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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


DIE SECHSTE REISE SINDBADS DES SEEFAHRERS

Ihr wisset, meine Brüder, Freunde und Genossen, als ich von jener fünften Reise heimgekehrt war, vergaß ich bei Scherz und Gesang, in Wohlsein und Frohsinn alles, was ich vorher durchgemacht hatte, und führte das heiterste und freudigste Leben, das man sich denken kann. So lebte ich dahin, bis eines Tages, als ich in lauter Glück und Seligkeit dasaß, eine Schar von Kaufleuten mich besuchte, denen man ansah, daß sie von der Reise kamen. Ich dachte daran, wie ich selbst einst von der Reise heimgekehrt war und mich gefreut hatte, die Meinen,



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meine Freunde und Gefährten wiederzusehen und in der Heimat zu sein. Da ergriff mich von neuem die Sehnsucht, zu reisen und Handel zu treiben. Und als ich mich zur Fahrt entschlossen hatte, kaufte ich mir kostbare und prächtige Waren, die sich für eine Seereise eigneten, ließ die Lasten aufladen und zog mit ihnen von Baghdad nach Basra. Dort fand ich ein großes Schiff mit Kaufleuten und Vornehmen, die wertvolle Waren bei sich hatten. Ich ließ wie sie meine Ballen auf dem Schiff verstauen, und dann fuhren wir wohlbehalten von Basra ab.'——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 560. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sindbad der Seefahrer des weiteren erzählte: ,Als ich meine Ballen gerüstet und in dem Schiff aus Basra verstaut hatte, fuhren wir ab, und wir segelten immer weiter dahin, von Ort zu Ort, von Stadt zu Stadt, indem wir Handel trieben und uns die fremden Länder anschauten. Das Glück war uns hold, die Reise war günstig, und wir hatten große Gewinne. Aber eines Tages, als wir auf der Fahrt waren, fing plötzlich der Kapitän des Schiffes laut zu schreien an, warf seinen Turban fort, zerschlug sich das Gesicht, raufte sich den Bart und fiel vor lauter Angst und Aufregung in den Schiffsraum. Alle Kaufleute und Reisenden drängten sich um ihn und riefen: ,Kapitän, was ist geschehen?' Da gab er ihnen zur Antwort: ,Wisset, ihr Leute, wir fahren mit unserem Schiff in die Irre; wir haben das Meer, in dem wir fuhren, verlassen, und nun sind wir in einer See, deren Straßen wir nicht kennen, und wenn Allah uns keine Hilfe sendet, um uns aus diesem Meer zu erretten, so sind wir alle des Todes. Betet zu Allah dem Erhabenen, daß er uns aus dieser Not befreit!' Und



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alsbald sprang er hoch und kletterte auf den Mast und wollte die Segel losmachen; aber der Wind bekam das Schiff in seine Gewalt und trieb es zurück, so daß unser Steuerruder dicht bei einem hohen Felsen zerbrach. Da kam der Kapitän vom Mastbaum herunter und rief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Kein Mensch kann dem Schicksal in die Zügel greifen. Bei Allah, wir sind jetzt in großer Not; aus ihr bleibt uns keine Rettung, kein Entrinnen.' Nun begannen alle Reisenden ihr Los zu beweinen, und sie nahmen voneinander Abschied. da ja nun ihre Lebenszeit abgelaufen und ihnen alle Hoffnung abgeschnitten war. Und gleich darauf prallte das Schiff gegen den Felsen und zerschellte; die Planken brachen auseinander, und alles, was auf dem Schiffe war, versank ins Meer. Auch die Kaufleute fielen ins Wasser, und einige von ihnen ertranken, während andere sich an den Felsen klammern und hinaufkriechen konnten. Ich gehörte zu denen, die den Felsen erklommen, und von ihm aus entdeckten wir, daß wir uns auf einer großen Insel befanden, an deren Strand viele Wracke und viel Schiffsgut lagen; das kam von all den Fahrzeugen, deren Trümmer das Meer dort an Land zu spülen pflegte und deren Insassen ertrunken waren. Dort lagen so viele Geräte und Güter, die das Meer ausgeworfen hatte, daß Sinn und Verstand darüber verwirrt wurden. Ich stieg nun zur Höhe jener Insel hinauf und ging weiter, bis ich im Inneren einen Bach fließenden Süßwassers fand, der unten am Fuße des Berges herauskam und unter dem Höhenzug auf der anderen Seite wieder im Boden verschwand. Die anderen Reisenden kletterten alle über jenen Berg noch weiter in die Insel hinein und zerstreuten sich auf ihr, verwirrt und wie von Sinnen durch den Anblick all der Güter und Waren, die dort am Strande des



