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Gustav Schwab -

Sagen des Klassischen Alterthums



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König Ödipus zeigt sich seinem Volke


Herakles bei Admetos

Zu Pherä in Thessalien lebte der edle König Admetos mit seiner jungen und schönen Gemahlin Alkestis, die ihren Gatten über alles liebte, von blühenden Kindern umringt, von glücklichen Untertanen geliebt. In früherer Zeit, als Apollon, der die Kyklopen getötet hatte, aus dem Olymp entflohen war und sich gezwungen sah, einem Sterblichen dienstbar zu werden, hatte ihn Admetos liebreich aufgenommen. und er weidete ihm als Sklave seine Rinder. Seitdem stand er unter dem wirksamen Schutze des später von seinem Vater Zeus wieder zu Gnaden angenommenen Gottes. Als nun die Lebenszeit des Königs Admetos verstrichen und ihm vom Schicksal der Tod zuerkannt war, da wirkte sein Freund Apollon, dem dies als einem Gott bewußt, bei den Schicksalsgöttinnen aus, daß sie ihm gelobten, Admetos solle dem Hades, der ihn bedrohte, entfliehen, wenn ein anderer Mensch für ihn sterben und in das Totenreich hinabsteigen wollte. Apollon verließ daher den Olymp und kam nach Pherä zu seinem alten Gastfreunde, ihm und den Seinigen die Botschaft von dem Tode, den das Geschick über ihn beschlossen, zu überbringen, zugleich aber ihm das Mittel anzugeben, wodurch er seinem Schicksal zu entrinnen vermöge. Admetos war ein redlicher Mann, aber er liebte das Leben, und auch alle die Seinigen samt seinen Untertanen erschraken, daß dem Hause die Stütze, der Gattin und den Kindern Gatte und Vater, dem Volke ein milder Herrscher geraubt werden sollte. Deswegen ging Admetos umher und forschte, wo er einen Freund fände, der für ihn sterben wollte. Aber da war nicht einer, der dazu Lust gehabt hätte, und so sehr sie vorher den Verlust, der ihnen bevorstände, bejammert hatten, so kalt wurde ihr Sinn, als sie von ihm hörten, unter welcher Bedingung ihm das Leben erhalten werden könnte. Selbst der greise Vater des Königs, Pheres, und die gleichfalls hochbetagte Mutter, die den Tod jede Stunde vor sich sahen, wollten das wenige Leben, das sie noch zu hoffen hatten, nicht für den Sohn dahingeben. Nur Alkestis, seine blühende, lebensvolle Gattin, die glückliche Mutter hoffnungsvoll heranblühender Kinder, war von so reiner und aufopfernder Liebe zu dem Gemahl beseelt, daß sie sich bereit erklärte, dem Sonnenlichte für ihn zu entsagen. Kaum war diese Erklärung aus ihrem Munde gegangen, als auch schon der schwarze Priester der Toten, Thanatos (der Tod), den Toren des Palastes nahte, sein Opfer ins Schattenreich hinab



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zuführen. Denn er wußte Tag und Stunde genau, an welchem dem Admetos vom Schicksal bestimmt gewesen war zu sterben. Als Apollon den Tod herankommen sah, verließ er schnell den Königspalast, um als Gott des Lebens von seiner Nähe nicht entheiligt zu werden. Die fromme Alkestis aber, als sie den entscheidenden Tag sich nahen sah, reinigte sich als Opfer des Todes in fließendem Wasser, nahm ihr festliches Gewand und Geschmeide aus dem Schranke von Zedernholz, und nachdem sie so sich ganz würdevoll geschmückt, betete sie vor ihrem Hausaltar zur Göttin der Unterwelt. Dann umschlang sie Kinder und Gemahl und trat endlich, von Tag zu Tag mehr abgezehrt, zur bestimmten Stunde von ihren Dienerinnen umringt an der Seite ihres Gatten und ihrer Kinder in das Gemach, wo sie den Boten der Unterwelt empfangen wollte. Hier schickte sie sich zum feierlichen Abschied von den Ihrigen an. "Laß mich zu dir reden, was mein Herz begehrt," sprach sie zu ihrem Gemahl. "Weil dein Leben mir teurer ist als das meinige, sterbe ich für dich jetzt, wo mir das Sterben noch nicht drohte. Aber ich wollte nicht leben, deiner beraubt, die verwaisten Kinder anschauend. Dein Vater und deine Mutter haben dich verraten, da doch ihnen Sterben rühmlicher gewesen wäre; denn dann wärest du nicht einsam geworden und hättest keine Waisen aufzuziehen gehabt. Doch da es die Götter einmal so gefügt haben, so bitte ich dich nur, meiner Wohltat eingedenk zu sein und den Kleinen, die du nicht weniger liebst als ich, kein anderes Weib als Mutter zuzuführen, das, von Neid gequält, sie selber plagen könnte. Denn oft sind Drachen sanftmütiger als Stiefmutter." Unter Tränen schwur ihr der Gemahl, daß, wie sie im Leben die seine gewesen, so auch im Tode nur sie ihm Gattin heißen solle. Dann übergab ihm Alkestis die wehklagenden Kinder und sank ohnmächtig nieder.

