ereilte uns der Ruf der Gottheit, der offenbaren. Und nun starben von uns an jedem Tage zwei, bis eine große Schar von uns dahingeschwunden war. Wie ich aber sah, daß die Vernichtung in unsere Stätten eingekehrt war und sich bei uns niedergelassen und uns ins Meer des Todes versenkt hatte, da ließ ich einen Schreiber kommen und befahl ihm, diese Verse mit ihren Ermahnungen und Warnungen aufzuschreiben. In schöner und gleichmäßiger Schrift ließ ich sie einmeißeln auf diesen Türen, Tafeln und Gräbern. Nun hatte ich ein Heer von tausendmal tausend Zügeln, das war ein Volk voll Tatendrang, das Panzer trug und Speere schwang, und es zückte verwegen die scharfen Degen. Den Leuten befahl ich, sich in die langen Panzerhemden zu kleiden und sich mit den Schwertern zu gürten, die den Leib zerschneiden, die Lanzen einzusetzen zu grausigem Reigen und die feurigen Rosse zu besteigen. Und als das Gericht des Herrn der Welten, des Herrn des Himmels und der Erden, uns nahte, sprach ich: ,Ihr Mannen und Krieger zuhauf, könnt ihr das Geschick abwehren, das der allmächtige König auf mich herniedersendet?' Doch die Krieger und Mannen vermochten es nicht, und sie sprachen: ,Wie sollen wir gegen Den kämpfen, dem kein Kämmerling den Zutritt wehrt, der in die Tür eingeht, an der kein Türhüter steht?' Darauf befahl ich ihnen: ,Bringt mir die Schätze her!' Und die waren in tausend Kammern geborgen, deren jede tausend Zentner roten Goldes und desgleichen an



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weißem Silber, dazu auch vielerlei Arten von Perlen und Edelsteinen enthielt, ja, es waren Kleinodien, wie sie kein König der Welt besaß. Die Mannen führten den Befehl aus; und als all die Schätze vor mir lagen, sprach ich zu ihnen: ,Könnt ihr mich mit all diesen Schätzen loskaufen? Könnt ihr mir für sie einen einzigen Lebenstag erkaufen?' Sie aber konnten es nicht! So ergaben sie sich denn in das vorherbestimmte Geschick, und auch ich fügte mich in Allahs Willen und ertrug mein Los und Verhängnis, bis er meine Seele zu sich nahm und ich durch seinen Willen in die Grube kam. Und wenn du nach meinem Namen fragst, so wisse, ich bin Kûsch, der Sohn des Schaddâd, des Sohnes von 'Ad dem Älteren!' Ferner standen auf jener Tafel noch diese Verse geschrieben:

Wenn ihr einstens nach mir fraget, längst nachdem mein Leben schwand
Und nachdem die Tage sich im ew'gen Wechselspiel gewandt,
Sohn Schaddâds bin ich geheißen, einstmals Herr der ganzen Welt,
Dessen Herrschaft alle Länder auf der Erde unterstellt.
Willig dienten meinem Reiche trutz'ge Scharen insgemein;
Syrerland auch von Ägypten bis 'Adnân' hin schloß es ein.
Hochberühmt war ich und zwang zur Demut ihrer Fürsten Pracht;
Und das Volk der ganzen Erde war in Furcht vor meiner Macht.
Ja, ich hielt die Stämme und die Heere fest in meiner Hand,
Und ich sah die Länder und die Völker wie von Furcht gebannt.
Stieg ich auf mein Pferd, so sah ich dann als meiner Heere Zahl
Auf den Rossen, die da wiehern, Zügel tausend tausendmal.
Ich besaß an Geld und Gütern dieser Welt unzählbar viel,
Und das hob ich auf für später, für der Zeiten Wechselspiel.
Ach, ich wollte alles geben als der Seele Lösegeld
Um das Leben eines einz'gen Tages in der Erdenwelt.
Aber Gott gefiel nichts andres, als daß sein Gehe geschah;
Und so lag ich denn bald einsam fern von meinen Brüdern da.
Ja, der Tod war mir genahet, der die Menschen scheiden macht
Und vom Ruhm ward ich zum Hause der Verachtung hingebracht,



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Und dort fand ich alles wieder, was ich einst zuvor getan;
Und ich ward zum Pfande meiner Sünden auf der Lebensbahn. Nun bedenke, daß du selber wie an einem Abgrund bist;
Hüte dich vor Schicksalsschlägen, dir zum Heil, zu jeder Frist!

Beim Anblick dieses Totenfeldes weinte der Emir Mûsa, bis er in Ohnmacht sank. Und als sie hernach das Schloß überallhin durchwanderten und sich in seinen Sälen und Lustgärten umschauten, fanden sie plötzlich einen Tisch aus Marmor, der auf vier Füßen stand; und darauf war geschrieben: ,An diesem Tische haben tausend einäugige Könige und tausend Könige mit gesunden Augen gespeist, die alle nun die Welt verlassen haben und in den Gräbern und Grüften wohnen.' All das schrieb der Emir Mûsa sich auf; dann ging er fort, ohne aus dem Schlosse etwas mitzunehmen als jenen Tisch.

Nun zog die ganze Schar weiter unter der Führung des Scheich 'Abd es-Samad, der ihnen den Weg wies, jenen Tag hindurch und einen zweiten und einen dritten Tag. Da erblickten sie vor sich einen hohen Hügel, und als sie ihn genauer anschauten, sahen sie auf ihm einen Reiter aus Messing; der trug eine Lanze, an deren oberem Ende sich eine breite Spitze befand, so glänzend, daß sie fast die Augen blendete, und darauf stand geschrieben: ,Oder du zu mir kommst, wenn du den Weg, der zur Messingstadt führt, nicht kennst, so reib die Handfläche dieses Reiters, dann wird er sich drehen und wieder stillstehen: darauf schlag die Richtung ein, nach der er blickt; sei ohne Furcht und unbesorgt, denn sie wird dich zur Messingstadt führen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 570. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Reiter, als Emir Mûsa



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ihm die Handfläche rieb, sich so schnell drehte wie der blendende Blitz; dann hielt er inne und blickte in eine andere Richtung als die, in der die Männer sich befanden. Da wandten sie sich ihr zu und zogen in ihr weiter; und siehe, es war die rechte Richtung. Tag und Nacht reisten sie in ihr weiter, bis sie ein weites Land durchmessen hatten. Eines Tages aber, als sie ihres Weges dahinzogen, gewahrten sie plötzlich eine Säule aus schwarzem Stein. in die eine menschliche Gestalt bis zu den Armhöhlen versenkt war. Diese Gestalt hatte zwei große Flügel und vier Arme, von denen zwei menschliche Hände hatten, während die anderen wie Löwentatzen aussahen und Krallen hatten. Das Haar auf ihrem Kopfe glich dem Schweife der Rosse, und sie hatte zwei Augen, die wie glühende Kohlen waren, dazu noch ein drittes Auge auf der Stirn gleich dem Auge eines Panthers, aus dem Feuerfunken heraussprühten. Schwarz war jene Gestalt, und sie reckte sich hoch empor in die Luft. und sie rief: ,Preis sei meinem Herrn. der dies schwere Gericht und diese schmerzensvolle Strafespfficht bis zum Jüngsten Tage über mich verhängt hat!' Als die Männer den Rufer erblickten, waren sie wie von Sinnen und sprachlos vor Staunen; und als sie erkannten, wie er aussah, wandten sie sich zur Flucht. Der Emir Mûsa aber fragte den Scheich 'Abd es-Samad: ,Was ist diese' Und als der Alte ihm entgegnete: ,Ich weiß es nicht', fuhr er fort: ,Tritt näher an ihn heran und frage, was es mit ihm ist! Vielleicht wird er dir Auskunft über sich geben, und du kannst den Schleier von seiner Geschichte heben.' Aber der Scheich 'Abd es-Samad rief: ,Allah behüte den Emir! Wir fürchten uns vor dem da!' Da sagte der Emir: ,Fürchtet euch nicht! Die Hülle, die ihn umgibt, hält ihn von euch und von allen anderen fern.' Nun trat der Scheich 'Abd es-Samad an ihn heran und fragte ihn: ,Du da, wie heißt du, und was ist



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es mit dir, und was hat dich hierher in diese Lage gebrachte' Jener antwortete: ,Wisse, ich bin ein Dämon aus der Geisterwelt, und ich heiße Dâhisch ibn el-A'masch. Ich bin hier festgebannt durch die Hochherrlichkeit, eingesperrt durch die Allmacht und gestraft, solange es Allah, dem Allgewaltigen und Glorreichen, gefällt.' Weiter sagte der Emir Mûsa: ,Scheich 'Abd es-Samad, frage ihn, weshalb er in diese Säule eingesperrt ist!' Wie der Alte den Dämon danach fragte, erwiderte jener: ,Meine Geschichte ist wunderbar. Einer der Söhne des Iblis hatte nämlich ein Götzenbild aus rotem Karneol, und ich mußte es bewachen. Ihm diente einer der Meerkönige, ein Fürst von hoher Macht und gewaltiger Herrscherpracht; der gebot über tausendmal tausend streitbare Geister, die vor ihm ihre Schwerter schwangen und in Zeiten der Not seinem Rufe Folge leisteten. Die Geister aber, die ihm dienten, standen alle unter meinem Gebot und Geheiß und folgten den Befehlen, die ich ihnen gab; doch alle waren Rebellen gegen Salomo, den Sohn Davids -über beiden sei Heil! Und ich pflegte in den Bauch des Götzenbildes zu kriechen, wenn ich den Geistern gebot und verbot. Nun liebte die Tochter jenes Königs das Bild, sie warf sich oft vor ihm nieder und gab sich ganz seinem Dienste hin. Und sie war das schönste Wesen ihrer Zeit, strahlend in Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Vollkommenheit. Ich erzählte einst Salomo -Heil sei über ihm! — von ihr, und da sandte er alsbald an ihren Vater eine Botschaft des Inhalts: ,Gib mir deine Tochter zur Gemahlin, zerbrich dein Götzenbild aus Karneol und bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß Salomo der Prophet Allahs ist! Wenn du das tust, so soll unser Gut dein Gut und unsere Schuld deine Schuld sein. Wenn du dich aber weigerst, so werde ich mit einem Heere wider dich ausziehen, dem du nicht zu widerstehen vermagst;



