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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE SIEBENTE REISE SINDBADS DES SEEFAHRERS

'Wisset, ihr Leute, als ich von meiner sechsten Reise zurückgekehrt war und wieder das alte Leben in Wohlsein und Freude bei Scherz und Gesang begonnen hatte, da lebte ich eine ganze Weile so weiter, immerdar ohne Unterlaß in frohen Vergnügekleidet



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gungen, Tag und Nacht; mir war ja auch reicher Gewinn und großer Verdienst zuteil geworden. Dennoch riß mich von neuem der Geist. mir die fremden Länder anzusehen, auf dem Meere zu fahren, mich den Kaufleuten anzuschließen und die Berichte über neue Dinge zu genießen. Als dieser Entschluß bei mir feststand, ließ ich aus kostbaren Waren seetaugliche Ballen machen und führte sie von der Stadt Baghdad nach Basra. Dort fand ich ein Schiff: das zur Ausreise bereit war und auf dem sich eine Schar von Großkaufleuten befand. Ich ging zu ihnen an Bord und schloß Freundschaft mit ihnen: und bald fuhren wir munter und wohlbehalten in die Welt hinaus. Wir hatten aber immer günstigen Wind, bis wir zu einer Stadt kamen, die Madînat es-Ski' heißt. So froh und vergnügt, wie wir nur sein konnten, fuhren wir weiter, plauderten über die Reise und über die Geschäfte, als plötzlich über uns Ahnungslose ein gewaltiger Orkan losbrach, der von vorn kam und uns mit Regen überschüttete, so daß wir selber und unsere Ballen ganz durchnäßt wurden. Da bedeckten wir die Waren mit Filzdecken und Sacktuch, auf daß sie nicht durch den Regen verdürben, und begannen zu Allah dem Erhabenen zu beten und ihn demütig anzuflehen, er möge uns aus der Gefahr, in der wir schwebten, erretten. Der Kapitän aber erhob sich, gürtete sich und streifte die Ärmel zurück und stieg auf den Mastbaum. Von dort blickte er nach rechts und nach links, und dann schaute er auf die Leute im Schiff hinab, schlug sich ins Gesicht und raufte sich den Bart. Wir riefen ihm zu: ,Kapitän, was gibt es?' Da antwortete er: ,Bittet Allah den Erhabenen um Rettung aus der Gefahr, in die wir geraten sind! Beweint euer Los, nehmt Abschied voneinander! Wisset, der Wind hat Gewalt über uns bekommen und hat uns in das äußerste Meer



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der Welt getrieben.' Dann stieg er wieder vom Mast herunter, öffnete seine Truhe und holte aus ihr einen baumwollenen Beutel hervor: den machte er auf und nahm aus ihm ein Pulver heraus, das wie Asche aussah. Dann befeuchtete er es mit Wasser, wartete eine kleine Weile und roch daran. Ferner nahm er aus der Truhe ein kleines Buch, las darin und sprach darauf zu uns: ,Wisset, ihr Reisenden, in diesem Buche steht ein seltsamer Bericht, der darauf hinweist, daß jeder, der in diese Gegend verschlagen wird, nicht wiederkehrt, sondern in ihr umkommt. Diese Gegend hier heißt das Gebiet der Könige', und in ihr befindet sich das Grab unseres Herren Salomo, des Sohnes Davids -über beiden sei Heil! Und hier gibt es auch Schlangen von gewaltiger Größe und von furchtbarem Anblick. Jedesmal, wenn ein Schiff in dies Gebiet gerät, steigt ein mächtiger Fisch aus der Tiefe vor ihm empor und verschlingt es mit allem, was darinnen ist.' Als wir diese Worte aus dem Munde des Kapitäns vernahmen, war unser Staunen über sie gewaltig groß; aber kaum hatte er zu Ende gesprochen, da wurde unser Schiff plötzlich aus dem Wasser emporgehoben, dann sank es wieder zurück, und wir hörten einen durchdringenden Schrei, so laut wie das Krachen des Donners. Wir erschraken zu Tode und gaben uns ganz verloren. Und nun kam ein Fisch auf unser Schiff zu, der war wie ein hoher Berg und erfüllte uns mit Grausen; wir beweinten unser Los bitterlich und machten uns auf den Tod gefaßt. Voll Staunen blickten wir auf das fürchterliche Untier. Und da kam schon wieder ein Fisch! Der war größer und gewaltiger als alles, was wir bisher gesehen hatten; und bei seinem Anblick nahmen wir Abschied voneinander und jammerten uni unser Leben. Und siehe, da kam plötzlich ein dritter Fisch, der noch größer war als die beiden anderen,



