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Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


5. Hilde und Gudrun

Das Gedicht von Gudrun ist uns in einer einzigen, in der berühmten Ambraser Handschrift überliefert, die im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts der Schreiber Hans Ried in Bozen für den Kaiser Maximilian schrieb. Die Vorlage des Hans Ried war eine Handschrift des dreizehnten Jahrhunderts, und aus dem dreizehnten Jahrhundert, wohl aus seinem zweiten Jahrzehnt, stammt die Gudrun.

Ihr erster Teil ist dem Hagen, dem König von Irland, gewidmet. Wie er ein Knabe war, raubte ihn bei einem großen Fest seiner Eltern ein Greif und schleppte ihn auf ein ödes Eiland. Das Kind sollte den Jungen des Vogels zum Fraß dienen. Aber es kroch aus dem Nest- erschlug die Greifen und fand auf der Insel drei Königstöchter, die von den Vögeln ebenfalls dorthin verschleppt waren und die sich durch Flucht gerettet. Diesen fristete Hagen durch seine Jagdbeute sein Leben und er nahm an Stärke und Wildheit unmäßig zu, nachdem er vom Blut eines rätselhaften Tieres, eines Gabilunes, getrunken, das er vor



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her erlegt. Dann fuhr an der Insel ein Schiff vorbei, seine Mannen hörten die Rufe Hagens und nahmen ihn und seine Gespielinnen auf. Sie brachten sie in die Heimat zurück, nicht ohne daß Hagen vorher die Schiffleute durch seine Kraft in Schrecken gesetzt und sich ihrer Hinterlist erwehrt hätte. Sigebant, der Vater, überließ nun dem Hagen die Krone, und der nahm sich die schönste der Jungfrauen, Hilde, zum Weib.

Als König war Hagen durch seine Wildheit, seine Stärke und seine Strenge gefürchtet. Seine Tochter, die wieder Hilde hieß, versagte er jedem Freier, die Boten ließ er hängen. Die Schönheit des Mädchens wurde weithin gerühmt, von ihr hörte auch der mächtige König Hetel von Dänemark, dessen Herrschaft weit über die Nordsee und Ostsee reichte. Seine Helden bereiteten sich, ihm die Braut zu gewinnen. Es waren Wate von Stürmen, Horand und Frute von Dänemark, Morung von Nifland und Irold von Ortland. Die Helden rüsteten ein Schiff aus mit prächtigem Schmuck, Kostbarkeiten und Gewanden und verkleideten sich als Kaufleute, in den Schiffsraum aber legten sie gewaffnete Krieger. In Irland gaben sie vor, der gewaltige König Hetel habe sie vertrieben, sie erbaten den Schutz Hagens und der wurde ihnen gern gewährt. Frute breitete in den Häusern, die man den Recken eingeräumt, seine Schätze aus und verkaufte sie wohlfeiler, als sie je ein Kaufmann verkauft hatte, ja, er gab auch allen denen gern, die ohne Kauf etwas begehrten. Die seltene Freigebigkeit der Fremden erregte überall staunende Bewunderung, auch die junge Königstochter hörte von ihnen und wollte sie natürlich sehen. So lud man denn die Kaufleute an den Hof, dort schufen ihnen ihre reiche und prächtige Kleidung und ihr ritterliches Auftreten neue Freunde und Verehrer.

Wate maß sich mit Hagen in der Kunst des Fechtens, dabei zeigte er sich dem starken König ebenbürtig. Horand aber sang so schön, daß Hagen und die Seinen hingerissen zuhörten; auch die Tiere im Walde ließen ihre Weide stehen und die Würmer im Grase, die Fische im Wasser lauschten. Hilde entbot den Sänger heimlich zu sich, da sang er ihr seine schönsten Weisen und trug ihr dann die Werbung seines Herrn vor. Die Jungfrau will gern dem König Hetel folgen, wenn Horand auch dort morgens und abends ihr vorsingen wolle, das verspricht ihr der Held gern, doch seien bei Hetel zwölf Sänger, die ihn an Kunstfertigkeit überträfen, am schönsten aber singe der König selbst.

