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Gustav Schwab -

Sagen des Klassischen Alterthums



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König Ödipus zeigt sich seinem Volke


Jasons Ende

Jason gelangte nicht zu dem Throne von Joikos, um dessentwillen er die gefahrvolle Fahrt bestanden. Medea ihrem Vater geraubt und an ihrem Bruder Absyrtos einen schändlichen Mord begangen hatte. Er mußte das Königreich dem Sohne des Pelias, Akastos, überlassen und sich mit seiner jungen Gemahlin nach Korinth flüchten. Hier wohnte er zehn Jahre mit ihr, und sie gebar ihm drei Söhne. Während jener Zeit war Medea nicht nur um ihrer Schönheit willen, sondern auch wegen ihres edlen Sinnes und ihrer übrigen Vorzüge von ihrem Gatten geliebt und geehrt. Als aber später die Zeit die Reize ihrer Gestalt allmählich vertilgte, wurde Jason von der Schönheit eines jungen Mädchens, der Tochter des Korintherkönigs Kreon, mit Namen Glauke, entzündet und betört. Ohne daß seine Gattin darum wußte, warb er um die Jungfrau, und nachdem der Vater eingewilligt und den Tag der Hochzeit bestimmt hatte, suchte er erst seine Gemahlin zu bewegen, daß sie freiwillig auf die Ehe verzichten sollte. Er versicherte ihr auch, daß er die neue Heirat nicht schließen wolle, weil er ihrer Liebe überdrüssig sei, sondern aus Fürsorge für seine Kinder suche er in Verwandtschaft mit dem hohen Königshause zu treten. Aber Medea war entrüstet über diesen Antrag und rief zürnend die Götter an als Zeugen seiner Schwüre. Jason achtete dessen nicht und vermählte sich mit der Königstochter. Verzweifelnd irrte Medea in dem Palast ihres Gatten umher. "Wehe mir," rief sie, "möchte die Flamme des Himmels auf mein Haupt hernieder zücken! Was soll ich länger leben? Möchte der Tod sich meiner erbarmen! O Vater, o Vaterstadt, die ich schimpflich verlassen habe! O Bruder, den ich gemordet, und dessen Blut jetzt über mich kommt! Aber nicht an meinem Gatten Jason war es, mich zu strafen, für ihn habe ich gesündigt. Göttin der Gerechtigkeit, mögest du ihn und sein junges Kebsweib verderben!"

Noch jammerte sie so, als Kreon, Jasons neuer Schwiegervater, im Palast ihr begegnete. "Du Finsterblickende, auf deinen



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Gemahl Ergrimmte." redete er sie an, "nimm deine Söhne an de Hand und verlaß mir mein Land auf der Stelle; ich werde nich nach Hause kehren, ehe ich dich über meine Grenzen gejagt." Medea, ihren Zorn unterdrückend, sprach mit gefaßter Stimme: . "Warum fürchtest du ein Ubel von mir, Kreon? Was hast du mir Böses getan, was warst du mir schuldig? Du hast deine Tochter dem Manne gegeben, der dir gefallen hat. Was ging ich dich an? Nur meinen Gatten hasse ich, der mir alles schuldig ist. Doch es ist geschehen: mögen sie als Gatten leben. Mich aber laß in diesem Lande wohnen, denn obgleich ich tief gekränkt bin, so will ich doch schweigen und den Mächtigeren mich unterwerfen." Aber Kreon sah ihr die Wut in den Augen an, er traute ihr nicht, obgleich sie seine Knie umschlang und ihn bei dem Namen der eigenen, ihr so verhaßten Tochter Glauke beschwor. "Geh," erwiderte er, "und befreie mich von Sorgenl" Da bat sie nur um einen einzigen Tag Aufschub, um einen Weg zur Flucht und ein Asyl für ihre Kinder wählen zu können. "Meine Seele ist nicht tyrannisch," sprach da der König, "schon viel törichte Nachgiebigkeit habe ich aus falscher Scheu geübt. Auch jetzt fühle ich, daß ich nicht weise handle, dennoch sei es dir gestattet, Weib."