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die vorher aufgetaucht waren. Nun entfloh uns Sinn und Verstand, und wir waren völlig verstört vor Schrecken und Angst. Jene drei Fische aber begannen um unser Schiff zu kreisen, und der dritte sperrte schon das Maul auf, um das Fahrzeug zu verschlingen mit allem, was darinnen war. Doch da blies plötzlich ein heftiger Sturm, das Schiff ward emporgehoben, fiel auf ein großes Riff nieder und zerschellte. Alle Planken sprangen auseinander, alle Waren, alle Kaufleute und Reisenden fielen ins Meer. Ich riß alle Kleider, die ich am Leibe trug, herunter, bis mir nur noch das Hemd geblieben war, und schwamm ein wenig umber, bis ich eine von den Planken des Schiffes erreichte und mich an sie klammern konnte. Dann kletterte ich auf sie hinauf und setzte mich rittlings auf sie. Die Wogen und die Winde aber warfen mich wie ein Spielzeug auf dem Wasser hin und her, während ich an jenem Brette hing; bald trugen die Wellen mich hoch empor, bald wieder hinab in die Tiefe. Ich war in der fürchterlichsten Not, die man sich denken kann, vor Angst und Hunger und Durst. Da schalt ich mich ob dessen, was ich getan hatte, so daß nun meine Seele solche Qualen litt, nachdem sie einst Ruhe gehabt. Und ich sprach zu mir selber: ,O Sindbad, o Seefahrer, du lässest es doch nie; jedesmal gerätst du wieder in Not und Gefahren, doch läßt du nicht ab vom Reisen zur See, und wenn du es tust, so ist es nur zum Schein. Nun dulde auch alles, was über dich kommt; denn du verdienst alles, was dir widerfährt!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 564. Nacht anbruch, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sindbad der Seefahrer des weiteren erzählte: ,Als ich ins Meer gefallen war und auf einer Planke von dem Schiffsholze ritt, sprach ich zu mir



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selber: ,Ich verdiene alles, was mir widerfährt! Dies ist von Allah dem Erhabenen über mich verhängt, damit ich endlich von meiner Begehrlichkeit ablasse; was ich erleide, kommt alles nur von meiner Gier her, und dabei habe ich schon so viel Geld und Gut.' Und als ich dann wieder zu ruhigerer Besinnung kam, sagte ich mir: ,Auf dieser Reise will ich nun wirklich vor Allah dem Erhabenen dem Reisen abschwören. In Zukunft will ich nie mehr davon sprechen, ja nicht einmal daran denken.' Demütig flehte ich zu Allah dem Erhabenen und weinte lange Zeit; und ich dachte daran, wie ich vorher in Ruhe und Freuden, in Heiterkeit, Fröhlichkeit und Behaglichkeit gelebt hatte. So schwamm ich zwei lange Tage dahin, bis ich auf einer großen Insel landete, auf der viele Bäume sprossen und Bäche flossen. Dort aß ich von den Früchten der Bäume und trank von dem Wasser der Bäche, bis ich erfrischt war; da kehrte das Leben in mich zurück, ich faßte neuen Mut, und mein Herz ward von dem Druck befreit. Dann ging ich auf der Insel umher und fand auf der anderen Seite einen großen Strom süßen Wassers, der in kräftiger Strömung dahinfloß. Da dachte ich an das Floß, auf dem ich früher einmal gefahren war, und sagte mir: ,Ich muß mir doch wieder solch ein Floß machen; vielleicht kann ich mich dadurch aus meiner jetzigen Lage retten. Komme ich mit dem Leben davon, so ist mein Ziel erreicht, und ich schwöre vor Allah dem Erhabenen auf immer dem Reisen ab; und wenn ich sterbe, so kann mein Herz von aller Mühsal und Qual ausruhen.' Alsbald machte ich mich auf und sammelte mir Holz von den Bäumen dort; die bestanden aus kostbarem Sandelholz, dessengleichen es nirgends sonst gibt, aber ich wußte nichts davon. Nachdem ich genug von jenem Holz gesammelt hatte, ersann ich mir einen neuen Plan und flocht mir Stricke aus den Zweigen und den