Nun nahmen die Gäste Abschied vom König; Hetel habe nach ihnen gesandt und ihnen Sühne geboten. Hagen geleitete sie auf ihre Schiffe,



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um auch selbst die dort ausgestellten Schätze zu betrachten. Hilde ging auf das reichste Schiff, auf das Frutes. Sowie sie mit ihren Jungfrauen an Bord war, wurden die Anker gelöst und die Segel aufgezogen, die verborgenen Gewappneten sprangen hervor und vor den Augen ihrer Eltern fuhr Hilde davon. Hagen, in heller Wut, wollte den Flüchtigen sofort nach, doch seine Schiffe waren leck und nicht fahrtbereit . Aber bald hatte er eine Flotte gesammelt, und als Hilde ankam und Hetel seine Braut empfing, erschienen am Horizont auch Hagens Schiffe. Am Strand begann nun ein grimmer Kampf. Hetel wurde dabei von Hagen verwundet, aber Wate war stärker selbst als der König von Irland und brachte ihm eine Wunde bei. Da flehte Hilde bei Hetel für den Vater und der schied den wütenden Streit der Helden. Wate, der von einem wilden Weib die Heilkunst gelernt, heilte die Verwundeten. Hagen verzieh gern seiner Tochter und erfreute sich ihres tapferen Gemahls, hätte er noch mehr Töchter, sagte er, so würde er sie alle zu Hetel und den Hegelingen senden.

Hetel und Hilde gewannen zwei Kinder: einen Sohn Ortwin und eine Tochter Gudrun. Die Tochter übertraf die Mutter noch an Schönheit und sie wurde gleich ihr allen Freiern versagt. Der erste Werber war der heidnische König Siegfried oon Morland. Er drohte, als er zurückgewiesen wurde, dem Hetel sein Reich zu verbrennen. Der zweite Werber Hartmut, der Sohn Ludwigs von der Normandie, schickte Boten, die nichts ausrichteten; dann kam er selbst, unerkannt, an Hetels Hof, gewann den Zutritt zu Gudrun und gab sich ihr zu erkennen; doch sie bat ihn nur, er möge forteilen, wenn ihm sein Leben lieb sei. Der dritte Werber, Herwig oon Seeland, überzog den Hetel, als er verschmäht wurde, mit Krieg. Beim Zweikampf erprobte Hetel die Mannlichkeit des jungen Helden und gewann zu ihm Zuneigung. Gudrun, die dem Kampf der beiden zusah, fühlte Stolz und Sorge zugleich und führte, wie die Liebe zu Herwig in ihr Herz einzog. Sie schied und versöhnte beide Kämpfer und wurde dem Herwig anverlobt.

Als Siegfried das hörte, fiel er, um sich zu rächen, in Herwigs Land ein. Dieser eilte zurück und Hetel zog mit ihm, um dem Bräutigam der Tochter Beistand zu leisten. Da vernahmen wieder Ludwig und Hartmut, daß Hetels Land von Helden entblößt sei; sie kamen mit einer großen Flotte und raubten Gudrun und ihre Jungfrauen. Als Herwig und Hetel die böse Botschaft hörten, schlossen sie Frieden mit Siegfried, und der gewährte ihnen sogar seine Hilfe. Alle eilten sie



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den Räubern nach und auf dem Wülpenwert erreichten sie die Normannen, wie sie gerade Rast hielten. Hetel erkämpste sich die Landung, wieder erhob sich eine furchtbare Schlacht, die tapferen Helden beider Heere fielen, im Kampf wurde Hetel von Ludwig erschlagen. Nachts fuhren die Normannen mit Gudrun davon, Herwig und die Seinen aber waren durch ihre Verluste so geschwächt, daß sie ihnen nicht folgen und sie nicht in der Normandie angreifen konnten. So kehrten sie heim, die Rache mußten sie verschieben, bis die Kinder der Erschlagenen heranwuchsen.