Unter den Vorbereitungen zur Bestattung geschah es nun, daß der umherirrende Herakles nach Pherä und vor die Tore des Königspalastes kam. Eingelassen, geriet er in eine Unterredung mit den Dienern des Hauses, und zufällig kam Admetos selbst dazu. Dieser nahm seinen Gast, den eigenen Kummer unterdrückend, mit großer Herzlichkeit auf, und als Herakles, durch den Anblick seiner Trauerkleider betroffen, ihn um seinen Verlust befragte, erwiderte er, um den Gast nicht zu betrüben oder gar zu verscheuchen, auf eine so verdeckte Weise, daß Herakles der Meinung war, es sei eine ferne Anverwandte des Admetos, die zu Besuch bei dem König



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war, gestorben. Er blieb daher fröhlichen Sinnes, ließ sich von einem Sklaven in das Gastgemach geleiten und hier Wein vorsetzen. Als ihm die Traurigkeit des Dieners auffiel, schalt er diesen um sein übermäßiges Leid. "Was siehst du mich so ernst und feierlich an?" sprach er. "Ein Diener muß gefällig gegen Fremdlinge sein! Was ist's auch, wenn eine Fremde in eurem Hause gestorben ist? Weißt du denn nicht, daß dies das allgemeine Los der Menschen ist? Den Trübseligen ist das Leben eine Qual; geh, bekränze dich, wie du mich siehst, und trinke mit mir! Ich weiß gewiß, ein überwallender Becher wird bald alle Runzeln deiner Stirn vertreiben." Aber der Diener wandte sich mit Grauen ab. Uns traf ein Geschick," sprach er, "dem nicht Lachen und Schmausen ziemt. Fürwahr, der Sohn des Pheres ist nur allzu gastfreundlich, daß er in so tiefer Trauer einen so leichtsinnigen Gast aufgenommen hat!" — "Soll ich nicht fröhlich sein," erwiderte Herakles verdrießlich, weil eine fremde Frau gestorben ist?" — "Eine fremde Frau?" rief der Diener sehr verwundert. Dir mochte sie fremd sein, uns war sie es nicht!" — "So hat mir Admetos seinen Unfall nicht recht berichtet," sagte Herakles stutzend. Aber der Sklave sprach: "Nun, sei du immer fröhlich; der Gebieter Weh geht ja nur ihre Freunde und Diener an!" Aber Herakles hatte keine Ruhe mehr, bis er die Wahrheit erfahren hatte. "Ist's möglich?" rief er. "Eines so herrlichen Weibes ward er beraubt, und dennoch hat er den Fremdling so gastlich aufgenommen? Trat ich doch mit geheimem Widerwillen zum Tore hinein. und nun hab' ich hier im Trauerhause das Haupt mit Kränzen geschmückt, gejubelt und getrunken! Aber sage mir, wo liegt das fromme Weib bestattete" — "Wenn du den geraden Weg gehst, der nach Larissa führt," antwortete der Sklave, "so siehst du das schmucke Totenmal, das ihr schon aufgerichtet ist." Mit diesen Worten verließ der Diener weinend den Fremdling.

Allein gelassen, brach Herakles in keine Klagen aus, sondern der Held hatte schnell einen Entschluß gefaßt. "Retten muß ich," sprach er zu sich selbst, "diese Gestorbene, sie wieder einführen in das Haus des Gatten; anders kann ich seine Gunst nicht würdig vergelten. Ich gehe an das Grabmal; dort harre ich des Thanatos, des Totenbeherrschers. Ich finde ihn wohl, wie er kommt, das Opferblut zu trinken, das ihm über dem Denkmal der Verstorbenen gespendet wird. Dann springe ich aus meinem Hinterhalt hervor, ergreife ihn schnell, umschlinge ihn mit den Händen, und



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keine Macht auf Erden soll ihn mir entreißen, ehe er mir seine Beute überläßt." Mit diesem Vorsatze verließ er in aller Stille den Palast des Königs.

Admetos war in sein verödetes Haus zurückgekehrt und trauerte mit seinen verlassenen Kindern in schmerzlicher Sehnsucht nach der geopferten Gattin, und kein Trost getreuer Diener vermochte seinen Kummer zu lindern. Da betrat sein Gastfreund Herakles die Schwelle wieder, ein oerschleiertes Weib an der Hand führend. "Du hast nicht wohl daran getan, o König," sagte er, "mir den Tod deiner Gattin zu verhehlen; du nahmst mich in dein Haus auf, als ob nur fremdes Leiden dich bekümmerte; so habe ich unwissend groß Unrecht getan und im Unglückshause fröhliche Trankopfer ausgegossen. Doch will ich dich in deinem Ungemach nicht noch weiter betrüben. Höre jedoch, warum ich noch einmal gekommen bin. Diese Jungfrau hier habe ich als Siegeslohn bei einem Kampfspiel empfangen. Nun gehe ich hin, den König der Bistonier in Thrakien zu bekriegen. Bis ich diesen Zug vollbracht habe, übergebe ich dir die Jungfrau als Dienerin, sorge du für sie als das Eigentum eines Freundes."

