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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


[DIE SIEBENTE REISE SINDBADS DES SEEFAHRERS nach der ersten Calcuttaer Ausgabe'

Als ich das Reisen und die Handelsgeschäfte aufgab, sagte ich mir: ,Jetzt habe ich genug erlebt, und jetzt endet die Zeit in Freuden und Fröhlichkeit!' Während ich aber eines Tages in meinem Hause dasaß, klopfte es plötzlich an die Tür. Der Pförtner öffnete, und da trat ein Sklave des Kalifen herein und meldete: ,Der Kalif entbietet dich zu sich.' Ich folgte dem Boten bis vor den Kalifen, küßte den Boden und sprach den Gruß. Ehrenvoll hieß der Herrscher mich willkommen; dann sprach er zu mir: ,Sindbad, ich habe eine Bitte an dich; willst du sie erfüllen?' Da küßte ich ihm die Hand und sprach: ,Mein Gebieter. welche Bitte kann der Herr an den Knecht haben?' Er aber fuhr fort: ,Ich wünsche, daß du zum König von Ceylon reisest und ihm einen Brief und Geschenke von mir überbringest; denn er hat mir ja Gaben und ein Schreiben gesandt.' Darüber erschrak ich und erwiderte: ,Bei Allah dem Allmächtigen, mein Gebieter, ich habe jetzt Abscheu vor dem Reisen, und wenn man mir nur von Reisen zur See und anderswo spricht, so erzittern meine Glieder um all der Fährlichkeiten und Schrecknisse willen, die ich erlitten und durchgemacht habe. Jetzt trage ich gar kein Verlangen mehr danach, und ich habe mir geschworen, nie mehr Baghdad zu verlassen.' Darauf berichtete ich dem Kalifen alles, was ich erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende. Mit großem Staunen hörte er zu; dann fuhr er fort: ,Bei Allah dem Allmächtigen, Sindbad, seit Menschengedenken hat man nicht gehört, daß ein Mensch dergleichen durchzumachen gehabt hätte, wie du es getan hast; und du tust recht daran, wenn du nicht mehr vom Reisen sprechen willst. Doch



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um meinetwillen zieh noch dies eine Mal fort und bringe meine Geschenke und mein Schreiben zum König von Ceylon. Dann magst du, so Allah der Erhabene will, alsbald heimkehren, und es wird keinerlei Dankesverpflichtung gegenüber jenem König mehr auf uns lasten.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte ich; denn ich konnte ja seinem Befehle nicht widersprechen. Darauf gab er mir die Geschenke und den Brief und das Reisegeld; und ich küßte ihm die Hand und verließ seine Gegenwart. Ich reiste also von Baghdad fort, dem Meere zu. Und als ich mich eingeschifft hatte, fuhren wir mit der Hilfe Allahs des Erhabenen Tag und Nacht dahin, bis wir bei der Insel Ceylon ankamen; es war aber eine große Anzahl von Kaufleuten mit mir zusammen. Nachdem wir in den Hafen eingelaufen waren, gingen wir vom Schiff in die Stadt; ich nahm die Geschenke und das Schreiben und trat mit ihnen beim König ein und küßte den Boden vor ihm. Als er mich erblickte, rief er: .Sei willkommen, Sindbad! Bei Allah dem Allmächtigen, ich hatte schon Sehnsucht nach dir. Allah sei gepriesen, daß er mich dein Antlitz noch einmal hat schauen lassen!' Dann ergriff er meine Hand und ließ mich an seiner Seite sitzen; von neuem hieß er mich voll Freundlichkeit und Freude willkommen, sprach mich an und bezeigte mir seine Huld. Und er fragte mich: ,Wie kommt es, daß du wieder zu uns gereist bist, o Sindbad?' Ich küßte ihm die Hand, dankte ihm und erwiderte: ,Mein Gebieter. ich komme zu dir mit Geschenken und einem Briefe von meinem Herrn, dem Kalifen Harûn er-Raschîd.' Dann überreichte ich ihm die Gaben und das Schreiben; er las es und war sehr erfreut darüber. Das Geschenk bestand aus einem Rosse, das zehntausend Dinare wert war und einen vergoldeten, juwelenbesetzten Sattel trug, ferner aus einem Buche, einem prächtigen Gewande, hundert verschiedenen Arten von