Gudrun verweigerte Hartmut ihre Hand, sie könne dem nicht als Gemahlin folgen, dessen Vater ihren Vater erschlug, und sie wollte dem Herwig die Treue halten. Gerlint, Hartmuts Mutter, bot der Gudrun ihre Krone an, aber die Jungfrau blieb fest. Wie nun der junge König auf neue Heerfahrten zog, peinigte Gerlint die Gudrun und ihre Jungfrauen . Die stolze Königstochter mußte die Dienste einer Magd verrichten , mit ihren Haaren den Staub von Tischen und Bänken fegen und den Ofen heizen. Hartmut wiederholte seine Werbung und blieb immer ritterlich, Ortrun, seine Schwester, redete der Gudrun gütig zu, doch es blieb alles vergebens. Schließlich muhte Gudrun Tag für Tag die Kleidung Gerlints und des Gesindes am Meeresstrande waschen. Die treueste ihrer Gefährtinnen, Hiltburg, teilte gern ihr Los und ihre Erniedrigungen.

So vergingen dreizehn Jahre. Da ermahnte Frau Hilde die Helden an die Rache. Ortwin, Herwig, Frute, Wate und Horand führten ein starkes Heer über die See. Sie erreichten die normannische Küste und verbargen hinter einer waldigen Insel ihre Flotte. Herwig und Ortwin machten sich sofort auf zur Kundschaft.

Der Gudrun aber erschien, als sie am Strande wusch, auf den Wellen schwimmend ein Vogel; der verkündete ihr, ein Bote Gottes mit menschlicher Stimme, daß ihr Verlobter und ihr Bruder lebten und daß ihre Freunde nun bald kommen würden, sie zu befreien. Die beiden Mädchen, voller Freude über das Gehörte, versäumten sich im Waschen und mußten abends einen besonders grimmigen Zornesausbruch der Gerlint über sich ergehen lassen. Am nächsten Morgen war Schnee gefallen und ein eisiger Märzwind wehte. Aber Gerlint wollte den beiden keine Schuhe geben, barfuß und im Hemd mußten sie durch den Schnee an den Meeresstrand waten. Dort erblickten sie endlich das ersehnte Boet und zwei Männer darin; als die Helden ans Land springen,



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wollen die Jungfrauen voller Scham fliehen, doch der Ruf der beiden hält sie zurück. Sie beben vor Frost, der Wind hat ihre Haare ganz zerzaust, und ihr schneeweiher Leib schimmert durch das Hemd. Die Helden bieten ihnen Mäntel an, doch sie weisen sie zurück. Noch erkennen sie sich nicht und Ortwin fragt nach dem Fürsten des Landes und nach der Königstochter, die vor Jahren hergeführt wurde. Die sei vor Jammer gestorben, sagt Gudrun. Da fließen die Tränen aus den Augen der Männer. Dann aber erkennen Gudrun und Herwig eins an dem andern die goldenen Ringe an der Hand, Braut und Bräutigam küssen sich, und die Helden scheiden mit dem Versprechen, sie würden am nächsten Tag mit gewaltigem Heer vor der Burg erscheinen.

Gudrun aber will nicht länger dienen, nachdem zwei Könige sie geküßt und umarmt, und sie wirft das Linnen der Gerlint in das Meer. Der alten Königin, die sie zur Rede stellt, begegnet sie mit trotziger Antwort. Die droht ihr, sie würde sie mit Ruten peitschen und sie grausamer als je züchtigen. Gudrun verheißt ihr Rache, wenn sie einst gekrönt unter mächtigen Königinnen stehen würde, und erklärt sich plötzlich geneigt, dem Hartmut die Hand zu reichen. Gerlint verzeiht ihr nun gern, sie jubelt, daß die Stolze sich endlich ergab. Hartmut eilt freudig herbei und will die Braut umarmen, sie deutet auf ihre ärmliche Kleidung und weist ihn zurück, noch sei sie nur eine arme Wäscherin. Dann bittet sie für sich und für ihre Jungfrauen um die gebührende Speise und Pflege. Die wird ihr gern gewährt. Als sie dann in ihrer Kemenate mit ihren Jungfrauen zusammensitzt, teilt sie ihnen mit, was sie erlebt und lacht jubelnd und in wildem Triumph auf — als sie das Lachen hört, fürchtet die alte Königin, aber nur sie, Unheil.