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Meeres umherlagen. Ich aber entdeckte am Boden jenes Baches eine gewaltige Menge von Juwelen, Edelsteinen, Rubinen und großen Königsperlen aller Art; wie Kies lagen sie in den Wasserläufen jener Fluren umher, und der ganze Boden des Baches selber glitzerte von der Menge all des edlen Gesteines. Ferner fanden wir auf jener Insel das kostbarste Aloeholz, chinesisches und komariner. Dort entspringt auch eine Quelle von einer Art rohen Ambers. Der schmilzt in der Sonnenhitze wie Wachs und läuft über die Quellränder hinaus bis zur Meeresküste; dann kommen die Seeungetüme, verschlucken ihn und verschwinden wieder in der Tiefe. Aber er brennt ihnen im Leibe, und so speien sie ihn wieder aus dem Rachen aufs Meer hinaus: dann erstarrt er auf der Oberfläche des Wassers, seine Farbe und seine Gestalt verändern sich, und die Wellen werfen ihn an die Gestade des Meeres; dort holen ihn die Reisenden und die Kaufleute. die ihn kennen, und nachher verkaufen sie ihn. Der rohe Amber jedoch, der noch nicht verschluckt ist, fließt über die Ränder jener Quelle und erstarrt auf der Erde: und wenn die Sonne darauf scheint, so schmilzt er, und das ganze Tal dort duftet nach ihm wie nach Moschus; wenn aber die Sonne von ihm weicht, so erstarrt er von neuem. Die Stätte, an der jener rohe Amber aufquillt, kann kein Mensch erreichen noch betreten; denn sie ist auf allen Seiten von jenem Gebirge umgeben, das niemand erklimmen kann. Wir zogen eine Weile auf der Insel umher und betrachteten die wunderbaren Dinge, die Allah der Erhabene dort geschaffen hatte, verwirrt ob unserer eigenen Lage und durch das, was wir dort sahen; denn wir lebten in großer Sorge. Wir hatten am Strande ein wenig Nahrung aufgelesen, und damit gingen wir sparsam um, indem wir nur einmal am Tage oder jeden zweiten Tag davon einen Bissen aßen; wir mußten befürchten, daß



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jener Vorrat uns ausgehen würde und wir dann alle elend in Hunger und Furcht umkämen. Wenn aber einer von uns starb, so wuschen wir ihn und hüllten ihn in ein Kleid oder in Linnen, das von den Wellen dort ans Land gespült war. Schließlich starben viele von uns, und es blieb nur noch eine kleine Schar von uns übrig. Wir litten aber an einer Erkrankung des Leibes, die von der See herrührte; und es dauerte nicht lange, da starben alle meine Freunde und Gefährten, einer nach dem andern wurde von uns begraben. Da blieb ich denn ganz allein auf jener fernen Insel und hatte nur noch wenig Nahrung, ich, der ich einst so reich gewesen war. Ich beweinte mein Los, und ich sprach: ,Wäre ich doch nur vor meinen Gefährten gestorben! Dann hätten sie mich gewaschen und begraben. Doch es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 561. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sindbad der Seefahrer des weiteren erzählte: ,Als alle meine Gefährten begraben waren und ich mich nun ganz allein auf der Insel befand, wartete ich noch eine kleine Weile: dann aber machte ich mich auf und grub ein tiefes Grab für mich, dort am Strande, und ich sagte zu mir selber: ,Wenn ich schwach werde und fühle, daß der Tod mir naht, so will ich mich in dies Grab legen und darin sterben; dann werden die Winde den Sand darüber wehen und mich zudecken, so daß auch ich begraben bin.' Und ich machte mir Vorwürfe, daß ich so töricht gewesen war, meine Stadt und mein Land zu verlassen und wieder in die Welt hinauszureisen, nach alledem, was ich zum ersten, zum zweiten, zum dritten, zum vierten und zum fünften Male



