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Gustav Schwab -

Sagen des Klassischen Alterthums



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König Ödipus zeigt sich seinem Volke


Neue Verfolgung der Kolchier

Hier waren sie aufs gastlichste aufgenommen worden und wollten sich eben recht gütlich tun, als plötzlich an der Küste ein furchtbares Heer der Kolchier erschien, deren Flotte auf einem andern Wege bis hierher vorgedrungen war. Sie verlangten die Königstochter Medea, um sie in das väterliche Haus zurückzuführen, oder bedrohten die Griechen mit einer mörderischen Schlacht schon jetzt, und noch mehr, wenn Stetes selbst mit einem noch gewaltigeren Heere nachkommen würde. Der gute König Alkinoos aber hielt sie, da sie schon in die Schlacht eilten, zurück, und Medea umfaßte die Knie seiner Gemahlin Arete. "Herrin, ich flehe dich an," sprach sie, "laß mich nicht zu meinem Vater bringen, wenn anders du dem menschlichen Geschlechte angehörst, das allzumal durch leichten Irrtum in schnelles Unglück stürzt. So ist auch mir die Besonnenheit



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entschwunden. Doch nicht Leichtsinn, sondern nur entsetzliche Furcht hat mich zur Flucht mit diesem Manne bewogen. Als Jungfrau führt er mich in seine Heimat. Darum erbarme dich meiner, und die Götter mögen dir langes Leben und Kinder und deiner Stadt unsterbliche Zier gewähren." Auch den einzelnen Helden warf sie sich flehend zu Füßen. Ein jeder aber, den sie anrief, hieß sie guten Mutes sein, schüttelte die Lanze, zog sein Schwert und versprach ihr beizustehen, wenn Alkinoos sie ausliefern wollte.

In der Nacht ratschlagte der König mit seiner Gemahlin über das kolchische Mädchen. Arete bat für sie und erzählte ihm, daß der große Held Jason sie zu seiner rechtmäßigen Gemahlin machen wolle. Alkinoos war ein sanfter Mann, und sein Gemüt wurde noch weicher, als er dieses hörte. "Gern würde ich," erwiderte er seiner Gemahlin, "die Kolchier den Helden und der Jungfrau zuliebe auch mit den Waffen vertreiben, aber ich fürchte das Gastrecht des Zeus zu verletzen; auch ist es nicht klug, den mächtigen König Stetes zu reizen, denn, so ferne er wohnt, er wäre doch imstande, Griechenland mit einem Kriege zu überziehen. Höre daher den Ratschluß, den ich gefaßt habe. Ist das Mädchen noch eine freie Jungfrau, so soll sie ihrem Vater zurückgegeben werden; ist sie aber des Helden Gemahlin, so werde ich sie dem Gatten nicht rauben, denn diesem gehört sie vor dem Vater." Arete erschrak, als sie diesen Entschluß des Königs hörte. Noch in der Nacht sandte sie einen Herold zu Jason, der ihm alles hinterbrachte und ihm riet, sich noch vor Anbruch des Morgens mit Medea zu vermählen. Die Helden, welchen Jason den unerwarteten Vorschlag mitteilte, waren es alle zufrieden, und so wurde unter den Liedern des Orpheus in einer heiligen Grotte die Jungfrau feierlich zur Gattin Jasons eingeweiht.

Am andern Morgen, als die Ufer der Insel und das tauige Feld von den ersten Sonnenstrahlen schimmerten, rührte sich alles Phäakenvolk auf den Straßen der Stadt, und am andern Ende der Insel standen die Kolchier auch schon unter den Waffen. Alkinoos trat versprochenermaßen hervor aus seinem Palast, das goldene Zepter in der Hand, zu richten über das Mädchen; hinter ihm gingen scharenweise die edelsten Phäaken einher; auch die Frauen waren zusammengekommen, um die herrlichen Helden der Griechen zu schauen, und viele Landleute hatten sich versammelt, denn Hera hatte das Gerücht weit und breit ausgestreut. So war alles vor den Mauern der Stadt bereit, und die Opfer dampften zum Himmel empor.



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Schon lange harrten hier die Helden der Entscheidung. Als nun der König auf seinem Thron Platz genommen hatte, trat Jason hervor und erklärte mit eidlicher Bekräftigung die Königstochter Medea für seine rechtmäßige Gemahlin. Sobald Alkinoos dies hörte und Zeugen der Vermählung aufgetreten waren, tat er mit einem feierlichen Schwur den Ausspruch, daß Medea nicht ausgeliefert werden sollte, und schirmte seine Gäste. Vergebens widersetzten sich die Kolchier; der König hieß sie entweder als friedliche Gäste in
seinem Lande wohnen oder mit ihren Schiffen sich aus seinem Hafen entfernen. Sie aber, die den Zorn ihres Landesherrn fürchteten, wenn sie ohne seine Tochter zurückkehrten, wählten das letztere. Am siebenten Tage brachen auch die Argonauten, ungern von Alkinoos entlassen und herrlich beschenkt, zur Weiterfahrt auf.


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