Am nächsten Morgen sieht eine Jungfrau beim ersten Tagesschein und beim ersten Glanz des Wassers das Meer voller Segel und das in Waffen leuchtende Gefilde. Der Wächter weckt Ludwig und seine Helden und der Entscheidungskampf beginnt. Die Normannen tun sich durch große Tapferkeit hervor, Ludwig bringt den jungen Herwig in schwere Bedrängnis, wird aber endlich von ihm erschlagen. Nur die Fürbitte Gudruns und Herwigs Dazwischentreten, das ihm fast das Leben kostet, vermag es, den Wate von Hartmut fortzureißen. Nun stürmt der Alte in die Burg und erschlägt dort auch die Kinder, damit sie nicht zum Schaden der Nachkommenden heranwachsen. Die alte Gerlint zieht er, trotz Gudruns hochherziger Fürbitte, aus ihrem Versteck hervor und schlägt ihr das Haupt ab. Ortrun wird von der dankbaren



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Gudrun beschützt. Das Land aber wird zerstört und die Burgen gebrochen.

Nachdem Sieg und Rache vollendet, löst eine große Versöhnung den Kampf und Streit und verwandet ihn in Frieden und Freude. Hartmut erhält sein Land zurück und wird mit Hiltburg vermählt. Seine Schwester Ortrud erhält Ortwin zum Gemahl, Siegfried von Morland erhält Herwigs Schwester, vor allem aber vereinen sich Herwig und Gudrun für immer und Herwig führt die Braut nach Seeland heim.

Wenn wir die Gudrun unbefangen auf uns wirken lassen und uns dabei die auen Herdenlieder und die mittelalterlichen Dichtungen vergegenwärtigen, die nun schon in langer Reihe an uns vorüberglitten, so fühlen wir wohl manchen Anklang und manches Motiv aus der heroischen Zeit, und diese verstärken sich am Ende des Gedichtes. Besonders nah scheinen uns die Beziehungen der Gudrun zur dänischen Heldendichtung. Aber die Ähnlichkeiten , die das Gedicht mit den Spielmannsgedichte des deutschen Mittelalters. verbinden, sind auffallender. Es hat die gleiche Liebe für den Reichtum und die Fülle der Erzählung. Der Geschichte von der Hilde und von der Gudrun schickt es die von Hagen voran, eine abenteuerliche Erfindung, für die zuerst die Kreuzzüge mit ihren seltsamen und wunderbaren Erlebnissen und namentlich die Berichte von den merkwürdigen und sonderbaren Taten und Reisen des Herzogs Ernst den Boden geschaffen haben. Die Geschichte der Hilde verbindet wie der König Rother die Werbung mit der listigen Entführung, die zuerst der Orient ersann. Der Dichter der Gudrun verweilt dabei weniger bei dem Heldentum der Mannen Hetels als bei ihrem Reichtum, ihren Kostbarkeiten und ihrem vornehmen Auftreten. Endlich die Geschichte der Gudrun ist in gewissem Sinne eine Vermehrung und Steigerung von der Geschichte der Hilde, wie die Gudrun die Mutter ja auch an Schönheit übertrifft. Drei Werber nicht wie bei Hilde einer, bemühen sich um Gudruns Gunst. Der Einfall Siegfrieds in Herwigs Land, der Einfall der Normannen bei



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Hetel, der Kampf oon Hetel zuerst gegen Herwig, dann gegen Hartmut und Ludwig verwideln und bereichern die Handlung. Herwig führt die Braut erst heim, nachdem diese ihren Vater verloren und eine schwere Zeit der Prüfung überstanden, der Geschichte des glücklichen Werbers Herwig steht die des unglücklichen, des Hartmut gegenüber.