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dann mache dich auf Rechenschaft vor Gott gefaßt und lege das Hemd an, das zum Tode paßt. Fürwahr, ich werde mit Heerscharen zu dir kommen, deren Fülle das Blachfeld bedeckt; die machen dich dem Gestern gleich, das keiner zum Leben auferweckt.' Als die Botschaft Salomos -Heil sei über ihm! —den König erreichte, schwoll er in rebellischem Übermut, voll Hoffart und überstolzem Blut. Dann sprach er zu seinen Wesiren: ,Was sagt ihr von Salomo, dem Sohne Davids? Der hat zu mir gesandt, ich solle ihm meine Tochter geben, solle mein Götzenbild aus Karneol zerbrechen und seinen Glauben annehmen!' Sie antworteten: ,Mächtiger König, kann Salomo so an dir handeln, da du doch mitten in diesem großen Meere wohnst? Zieht er auch wider dich, so vermag er nichts über dich; denn die Mârids der Geisterwelt kämpfen auf deiner Seite, und wenn du das Götzenbild um Hilfe wider ihn anrufst. so wird es dir gegen ihn beistehen und den Sieg verleihen. Das rechte ist, wenn du deinem Herrn - damit meinten sie das Götzenbild aus rotem Karneol -hierüber um Rat fragst und auf das hörst, was er dir sagt. Wenn er dir rät zu kämpfen, so kämpfe; wenn nicht, so tu es nicht!' Im selben Augenblicke machte sich der König auf und begab sich zu seinem Götzen; und nachdem er ihm Opfergaben dargebracht und Opfertiere geschlachtet hatte, warf er sich vor ihm zu Boden und sprach unter Tränen diese Verse:

O Herr, ich kenne deine Allgewalt;
Doch Salomo will dich zerbrochen sein,.
O Herr, laß mich um deine Hilfe flehn!
Befiehl, und ich gehorche dir alsbald.

Ich aber - so erzählte jener Dämon, der zur Hälfte in der Säule war, dem Scheich 'Abd es-Samad, und die ihn umstanden, hörten es -kroch in den Bauch des Götzen, da ich töricht und



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unverständig war und mich um den Befehl Salomos nicht kümmerte, und ich hub an zu sprechen:

Was mich betrifft -mir ist vor ihm nicht graus,
Dieweil ich aller Dinge kundig bin.
Will er den Kampf mit mir, so zieh ich hin
Und reiße ihm die Seele bald heraus!

Als der König meine Antwort vernahm, ward ihm das Herz stark, und er beschloß, gegen Salomo, den Propheten Allahs —Heil sei über ihm! —. ins Feld zu ziehen und mit ihm zu kämpfen. Er berief daher den Boten Salomos vor sich und ließ ihn heftig schlagen und befahl ihm, eine schmähliche Antwort heimzutragen; denn er sandte ihn unter Drohungen mit dieser Botschaft an Salomo: ,Deine Seele hat dir eitle Wünsche eineingeflüstert; drohst du mir mit lügnerischen Worten? Vielleicht kannst du gar nicht bis zu mir gelangen; dann werde ich schon zu dir kommen!' Darauf kehrte der Bote zu Salomo zurück und meldete ihm alles, was ihm zugestoßen und widerfahren war. Als Salomo, der Prophet Allahs, das hören mußte, loderte rasender Zorn in ihm empor, und sein Entschluß trat sogleich hervor. Er rüstete seine Heerscharen, Geister und Menschen, wilde Tiere, Raubvögel und alles, was kreucht; und er befahl seinem Wesir ed-Dimirjât, dem König der Geister, die Mârids der Dämonenwelt von überallher zu versammeln, und der brachte sechshunderttausendmal tausend Teufel zuhauf. Ferner gebot er Âsaf, dem Sohne Barachjas, seine Menschenheere einzuberufen, und das waren tausendmal tausend oder noch mehr. Die alle versah er mit Rüstungen und Waffen; und dann flog er mit seinen Heeren der Menschen und Geister auf dem Zauberteppich davon, während die Raubvögel ihm zu Häupten schwebten und die wilden Tiere unter dem Teppich dahineilten. Und alsbald landete er am Gestade



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jenes Königs, umringte seine Insel und erfüllte die ganze Erde mit seinen Heerscharen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 571. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Dämon des weiteren erzählte: ,Als Salomo, der Prophet Allahs -Friede sei über ihm! —, mit seinen Heerscharen rings um die Insel landete, da schickte er zu unserem König einen Boten und ließ ihm sagen: ,Siehe da, ich bin zu dir gekommen! Nun wende das drohende Unheil von dir ab: wenn du das nicht kannst, so tritt unter meine Botmäßigkeit hin und bekenne, daß ich der Apostel bin! Zerbrich deinen Götzen. bete den Einen an. dem Anbetung gebührt, und gib mir deine Tochter zur rechtmäßigen Gemahlin! Sprich mit allen den Deinen: Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und ich bezeuge, daß Salomo der Prophet Allahs ist. Wenn du das sagst, so wird dir Sicherheit und Heil gewährt; doch wenn du dich weigerst, so wirst du dich vergeblich auf dieser Insel wider mich verschanzen. Denn wisse, Allah, der Gepriesene und Erhabene, hat dem Winde befohlen, mir zu gehorchen; und so kann ich ihm gebieten, mich zu dir auf dem Teppich zu tragen, und ich kann dich zu einem warnenden Beispiel für andere machen.' Der Bote ging und brachte dem König die Botschaft Salomos, des Propheten Allahs - Heil sei über ihm! Doch der König erwiderte ihm: ,Das, was er von mir verlangt, kann nie geschehen. So melde ihm, daß ich gegen ihn zu Felde ziehen werde.' Darauf kehrte der Bote zu Salomo zurück und brachte ihm die Antwort. Der König aber sandte zu dem Volke seines Landes und rief alle Geister, die unter seiner Herrschaft standen, zusammen, tausendmal tausend; und zu ihnen gesellte er noch



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die Mârids und Teufel. die auf den Inseln der Meere und auf den Gipfeln der Berge hausten. Darauf rüstete er seine Truppen aus; eröffnete seine Rüstkammern und verteilte die Waffen an sie. Salomo aber, der Prophet Allahs -Heil sei über ihm! —, stellte derweilen seine Heerscharen auf; er gebot den wilden Tieren. sich in zwei Schlachtreihen zu teilen, zur Rechten und zur Linken der Menschen; den Raubvögeln befahl er, auf der Insel zu bleiben und beim Angriffe den Feinden mit den Schnäbeln die Augen auszuhacken und ihnen mit den Flügeln ins Gesicht zu schlagen, während die wilden Tiere den Befehl hatten, die feindlichen Rosse zu zerreißen. Alle aber sprachen: ,Wir hören und gehorchen Allah und dir, o Prophet Allahs!' Darauf ließ Salomo, der Prophet Allahs, einen Thron für sich errichten, der aus Marmor gemeißelt, mit Edelsteinen besetzt und mit Blättern aus rotem Golde belegt war. Seinen Wesir Âsaf ibn Barachja nahm er zur Rechten, und seinen Wesir ed-Dimirjât zur Linken; ebenso standen die Könige der Menschen auf seiner rechten, die Könige der Geister aber auf seiner linken Seite, während die wilden Tiere und die Vipern und Schlangen sich vor ihm befanden. Und nun stürmte die ganze Schar wider uns los und kämpfte gegen uns auf weitem Plan zwei Tage lang; doch am dritten Tage kam das Unheil über uns, und das Gericht Allahs des Erhabenen ward an uns vollstreckt. Den ersten Angriff auf Salomo machte ich mit meinen Truppen, und ich rief meinen Gefährten zu: ,Bleibt, wo ihr seid! Ich will wider sie ins Feld treten und ed-Dimirjât zum Zweikampfe fordern!' Und siehe, da kam er auch schon hervor, einem gewaltigen Berge gleich; Feuer umlohten ihn, und Rauch stieg von ihm empor. Er stürmte herbei und warf eine feurige Flamme auf mich, und da war sein Feuer stärker als das meine. Und er stieß einen so gewaltigen Schrei wider mich aus, daß



