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Gustav Schwab -

Sagen des Klassischen Alterthums



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König Ödipus zeigt sich seinem Volke


Weisere Heimfahrt der Argonauten

Auf des Peleus Rat schifften nun die Helden aus der Mündung hervor und schleunig davon, ehe die zurückgelassenen Kolchier zur Besinnung kommen konnten. Als diese inne wurden, was geschehen war, gedachten sie anfangs die Feinde zu verfolgen, aber Hera schreckte sie mit warnenden Blitzen vom Himmel. und da sie zu Hause den Zorn des Königs fürchteten, wenn sie ihm Sohn und Tochter nicht zurückbrachten, so blieben sie auf den Artemisinseln in der Mündung des Ister zurück und siedelten sich hier an.

Die Argonauten aber schifften an mancherlei Gestaden und Inseln vorüber, auch an dem Eilande, wo die Königin Kalypso, die Tochter des Atlas, wohnte. Schon glaubten sie, in der Ferne die höchsten Bergspitzen des heimischen Festlandes aufsteigen zu sehen, als Hera, welche die Pläne des erzürnten Zeus fürchtete, einen Sturm gegen sie erhob, der ihr Schiff mit Ungestüm an die unwirtliche Insel Elektris trieb. Jetzt begann auch das weissagende



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Holz, das Athene mitten in den Kiel eingefügt hatte, zu sprechen, und entsetzliche Furcht ergriff die Horchenden. "Ihr werdet dem Zorn des Zeus und den Irrfahrten des Meeres nicht entgehen," tönte das hohle Brett, "bevor nicht die Zaubergöttin Kirke euch den grausamen Mord des Absyrtos abgewaschen hat. Kastor und Polluce sollen zu den Göttern beten, daß sie euch die Pfade des Meeres öffnen und ihr Kirke finden könnet, die Tochter des Sonnengottes und der Perse." So sprach der hölzerne Mund des Schiffes Argo um die Abenddämmerung. Schauder und Furcht ergriff die Helden, als sie den seltsamen Propheten so Schreckliches verkünden hörten. Die Zwillinge Kastor und Polluce allein sprangen auf und hatten den Mut, zu den unsterblichen Göttern um Schutz zu beten; das Schiff aber schoß weiter bis in die innerste Bucht des Eridanos, da wo einst Phaethon verbrannt vom Sonnenwagen in die Flut gefallen war. Noch jetzt schickt er aus der Tiefe Rauch und Glut aus seiner brennenden Wunde hervor, und kein Schiff kann mit leichten Segeln über dieses Gewässer hinfliegen, sondern es springt mitten in die Flamme hinein. Ringsumher am Ufer seufzen, in Pappeln verwandelt, Phaethons Schwestern, die Heliaden, im Winde und träufeln lichte Tränen aus Bernstein auf den Boden, welche die Sonne trocknet und die Flut in den Eridanos hineinzieht. Den Argonauten half zwar ihr starkes Schiff aus dieser Gefahr, aber alle Lust nach Speise und Trank verging ihnen; denn bei Tage peinigte sie der unerträgliche Geruch, der aus den Fluten des Eridanos vom dampfenden Phaethon aufstieg, und bei Nacht hörten sie ganz deutlich das Wehklagen der Heliaden, und wie die Bernsteintränen gleich Öltropfen ins Meer rollten. An den Ufern des Eridanos hin kamen sie zu einer Mündung des Rhodanos und wären hineingeschifft, von wannen sie nicht lebendig herausgekommen wären, wenn nicht Hera plötzlich auf einer Klippe erschienen wäre und mit furchtbarer Götterstimme sie abgemahnt hätte. Diese hüllte das Schiff schirmend in schwarzen Nebel, und so fuhren sie an unzähligen Keltenvölkern viele Tage und Nächte vorbei, bis sie endlich das tyrrhenische Ufer erblickten und bald darauf glücklich in den Hafen der Insel Kirkes einliefen.