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ägyptischer Leinwand und von Seidenstoffen aus Suez, Kufa und Alexandria, griechischen Decken und hundert Doppelpfunden roher Seide und Linnen. Außerdem befand sich darunter ein gar seltenes Kleinod, ein Becher aus Kristall, auf dem in der Mitte ein Löwe abgebildet war, und ihm gegenüber ein kniender Mann, der einen Bogen mit einem Pfeile so weit spannte, wie es ihm möglich war; dazu noch der Tisch Salomos. des Sohnes Davids -über beiden sei Heil! Der Brief aber lautete also: ,Gruß von König Harûn er-Raschîd, dem Allah große Macht beschied, und der durch Seine Gnade wie seine Väter hochgeehrt dasteht, ruhmvoll nah und fern, an den Sultan, den glücklichen Herrn! Des ferneren: Dein Brief ist uns zu Händen gekommen, und wir haben uns seiner gefreut. Und nun senden wir Dir ein Buch des Namens: Der Verständigen Labe und der Freunde kostbare Gabe; dazu einige wertvolle Geschenke, wie sie Königen gebühren. Nimm sie huldvoll entgegen. Und Friede sei mit Dir!' Da beschenkte der König mich reichlich und erwies mir hohe Ehren; und ich fichte den Segen des Himmels auf ihn herab und dankte ihm für seine Güte. Nach einigen Tagen bat ich ihn um Erlaubnis zur Heimkehr, aber er gab sie mir erst, nachdem ich ihn lange und inständig angefleht hatte. Darauf nahm ich Abschied von ihm und zdg zur Stadt hinaus, zusammen mit einigen Kaufleuten und anderen Reisegefährten. Jetzt wollte ich alsobald heimfahren; nach weiteren Reisen und Handelsgeschäften gelüstete es mich nicht mehr. Wir segelten immer weiter dahin und kamen an manchen Inseln vorbei; aber während der Fahrt umringten uns plötzlich auf hoher See Boote, in denen Menschen saßen, Teufeln gleich, bewaffnet mit Schwertern und Dolchen und Bogen, und gekleidet in Panzer und andere Rüstungen. Die fielen mit Hieb und Stoß über uns her, verwundeten oder töteten jeden



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von uns, der sich ihnen widersetzte, und nahmen das Schiff weg mit allem, was darinnen war. Dann brachten sie uns zu einer Insel und verkauften uns dort als Sklaven um den niedrigsten Preis. Mich kaufte ein reicher Mann, der mich in sein Haus führte; dort gab er mir Speise und Trank und Kleider und behandelte mich freundlich. So ward denn meine Seele beruhigt, und ich erholte mich ein wenig. Eines Tages aber sprach er zu mir: ,Verstehst du nicht irgendeine Arbeit oder ein Handwerk'' Ich antwortete ihm: ,Mein Gebieter. ich bin ein Kaufmann, ich verstehe mich nur darauf. Handel zu treiben.' Als er dann weiter fragte: ,Kannst du mit Pfeilen schießen?' erwiderte ich: ,Ja, das kann ich.' Darauf holte er mir einen Bogen und Pfeile und setzte mich hinter sich auf einen Elefanten. Gegen Ende der Nacht brach er auf und führte mich zwischen mächtige Bäume hindurch, bis er zu einem ganz hohen und starken Baume kam. Auf den hieß er mich hinaufklettern, gab mir Bogen und Pfeile und sprach zu mir ,Bleib jetzt hier sitzen, und wenn am Morgen die Elefanten an diese Stätte kommen, so schieße auf sie mit den Pfeilen: vielleicht erlegst du einen. Und wenn einer von ihnen stürzt, so komm zu mir und melde es mir.' Dann verließ er mich und ging fort; ich aber blieb voll Angst und Furcht in meinem Versteck auf dem Baume sitzen, bis die Sonne aufging. Da kamen die Elefanten heraus und liefen unter den Bäumen einher; und ich schoß auf sie mit den Pfeilen so lange, bis ich einen erlegt hatte. Am Abend ging ich zu meinem Herrn, und als ich ihm die Meldung brachte, freute er sich und machte mir ein Geschenk. Dann ging er hin und schaffte den toten Elefanten fort. So ging es nun weiter; jeden Morgen erlegte ich einen Elefanten, und dann kam mein Herr und schaffte ihn fort. Eines Tages aber, als ich wieder in meinem Versteck auf dem Baume saß,