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mir war, als stürzte der Himmel auf mich nieder, und die Berge erbebten vor seiner Stimme. Dann befahl er seinen Streitern, uns anzugreifen. Da stürmten sie auf uns los, und wir auf sie; Mann schrie wider Mann, die Feuer loderten hervor, und der Rauch stieg empor, und die Herzen barsten schier. Die Schlacht wurde allgemein, die Vögel kämpften in der Luft, die wilden Tiere stritten auf der Erde, und ich rang mit ed-Dimirjât, bis wir beide müde waren. Doch zuletzt war ich der Schwächere; auch verließen mich meine Gefährten und Krieger, und alle meine Scharen wandten sich zur Flucht. Da rief Salomo, der Prophet Allahs: ,Greift den Tyrannen da, den Verruchten, den Elenden, den Verfluchten!' Noch kämpften die Menschen wider die Menschen und die Geister wider die Geister; aber schließlich unterlag doch unseres Königs Macht, und wir wurden als Beute zu Salomo gebracht. Denn seine Heere griffen, rechts und links von den wilden Tieren umgeben, die Unseren an, und die Raubvögel schwebten über unseren Häuptern und hackten den Kämpfern die Augen aus, bald mit ihren Krallen und bald mit ihren Schnäbeln, bald auch schlugen sie ihnen mit ihren Flügeln ins Gesicht. Die wilden Tiere aber bissen die Pferde und zerrissen die Streiter, bis die meisten unseres Volkes auf dem Angesichte der Erde lagen wie gefällte Palmenstämme. Was mich betrifft, so entrann ich den Händen von ed-Dimirjât; doch er folgte mir drei Monatelang, bis er mich eingeholt hatte.' [Ich war nämlich vor Ermattung niedergesunken; und da hatte er sich auf mich gestürzt und mich gefangen genommen. Ich aber fichte ihn an: ,Bei Ihm, der dich erhöht und mich erniedrigt hat, schone mich und führe mich vor Salomo -Heil



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sei über ihm!' Als ich dann vor Salomo kam, empfing er mich in der übelsten Weise; und er ließ diese Säule bringen und aushöhlen und sperrte mich in sie ein. Dann versiegelte er mich mit seinem Siegel; und nachdem er das getan hatte, schmiedete er mich in Ketten. Und ed-Dimirjât brachte mich hierher und ließ mich an dieser Stätte nieder, an der du mich siehst. Diese Säule ist nun mein Gefängnis bis zum Jüngsten Tage; und ein mächtiger Engel hat das Amt, mich in diesem Kerker zu bewachen. ]' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 572. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß' [die Männer über den Dämon und über seine grauenhafte Gestalt in Staunen gerieten. Der Emir Mûsa rief: ,Es gibt keinen Gott außer Allah! Wahrlich, er hat dem Salomo große Macht gegeben.' Dann sagte der Scheich 'Abd es-Samad zu ihm: ,Du da, ich möchte dich nach etwas fragen; gib uns Auskunft darüber!' ,Frage, was du willst!' erwiderte der Dämon; und jener fuhr fort: ,Gibt es hier in dieser Gegend Dämonen, die seit der Zeit Salomos -Heil sei über ihm! —in Flaschen aus Messing gebannt sind?' Da gab der Dämon zur Antwort: ,Jawohl, im Meere el-Karkar'; und an dessen Gestade wohnt ein Volk aus dem Stamme Noahs -Heil sei über ihm! Zu jenem Lande gelangte die Sintflut nicht, und das Volk ist dort von allen anderen



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Menschenkindern abgeschnitten.' Weiter fragte nun der Alte: ,Wo ist der Weg zur Messingstadt? Und wieweit sind wir von der Gegend entfernt, in der sich die Flaschen befinden?' ,Die ist ganznahe', erwiderte der Dämon und zeigte ihnen den Weg zu der Stadt. Da verließen sie ihn und zogen weiter, bis sie vor sich ein großes schwarzes Etwas erblickten mit zwei Feuern, die einander gegenüber lagen. Der Emir Mûsa fragte den Scheich: ,Was ist das große Schwarze dort und die beiden Feuer einander gegenüber?' Da rief der Führer: ,Freue dich, o Emir! Das ist die Messingstadt. So ist sie beschrieben in dem Buche der verborgenen Schätze, das ich besitze. Ihre Mauern sind aus schwarzen Steinen, und sie hat zwei Türme aus andalusischem Messing; die erscheinen dem Beschauer wie zwei Feuer, die einander gegenüberliegen. Deswegen heißt sie auch die Messingstadt.' Nun zogen sie geradeswegs dorthin, bis sie bei der Stadt ankamen; die war hochgebaut und fest, und sie ragte als uneinnehmbares Bollwerk in die Lüfte empor; die Höhe ihrer Mauern betrug achtzig Ellen, und sie hatte fünfundzwanzig Tore, ]deren keines von außen sichtbar war, noch in seinen Umrissen erkannt werden konnte; denn die Mauern sahen aus wie ein Felsblock, oder wie Eisen, das in einer Form gegossen war. Da saßen die Männer ab, und mit ihnen der Emir Mûsa und der Scheich 'Abd es-Samad, und sie bemühten sich, ein Tor in der Stadt zu erblicken oder doch einen Weg, der in sie hineinführte, zu finden. Doch es gelang ihnen nicht. Darauf sagte der Emir: ,Tâlib, was sollen wir tun, um in diese Stadt hineinzugelangen? Wir müssen doch ein Tor finden, durch das wir hineingehen können!' Tâlib erwiderte: ,Allah lasse es dem Emir wohlergehen! Möge er hier zwei oder drei Tage Rast machen lassen, so werden wir nach dem Willen Gottes des Erhabenen ein Mittel finden, an die Stadt heranzukommen



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und in sie einzudringen.' Nun gab der Emir Mûsa einem seiner Diener Befehl, auf einem Kamel rings um die Stadt herum zu reiten und zu sehen, ob er die Spur von einem Tore fände oder etwa eine niedrigere Stelle in der Mauer als dort, wo sie lagerten. Da saß einer von den Dienern auf und zog zwei Tage und Nächte, ohne auszuruhen, in eiligem Ritt um die Stadt herum. Am dritten Tage aber erschien er wieder bei seinen Gefährten, wie verwirrt durch den Umfang und die Höhe des Ortes, den er gesehen hatte; und er sprach: ,O Emir, der leichteste Zugang ist von dieser Stätte aus, an der ihr euch gelagert habt.' Darauf nahm der Emir Mûsa Tâlib, den Sohn des Sahl, und den Scheich 'Abd es-Samad mit sich, und sie stiegen auf einen gegenüberliegenden Berg, der die Stadt überragte. Und als sie dann dort oben standen, erblickten sie eine Stadt, so groß und herrlich, wie sie noch nie ein Auge gesehen hatte: hohe Paläste winkten, und glänzende Kuppeln blinkten; die Häuser dort hätte man voller Menschen gedacht, und die Gärten standen in voller Pracht; die Bächlein sprangen, und die Bäume waren mit Früchten behangen. Sie war eine Stadt mit festen Toren, aber sie lag öde und verlassen da; kein Laut erscholl in ihr, kein menschliches Wesen gab es dort. Die Eulen schrien auf allen Seiten; über ihre Plätze sah man die Raubvögel in kreisendem Fluge gleiten; auf ihren Wegen und Straßen krächzten der Raben Scharen und beklagten die Menschen, die einst dort waren. Der Emir Mûsa blieb stehen, voll Trauer darüber, daß sich in der Stadt keine Menschenseele fand und daß sie von allem Volke und allen Einwohnern verlassen stand; und er rief: ,Preis sei Ihm, den det Wechsel der Zeiten nicht ändert, der die Welt in Seiner Allmacht erschaffen hat!' Während er so Allah, den Allgewaltigen und Glorreichen, pries, blickte er zufällig zur Seite, und da sah er sieben Tafeln aus



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weißem Marmor, die in der Ferne leuchteten. Er ging näher an sie heran und erkannte, daß Inschriften auf ihnen eingemeißelt waren. Da befahl er dem Scheich 'Abd es-Samad. die Schriftzüge zu lesen. Der trat vor, betrachtete sie und las; und siehe, sie wiesen die Menschen von verständigem Sinn durch Mahnung und Drohung zur Einkehr hin. Auf der ersten Tafel stand in griechischer Schrift geschrieben: ,O Sohn Adams, warum kannst du das, was dir bevorsteht, nicht fassen? All deine Lebensjahre haben es dich vergessen lassen! Bist du dir denn nicht bewußt, daß dein Todeskelch gefüllt ist und du ihn in Bälde leeren mußt? Drum bedenke, wie es um dich selber steht, ehe dein Leib in die Grube geht. Wo sind sie, die einst über die Länder geboten, die Heere befehligten und die Diener Allahs bedrohten? Über sie ist, bei Allah, Der gekommen, der die Freuden schweigen heißt, der die Freundesbande zerreißt und die bewohnten Stätten verwaist! Er trug sie aus der weiten Schlösser Pracht in der engen Gräber Nacht.' Und am Fuße der Tafel standen diese Verse:

Wo sind jetzt die Fürsten alle und der Erdbewohner Scharen?
Sie verließen, was sie bauten, dort, wo ihre Stätten waren;
Und sie ruhen in den Gräbern als ein Pfand für ihre Taten,
Und als Fraß der Würmer sind sie in Vergessenheit geraten.
Wo sind jetzt die Heeresscharen, die nicht Schutz noch Nutzen schafften?
Wo sind ihre Schätze, die sie häuften und zusammenraffien?
Sie ereilte das Verhängnis von dem Herrn des Thrones her;
Und da schützten und da halfen keine Erdengüter mehr!