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durchgemacht hatte. Jedesmal, auf jeder einzelnen Reise, hatte ich doch immer schlimmere und furchtbarere Schrecken und Gefahren durchgemacht als auf der vorhergehenden, und jetzt endlich hatte ich gar keine Hoffnung mehr, mit dem Leben davonzukommen. Ich bereute, daß ich immer wieder auf See gegangen war, zumal ich das Geld gar nicht nötig hatte; denn ich besaß doch so viel, und was ich besaß, konnte ich nicht einmal auf brauchen, ja nicht die Hälfte davon konnte ich in meinem ganzen übrigen Leben ausgeben, ich hatte genug, übergenug! Darauf begann ich nachzusinnen, und ich sagte mir: ,Bei Allah, der Bach dort muß doch Anfang und Ende haben; er muß doch irgendwo wieder aus der Erde in bewohntem Lande ans Tageslicht treten. Darum halte ich es für das Richtige, wenn ich mir ein kleines Fahrzeug mache, so groß, daß ich gerade darin sitzen kann und, wenn ich es auf diesen Bach setze, hineinsteigen und mich von der Strömung treiben lassen kann. Finde ich dann den Weg zur Rettung, so werde ich mit Gottes Hilfe mein Leben retten; finde ich ihn aber nicht, so werde ich in diesem Flusse sterben, und das ist besser als hier.' Mit einem Seufzer um mein Los machte ich mich ans Werk, holte Stämme von der Insel, und zwar Stämme von Bäumen der chinesischen und komariner Aloe, band sie mit Tauen von den Wracken zusammen, suchte mir Planken von gleicher Größe unter den Schiffs planken und legte sie auf jene Stämme. So machte ich mir ein Floß, das nur etwas weniger breit war als jener Bach, und band es gut und fest zusammen. Darauf suchte ich mir Schätze von Edelsteinen, Juwelen und großen Perlen, die dort wie Kies herumlagen, und mancherlei andere Dinge von der Insel, auch einige Stücke von dem feinen, reinen, rohen Amber, und brachte sie auf das Floß. Alles, was ich auf der Insel gesammelt hatte, nahm ich mit mir, auch alles,



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was von dem Vorrat an Nahrung noch übrig war. Zuletzt legte ich noch auf beide Seiten je ein Brett, die als Ruder dienen sollten, und dann tat ich nach den Worten des Dichters:

Geh fort von einem Orte, da dir vor Unheil graut,
Und laß das Haus beklagen den, der es selbst erbaut!
Du findest eine Stätte an einem andren Platz;
Doch für dein Leben findest du nimmermehr Ersatz.
Drum fürchte nicht das Grausen der schicksalschweren Nacht;
Dem Unheil wird auf Erden ein Ende stets gemacht.
Und mein an einer Stätte bestimmt ist zu verderben.
Der wird an keiner Stätte als eben dieser sterben.
Auch sende keinen Boten in großen, schweren Dingen:
Den rechten Rat wird immer die eigne Seele bringen!

Und ich fuhr mit meinem Floße auf dem Bach dahin und dachte darüber nach, was wohl aus diesem Unterfangen noch werden würde. Ich trieb immer weiter, bis ich zu der Stelle kam, wo der Bach unter dem Höhenzug verschwand. Als nun mein Floß dort hineinfuhr, umgab mich plötzlich dichte Finsternis; die Strömung aber trieb das Fahrzeug mit mir immer weiter in das Berginnere, bis zu einer Stelle, wo die Höhlung im Felsgestein enger ward. Da neben sich die Seiten des Floßes an den Bergwänden, und mein Kopf streifte an der Decke entlang; aber es gab keine Rückkehr mehr für mich. Wieder machte ich mir Vorwürfe über das, was ich mir selbst angetan hatte, und ich sagte mir: ,Wenn dies Loch noch enger wird, so kann das Floß nicht mehr hindurchfahren; es kann aber auch nicht mehr zurückfahren, und dann werde ich hier elend umkommen, daran ist kein Zweifel.' Dann warf ich mich, weil es dort so eng war, der Länge nach mit dem Gesicht auf das Floß; die Strömung jedoch trug mich immer weiter, und es war dort im Felsen so finster, daß ich nicht wußte, ob es Tag oder Nacht war; und dazu kam noch der Schrecken und die