Der Dichter der Gudrun wandte sich, wie wir sehen, den Spielleuten gleich an Hörer, die unterhalten sein wollten, und er wußte mit einem Geschick, das uns weder der Rother, noch der Wolfdietrich, noch gar die Gedichte über Dietrich von Bern zeigen, die Begebnisse zu verdoppeln, zu steigern und immer reicher, verwickelter und großartiger zu gestalten. Wie die Spielleute sorgte er neben der Unterhaltung für die Rührung. Er läßt sich ebensowenig wie der Dichter des Rother und des Wolfdietrich eine Wiedererkennungsszene entgehen. Als Herwig und Ortwin und Gudrun sich nach langer Trennung begrüßen, weinen sogar die Männer. Die Wiedererkennung wird dadurch noch ergreifender, daß die Königstochter zuerst sagt, die Gudrun, sie selbst, sei vor Jammer gestorben. In ganz großem Stil aber brachte der Dichter das gute Ende, das seine Hörer verlangten. Nicht so einfach stellte er esher wie bei der Hilde, Tod und Wehklage geht ihm voraus, die Schlacht, der überfall, die Vorbereitungen zum Kampf, die überlistungen der Feinde werden kunstreicher und spannender vorgetragen als vorher und im Stil der Spielmannsdichtung, in bewußter Anlehnung an die Salomodichtung. Am Ende finden sich nicht nur Herwig und Gudrun, auch Hartmut und Hildburg, Siegfried und Ortrun scheiden als glücklich Vermählte von uns.

Die einzelnen Ereignisse, Feste, Werbungen, Botenreisen, Beratungen, Rüstungen, überfälle, Kämpfe, Seefahrten, putzt und schmückt der Dichter überall. Welche Fülle der Helden: Hagen, Hetel, Wate, Horand, Frute, Morung, Irold, Herwig, Ortwin,



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Hartmut, Ludwig, Siegfried. An den Kämpfen selbst läßt der Dichter unendliche Mengen teilnehmen und übertreibt die Zahlen in das Phantastische. Der Kampf der Könige vollzieht sich nach ritterlichem Brauch, die Helden fechten wie die der französischen Heldengedichte auch friedlich miteinander, um ihre Kräfte zu messen. Bei dem Kampf der Massen hören wir den dröhnenden Klang der Schwerter, fühlen die Hiebe auf den Gegner niederprasseln, sehen die Funken aus Helmen und Klingen springen, entzückt gleiten die Blicke des Dichters über die in wundervoller Ordnung anrückenden Scharen, er schildert, stolz über seine Kenntnisse, die einzelnen Heerzeichen, wie er denn auch bei Empfängen und Festen auf die Wahrung des Zeremoniellen sehr bedacht ist.

Überall erkennen wir den Reichtum, die Buntheit und die Freude an der Fülle der Ereignisse und Schilderungen, darin begrüßen wir das Mittelalter, das Kreuzzüge und Rittertum geschaffen haben. Eine ritterliche Dichtung, aber nicht in dem strengeren und feineren Geschmack der höfischen Epen, sondern eine ritterliche Dichtung, durch die ein Spielmann viele Hörer erfreuen wollte, das war die Gudrun.

Der Eindruck, den das Gedicht auf uns Gegenwärtige macht, ist, während wir es lesen, recht wechselnd. Neben frischen und starken Stellen stehen Weitschweifigkeiten, matte und erfindungsarme Verse, eine mühselig sich weiterschleppende Erzählung, eine Art, in endlosen Wendungen, die nur wenig voneinander abweichen , im Grund immer wieder das gleiche zu sagen. Es ist darum nicht zu verwundern, daß die Forschung sich bemühte, diese schwachen und unvollkommenen Teile zu entfernen und das Gedicht in alter Reinheit und Größe wiederherzustellen. Aber diese Versuche gingen von falschen Voraussetzungen aus, sie meinten, wenn sie die späteren Zutaten abtrennten, gewännen sie ein wuchtiges Gedicht des heroischen Stils; das wollte und konnte