Als der Emir Mûsa das hörte, schrie er laut auf, und die Tränen rannen ihm über die Wangen, und er rief: ,Bei Allah, die Weltentsagung ist doch das, von dem man das höchste Heil erwarten muß, sie ist der Weisheit letzter Schluß!' Dann ließ er sich Tintenkapsel und ein Blatt bringen und schrieb nieder, was auf der ersten Tafel stand. Darauf trat er an die zweite



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Tafel heran und fand auf ihr diese Worte eingemeißelt: ,O Sohn Adams, wie konntest du dich täuschen über das, was von Ewigkeit ist? Wie konntest du vergessen, daß dir das Ende nahen kann zu jeder Frist? Wisse doch, die Welt ist ein Haus der Vergänglichkeit, und keiner findet in ihr eine Stätte der Beständigkeit. Und dennoch schaust du auf sie und hängst dich an sie! Wo sind die Könige, die einst Babylon erbauten und herrschend in die weite Welt hinaus schauten? Wo sind sie, die da wohnten in Isfahan und im Lande Chorasân? Die Stimme des Todesboten rief sie, und sie gehorchten ihr; der Herold der Vernichtung forderte sie, und sie antworteten ihm: Hier sind wir! Da konnte alles, was sie erbaut und hoch aufgerichtet hatten, nichts nützen; und was sie gesammelt und aufgespeichert hatten, vermochte sie nicht zu schützen.' Und am Fuße der Tafel standen diese Verse geschrieben:

Wo sind sie, deren Kraft dies alles hier erbaut
Mit hohen Söllern, wie kein Mensch sie je erschaut?
Sie scharten Heere um sich, mit besorgtem Sinn,
Durch Gottes Rat zufallen - und sie sanken hin!
Wo sind der Perser Herrscher in der Burgen Wehr?
Ihr Land verließen sie - es kennet sie nicht mehr!

Wiederum weinte der Emir Mûsa, und er rief: ,Bei Allah, wir sind zu Großem erschaffen!"Dann schrieb er die Inschrift auf und trat zu der dritten Tafel. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 573. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Emir Mûsa zur dritten Tafel trat; und auf ihr fand er die Worte: ,O Sohn Adams, die Liebe zur Welt hast du gern; doch du vergissest



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das Gebot deines Herrn! Ein jeder Tag deines Lebens geht dahin; doch du bist es zufrieden und freust dich in deinem Sinn. Rüste deine Zehrung für den Jüngsten Tag, und bedenke, was deine Antwort vor dem Herrn der Menschen sein mag!' Und am Fuße der Tafel standen diese Verse geschrieben:

Wo sind sie, die in allen Ländern herrschten.
In Sind und Hind, die stolze Herrenschar?
Die Sendsch und Habesch ihrem Willen fügten
Und Nubien, als es rebellisch war?
Erwarte von dem Grabe keine Kunde:
Von dort wird keine Kenntnis dir zuteil.
Im Zeitenumschwung traf sie das Verhängnis:
Aus Schlössern, die sie bauten, kam kein Heil!

Darüber weinte der Emir Mûsa bitterlich; dann trat er zu der vierten Tafel und sah auf ihr diese Inschrift: .O Sohn Adams, wie lange noch soll dein Herr Geduld mit dir haben, während du dich an jedem Tage in das Meer deines Leichtsinns versenkst? Ist dir etwa offenbart worden, daß du nicht zu sterben brauchst? O Sohn Adams, laß dich nicht betören durch das trügerische Spiel deiner Tage, Nächte und Stunden. Wisse, der Tod lauert dir auf und ist bereit, dir auf die Schulter zu springen! Es vergeht kein Tag, ohne daß er dich am Morgen begrüßt oder dir am Abend winkt. Hüte dich vor seinem Überfall und bereite dich darauf vor! Dir ergeht es wie mir; du vergeudest deine ganze Lebenszeit und verschwendest deiner Stunden Fröhlichkeit. Höre auf die Worte mein und vertrau dem Herrn der Herren allein! Denn die Welt hat keinen Bestand; sie ist dem Spinnengewebe verwandt.' Und am Fußende der Tafel fand er diese Verse geschrieben:

Wo ist der Mann, der diese Türme schuf und baute
Und sie, so fest gefügt, gen Himmel ragen ließ?
Wo ist das Volk der Burgen, das hier wohnte?



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Sie zogen alle fort, als Gott sie gehen hieß.
Sie ruhen in den Gräbern, Pfänder bis zum Tage,
Der alles, was verborgen ist, zum Lichte führt.
Und außer dem erhabnen Gott ist nichts von Dauer:
Er ist es, dem die Ehre immerdar gebührt.

Von neuem begann der Emir Mûsa zu weinen, und er schrieb sich alle jene Worte auf.' [Dann trat er zur fünften Tafel hin, und auf ihr stand geschrieben: ,O Sohn Adams, was ist es, das dich fernhält vom Gehorsam gegen deinen Schöpfer und Erschaffer, der dir in deiner Kindheit die Nahrung brachte und dich zum Manne heranreifen machtet Du lohnst Seine Güte mit Undank, während Er in seiner Huld auf dich blickt und dir in Seiner Gnade Schutz und Hilfe schickt. Wahrlich. dir ist eine Stunde bestimmt, bitterer als der Aloe Blut und heißer als der Kohlen Glut. Drum rüste dich für sie: denn wer versüßt dir ihre Bitterkeit, wer ist die Glut ihrer Kohlen zu löschen bereit? Denke an die Völker und Geschlechter, die vor dir waren, und nimm dir ein Beispiel an ihnen, ehe du untergehst.' Ferner waren auf ihr diese Verse eingemeißelt:

Wo sind die Fürsten dieser Welt? Sie gingen hin;
Du siehst sie hier mit allen ihren Schätzen liegen.
Als sie einst ritten, sahst du Scharen um sie her:
Die füllten alle Welt, wenn sie zu Rosse stiegen.
Wie manchen Fürst bezwangen sie zu ihrer Zeit!
Wie manches Heer ward einst durch sie besiegt, vernichtet!
Jetzt hat der Spruch des Herrn des Thrones sie ereilt;
Sie sind nach allem Glück mit Schmach zugrund gerichtet.

Diese Worte gingen dem Emir Mûsa zu Herzen, und er schrieb sie sich auf. Dann trat er zu der sechsten Tafel; und auf ihr stand geschrieben: ,O Sohn Adams, glaube nicht, daß die Sicherheit dich ewig beglückt; denn schon ist dir das Siegel des



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Todes aufs Haupt gedrückt. Wo sind deine Eltern? Wo sind deine Brüder geblieben? Wo deine Freunde und deine Lieben? In den Staub der Gräber fuhren die Leiber aller jener Lebenden, und ihre Seelen traten vor den Hochherrlichen, den Allvergebenden, als hätten sie nie getrunken noch gegessen, und sie sind ein Pfand der Taten, deren sie sich vermessen. Drum bedenke, wie es um dich selber steht, ehe dein Leib zur Grube geht!' Und ferner standen dort diese Verse:

Wo sind all die Herrscher. die Herrscher der Franken?
Wo sind sie, die einstens in Tanger gewohnt?
Nun stehn ihre Taten im Buche geschrieben
Als Zeugnis dem Einen, der wacht und belohnt!

Der Emir war auch darüber verwundert und schrieb sich die Worte auf, indem er sprach: ,Es gibt keinen Gott außer Allah! Wie schön war der Glaube dieser Menschen!' Dann traten sie zu der siebenten Tafel, und auf ihr stand geschrieben: ,Preis sei Ihm, der allen Seinen Geschöpfen den Tod bestimmt hat, der da lebt und nimmer stirbt! O Sohn Adams, laß dich nicht täuschen durch deine Tage mit ihren Lustbarkeiten, noch durch deine Stunden und all deine frohen Zeiten! Wisse, der Tod wird dich bald packen, ja, er sitzt dir schon im Nacken. Drum sei vor seinem Ansturm auf der Hut, und rüste dich gegen seinen Angriff gut! Dir ergeht es wie mir. Du vergeudest die Freude deiner Lebenszeit und all deiner Stunden Fröhlichkeit. Höre auf die Worte mein und vertrau dem Herrn der Herren allein! Wisse, daß die Welt nicht dauernd besteht, sondern wie ein Spinnengewebe zerweht, und daß ein jeder in ihr stirbt und vergeht. Wo ist der Mann, der Âmid' begründete und bauen ließ, der Farikîn' errichtete und hoch in die Lüfte ragen ließ? Wo ist das Volk der Burgen? Nachdem sie dort gewohnt hats.



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teil, wurden sie in die Gruft gebracht; sie wurden ein Raub des Todes nach all ihrer Pracht. So müssen auch wir einst heimgesucht werden; denn niemand besteht hier auf Erden, außer allein Allah der Erhabene, und Er ist der vergebende Gott!'