Admetos erschrak, als er den Herakles so sprechen hörte. "Nicht, weil ich den Freund verachtet oder verkannt hätte," erwiderte er, habe ich dir meiner Gattin Tod verborgen, sondern um mir nicht noch mehr Leiden dadurch zu bereiten, daß ich dich in eines andern Freundes Haus davonziehen ließe. Dieses Weib aber, Herr, bitte ich dich einem andern Bewohner von Pherä zuzuführen, nicht mir, der ich so viel gelitten habe. Hast du ja doch genug Gastfreunde in dieser Stadt. Wie könnte ich ohne Tränen diese Jungfrau in meinem Hause erblicken? Den Männeraufenthalt könnte ich ihr nicht zur Wohnung geben, und sollte ich ihr die Gemächer der verstorbenen Gattin einräumen? Das sei ferne! Ich fürchte die üble Nachrede der Pheräer, ich fürchte auch den Tadel der Entschlafenen." So sprach abwehrend der König, aber ein wunderbares Sehnen zog seine Blicke doch wieder auf die tief verschleierte Gestalt. "Wer du auch seiest, o Weib," sagte er seufzend, "wisse, daß du an Größe und Gestalt wundersam meiner Alkestis gleichest. Bei den Göttern beschwöre ich dich, Herakles, führe mir diese Frau aus den Augen und quäle den Gequälten nicht noch mehr; denn wenn ich sie erblicke, wähne ich mein verstorbenes Gemahl zu sehen, ein Strom von Tränen bricht aus meinen Augen, und aufs neue versinke ich



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in Kümmernis." Herakles unterdrückte sein wahres Gefühl und antwortete betrübt: "O wäre mir von Zeus die Macht verliehen, dir dein heldenmütiges Weib aus dem Schattenreich ans Licht zurückzuführen und dir für deine Güte solche Gunst zu erweisen!" — "Ich weiß, du tätest es," erwiderte Admetos, "wann aber kehrte je ein Toter aus dem Schattenreiche zurück?" — "Nun,"fuhr Herakles lebhafter fort, weil dies nicht geschehen kann, so gestatte der Zeit, deinen Kummer zu lindern, den Toten geschieht doch kein Gefallen mit deiner Trauer. Verbanne auch den Gedanken nicht ganz, daß
eine zweite Gattin dir einst noch das Leben erheitern kann. Endlich, mir zuliebe nimm das edle Mädchen, das ich dir hier bringe, in dein Haus auf. Versuch es wenigstens; sobald es dir nicht frommen sollte, soll sie dein Haus wieder verlassen!" Admetos sah sich von dem Gast, den er nicht beleidigen wollte, bedrängt; er befahl, jedoch nur ungern, daß die Diener das Weib in die inneren Gemächer geleiten sollten. Aber Herakles gab dies nicht zu. "Vertraue," sprach er, mein Kleinod keinen Sklavenhänden, o Fürst! Du selbst, wenn es dir gefällt, sollst sie hineinführen!" —"Nein,"sprach Admetos,



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"ich berühre sie nicht, ich würde schon so das Wort, das ich der geliebten Toten gegeben habe, zu verletzen glauben. Eingehen möge sie, aber ohne mich!" Doch Herakles ruhte nicht, bis er die Hand der Verschleierten ergriffen hatte. "Nun dann," sagte Herakles freudig, "so bewahre sie; blicke die Jungfrau auch recht an, ob sie wirklich deinem Ehegemahl gleicht, und ende deinen Gram!"

Damit enthüllte er die Verschleierte und gab dem in Staunen zweifelnden König seine wiederbelebte Gemahlin zu schauen. Während er selbst wie leblos die Lebende an der Hand hielt und sich mit Furcht und Zittern an ihrem Anblick weidete, erzählte ihm der Halbgott, wie er den Thanatos am Grabeshügel ergriffen und ihm seine Beute abgerungen habe. Da sank Admetos in die Arme seines Weibes. Aber diese blieb sprachlos und durfte seinen zärtlichen Zuruf nicht erwidern. "Du wirst," belehrte ihn Herakles, "ihre Stimme nicht wieder vernehmen, als bis die Totenweihe von ihr genommen und der dritte Tag erschienen ist. Doch führe sie getrost hinein in dein Gemach und freue dich ihres Besitzes. Er ist dir zuteil geworden, weil du an Fremdlingen so edle Gastfreundschaft geübt hast. Mich aber laß meinem Geschick nachziehen!" —"So zeuch in Frieden, Held!" rief Admetos dem Scheidenden nach. "Du hast mich in ein besseres Leben zurückgeführt; glaube mir, daß ich-meine Seligkeit dankbar erkenne! Alle Bürger meines Königreichs sollen mir Chortänze aufführen helfen, und Opferduft entsteige den Altären! Dabei wollen wir dein, o mächtiger Sohn des Zeus, in Dank und Liebe gedenken!"


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