Als Medea die gewünschte Frist erhalten hatte, bemächtigte sich ihrer der Wahnsinn, und sie schritt zur Vollführung einer Tat, die ihr wohl bisher dunkel im Geiste vorgeschwebt, an deren Möglichkeit sie jedoch selbst nicht geglaubt hatte. Dennoch machte sie vorher einen letzten Versuch, ihren Gatten von seinem Unrecht und seinem Frevel zu überzeugen. Sie trat vor ihn und sprach zu ihm: "O du schlimmster aller Männer, du hast mich verraten, hast einen neuen Ehebund eingegangen, während du doch Kinder hast! Wärest du kinderlos, so wollte ich dir verzeihen; du hättest eine Ausrede. So bist du unentschuldbar; ich weiß nicht, meinst du, die Götter, die damals herrschten, als du mir Treue versprachest, regieren nicht mehr, oder es seien den Menschen neue Gesetze für ihre Handlungen gegeben worden, daß du glaubst, meineidig werden zu dürfens Sage mir, ich will dich fragen, als wenn du mein Freund wärest: wohin rätst du mir zu gehen? Schickst du mich zurück in meines Vaters Haus, den ich verraten, dem ich den Sohn getötet habe dir zuliebe? Oder welche andere Zuflucht weißt du für mich? Fürwahr, es wird ein herrlicher Ruhm für dich, den Neuvermählten, sein, wenn deine erste Gattin mit deinen eigenen Söhnen in der Welt



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betteln geht!" Doch Jason war verhärtet. Er versprach ihr, sie und die Kinder, mit reichlichem Gelde und Briefen an seine Gastfreunde versehen, zu entlassen. Sie aber verschmähte alles. "Geh, vermähle dich," sprach sie, "du wirst eine Hochzeit feiern, die dich gereuen wird!" Als sie ihren Gemahl verlassen hatte, reuten sie die letzten Worten wieder, nicht weil sie andern Sinnes geworden war, sondern weil sie fürchtete, er möchte ihre Schritte beobachten und sie an der Ausführung ihres Frevels verhindern. Sie ließ daher um eine zweite Unterredung mit ihm bitten und sprach zu ihm mit veränderter Miene: "Jason, verzeih mir, was ich gesprochen: der blinde Zorn hat mich verführt, ich sehe jetzt ein, daß alles, was du getan hast, zu unserm eigenen Besten gereichen soll. Arm und verbannt sind wir hierher gekommen, du willst durch deine neue Heirat für dich, für deine Kinder, zuletzt auch für mich selbst sorgen. Wenn sie eine Weile fern gewesen sind, wirst du deine Söhne zurückberufen, wirst sie teilnehmen lassen an dem Glücke der Geschwister, die sie erhalten sollen. Kommt herbei, kommt herbei, Kinder, umarmt euren Vater, versöhnet euch mit ihm, wie ich mich mit ihm versöhnt habe!" Jason glaubte an diese Sinnesänderung und er war hocherfreut darüber, er versprach ihr und den Kindern das Beste; und Medea fing an, ihn noch sicherer zu machen. Sie bat ihn, die Kinder bei sich zu behalten und sie allein ziehen zu lassen. Damit die neue Gattin und ihr Vater dieses dulde, ließ sie aus ihrer Vorratskammer köstliche goldene Gewänder holen und reichte sie dem Jason als Brautgeschenk für die Königstochter. Nach einigem Bedenken ließ dieser sich überreden, und ein Diener ward abgesandt, die Gaben der Braut zu bringen. Aber diese köstlichen Kleider waren mit Zauberkraft getränkte, giftige Gewänder. und als Medea heuchlerischen Abschied von ihrem Gatten genommen hatte, harrte sie von Stunde zu Stunde der Nachricht vom Empfang ihrer Geschenke, die ein vertrauter Bote ihr bringen sollte. Dieser kam endlich und rief ihr entgegen: "Steig in dein Schiff, Medea, fliehe! fliehe! deine Feindin und ihr Vater sind tot. Als deine Söhne mit ihrem Vater das Haus der Braut betraten, freuten wir Diener uns alle, daß die Zwietracht verschwunden und die Versöhnung vollkommen sei. Die junge Königin empfing deinen Gatten mit heiterem Blick; als sie aber die Kinder sah, bedeckte sie ihre Augen, wandte das Antlitz ab und verabscheute ihre Gegenwart. Doch Jason besänftigte ihren Zorn, sprach ein gutes Wort für dich und breitete