Über all das staunte der Emir Mûsa; und nachdem er sich auch diese Worte aufgeschrieben hatte, ] stieg er von dem Berge hinab, indem ihm die ganze Welt vor Augen stand. Und als er zu seiner Schar zurückgekehrt war, blieben sie noch jenen Tag über dort und sannen auf ein Mittel, in die Stadt einzudringen. Der Emir Mûsa sprach zu seinem Wesir Tâlib ihn Sahl und zu seinen Vertrauten, die bei ihm waren: ,Was für ein Mittel gibt es denn, um in die Stadt hineinzugelangen und ihre Wunder zu schauen? Vielleicht können wir in ihr etwas finden, durch das wir die Gunst des Beherrschers der Gläubigen gewinnen!' Da hub Tâlib ibn Sahl an: ,Allah gebe dem Emir dauerndes Glück! Wir wollen eine Leiter machen und auf ihr hinaufsteigen; so werden wir vielleicht von innen zum Tore gelangen.' ,Das ist auch mir gerade in den Sinn gekommen,' erwiderte der Emir, ,das ist der beste Plan.' Dann berief er die Zimmerleute und die Schmiede und befahl, sie sollten Hölzer zurechtschneiden und daraus eine Leiter bauen und sie mit Eisenplatten beschlagen. Die Leute machten sich sofort ans Werk und schufen eine feste Leiter; einen vollen Monat arbeiteten sie daran, und es waren ihrer viele. Als man sie dann aufrichtete und an die Mauer lehnte, reichte sie genau bis zur Höhe, als ob sie schon längst dafür gebaut wäre. Da rief der Emir Mûsa erstaunt aus: ,Allah gesegne es euch! Es ist, als hättet ihr das Maß der Mauer genommen, so vortrefffich ist euer Werk! Dann fragte er seine Leute: ,Wer von euch will diese Leiter erklimmen und auf die Mauer steigen und dann auf ihr entlang gehen und es fertig bringen, in die Stadt hinunterzuklettern,



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um zu schauen, wie es in ihr aussieht? Danach möge er uns auch kundtun, wie das Tor geöffnet werden kann!' Da hub einer von ihnen an: ,Ich will hinaufsteigen, o Emir, und dann hinunterklettern und das Tor öffnen.' ,Steig hinauf,' erwiderte der Emir, ,und Allahs Segen sei mit dir!' Nun erklomm der Mann die Leiter, bis er ganz oben war; dann richtete er sich auf, blickte starr auf die Stadt, klatschte indie Hände und rief, so laut er rufen konnte: ,Du bist schön!' Und er warf sich in die Stadt hinein; da ward er mit Haut und Knochen völlig zermalmt. Der Emir Mûsa aber sprach: ,Wenn ein Vernünftiger so handelt, was wird dann erst ein Irrer tun? Wenn alle unsere Gefährten das gleiche tun, so bleibt keiner von ihnen übrig; und dann können wir unsere Absicht und den Auftrag des Beherrschers der Gläubigen nicht ausführen. Rüstet euch zum Aufbruch! Wir haben mit dieser Stadt nichts mehr zu schaffen.' Doch einer von den Leuten sagte: ,Vielleicht steht ein anderer fester als jener.' Darauf stieg ein zweiter hinauf, sodann ein dritter, ein vierter und ein fünfter, und immer mehr Männer erklommen die Mauer auf jener Leiter, einer nach dem andern, bis zwölf von ihnen umgekommen waren; denn alle taten ebenso, wie der erste getan hatte. Da rief der Scheich 'Abd es-Samad: ,Nur ich allein kann dies vollbringen; denn der Erfahrene ist nicht wie der Unerfahrene!' Aber der Emir entgegnete ihm: ,Tu das nicht! Ich lasse dich nicht auf diese Mauer hinaufklettern! Denn wenn du umkommst, so sind wir alle des Todes. Dann bleibt keiner von uns am Leben; du bist ja des Volkes Führer.' Dennoch fuhr der Alte fort: ,Vielleicht wird es mit dem Willen Allahs des Erhabenen durch meine Hand vollbracht.' Und alle waren einverstanden, daß er hinaufsteigen solle. Da richtete der Scheich 'Abd es-Samad sich auf, faßte sich ein Herz und sprach: ,Im Namen Allahs,



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des barmherzigen Erbarmers!' Dann erklomm er die Leiter, indem er unablässig den Namen Allahs des Erhabenen anrief und die Verse der Rettung' betete, bis daß er oben auf der Mauer ankam. Dort klatschte er in die Hände und blickte starr vor sich hin. Aber alles Volk rief laut: ,O Scheich 'Abd es-Samad, tu es nicht! Wirf dich nicht hinab!' Und sie fügten hinzu: ,Wahrlich, wir sind Allahs Geschöpfe, und zu ihm kehren wir zurück. Wenn der Scheich 'Abd es-Samad fällt, so sind wir alle des Todes!' Er aber begann zu lachen und lachte immer lauter, und er saß eine lange Weile da, indem er den Namen Allahs des Erhabenen anrief und die Verse der Rettung sprach. Danach erhob er sich wieder und rief, so laut er vermochte: .O Emir Mûsa, euch wird kein Leid widerfahren. Allah, der Allgewaltige und Glorreiche, hat die List und die Tücke Satans von mir abgewandt durch den Segen der Worte: Im Namen Allahs, des barmherzigen Erbarmers!' Da fragte der Emir: ,Was hast du denn gesehen, o Scheiche' Und jener antwortete: ,Als ich auf der Mauer stand, sah ich zehn Jungfrauen, wie Monde anzuschauen, und die riefen mir zu!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 574. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Scheich 'Abd es-Samad antwortete: ,Als ich oben auf der Mauer stand, sah ich zehn Jungfrauen, wie Monde anzuschauen, die winkten mir mit den Händen zu. ich solle zu ihnen herabkommen. und es kam mir so vor, als ob unter mir ein See voll Wasser wäre. Schon wollte ich mich hinabwerfen, wie unsere Gefährten es getan haben, aber da sah ich sie tot am Boden liegen. So hielt ich mich denn zurück und sprach etwas aus dem Buche Allahs



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des Erhabenen; und Er wandte ihren Trug von mir ab, so daß sie vor meinen Augen verschwanden. So kam es, daß ich mich nicht hinunterwarf, da Allah ihren Trug und Zauber von mir abgewandt hatte. Sicherlich ist das ein tückischer Zauber, den die Leute der Stadt ersonnen haben, um jeden, der sie anschauen will oder in sie einzudringen wünscht, von ihr fernzuhalten. Darum liegen dort auch unsere Gefährten tot am Boden.' Dann ging er auf der Mauer weiter, bis er zu den beiden Messingtürmen kam. Dort sah er zwei Tore aus Gold, die aber keine Schlösser hatten noch sonst ein Zeichen. daß man sie öffnen konnte. Nun blieb der Scheich eine Weile stehen. solange es Allah gefiel, und schaute umher, bis er plötzlich mitten auf einem der Tore das Bild eines Reiters aus Messing erblickte, der die eine Hand ausstreckte, als ob er mit ihr ein Zeichen gäbe; und auf der Handfläche standen Worte geschrieben. Die las der Scheich 'Abd es-Samad, und sie lauteten: ,Reibe den Nagel, der auf dem Nabel des Reiters ist, zwölfmal; dann wird das Tor sich auftun.' Darauf betrachtete er den Reiter genau und entdeckte auf seinem Nabel einen festen und starken Nagel, der gut eingesetzt war. Kaum hatte er ihn zwölfmal gerieben, da sprang auch schon die Tür mit donnergleichem Getöse auf. Durch sie trat der Scheich 'Abd es-Samad ein, er, der ein erfahrener Mann war und alle Sprachen und Schriften kannte; und er schritt dahin, bis er in einen langen Gang kam, von dem aus er auf mehreren Stufen nach unten stieg. Da befand er sich in einem Raum mit schönen Bänken; auf diesen Bänken saßen tote Männer, und über ihren Häuptern hingen prächtige Schilde, scharfe Schwerter und gespannte Bogen mit den Pfeilen auf den Sehnen. Hinter dem Stadttor aber befanden sich eine Eisenstange, große Riegel aus Holz, kunstvolle Schlösser und andere feste Sicherungen. Nun sagte sich der Scheich 'Abd es-Samad:



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,Vielleicht sind die Schlüssel bei jenen Toten'; und er schaute bei ihnen nach. Unter ihnen erblickte er einen Alten. dem man es ansah, daß er der Älteste von ihnen war; der saß auf einer hohen Bank mitten zwischen den toten Männern. Da sagte sich Scheich 'Abd es-Samad wiederum: ,Wer weiß, ob nicht die Schlüssel dieser Stadt bei diesem Alten sind; wahrscheinlich ist er doch der Stadtpförtner, und die anderen sind seine Untergebenen!' Er trat also näher und hob das Gewand jenes Mannes hoch; und siehe da, die Schlüssel hingen an seinem Gürtel. Als der Scheich 'Abd es-Samad das sah, ward er von so großer Freude erfüllt, daß er fast wie von Sinnen war. Darauf nahm er die Schlüssel, trat an das Tor heran, öffnete die Schlösser und konnte die Riegel und Stangen zurückziehen. Da sprang auch schon das Tor mit Donnergetöse auf; denn es war groß und furchtbar, und alles an ihm war gewaltig. ,Allah ist der Größte!' rief der Scheich, und ,Allah ist der Größte!' riefen die Leute draußen. Alle freuten sich unendlich; und auch der Emir war hocherfreut, daß der Scheich 'Abd es-Samad gerettet war und das Stadttor geöffnet hatte. Die Leute dankten ihm für seine Tat und drängten nun vorwärts, um durch das Tor hineinzukommen. Aber der Emir Mûsa rief ihnen zu: ,Ihr Leute, wenn wir alle auf einmal eindringen, so sind wir nicht sicher davor, daß uns ein Unheil zustößt. Nein. nur die Hälfte soll hineingehen, und die andere Hälfte soll zurückbleiben!' Darauf trat er mit der Hälfte seiner Leute. die alle kriegsmäßig bewaffnet waren, durch das Tor ein. Und als sie da drinnen ihre toten Gefährten erblickten, begruben sie die Leichname. Dann sahen sie auch die Türhüter, Diener. Kammerherren und Hauptleute, die dort, allesamt tot, auf seidenen Pfählen lagen. Weiter gingen sie in die Marktstraßen der Stadt hinein und kamen zu einem großen Marktplatze mit lauter