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Gräsern, die auf jener Insel wuchsen; mit denen band ich das Floß zusammen und sagte mir: ,Wenn ich nun gerettet werde, so geschieht es durch die Gnade Allahs.' Dann bestieg ich das Floß und fuhr auf ihm den Fluß entlang, bis ich zum anderen Ende der Insel kam. Dann aber entfernte ich mich von dem Eiland und trieb immer weiter fort, einen Tag, einen zweiten und einen dritten Tag lang, seitdem ich die Insel verlassen hatte. Ich lag da, die ganze Zeit hindurch, ohne zu essen; nur wenn mich dürstete, trank ich von dem Wasser des Stromes, und so glich ich einem schwindeligen Huhn, infolge all der Aufregung, des Hungers und der Angst. Schließlich gelangte das Floß mit mir an einen hohen Berg, unter dem der Strom seinen Weg nahm. Als ich das sah, fürchtete ich für mein Leben wegen der engen Schlucht, durch die ich mich früher auf dem anderen Flusse hatte hindurchzwängen müssen. Ich wollte mein Floß anhalten und bei dem Berge aussteigen; aber die Strömung war stärker als ich und riß das Floß mit mir weiter und trieb es unter den Berg. Als ich das sah, gab ich mich sicher verloren, und ich rief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Aber nach kurzer Zeit kam das Floß wieder ins Freie hinaus, und da lag ein großes Tal vor mir, in das der Fluß mit donnergleichem Getöse und mit Windeseile hinabfiel. Ich hielt mich mit den Händen fest an das Floß, aus Furcht, ich könnte von ihm herunterfallen, während die Wellen mich im Spiel hin und her warfen. Mein Fahrzeug aber sauste mit der Strömung in jenes Tal hinab, da ich es nicht anhalten oder nach dem Ufer hin ablenken konnte. Schließlich landete es mit mir bei einer Stadt, die schön anzusehen, prächtig gebaut und dichtbevölkert war. Die Einwohner hatten mich auf jenem Floß gesehen, wie es inmitten des Flusses mit der Strömung dahintrieb, und ein