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kamen plötzlich, ehe ich mich dessen versah, unendlich viele Elefanten, und als ich das Getöse hörte, das sie mit ihrem Brüllen und Trompeten machten, vermeinte ich, die Erde müsse davon erbeben. Alle umringten den Baum, auf dem ich saß und der einen Umfang von fünfzig Ellen hatte; und plötzlich trat ein ganz gewaltig großer Elefant vor, lief auf den Baum zu. wickelte seinen Rüssel um den Stamm, riß ihn mit den Wurzeln heraus und schleuderte ihn zu Boden. Da fiel ich ohnmächtig zwischen den Elefanten nieder. Und nun kam der Riesenelefant an mich heran, wand seinen Rüssel um mich und hob mich auf seinen Rücken. Dann lief er mit mir davon, und die anderen trabten hinterher. Immer weiter trug er mich dahin, während ich bewußtlos auf ihm lag, bis er mich an einer Stelle, an die er mich bringen wollte, von seinem Rücken abwarf. Dann lief er fort, und die anderen Elefanten folgten ihm. Da kam ich zur Ruhe, und meine Angst legte sich. Allmählich besann ich mich auch wieder auf mich selber: doch ich glaubte, alles sei ein Traum. Als ich aber aufstand, sah ich mich zwischen lauter Elefantenknochen, und ich erkannte, daß jene Stätte der Totenacker der Elefanten war und daß jenes Riesentier mich wegen der Stoßzähne dorthin geführt hatte. Und sofort machte ich mich auf und ging einen Tag und eine Nacht hindurch, bis ich zum Hause meines Herren kam. Er sah wohl. daß ich vor Schrecken und Hunger bleich geworden war, aber er freute sich doch über meine Rückkehr und sprach zu mir: ,Bei Allah, du hast mir das Herz schwer gemacht! Denn als ich hinging und den Baum entwurzelt fand, glaubte ich sicher, die Elefanten hätten dich zu Tode gebracht. Nun sag mir aber, wie es dir ergangen ist!' Da berichtete ich ihm, was ich erlebt hatte; er war höchlichst erstaunt und erfreut und fragte mich sogleich: ,Kennst du jene Stätte noch?' Und wie ich sagte: ,Jawohl, mein



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Gebieter', nahm er mich mit sich auf einen Elefanten. und wir ritten dahin, bis wir die Stelle erreichten. Beim Anblick all jener vielen Elefantenzähne brach mein Herr in lauten Jubel aus, und dann lud er so viele von ihnen auf, wie er haben wollte, und wir kehrten nach Hause zurück. Dort bezeigte er mir hohe Achtung und sprach zu mir: ,Mein Sohn, du hast uns den Weg zu sehr großem Gewinn gewiesen. Gott vergelte es dir reichlich! Jetzt lasse ich dich frei, vor dem Angesichte Allahs des Erhabenen. Die Elefanten haben schon manchen von uns ums Leben gebracht, weil wir sie wegen ihrer Zähne jagen. Dich aber hat Allah vor ihnen beschützt, und du hast uns großen Nutzen gebracht, indem du uns den Weg zu jenen Stoßzähnen wiesest.' Ich gab ihm zur Antwort: ,Mein Gebieter, Allah lasse dich frei vom Feuer der Hölle! Jetzt bitte ich dich, mein Gebieter, erlaube mir, in meine Heimat zurückzukehren.' ,Ja,' erwiderte er, ,ich gebe dir die Erlaubnis. Wir haben alljährlich eine Messe, bei der die Kaufleute zu uns kommen, um diese Elefantenzähne von uns zu kaufen. Die Zeit der Messe steht jetzt nahe bevor; und wenn die Leute zu uns kommen, will ich dich mit ihnen heimsenden. Ich will dir auch genug geben, daß du deine Heimat erreichen kannst.' Da betete ich um Segen für ihn und dankte ihm; und ich stand bei ihm hinfort in hoher Ehre und Achtung. Nach einigen Tagen kamen auch die Kaufleute, wie er gesagt hatte; sie kauften und verkauften und trieben Tauschhandel, und als sie aufbrechen wollten, kam mein Herr zu mir und sagte: ,Die Kaufleute sind zur Abfahrt bereit; mache dich auf und zieh mit ihnen in deine Heimat!' Da machte ich mich auf und rüstete mich zur Abfahrt mit ihnen. Sie hatten nämlich viele von jenen Stoßzähnen gekauft, ihre Lasten zusammengebunden und auf dem Schiffe verstaut; und als mein Herr mich mit ihnen heimsandte, zahlte



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er für mich das Fahrgeld und alle anderen Ausgaben, die ich zu leisten hatte, dazu gab er mir noch ein großes Geschenk in Waren. Wir segelten nun von Insel zu Insel, bis wir das Meer durchmessen hatten und die Gestade des Festlandes erreichten. Dort holten die Kaufleute ihre Vorräte heraus und verkauften sie, und auch ich tat das gleiche mit hohem Gewinn. Dann kaufte ich mir einige der kostbarsten Geschenke und der schönsten Seltenheiten sowie alles, was ich brauchte. Ferner erstand ich mir ein Reittier, und wir zogen durch die Wüsten dahin, von Land zu Land, bis ich den Weg nach Baghdad fand. Dort ging ich zum Kalifen, sprach die Worte der Begrüßung, küßte ihm die Hand und berichtete ihm, was geschehen war und was ich erlebt hatte. Er freute sich über meine Rettung und dankte Allah dem Erhabenen: und dann ließ er meine Geschichte mit goldenen Buchstaben aufzeichnen. Ich aber ging in mein Haus und war nun wieder mit meinen Anverwandten und Freunden vereint.

Dies ist das Ende von alledem, was ich erlebt habe auf meinen Reisen. Lasset uns Allah, den Einen, den Schöpfer aller Dinge, immerdar preisen!]

Ferner ist mir berichtet worden


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