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die Geschenke vor ihr aus. Als sie die herrlichen Gewänder sah, wurde ihr Herz von der Pracht gereizt, es wandte sich, und sie versprach ihrem Bräutigam, in alles zu willigen. Als dein Gemahl mit den Söhnen sie verlassen hatte, griff sie mit Begierde nach dem Schmuck, legte den Goldmantel um, setzte sich den goldenen Kranz ins Haar und betrachtete sich vergnügt in einem hellen Spiegel. Dann durchwandelte sie die Gemächer und freute sich wie ein kindisches Mädchen ihrer Herrlichkeit. Bald aber wechselte das Schauspiel. Mit verwandelter Farbe, an allen Gliedern zitternd, wankte sie rückwärts, und bevor sie ihren Sitz erreicht hatte, stürzte sie auf den Boden nieder, erbleichte, begann die Augensterne zu verdrehen, und Schaum trat ihr über den Mund. Wehklagen ertönte in dem Palast, die einen Diener eilten zu ihrem Vater, die andern zu ihrem zukünftigen Gatten. Inzwischen flammte der verzauberte Kranz auf ihrem Haupte in Feuer auf; Gift und Flamme zehrten an ihr um die Wette. und als ihr Vater jammernd herbeigestürzt kam, fand er nur noch den entstellten Leichnam der Tochter. Er warf sich in Verzweiflung auf sie; von dem Gifte des mörderischen Gewandes ergriffen, hat auch er sein Leben geendet. Von Jason weiß ich nichts."

Statt die Wut Medeas zu dämpfen, entflammte die Erzählung dieser Greuel sie vielmehr, und ganz zur Furie der Rachsucht geworden, rannte sie fort, ihrem Gatten und sich selbst den tödlichsten Schlag zu versetzen. Sie eilte nach der Kammer, wo ihre Söhne schliefen, denn die Nacht war herbeigekommen. "Waffne dich, mein Herz," sprach sie unterwegs zu sich selber, "was zögerst du, das Gräßliche und Notwendige zu vollbringen? Vergiß, Unglückliche, daß es deine Kinder sind, daß du sie geboren hast. Nur diese eine Stunde vergiß es! Nachher beweine sie dein ganzes Leben lang. Du tust ihnen selbst einen Dienst. Tötest du sie nicht, so sterben sie von einer feindseligen Hand."

Als Jason in sein Haus geflogen kam, die Mörderin seiner jungen Braut aufzusuchen und sie seiner Rache zu opfern, scholl ihm das Jammergeschrei seiner Kinder entgegen, die unter dem Mordstahl bluteten; er trat in die aufgestoßene Kammer und fand seine Söhne wie Schuldopfer hingewürgt, Medea aber war nicht zu erblicken. Als er in Verzweiflung sein Haus verließ, hörte er in der Luft ein Geräusch über seinem Haupte. Emporschauend, ward er hier die fürchterliche Mörderin gewahr, wie sie auf einem mit Drachen



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bespannten Wagen, den ihre Kunst herbeigezaubert hatte, durch die Lüfte davonfuhr und den Schauplatz ihrer Rache verließ. Jason hatte die Hoffnung verloren, sie je für ihren Frevel zu strafen; die Verzweiflung kam über ihn, und der Mord des Absyrtos wachte wieder auf in seiner Seele. Er stürzte sich in sein Schwert und fiel auf der Schwelle seines Hauses.


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