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Netz und Stricke darüber geworfen, mit denen sic es aus dem Wasser ans Land ziehen konnten. Da sank ich wie tot zwischen ihnen zu Boden; so sehr hatten Hunger und Wachen und Furcht mich erschöpft. Dann trat aus jener Schar ein alter Mann, ein würdiger Greis, auf mich zu, hieß mich willkommen und warf mir viele schöne Kleider zu, so daß ich damit meine Blöße bedecken konnte. Darauf nahm er mich mit sich, ging mit mir durch die Straßen dahin und führte mich in ein Bad; dort brachte er mir stärkende Scherbette und würzige Wohlgerüche. Und nachdem wir das Bad verlassen hatten, führte er mich in sein Haus hinein, und die Seinen waren froh, mich zu sehen. Darauf wies er mir einen schönen Sitz an und ließ mir köstliche Speisen bereiten. Ich aß, bis ich satt war, und dankte Allah dem Erhabenen für meine Rettung. Als ich das getan hatte, holten seine Diener mir heißes Wasser, in dem ich meine Hände waschen konnte, und seine Sklavinnen brachten mir seidene Tücher; mit denen trocknete ich meine Hände und wischte ich mir den Mund ab. Gleich darauf ließ der Greis ein eigenes Zimmer für mich allein im Seitenflügel seines Hauses frei machen und befahl seinen Dienern und Dienerinnen, mir aufzuwarten, meine Wünsche zu erfüllen und für alles zu sorgen, dessen ich bedurfte. Während die eifrig um mich besorgt waren, blieb ich drei Tage in dem Gastgemach und pflegte mich mit guter Speise, gutem Trank und duftenden Wohlgerüchen, bis Leben in mich zurückkehrte; meine Furcht legte sich, mein Herz ward ruhig, und meine Seele fand ihren Frieden wieder. Am vierten Tage kam der Greis zu mir und sprach: ,Du hast uns durch deinen Besuch erfreut, mein Sohn. Allah sei gepriesen für deine Rettung! Sag an, willst du mit mir zum Strande und dann in den Basar hinuntergehen, um deine Ware zu verkaufen und den Erlös dafür zu erhalten? Vielleicht wirst



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du dir dafür etwas kaufen, mit dem du Handel treiben kannst.' Ich schwieg eine Weile, da ich mir sagte: ,Woher sollte ich Ware haben? Weshalb redet er so?' Er aber fuhr fort: ,Mein Sohn, sorge dich nicht und mach dir keine Gedanken, sondern laß uns zum Basar gehen! Wenn wir jemanden finden, der dir für deine Ware so viel gibt, daß du zufrieden bist, so nimm den Preis an dich; wenn sie aber nicht genug für dich einbringt, so will ich sie für dich in meinem Vorratshause aufbewahren, bis gute Tage für den Handel kommen.' Ich sann noch immer über mich nach und sprach zu meinem Sinn: ,Tu nur, was er sagt! Du kannst ja sehen, was es mit der Ware auf sich hat.' Und so antwortete ich dem Manne: ,Ich höre und gehorche, mein Oheim Scheich; auf deinem Tun ruhe Segen! Ich kann dir in nichts widersprechen.' Dann ging ich mit ihm zum Basar, und da fand ich, daß er jenes Floß, auf dem ich gekommen war, bereits auseinandergenommen hatte, und daß es aus Sandelholz bestand. Und er ließ es durch den Ausrufer zum Verkaufe ausbieten.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 565. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sindbad der Seefahrer des weiteren erzählte: ,Als ich mit dem Scheich zum Strande hinuntergegangen war und sah, daß mein Floß aus Sandelhölzern bestand, die bereits auseinandergenommen waren, und ferner sah, wie der Makler es feilbot, da kamen auch schon die Kaufleute und öffneten das Tor des Angebotes; und sie boten immer mehr dafür, bis der Preis auf tausend Dinare gestiegen war. 1)a hörten sie auf zu bieten; der Scheich aber wandte sich an mich mit den Worten: ,Höre, mein Sohn, dies ist der rechte Preis für deine Ware in Tagen, wie diese sind;