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hohen Gebäuden, von denen keines die anderen überragte; die Läden standen offen, die Wagen hingen da, die Messinggeräte waren aufgereiht, und die Speicher waren voll von Waren aller Art. Sie sahen auch die Kaufleute; aber die saßen tot in ihren Läden, ihre Haut war eingeschrumpft, und ihre Gebeine waren von Würmern zerfressen; sie waren eine Warnung für die, so sich warnen lassen. Auch sahen sie vier getrennte Marktplätze, deren Läden mit allerlei Gut angefüllt waren; aber sie verließen sie und begaben sich zum Seidenmarkt, und dort fanden sie Stoffe aus Seide und Brokat. die mit rotem Gold und weißem Silber auf vielfarbigem Grunde durchwirkt waren; doch die Besitzer waren tot und lagen auf Matten aus rotem Ziegenleder und sahen aus, als wollten sie sprechen. Von dort gingen sie zum Basar der Edelsteine und Perlen und Rubinen; und weiter schritten sie zu der Straße der Geldwechsler, und die sahen sie tot auf ihren Decken aus Seide und Halbseide liegen, und ihre Läden waren voll von Gold und von Silber. Nachdem sie auch die hinter sich gelassen hatten, kamen sie zum Basar der Spezereienhändler, und deren Läden waren angefüllt mit allerlei Arten von Spezereien; da waren Moschusblasen, Ambra, Aloeholz, Nadd, Kampfer und ähnliche Dinge. Aber die Händler waren alle tot; auch war keinerlei Zehrung bei ihnen. Und wie sie dann aus diesem Basar herauskamen, fanden sie sich in der Nähe eines Schlosses; das war mit allerlei Schmuck verziert und hoch und fest gebaut. Sie traten hinein, und dort fanden sie entrollte Banner, gezückte Schwerter und gespannte Bogen, ferner Schilde, die an goldenen und silbernen Ketten hingen, und Helme, die mit rotem Golde überzogen waren. In den Hallen standen Bänke aus Elfenbein, mit gleißendem Golde beschlagen und mit seidenen Decken bei.



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legt. Und auf ihnen lagen Männer, denen die Haut auf den Knochen eingeschrumpft war und die ein Tor für schlafende Leute gehalten hätte; aber sie waren aus Mangel an Nahrung umgekommen und hatten den Tod kosten müssen. Da blieb der Emir Mûsa stehen, und er pries und heiligte Allah den Erhabenen und betrachtete die Schönheit jenes Schlosses, das so fest gebaut, so wunderbar in schönster Gestalt hergerichtet und so vollkommen aus geführt war; der größte Teil seines Schmuckes bestand aus grünem Lasur, und ein Schriftband enthielt diese Verse:

Betrachte dir, o Mann, was du hier vor dir siehst.
Und sei auf deiner Hut, eh du von hinnen ziehst!
Und rüste dir von Gutem Zehrung für die Fahrt;
Denn keinem Hausbewohner bleibt der Weg erspart.
Sieh, hier hat sich ein Volk sein Heim so schön geschmückt -
Als seiner Werke Pfand ward es zum Staub entrückt
Sie bauten, doch ihr Baun half nichts; sie häuften auf,
Ihr Gut beschützte sie nicht vor des Schicksals Lauf!
Wieviel erhofften sie, das nicht erfüllet ward! Sie fuhre,, hin ins Grab; die Hoffnung war genarrt.
Vom höchsten Ruhmesgipfel stürzten sie hinab -
O welch ein schlimmer Sturz! ins grause, enge Grab.
Ein Rufer kam und rief in ihre Grabesnacht:
Wo sind die Throne jetzt, die Kronen, all die Pracht?
Wo ist der schönen Frauen zart gehegte Schar,
Die hinter dichten Schleiern einst verborgen war?
Zum Frager sprach das Grab von jenen, die verblichen:
Aus allen Wangen sind die Rosen längst gewichen!
Sie haben lange Zeit getrunken und gegessen;
Nachdem sie gut geschmaust. sind sie nun selbst gefressen.

Da weinte der Emir Mûsa, bis er fast in Ohnmacht sank. Dann aber befahl er, diese Verse aufzuschreiben, und er ging weiter in das Schloß hinein. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 575. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, daß der Emir Musa weiter in das Schloß hineinging. Dort fand er eine große Halle, auf deren vier Seiten sich hohe, geräumige Gemächer befanden, je zwei einander gegenüber; das waren weite Räume, und sie waren mit Gold und Silber und allerlei bunten Farben bemalt. In der Mitte der Halle aber befand sich ein großer Springbrunnen aus Marmor, über den ein Baldachin aus Brokat gespannt war. Und in jedem der vier Gemächer war ein Platz mit einem reichgeschmückten Springbrunnen und einem Marmorbecken, von dem das Wasser unter dem Boden des Gemaches abfloß; die vier Kanäle vereinigten sich dann in einem großen Becken, das mit vielfarbigem Marmor ausgelegt war. Da sprach der Emir Mûsa zum Scheich 'Abd es-Samad: ,Laß uns in diese Gemächer eintreten!' So traten sie denn in das erste Gemach ein und fanden darin eine Fülle von Gold und weißem Silber, von Perlen, Edelsteinen, Rubinen und anderen Kleinodien; ferner erblickten sie in ihm Truhen voll von rotem, gelbem und weißem Brokat. Darauf begaben sie sich in das zweite Gemach und öffneten in ihm eine Kammer, die mit Waffen und Kriegsgerät angefüllt war; da waren vergoldete Helme, davidische' Panzer, indische Schwerter, Lanzen arabischer Arbeit, Keulen aus Chwarizm, und vielerlei anderes Gerät für Krieg und Kampf. Und weiter schritten sie zu dem dritten Gemach; dort fanden sie Kammern, die mit Riegeln verschlossen und mit reichgestickten Vorhängen bedeckt waren. Nachdem sie eine



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der Kammern geöffnet hatten, entdeckten sie in ihr eine Fülle von Waffen, die mit vielem Gold und Silber verziert und mit Edelsteinen besetzt waren. Und als sie schließlich zu dem vierten Gemache kamen, fanden sie dort wiederum Kammern; sie öffneten eine von ihnen und erblickten in ihr eine Fülle von goldenem und silbernem Eßgeschirr und Trinkgerät; da waren kristallene Schalen, Becher, die mit Perlen von vollkommenster Reinheit besetzt waren, Kelche aus Karneol und vielerlei anderes. Dort nahmen sie an sich, was ihnen gefiel, und ein jeder von den Kriegern trug davon, soviel er nur vermochte. Als sie aber die Gemächer verließen, entdeckten sie dort mitten im Schlosse eine Tür, die war aus Teakholz gemacht, eingelegt mit Elfenbein und Ebenholz und beschlagen mit Gold von gleißender Pracht. Vor ihr hing ein seidener Vorhang, der mit allerlei Stickereien verziert war; und an ihr befanden sich Schlösser aus weißem Silber, die sich nur durch einen Kunstgriff öffnen ließen, nicht aber durch Schlüssel. Der Scheich 'Abd es-Samad trat an die Schlösser heran und öffnete sie vermöge seiner Klugheit, Entschlossenheit und Geschicklichkeit. Und nun kamen sie alle auf einen Flur, der mit Marmor gepflastert war und an dessen Wänden Decken hingen, bestickt mit allerlei Gestalten von wilden Tieren und Vögeln; deren Leiber waren aus rotem Golde und weißem Silber, ihre Augen aber bestanden aus Perlen und Rubinen, so daß jeder, der sie sah, vor Staunen sprachlos war. Darauf gelangten sie zu einer wundersamen Halle. Bei ihrem Anblick waren Emir Mûsa und Scheich 'Abd es-Samad von Staunen überwältigt. Als sie dann eintraten, fanden sie, daß die Halle aus glänzend glattem Marmor hergestellt war, in den Edelsteine eingelassen waren, so



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daß der Beschauer vermeinte, auf dem Boden sei fließendes Wasser; und wer darauf ging, glitt aus. Da befahl der Emir dem Scheich, etwas auf den Boden zu streuen, damit sie hindurchgehen könnten. Als der den Befehl ausgeführt und ihnen das Gehen möglich gemacht hatte, gelangten sie zu einem großen Pavillon, der aus vergoldeten Steinen erbaut war, so schön, wie alle die Leute in ihrem ganzen Leben noch nie etwas gesehen hatten. Und dieser Pavillon war in der Mitte überwölbt von einer großen, weiten Kuppel aus Alabaster, die ringsum reich verzierte Gitterfenster hatte, aus smaragdenen Stäbchen gearbeitet, wie sie kein König sein eigen nennen konnte. Darinnen war ein Baldachin aus Brokat über Säulen aus rotem Golde gespannt; und auf ihm waren Vögel, deren Füße aus grünem Smaragd bestanden, und unter jedem Vogel war ein Netz aus glitzernden Perlen. Der Baldachin aber befand sich über einem Springbrunnen, und neben dem Springbrunnen stand ein Lager, das mit Perlen und Edelsteinen und Rubinen besetzt war. Auf jenem Lager nun lag eine Maid, herrlich, gleich der strahlenden Sonne, so schön, wie noch nie Mensch sie gesehen hatte. Sie trug ein Gewand aus klaren Perlen, und auf ihrem Haupte lag eine Krone aus rotem Golde und ein Stirnreif aus Edelsteinen. Um ihren Hals trug sie eine Schnur aus Juwelen; auf ihrer Brust leuchtete kostbares Geschmeide, und auf ihrer Stirn waren zwei Diamanten, deren Licht so hell war wie das Licht der Sonne. Es schien aber, als blicke sie die Fremdlinge an und schaue auf sie alle nach rechts und nach links. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 576. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Emir Mûsa.