Hier fanden sie die Zaubergöttin, wie sie, am Meergestade stehend, ihr Haupt in den Wellen badete. Ihr hatte geträumt, das Gemach und ganze Haus ströme von Blut über, und die Flamme fresse alle Zaubermittel, mit welchen sie sonst die Fremdlinge behext



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hatte; sie aber schöpfe mit hohler Hand das Blut und lösche das Feuer damit. Dieser entsetzliche Traum hatte sie mit der Morgenröte vom Lager aufgeschreckt und ans Meeresufer getrieben; hier wusch sie Kleider und Haare, als ob sie blutbefleckt wären. Ungeheure Bestien, nicht andern Tieren ähnlich, sondern aus den verschiedensten Gliedern zusammengesetzt, folgten ihr herdenweise wie das Vieh dem Hirten aus dem Stalle. Die Helden ergriff entsetzliches Grausen, zumal da sie der Kirke nur ins Angesicht zu sehen brauchten, um sich zu überzeugen, daß sie die Schwester des grausamen Stetes sei. Als die Göttin die nächtlichen Schrecken von sich entfernt hatte, kehrte sie schnell wieder um, lockte die Tiere und streichelte sie, wie man Hunde streichelt.

Jason hieß die ganze Mannschaft im Schiffe bleiben, er selbst sprang mit Medea ans Land und zog das widerstrebende Mädchen mit sich fort, Kirkes Palast zu. Kirke wußte nicht, was die Fremden bei ihr suchten. Sie hieß sie auf schönen Sesseln Platz nehmen. Jene aber flüchteten still und traurig an den Herd und ließen sich dort nieder. Medea legte ihr Haupt in beide Hände, und Jason stieß das Schwert, mit welchem er den Absyrtos umgebracht hatte, in den Boden, legte die Hand auf dasselbe und stützte sein Kinn darauf, ohne die Augen aufzuschlagen. Da merkte Kirke, daß es Schutzflehende seien, und verstand sogleich, daß es sich um den Jammer der Verbannung und die Sühnung eines Mordes handle. Sie trug Scheu vor Zeus, dem Beschirmer der Flehenden, und brachte das verlangte Opfer dar, indem sie eine Hündin schlachtete und den reinigenden Zeus dazu anrief. Ihre Dienerinnen, die Najaden, mußten die Sühnungsmittel aus dem Hause und ins Meer tragen; sie selbst stellte sich an den Herd und verbrannte heilige Opferkuchen unter feierlichen Gebeten, um den Zorn der Furien zu besänftigen und die Verzeihung des Göttervaters für die Mordbefleckten anzurufen. Als alles vorüber war, ließ sie die Fremden erst auf die glänzenden Stühle sitzen und setzte sich ihnen gegenüber. Dann fragte sie die Fremdlinge über ihr Geschäft und ihre Schifffahrt, woher sie kämen, warum sie hier gelandet, und wofür sie ihren Schutz begehrt hätten, denn ihr blutiger Traum war ihr wieder in den Sinn gekommen. Als die Jungfrau nun ihr Haupt aufrichtete und ihr ins Gesicht sah, fielen ihr die Augen des Mädchens auf; denn Medea stammte ja wie Kirke selbst vom Sonnengotte, und alle Abkömmlinge dieses Gottes haben strahlende Augen



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voll Goldglanz. Nun verlangte sie die Muttersprache der Landesflüchtigen zu hören, und die Jungfrau fing an, in kolchischer Mundart alles, was mit Stetes, den Helden und ihr geschehen war, der Wahrheit nach zu erzählen; nur die Ermordung ihres Bruders Absyrtos wollte sie nicht gestehen. Aber der Zaubergöttin Kirke blieb nichts verborgen; doch jammerte sie ihre Nichte, und sie sprach: "Arme, du bist unehrlich geflohen und hast einen großen Frevel begangen. Gewiß wird dein Vater nach Griechenland kommen, den Mord seines Sohnes an dir zu rächen. Von mir jedoch sollst du kein weiteres ubel leiden, weil du eine Schutzflehende und dazu meine Verwandte bist. Nur verlange auch keine Hilfe von mir. Entferne dich mit dem fremden Manne, wer es auch sein mag. Ich kann weder deine Pläne noch deine schimpfliche Flucht billigen!" Ein unendlicher Schmerz ergriff die Jungfrau bei diesen Worten. Sie warf den Schleier über ihr Haupt und weinte bitterlich, bis der Held sie an der Hand ergriff und die Wankende mit sich aus Kirkes Palast hinausführte.