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willst du sie um diesen Preis verkaufen, oder willst du warten und soll ich sie für dich in meinem Vorratshaus aufbewahren. bis eine Zeit kommt, in der du einen höheren Preis verlangen und erzielen kannst?' Ich erwiderte ihm: ,Lieber Herr, du hast zu entscheiden; tu, was du willst!' ,Mein Sohn,' fuhr er fort, ,willst du mir dies Holz um hundert Dinare mehr verkaufen, als die Händler dafür geboten haben?' ,Ja,' antwortete ich, ,dafür verkaufe ich es dir, und ich nehme den Preis an.' Nun befahl er seinen Dienern, das Holz in sein Vorratshaus zu schaffen: und nachdem ich mit ihm in sein Haus zurückgekehrt war, setzten wir uns, und er zählte mir das Kaufgeld vor. Auch ließ er mir Beutel holen und tat das Geld hinein; dann schloß er sie hinter einem eisernen Schlosse ein und gab mir den Schlüssel dazu. Nach einigen Tagen sprach der Scheich zu mir: ,Mein Sohn, ich will dir einen Vorschlag machen, und ich würde es gern sehen, wenn du ihn annähmest.' ,Welcher Art ist er?' fragte ich; und er antwortete: ,Wisse, ich bin jetzt ein alter Mann geworden, und ich habe keine männlichen Nachkommen. Aber ich habe eine Tochter, jung an Jahren und schön von Gestalt, reich an Geld und Anmut. Ich möchte sie mit dir vermählen, auf daß du mit ihr in unserem Lande bleibst. Dann will ich dir auch alles, was ich habe und besitze, zu eigen geben; denn ich bin ja ein alter Mann, und du wirst bald an meine Stelle treten.' Ich schwieg und gab ihm keine Antwort. Da fuhr er fort: ,Mein Sohn, willfahre mir in dem, was ich dir sage! Denn ich will dein Bestes; und wenn du meinen Wunsch erfüllest, so werde ich dich alsbald mit meiner Tochter vermählen; dann wirst du wie mein eigen Kind sein, und alles, was ich an Eigentum und Besitz habe, das wird dir gehören. Und wenn du dann Lust hast, Handel zu treiben und in deine Heimat zu reisen, so wird dich keiner hindern; du hast dann all diesen



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Reichtum zur Verfügung. Nun tu, was du willst und was du dir erwählst!' ,Bei Allah, mein Oheim Scheich,' erwiderte ich ihm, ,du bist mir wie ein Vater geworden. Ich habe viele Schrecken durchgemacht, und jetzt habe ich keine Einsicht und kein Urteil mehr. Daher stehe der Entscheid bei dir in allem, was du wünschest.' Da sandte der Scheich seine Diener aus, uni den Kadi und die Zeugen zu holen; als jene gekommen waren, vermählte er mich mit seiner Tochter und bereitete für uns ein großes Freudenfest. Dann führte er mich zu ihr ein, und ich sah vor mir eine Jungfrau von höchster Schönheit und Lieblichkeit und des Wuchses Ebenmäßigkeit; auch trug sie reiche Gewänder und viel Schmuck und Geschmeide, Edelsteine, Halsbänder und kostbare Juwelen, Dinge, die tausendmal tausend Goldstücke wert waren, so viel wie niemand bezahlen konnte. Und nachdem ich zu ihr eingegangen war, gefiel sie mir sehr, und 'wir liebten einander. Und ich lebte mit ihr lange Zeit in lauterster Freude und Fröhlichkeit, bis ihr Vater einging zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen. Da bahrten wir ihn auf und begruben ihn; und ich legte Hand auf alles, was er besessen hatte, alle seine Sklaven wurden mein Eigentum und dienten von nun ab unter meinem Geheiß. Und die Kaufleute setzten mich in sein Amt ein; denn er war ihr Vorsteher gewesen, und keiner von ihnen hatte je etwas ohne sein Wissen und seine Erlaubnis beginnen dürfen, eben weil er ihr Scheich gewesen war. Nun aber trat ich an seine Stelle. Als ich mit den Leuten jener Stadt näher bekannt wurde, da entdeckte ich, daß sie sich einmal in jedem Monat verwandelten; dann wuchsen ihnen Flügel, und sie flogen zu den Wolken des Himmels empor, und niemand blieb in der Stadt zurück außer den Frauen und Kindern. Und ich sagte mir: ,Wenn der Erste des Monats kommt, will ich einen von ihnen bitten, mich mitzunehmen,