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Angst meiner Seele vor dem Tode. So ließ ich mich denn dahintreiben auf jenem Strome, bald durch weite, bald durch enge Höhlungen im Gestein. Aber die Dunkelheit machte mich so müde, daß ich einschlief, trotz all der Aufregung, und so lag ich schlafend auf meinem Gesicht, dort auf dem Floß, das mit mir dahinfuhr, während ich schlummerte, ich weiß nicht, ob lange oder kurze Zeit. Doch plötzlich wachte ich auf und fand mich im Licht des Tages; als ich die Augen öffnete, sah ich eine weite Gegend, das Floß war am Ufer festgebunden, und um mich stand eine Schar von Indern und braunen Menschen. Sobald sie sahen, daß ich aufgewacht war, kamen sie auf mich zu und redeten mich in ihrer Sprache an. Ich verstand aber nicht, was sie sagten, und ich hielt alles für eine Einbildung und glaubte, das geschehe im Traume, da ich noch so voll Angst und Aufregung war. Nachdem sie mich angeredet hatten, ohne daß ich ihre Sprache verstand und ohne daß ich ihnen eine Antwort gab, trat einer von ihnen auf mich zu und sagte zu mir auf arabisch:, Friede sei mit dir, Bruder! Wer bist du? Woher kommst du? Warum bist du hierher gekommen? Wie bist du in dies Wasser hineingeraten? Was für ein Land liegt hinter dem Berge? Wir kennen niemanden, der von dort hierher zu uns gekommen wäre.' Da fragte ich ihn: ,Was für Leute seid ihr denn? Und was für ein Land ist dies?' Er antwortete mir: ,Bruder. wir sind Ackerbauer und Landleute, und wir sind gekommen, um unsere Felder und Saaten zu bewässern. Als wir dich auf dem Floße schlafen sahen, hielten wir es an und banden es hier fest, damit du gemächlich aufwachen könntest. Doch nun sage uns, weshalb du hierher gekommen bist!' ,üm Gottes willen, lieber Herr,' rief ich, ,bring mir etwas zu essen, ich bin so hungrig; dann frage mich, was du willst!' Sofort lief er hin und brachte



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mir Speise; und ich aß, bis ich satt war und mich erholt hatte; da legte sich meine Furcht, und das Gefühl der reichlichen Sättigung verlieh mir neue Kraft. Nun pries ich Allah den Erhabenen für alle Dinge und freute mich, daß ich aus jenem Flusse heraus zu jenen Leuten gekommen war; und ich erzählte ihnen alles, was ich erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende, besonders auch, was ich auf dem Flusse dort in dem engen Loche durchgemacht hatte.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 562. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sindbad der Seefahrer des weiteren erzählte: ,Als ich von dem Floße herunter ans Ufer gestiegen war und dort eine Schar von Indern und braunen Leuten sah und mich von meinen Anstrengungen etwas erholt hatte, fragten sie mich, was es mit mir auf sich habe, und ich erzählte ihnen nun meine Geschichte. Dann redeten sie miteinander und sagten: ,Wir müssen ihn mit uns nehmen und vor unseren König bringen, auf daß er ihm seine Abenteuer erzählte.' Dann nahmen sie mich mit sich und trugen auch das Floß mit, samt allem, was darauf war an Geld und Gut, Juwelen, Edelsteinen und Kleinodien. Und als sie zu ihrem König eingetreten waren, berichteten sie ihm, was geschehen war. Da bot er mir den Gruß, hieß mich willkommen und fragte mich nach mir selber und nach meinen Abenteuern. So berichtete ich ihm denn alles über mich und über meine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende. Und nachdem er meiner Erzählung mit größtem Staunen zugehört hatte, beglückwünschte er mich zu meiner Rettung. Darauf ging ich hin und holte von dem Floße eine große Menge von Edelsteinen, Juwelen, Aloeholz und rohem Amber und schenkte es dem



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König. Der nahm es an und erwies mir immer mehr Ehren und ließ mich sogar in seinem eigenen Palaste wohnen. Ich verkehrte auch mit den Vornehmen dort, und sie bezeigten mir stets hohe Achtung; derweilen blieb ich immer am Hofe des Königs. Und die Fremden, die zu jener Insel kamen, fragten mich, wie es in meiner Heimat aussähe, und dann erzählte ich ihnen davon; ebenso fragte auch ich sie nach den Dingen in ihrer Heimat, und sie berichteten mir darüber. Eines Tages aber fragte der König mich, wie es in meiner Heimat aussähe und wie es mit der Regierung des Kalifen in der Stadt Baghdad stände; da erzählte ich ihm, wie gerecht der Kalif herrsche. Das bewunderte er, und dann sagte er zu mir: ,Bei Allah, des Kalifen Regierung ist weise, und seine Verwaltung ist löblich. Du hast in mir die Liebe zu ihm erweckt, und ich möchte ihm ein Geschenk zurüsten und es ihm durch dich übersenden.' ,Ich höre und gehorche, o Gebieter!' erwiderte ich; ,ich will es ihm überbringen und ihm berichten, daß du ihm ein aufrichtiger Freund bist.' Ich blieb aber noch eine ganze Weile bei jenem König in höchster Ehrenstellung und im schönsten Leben, bis ich schließlich eines Tages, als ich im Palaste saß, hörte, daß eine Schar von Kaufleuten jener Stadt ein Schiff ausgerüstet hätte, mit dem sie nach der Stadt Basra fahren wollte. Da sagte ich mir: ,Für mich kann es nichts Besseres geben, als mit dieser Schar zu reisen.' Und sofort eilte ich hin, küßte die Hand des Königs und tat ihm kund, daß ich mit jener Schar von Kaufleuten, die das Schiff ausgerüstet hatten, abreisen wolle, da ich mich nach den Meinen und nach meiner Heimat sehne. Der König erwiderte: ,Der Entscheid steht bei dir. Doch wenn du bei uns bleiben willst, so wollen wir dich herzlich gern behalten, denn du bist uns vertraut geworden.' ,Bei Allah, hoher Herr,' sagte ich darauf, ,du überschüttest mich mit deiner