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wie er jene Maid erblickte, aufs höchste erstaunt war ob ihrer wunderbaren Schönheit und Anmut, wie sie so dalag mit ihren roten Wangen und schwarzen Haaren, so daß jeder, der sie sah, glaubte, sie sei lebendig und könne nicht tot sein. Und alle riefen ihr zu: ,Friede sei mit dir, o Maid!' Doch Tâlib ibn Sahl sprach zum Emir: ,Allah lasse es dir wohlergehen! Wisse, diese Maid ist tot; in ihr ist kein Leben mehr. Wie könnte sie da den Gruß erwidern?' Und er fügte hinzu: ,O Emir, sie ist eine Gestalt, die mit weiser Kunst hergerichtet ist. Der Leiche wurden die Augen herausgenommen, in die Höhlen ward Quecksilber gegossen, und nachdem dann die Augen wieder an ihre Stellen gesetzt worden, blinken sie wieder, und wenn etwas ihre Wimpern bewegt, so vermeint der Beschauer, daß sie mit den Augen blinzle, obwohl sie tot ist.' Da brach der Emir Mûsa in die Worte aus: ,Preis sei Allah. der die Menschen dem Tode unterworfen hat!' Nun hatte das Lager, auf dem die Maid lag, Stufen; und auf den Stufen standen zwei Sklaven, ein weißer und ein schwarzer; der eine von beiden trug eine stählerne Keule in der Hand, der andere aber ein Schwert. das mit Edelsteinen besetzt war und den Blick blendete. Und vor den beiden Sklaven lag eine goldene Tafel, auf der diese Inschrift geschrieben stand: ,Im Namen Allahs, des barmherzigen Erbarmers! Preis sei Allah, dem Erschaffer des Menschen! Er ist der Herr aller Herren der Welt und der Urgrund, der alle Dinge erhält! Im Namen Allahs, der da ewiglich bleibt! Im Namen Allahs, dessen Wille alle Schicksale treibt! O Menschenkind, was hat dich in deinem langen Hoffen genarrt? Was hat dich vergessen lassen, daß der letzte Tag deiner harrte Weißt du denn nicht, daß der Tod dich ruft zu jeglicher Frist? Daß er, um deine Seele zu holen, schon herbeigeeilt ist? Drum rüste dich, die Fahrt zu beginnen; und versieh dich mit Zehrung aus



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dieser Welt, denn du gehst gar bald von binnen! Wo ist Adam, das erste Menschenkind? Wo sind Noah und alle, die von ihm entsprossen sind? Wo sind die Perserkönige all und die Kaiser von Rom zumal? Wo sind die Könige von Irak und vom Inderland? Wo die Fürsten, die da herrschten bis zum Weltenrand? Wo sind die Amalekiter geblieben? Wo die Tyrannen, die einst ihr Wesen trieben? Sie müssen ihre Stätten meiden. von Volk und Heimat mußten sie scheiden. Wo sind die Herrscher der Perser und der Araber? Gestorben und verrottet sind sie allesamt! Wo sind die hohen Würdenträger? Auch sie sind alle gestorben! Wo sind Karûn' und Hamân?' Wo ist Schaddâd ibn 'Àd?' Wo ist Kanaan und Dhu el-Autâd?' Bei Allah. der Schnitter des Lebens hat sie entrafft; er hat sie aus ihren Häusern fortgeschafft! Haben sie sich wohl mit der Zehrung für den Tag der Auferstehung versehen? Haben sie sich gerüstet, dem Herrn der Menschen dann Rede zu stehen? O du, wenn du mich nicht kennst, so will ich dir meinen Namen und meine Herkunft nennen: ich bin Tadmura, die Tochter' der Amalekiter, jener Könige, die in Gerechtigkeit über die Länder herrschten. Ich habe besessen, was nie einer der Könige sein eigen nannte. Ich entschied nach dem Rechte jeden Streit; ich herrschte über die Untertanen in Gerechtigkeit. Ich teilte Gai.



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ben und Geschenke aus, lange Zeit verbrachte ich in frohem und schönem Leben; den Sklavinnen und Sklaven pflegte ich die Freiheit zugeben. Da plötzlich pochte der Tod an die Türe mein; und das Verderben kehrte bei mir ein. Und dies geschah also: Siebenjahre nacheinander fiel kein Regen vom Himmel auf uns herab, und kein Kraut sproßte auf dem Angesichte der Erde. Wir aßen, was wir an Nahrung bei uns hatten; dann aber machten wir uns über unser Vieh her und verzehrten es, bis nichts mehr übrig war. Da ließ ich meine Schätze vor mich bringen und mit Maßen messen, und dann schickte ich zuverlässige Männer mit ihnen fort. Die zogen umher in allen Landen; und sie durchforschten jede Stadt, die sie fanden. Sie suchten nach Nahrung, aber sie entdeckten keine; darauf kehrten sie heim zu uns mit den Schätzen, nachdem sie lange in der Fremde gewesen waren. Nun holten wir unser Geld und unsere Reichtümer hervor; und wir verriegelten in den Burgen unserer Stadt jedes Tor. Wir ergaben uns in unseres Herren Gebot und empfahlen unserem Gebieter unsere Not. Wir starben allesamt und liegen nun tot vor deinem Blick; alles, was wir erbaut und aufgespeichert hatten, ließen wir zurück. So ist es mit uns geschehen; und von dem Wesen ist nur noch die Spur zu sehen.'

Dann blickten sie auf das Fußende der Tafel und fanden dort diese Verse geschrieben:

O Menschenkind, laß nicht die Hoffnung deiner spotten;
Was deine Hände rafften, lässest du zurück.
Ich seh dich an der Welt und ihrem Tande hangen;
Die Alten auch vor dir erstrebten solches Glück.
Zu Recht und auch zu Unrecht häuften sie die Schätze;
Die hemmten nicht das Schicksal, als die Stunde schlug.
Sie führten Heeresmassen, die sie um sich scharten,
Bis sie von Gut und Haus der Tod von dannen trug.



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In Grabesenge sind sie nun auf Staub gebettet;
Dort ruhen sie als Pfand für das, was sie getan,
Der Karawane gleich, die ihre Lasten ablud
In dunkler Nacht beim Haus, dem keine Gäste nahn;
Da sprach der Wirt: Ihr Leute, hier ist keine Stätte
Für euch! Sie luden auf, nachdem sie kaum geruht;
Ein jeder war voll Furcht und ganz erfüllt von Grausen,
Kein Aufbruch, keine Einkehr deuchte ihnen gut.
Drum rüste gute Zehrung, die dich morgen freut;
Und nur der Furcht des Herren sei dein Tun geweiht!

Der Emir Mûsa weinte bitterlich, als er diese Worte vernahm. Und weiter hieß es dort: ,Bei Allah, die Gottesfurcht ist das Rechte und von allen Dingen das Beste; sie ist der Pfeiler, der feste. Der Tod aber ist das offenkundig Wahre; er ist die Verheißung, die klare. Er bedeutet die Rückkehr und das letzte Ziel, o du Menschenkind; so nimm dir ein Beispiel an denen, die vor dir in den Staub gesunken sind! Sie sind längst den Weg ins Jenseits gezogen. Siehst du nicht, wie das graue Haar dich an das Grab gemahnt, und wie die Weiße deiner Locken klagt, weil sie dein Ende ahnt? Drum wache und sei bereit zur Fahrt und zur Rechenschaft! O Menschenkind, was hat dein Herz zur Härte bewogent Und was hat dich um deinen Herrn betrogen? Wo sind die Völker der alten Zeiten, die da eine Lehre sind für alle, die sich warnen lassen? Wo sind die Könige von China nun, ein Volk von Kraft und gewaltigem Tun? Wo ist 'Âd ibn Schaddâd, und was er schuf und baute? Wo ist Nimrod, der sich empörte und auf seine Macht vertraute? Wo ist Pharao, der verstockte, ungläubige Mann? An alle trat alsbald der Sieger Tod heran! Er verschonte weder groß noch klein, weder Mann noch Weib. Der Schnitter des Lebens hat sie hinweggerafft, so wahr Er lebt, der die Nacht nach dem Tage erschafft! Höre, o du, der du an diese Stätte kommst und uns



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hier siehst, laß dich nicht betören von dieser Welt und ihren nichtigen Dingen; denn sie ist treulos und betrügerisch, ein Haus des Verderbens und lügnerisch! Heil dem Menschen, der an seine Sünden denkt und den die Gottesfurcht lenkt, der gut gehandelt hat und sich mit Zehrung versehen für den Tag, an dem alle auferstehen! Wer in diese unsere Stadt kommt und sie mit Allahs Hilfe betritt, der möge von den Schätzen nehmen, soviel er vermag. Er rühre aber nichts von dem an, was sich auf meinem Leibe befindet! Denn es ist die Hülle für meine Blöße und die Rüstung für meine letzte Reise. Drum fürchte er Allah und nehme nichts davon, auf daß er sich nicht ins Verderben stürze! Dies habe ich zu einer Mahnung für ihn gemacht und ihm als Vermächtnis dargebracht. Und nun, lebt wohl allzumal! Ich bete zu Allah, das Er euch behüte vor Krankheit und aller Qual.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 577 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Emir Mûsa, als er diese Worte vernahm, von neuem bitterlich weinte, bis er in Ohnmacht sank. Als er dann wieder zu sich kam, schrieb er alles nieder, was er gesehen hatte, und er ließ sich das, was er geschaut hatte, zur Warnung dienen. Dann sprach er zu seinen Leuten: ,Holt die Doppelsäcke und füllt sie mit diesen Schätzen, all diesen Geräten, Kostbarkeiten und Edelsteinen!' Tâlib ibn Sahl aber hub an und sprach zu ihm: ,O Emir, sollen wir diese Maid so liegen lassen mit allem, was sie an sich hat? Das sind doch Dinge, die nicht ihresgleichen haben und wie sie nicht zum zweiten Male gefunden werden. Das ist das Beste von allem, was du an Schätzen mitnehmen kannst, und das schönste Geschenk, um die Gunst des Beherrschers der Gläubigen