Doch Hera erbarmte sich ihrer Schützlinge. Sie sandte ihre Botin Iris auf dem bunten Regenbogenpfade zur Meeresgöttin Thetis hinab, ließ diese zu sich rufen und empfahl das Heldenschiff ihrem Schirm. Sogleich mit Jasons und Medeas Ankunft an Bord fingen nun sanfte Zephyre zu wehen an; leichteren Mutes lichteten die Helden die Anker und spannten die hohen Segel aus. Mit sanftem Winde wogte das Schiff weiter, und bald stellte sich ihnen eine schöne, blühende Insel dar, die der Sitz der trügerischen Sirenen war, welche die Vorüberschiffenden durch ihre Gesänge anzulocken und zu verderben pflegten. Halb Vögel, halb Jungfrauen saßen sie immer auf ihrer Warte, und kein Fremder, der vorüberfuhr, entging ihnen. Auch jetzt sangen sie den Argonauten die schönsten Lieder zu, und schon waren diese im Begriff, die Taue nach dem Ufer zu werfen und anzulegen, als der thrakische Sänger Orpheus sich von seinem Sitz erhob und seine göttliche Leier so mächtig zu schlagen begann, daß sie die Stimmen der Jungfrauen übertönte; zugleich blies ein tönender, gottgesandter Zephyr in den Rücken des Schiffes, so daß der Sirenengesang ganz in den Lüften verhallte. Nur einer der Genossen, Butes, der Sohn des Teleon, hatte der hellen Stimme der Sirenen nicht zu widerstehen vermocht, sprang von der Ruderbank ins Meer und schwamm dem verführerischen Hall entgegen. Er wäre verloren gewesen, wenn ihn nicht die Beherrscherin des



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Berges Eryx in Sizilien, Aphrodite, erblickt hätte. Sie riß ihn mitten aus den Wirbeln heraus und warf ihn auf ein Vorgebirge dieser Insel, wo er hinfort wohnen blieb. Die Argonauten betrauerten ihn für tot und schifften neuen Gefahren entgegen, denn sie kamen an eine Meerenge, wo auf der einen Seite der steile Fels der Skylla in die Fluten hinausragte und das Schiff zu zerbrechen, auf der andern Seite der Strudel der Charybdis die Wasser in die Tiefe riß und das Schiff zu verschlingen drohte. Dazwischen irrten unter der Flut vom Grunde losgerissene Felsen, wo sonst die glühende Werkstätte des Hephästos ist; jetzt aber rauchte sie nur und erfüllte den Äther mit Finsternis. Hier begegneten ihnen von allen Seiten die Meernymphen, des Nereus Töchter; im Rücken des Schiffes faßte die Fürstin derselben, Thetis, selbst das Steuerruder. Alle miteinander umgaukelten das Schiff, und wenn es sich den schwimmenden Felsen nähern wollte, so stieß es eine Nymphe der andern zu wie Jungfrauen, die Ball spielen. Bald stieg es mit den Wellen hoch zu den Wolken, bald stieg es wieder in den Abgrund hinab. Auf dem Gipfel einer Klippe sah, den Hammer auf die Schulter gelehnt, Hephästos dem Schauspiel zu, und vom gestirnten Himmel herab die Gemahlin des Zeus, Hera. Diese aber ergriff Athenes Hand, denn sie konnte es ohne Schwindel nicht mit ansehen. Endlich waren sie den Gefahren glücklich entgangen und fuhren weiter auf der offenen See, bis sie zu einer Insel kamen, wo die guten Phäaken und ihr frommer König Alkinoos wohnten.


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