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wohin sie sich begeben.' Als darauf der nächste Monat begann und ihre Züge sich veränderten und ihre Gestalten verwandelt wurden, trat ich zu einem von ihnen ein und sprach zu ihm: ,Bei Allah, ich beschwöre dich, trage mich mit dir fort, auf daß ich mir alles ansehen kann und dann mit euch zurückkehre.' Doch er gab mir zur Antwort: ,Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.' Aber ich hörte nicht auf, in ihn zu dringen, bis er einwilligte und ich mich auch mit den anderen verabredet hatte. Da hängte ich mich an ihn, und er schwebte mit mir in die Luft empor, ohne daß ich den Meinen, noch auch meinen Dienern und Freunden etwas davon gesagt hatte. Jener Mann aber flog immer weiter dahin, während ich an seinen Schultern hing, bis er mich zum Äther emportrug und ich hörte, wie die Engel im Himmelsdome Gott verherrlichten. Erstaunt rief ich aus: ,Preis sei Allah! Gelobt sei Gott!' Kaum aber hatte ich die Lobpreisung ausgesprochen, so schoß ein Feuer vom Himmel. das die Leute beinahe verbrannt hätte. Da stiegen sie alle hinab und warfen mich auf einen hohen Berg; und weil sie sehr zornig auf mich waren, eilten sie wieder fort und ließen mich liegen. Nun war ich ganz allein auf jenem Berge dort. Ich machte mir Vorwürfe über das, was ich getan hatte, und ich sprach: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Jedesmal, wenn ich kaum einer Not entronnen bin, gerate ich in eine andere, die noch ärger ist als die vorige.' Während ich nun auf dem Berge saß und nicht wußte, wohin ich mich wenden sollte, kamen plötzlich zwei Jünglinge, Monden gleich, von denen jeder einen goldenen Stab in der Hand hatte, auf den er sich stützte. Ich trat an sie heran und grüßte sie; und nachdem sie meinen Gruß erwidert hatten, sprach ich zu ihnen: ,üm Gottes willen, sagt, wer seid ihr, was habt ihr vor?' Sie



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antworteten: ,Wir gehören zu den Dienern Allahs des Erhabenen.' Darauf gaben sie mir einen der beiden Stäbe aus rotem Golde, die sie bei sich hatten, gingen ihrer Wege und ließen mich allein. Ich aber begann auf dem Gipfel des Berges umherzugehen, indem ich mich auf den Stab stützte und dabei über das Wesen der beiden Jünglinge nachdachte; da schoß plötzlich eine Schlange unter dem Berge hervor mit einem Manne in ihrem Maul, den sie bis unterhalb seines Nabels verschluckt hatte; und der Mann schrie: ,Wer mich befreit, den soll Allah von aller Not befreien!' Alsbald eilte ich zu der Schlange hin und schlug ihr mit dem goldenen Stabe auf den Kopf; und sie spie den Mann aus ihrem Schlunde aus.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 566. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sindbad der Seefahrer des weiteren erzählte: ,Als ich die Schlange mit dem goldenen Stabe, den ich in der Hand trug, geschlagen und sie den Mann aus ihrem Schlunde ausgespien hatte, da trat der Mann zu mir hin und sprach: ,Da meine Befreiung von dieser Schlange durch deine Hand geschehen ist, so will ich mich nie von dir trennen; du bist auf diesem Berge mein Gefährte geworden.' ,Willkommen!' erwiderte ich; und wir schritten den Berg entlang, bis uns plötzlich eine Schar von Leuten entgegenkam. Ich schaute sie an, und siehe da, unter ihnen war der Mann, der mich auf seinen Schultern getragen und mit mir geflogen war. Ich ging zu ihm hin, entschuldigte mich bei ihm und redete ihm freundlich zu, indem ich sagte: ,Mein Freund, so sollte ein Freund nicht am andern handeln.' Doch der Mann entgegnete mir: ,Du bist es, der uns ins Unglück stürzte, weil du Allah auf meinem Rücken priesest.' ,Sei mir nicht böse!'