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zu gewinnen.' Doch der Emir erwiderte: ,Du Mann, hast du nicht gehört, wozu die Maid auf dieser Tafel mahnt? Sie hat es uns doch als Vermächtnis geweiht, und wir gehören nicht zum Volke der Treulosigkeit!' ,Sollen wir denn', so fuhr der Wesir Tâlib fort, ,wegen der Worte da all diese Schätze und Kleinodien hier liegen lassen, wo sie doch tot ist? Was soll sie nur damit anfangen? Es ist doch ein Schmuck für diese Welt und Zierat, der den Lebenden gefällt. Ein baumwollen Laken genügt dieser Maid als Hülle; wir haben mehr Recht auf die Schätze als sie.' Mit diesen Worten trat er an die Treppe heran und stieg die Stufen hinauf, bis er zwischen den beiden Säulen stand; als er aber zwischen die beiden Hüter trat, schlug ihm der eine von beiden auf den Rücken, während der andere mit dem Schwerte, das er in der Hand hielt, auf ihn einhieb und ihm den Kopf herunterholte. Da sank der Wesir tot zu Boden. Der Emir Mûsa aber rief: ,Allah gewähre dir keine Ruhestätte! Wahrlich, es war doch an diesen Schätzen genug; aber die Habgier bringt den Menschen immer in Schande.' Dann befahl er, die Truppen sollten hereinkommen; und als sie gekommen waren, beluden sie die Kamele mit jenen Schätzen und Kostbarkeiten. Darauf gebot er, die Tore zu schließen wie zuvor. Und nun zogen sie alle an der Meeresküste hin, bis sie einen hohen Berg in Sicht bekamen, der das Meer überragte und in dem viele Höhlen waren; dort hauste ein Volk von Schwarzen, die trugen Lederkleider und hatten auf ihren Köpfen Burnusse aus Leder und redeten eine unbekannte Sprache. Als sie die Truppen erblickten, erschraken sie vor ihnen und flüchteten in jene Höhlen; nur ihre Weiber und Kinder blieben an den Höhlentüren stehen. Da fragte der Emir Mûsa: ,Scheich 'Abd es-Samad, was sind das für Leute?' Jener antwortete: ,Sie sind es, die der Beherrscher der Gläubigen sucht!' Nun saßen sie ab,



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schlugen die Zelte auf und luden alle Lasten ab; aber sie waren noch kaum damit fertig, als schon der König der Schwarzen von dem Berge herunterkam und sich dem Lager näherte. Der verstand die arabische Sprache, und so sprach er, als er zum Emir Mûsa kam, den Friedensgruß; und jener erwiderte seinen Gruß und empfing ihn ehrenvoll. Darauf sprach der König der Schwarzen zum Emir: ,Seid ihr Menschen oder Geisterwesen?' ,Wir sind Menschen,' antwortete der Emir, ,aber ihr seid doch sicherlich Geisterwesen, sintemalen ihr so fern von aller Welt auf diesem einsamen Berge wohnt und solche Riesen leiber habt!' ,Nein,' sagte darauf der schwarze König, ,wir sind ein menschlich Volk vom Stamme Harns, des Sohnes Noahs - Heil sei über ihm! —; dies Meer aber ist bekannt unter dem Namen Karkar."Weiter fragte der Emir: ,Woher habt ihr Kenntnisse? Es ist doch noch kein Prophet zu euch gekommen, der in einem Lande wie dem eurigen Offenbarungen erhalten hätte!' ,Wisse, o Emir,' gab der König zur Antwort, ,auf diesem Meere pflegte uns eine Gestalt zu erscheinen, von der ein Licht ausging, das die ganze Welt erfüllte, und sie rief mit einer Stimme, die der Nahe und der Ferne vernehmen konnte: ,O ihr Kinder Harns, fürchtet Den, der da sieht und nicht gesehen wird! Sprechet: Es gibt keinen Gott außer Allah; Mohammed ist der Prophet Allahs! Und ich bin Abu el-'Abbâsel-Chidr!" Früher pflegten wir einander anzubeten; aber er berief uns zur Verehrung des Herrn der Menschen.' Dann fügte er noch hinzu: ,Jener hat uns auch Worte gelehrt, die wir sprechen.' Und als der Emir Mûsa fragte: ,Was für Worte sind das?' erwiderte er: ,Es sind diese: ,Es gibt keinen Gott außer Allah allein; Er hat keinen Genossen, Sein ist das Reich, und Sein ist der Preis, Er gibt Leben und Tod, und Er ist über alle



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Dinge mächtig!' Nur mit diesen Worten nahen wir uns Allah, dem Allgewaltigen und Glorreichen; denn wir kennen keine anderen. Und an jedem Abend zum Freitag schauen wir ein Licht über der Erde und hören eine Stimme, die da ruft: ,Hehr und heilig ist der Herr der Engel und des Geistes! Was Allah will, das geschieht; und was Er nicht will, geschieht nicht. Alles Gute ist eine Gnade von Allah; und es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Nun sagte der Emir Mûsa zu ihm: ,Wir sind Boten des Königs der Muslime 'Abd el-Malik ibn Marwân. Wir sind wegen der Messingflaschen gekommen, die bei euch in eurem Meere liegen, in die seit der Zeit Salomos, des Sohnes Davids -über beiden sei Heil! —, die Satane eingesperrt sind. Unser Gebieter befahl uns, wir sollten ihm einige Flaschen bringen, damit er sie sähe und seine Freude daran hätte.' ,Das soll gern geschehen', erwiderte ihm der König der Schwarzen; dann bewirtete er die Fremden mit Fleisch von Fischen und befahl den Tauchern, einige salomonische Flaschen aus dem Meere zu holen. Die brachten zwölf Flaschen herauf; und nun waren der Emir Mûsa und der Scheich 'Abd es-Samad und alle ihre Begleiter erfreut, weil der Wunsch des Beherrschers der Gläubigen erfüllt war. Darauf gab der Emir dem schwarzen König viele Geschenke und reiche Gaben; und ebenso machte dieser dem Emir Geschenke, das waren wunderbare Geschöpfe des Meeres in Menschengestalt. Dabei sagte er: ,Wir haben euch in diesen drei Tagen mit dem Fleische dieser Fische bewirtet.' Der Emir Mûsa aber sagte: ,Wir müssen unbedingt einige davon mit uns nehmen, damit der Beherrscher der Gläubigen sie sieht; er wird sich daran noch mehr ergötzen als an den salomonischen Flaschen.' Dann nahmen sie Abschied von jenem König und zogen weiter, bis sie wieder nach Damaskus



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kamen. Dort begaben sie sich zum Beherrscher der Gläubigen 'Abd el-Malik ibn Marwân, und nun berichtete der Emir Mûsa ihm alles, was er gesehen hatte, und die Verse und Erzählungen und Ermahnungen, die er gelesen hatte; auch erzählte er ihm von dem Schicksale des Tâlib ibn Sahl. Da sagte der Kalif: ,Ich wollte, ich wäre bei euch gewesen und hätte gesehen, was ihr gesehen habt!' Darauf nahm er die Flaschen und öffnete sie, eine nach der andern. Und die Satane kamen heraus und riefen: ,Wir bereuen, o Prophet Allahs! Wir wollen nie mehr dergleichen tun!' Darüber war der König 'Abd el-Malik ibn Marwân erstaunt. Was aber die Meerestöchter betrifft, die der König der Schwarzen ihnen geschenkt hatte, so baute man Behälter für sie aus Brettern, füllte die mit Wasser und legte die Wunder fische hinein; aber sie starben wegen der großen Hitze. Dann ließ der Beherrscher der Gläubigen die Schätze bringen und verteilte sie unter die Muslime. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 578. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif 'Abd el-Malik ibn Marwân. als er die Flaschen sah und was darinnen war, gewaltig erstaunte, und dann befahl, die Schätze zu bringen, und sie unter die Muslime verteilte. Dabei sagte er: ,Allah hat doch keinem Menschen so viel verliehen, wie er Salomo. dem Sohne Davids, gewährt hat!' Der Emir Mûsa aber bat den Beherrscher der Gläubigen, an seiner Statt seinen Sohn zum Statthalter in seiner Provinz zu ernennen. auf daß er selber zur heiligen Stadt Jerusalem wallfahren könne, um dort Allah anzubeten. Da machte der Kalif den Sohn Mûsas zum Statthalter. während Mûsa selber sich zur heiligen Stadt Jerusalem begab. Und dort starb er auch. —Und nun ist die Geschichte von der



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Messingstadt zu Ende; dies ist alles, was uns von ihr überliefert ist. Doch Allah weiß es am besten! —

Ferner sind mir berichtet worden


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