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Gustav Schwab -

Sagen des Klassischen Alterthums



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König Ödipus zeigt sich seinem Volke


Herakles der Neugeborene

Herakles war ein Sohn des Zeus und der Alkmene. Alkmene war eine Enkelin des Perseus; der Stiefvater des Herakles hieß Amphitryon. Auch er war ein Enkel des Perseus und König von Tiryns, hatte jedoch diese Stadt verlassen, um in Theben zu wohnen. Hera, die Gemahlin des Zeus, haßte ihre Nebenbuhlerin Alkmene und gönnte ihr den Sohn nicht, von dessen Zukunft Zeus den Göttern selbst Großes verkündet hatte. Als daher Alkmene den Herakles geboren, trug sie ihn aus Furcht vor der Göttermutter aus dem Palast und setzte ihn an einem Platze aus, der noch in späten Zeiten das Heraklesfeld hieß. Hier wäre das Kind ohne Zweifel verschmachtet, wenn nicht ein wunderbarer Zufall seine Feindin Hera selbst, von Athene begleitet, des Weges geführt hätte. Athene betrachtete die schöne Gestalt des Kindes mit Verwunderung, erbarmte sich sein und bewog die Begleiterin, dem Kleinen ihre göttliche Brust zu reichen. Aber der Knabe sog viel kräftiger an der Brust, als sein Alter erwarten ließ; Hera empfand Schmerzen und warf das Kind unwillig wieder zu Boden. Jetzt hob Athene es voll Mitleid wieder auf, trug es in die nahe Stadt und brachte es der Königin Alkmene als ein armes Findelkind, das sie aus Barmherzigkeit aufzuziehen bat. So war die leibliche Mutter aus Angst vor der Stiefmutter bereit gewesen, die Pflicht der natürlichen Liebe verleugnend, ihr Kind umkommen zu lassen; und die Stiefmutter, die von natürlichem Hasse gegen dasselbe erfüllt ist, muß, ohne es zu wissen, ihren Feind vom Tode erretten. Ja noch mehr. Herakles hatte nur ein paar Züge an Heras Brust getan, aber die wenigen Tropfen Göttermilch hatten genügt, ihm Unsterblichkeit einzuflößen.

Alkmene hatte indessen ihr Kind auf den ersten Blick erkannt und es freudig in die Wiege gelegt. Aber auch Hera hatte erfahren, wer an ihrer Brust gelegen, und wie leichtsinnig sie den Augenblick der Rache vorübergelassen habe. Sogleich schickte sie zwei entsetzliche Schlangen aus, die, das Kind zu töten bestimmt, durch die offenen Pforten in Alkmenes Schlafgemach geschlichen kamen und, ehe die Dienerinnen des Gemaches und die schlummernde Mutter selbst es inne wurden, sich an der Wiege emporringelten und den Hals des



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Knaben zu umstricken anfingen. Der Knabe erwachte mit einem Schrei und richtete seinen Kopf auf. Das ungewohnte Halsband war ihm unbequem. Da gab er die erste Probe seiner Götterkraft: er ergriff mit jeder Hand eine Schlange am Genick und erstickte die beiden mit einem einzigen Druck. Die Wärterinnen hatten die Schlangen jetzt wohl bemerkt, aber unbezwingliche Furcht hielt sie fern. Alkmene war auf den Schrei ihres Kindes erwacht; mit bloßen Füßen sprang sie aus dem Bett und stürzte hilferufend auf die Schlangen zu, die sie schon von den Händen ihres Kindes erwürgt fand. Jetzt traten auch die Fürsten der Thebaner, durch den Hilferuf aufgeschreckt, bewaffnet in das Schlafgemach; der König Amphitryon, der den Stiefsohn als ein Geschenk des Zeus betrachtete und liebhatte, eilte erschrocken herbei, das bloße Schwert in der Hand. Da stand er vor der Wiege und sah und hörte, was geschehen war; Lust, mit Entsetzen gemischt, durchbebte ihn über die unerhörte Kraft des kaum geborenen Sohnes. Er betrachtete die Tat als ein großes Wunderzeichen und rief den Propheten des großen Zeus, den Wahrsager Teiresias, herbei. Dieser weissagte dem König, der Königin und allen Anwesenden den Lebenslauf des Knaben: wie viele Ungeheuer auf Erden, wie viele Ungetüme des Meeres er hinwegräumen, wie er mit den Giganten selbst im Kampfe zusammenstoßen und sie besiegen werde, und wie ihn am Ende seines mühevollen Erdenlebens das ewige Leben bei den Göttern und Hebe, die ewige Jugend, als himmlische Gemahlin erwarte.


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