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fuhr ich fort, ,ich wußte nichts davon, hinfort werde ich kein Wort mehr sprechen.' Da willigte er ein, mich mitzunehmen, aber nur unter der Bedingung, daß ich den Namen Allahs nicht nennen und ihn nicht preisen dürfe, solange ich auf seinem Rücken wäre. Darauf nahm er mich auf und flog wie zuvor mit mir dahin, bis er mich zu meinem Hause gebracht hatte. Dort kam meine Frau mir entgegen, begrüßte mich und beglückwünschte mich zur sicheren Heimkehr und sagte dann zu mir: ,Hüte dich, noch einmal mit jenen Leuten auszuziehen, und geselle dich auch nicht zu ihnen; denn sie sind die Brüder der Teufel, und sie können den Namen Allahs des Erhabenen nicht aussprechen!', Wie hielt es denn dein Vater mit ihnen?' fragte ich; und sie erwiderte mir: ,Mein Vater gehörte nicht zu ihnen und tat auch nicht wie sie. Und da er nun gestorben ist, so halte ich es für das beste, daß du alles, was wir besitzen. verkaufst und für den Preis Waren erstehst und dann mit mir in deine Heimat und zu den Deinen fährst; ich trage kein Verlangen danach, in dieser Stadt zu bleiben, nachdem meine Mutter und mein Vater gestorben sind.' Da verkaufte ich den ganzen Besitz jenes Scheichs, ein Stück nach dem andern, und hielt Umschau, ob nicht einer aus jener Stadt nach Baghdad reiste, so daß ich mich ihm hätte anschließen können. Während ich damit beschäftigt war, vernahm ich bald von einer Schar der Städter, die zwar dorthin reisen wollte, aber kein Schiff finden konnte; deshalb kauften sie Holz und bauten sich ein großes Fahrzeug. Ich einigte mich mit ihnen über Fahrgeld und Fracht, und nachdem ich ihnen den vollen Preis im voraus bezahlt hatte, brachte ich meine Frau und alle unsere bewegliche Habe an Bord; nur die Grundstücke und Landgüter ließen wir im Stich. Dann gingen wir in See und fuhren immer weiter dahin auf dem Wasser, von Insel zu Insel und von Meer zu



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Meer. Wind und Wetter waren günstig, bis wir wohlbehalten bei der Stadt Basra eintrafen. Diesmal hielt ich mich dort nicht auf, sondern ich mietete mir sofort ein anderes Schiff, in das ich alle meine Waren umlud, und machte mich auf den Weg nach Baghdad. Dort begab ich mich in mein Stadtviertel, ging in mein Haus und begrüßte die Meinen, meine Freunde und Gefährten; dann speicherte ich alle die Waren, die ich mitgebracht hatte, in meinen Vorratshäusern auf. Die Meinen aber hatten schon die Zeit meines Fernbleibens von ihnen auf der siebenten Reise berechnet und gefunden, daß es siebenundzwanzig Jahre waren; und so hatten sie alle Hoffnung auf meine Heimkehr fahren lassen. Als ich aber zu ihnen kam und ihnen von allen meinen Erlebnissen und Abenteuern berichtete. waren sie ganz davon überrascht und beglückwünschten mich zu meiner sicheren Heimkehr. Darauf entsagte ich vor Allah dem Erhabenen allen Reisen zu Lande und zu Wasser, nachdem ich diese siebente Reise überstanden hatte: sie war meiner Fahrten Wende und meiner Reiselust Ende. Und ich dankte Allah, dem Hochgepriesenen und Erhabenen, und lobte ihn von ganzem Herzen, weil er mich zu den Meinen und in mein Heimatland zurückgeführt hatte. Nun erwäge, o Sindbad, o Festländer, alles was ich erlebt und durchgemacht habe, und wie es mir dann ergangen ist!'

,Bei Allah, ich beschwöre dich,' sagte darauf Sindbad der Festländer zu Sindbad dem Seefahrer, ,sei mir nicht böse wegen dessen, was ich dir zuleide getan habe!' Und hinfort lebten sie als treue Freunde und Gefährten in lauter Fröhlichkeit, Freude und Seligkeit, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt, der die Schlösser vernichtet und die Gräber errichtet, der da ist der Becher des Todes -Preis sei Ihm, dem Lebendigen, der nimmer stirbt!


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