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Huld und Güte. Dennoch habe ich Sehnsucht nach meinem Volk und meiner Heimat und meinen Anverwandten.' Als er diese Worte von mir vernommen hatte, berief er jene Kaufleute zu sich und empfahl mich ihrem Schutze; auch schenkte er mir vielerlei aus seinen Schätzen und bezahlte für mich die Reise auf dem Schiffe. Und mit mir sandte er ein prächtiges Geschenk für den Kalifen Harûn er-Raschîd in der Stadt Baghdad. Darauf nahm ich Abschied vom König und von all meinen Freunden, bei denen ich aus und ein gegangen war. Und nachdem ich mit den Kaufleuten an Bord jenes Schiffes gegangen war, fuhren wir ab; der Wind war günstig, die Reise war glücklich, und im Vertrauen auf Allah, den Hochgepriesenen und Erhabenen, fuhren wir immer weiter dahin, von Meer zu Meer und von Insel zu Insel, bis wir mit der Hilfe des Höchsten wohlbehalten bei der Stadt Basra eintrafen. Dort verließ ich das Schiff und hielt mich ein paar Tage und Nächte auf, um mich zu rüsten und meine Lasten aufzuladen. Dann begab ich mich zur Stadt Baghdad, dem Horte des Friedens, und erlangte dort Zutritt zum Kaufen Harûn er-Raschîd, um ihm jenes Geschenk zu überreichen, und dabei erzählte ich ihm meine Erlebnisse. Dann speicherte ich alle meine Schätze und Güter auf und ging in mein Stadtviertel. Die Meinen und meine Freunde kamen zu mir, und ich verteilte Geschenke an alle; auch gab ich Almosen und Spenden. Nach einer Weile jedoch sandte der Kalif nach mir und fragte mich von nach jenem Geschenk und der Stadt, aus der es stammte. Ich gab ihm zur Antwort: ,O Beherrscher der Gläubigen, bei Allah. ich kenne den Namen der Stadt nicht und weiß auch nicht den Weg dorthin. Als das Schiff, mit dem ich reiste, untergegangen war, ging ich auf einer Insel an Land und machte mir ein Floß, mit dem ich auf einem Bache im Innern der



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Insel dahinfuhr.' Und ich berichtete ihm, was ich auf der Reise erlebt hatte, wie ich glücklich jenen Bach entlang gefahren und dann zu jener Stadt gekommen war, und warum das Geschenk übersandt war. Nachdem der König meine Erzählung mit Erstaunen angehört hatte, befahl er den Chronisten, meine Geschichte aufzuzeichnen und sie in seinem Schatzhause niederzulegen, als eine Lehre für alle, die sie lesen würden. Dann verlieh er mir reiche Geschenke. Ich aber führte in der Stadt Baghdad das gleiche Leben wie früher; ich vergaß alles, was ich erlebt und erlitten hatte, ganz und gar und lebte immerdar herrlich und in lauter Freuden. So ist es mir auf der sechsten Reise ergangen, meine Brüder! Morgen, so Allah der Erhabene will, werde ich euch die Geschichte der siebenten Reise erzählen; die ist von allen meinen Reisen die wunderbarste und seltsamste." *



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Darauf befahl er, die Tische zu breiten, und die Gäste speisten bei ihm zur Nacht. Ferner wies er Sindbad dem Lastträger wie immer hundert Quentchen Goldes an; der nahm sie hin und ging seiner Wege. Auch die anderen Gäste kehrten heim, und alle waren über die Maßen erstaunt über das, was sic gehört hatten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 563. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Sindbad der Festländer, nachdem Sindbad der Seefahrer seine sechste Reise erzählt hatte und alle Gäste ihrer Wege gegangen waren, in seiner



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Wohnung die Nacht verbrachte. Dann sprach er das Frühgebet und begab sich danach zum Hause Sindbads des Seefahrers. Nun kamen auch die anderen Gäste, und als alle vollzählig waren, hub jener an und erzählte


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