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aber die Gudrun niemals sein. Die alten Lieder und Sagen aus der heroischen Zeit, die sie verwertet, bildet sie ja nach ihrem Geschmack um; sie waren ihr auch viel weniger durch ihren heroischen Charakter als durch ihren wechselvollen Inhalt, durch die Geschichten von Werbung und Kampf willkommen. Gerade was uns als Weitschweifigkeit erscheint, verlangte vielleicht die Zuhörerschaft des alten Dichters. Dadurch, daß er sich oft wiederholte , machte er seine Verse eindringlicher und einprägsamer, als wenn er die Dinge nur einmal ausgesprochen hätte. Wenn die Gudrun überhaupt jemals wesentlich anders war, als so, wie sie nun vor uns steht, so war sie doch immer eine Spielmannsdichtung dem König Rother und dem Herzog Ernst enger verwandt als den alten Heldenliedern. Aus dieser literarischen Stellung unseres Gedichtes dürfen wir uns auch ableiten, daß der Dichter so gern formelhafte Wendungen und Reime bringt, die seinen Hörern vertraut waren, sich in Variationen ergeht und anderen Dichtungen, von denen er wiederum annahm, daß seine Zuhörer sie kannten, allerhand Einflüsse auf sein Werk gestattete.

Aus der reinen Spielmannsdichtung ragt die Gudrun doch wieder hervor, nicht allein durch die größere Geschlossenheit ihres Aufbaues, auch durch ihre Kunst, Charaktere zu erfassen und zu schildern.

Wieviele haben schon an Hagen und Wate, an Hartmut und Horand, an Hilde und Gudrun sich gefreut, wie nah und wie lebendig sind uns diese Menschen! Hagen und vor allem Wate sind sicher und mit leichter überlegenheit erfaßt, Hagen bei aller seiner Wildheit streng und gerecht, Wate ein Vorbild stürmischer und unersättlicher Tapferkeit, Haudegen und doch das Muster eines Helden, voll rasenden Zorns, wenn die Wildheit des Kampfes über ihn kommt, sonst ein Wahrer heroischer Sitte, einfach und gradaus, ja voll entzückender Kindlichkeit und voller Freude an



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bunten märchenhaften Geschichten. Sehr hübsch steht diesem rauhen, männlichen, ungefügen Recken der schmiegsame, verführerische und doch so ritterliche Horand gegenüber, dem die Herzen aller Frauen zufliegen. Für Herwig tut der Dichter weniger, sein Glück nach langer Leidenszeit und die Liebe, durch die Gudrun ihn auszeichnet, war ihm wohl genug. Dagegen hebt er den unglücklichen Nebenbuhler Hartmut. Niemals verliert dieser der Gudrun gegenüber seine ritterliche Zartheit und Schonung, immer schützt er sie, wo er nur kann, vor dem Zorn und der rohen Mißhandlung Gerlint und Ludwigs. Als die Geliebte sich ihm zugesagt, als er sie umarmen will, sie aber sich ihm entzieht, da tritt er bescheiden zurück und gönnt ihr und ihrem Gefolge gern ihre Freude. Er beschwichtigt sogar die mißtrauische Gerlint. Es liegt gewiß eine Tragik darin, daß er gerade, als er nach jahrelangem Harren sich endlich am Ziel seiner Wünsche wähnt, überwunden und seines Glückes und Landes beraubt wird. —Reizend ist Hilde. Dem Vater, an den sich sonst niemand heranwagt, streichelt sie den Bart und bettelt ihm eine Erlaubnis ab. Voller Scheu und doch glücklich, einmal etwas Verbotenes zu tun und etwas Interessantes zu erleben, empfängt sie den Horand; sie erklärt sich nur dann bereit, dem Hetel zu folgen, wenn auch bei ihm Horand ihr jeden Morgen und Abend etwas vorsinge.

Die reichste und größte unter ihnen bleibt aber Gudrun. Der Dichter läßt sie nach germanischer Art vor unsren Augen wachsen, nicht im Glück, erst in Not und Elend zeigt sie ihre ganze Größe und Treue. Durch ihre Ruhe, mit der sie gelassen und königlich alle Demütigungen erträgt, erhebt sie immer von neuem sich über die Gerlint und reizt diese dadurch zu heftigerem und doch ohnmächtigem Zorn. Als die Vergeltung naht, ist sie ganz germanische Heldin in ihrer Verschlagenheit, ihrem listigen Trug und ihrem wilden Triumph. Mitten im Kampf enthüllt sich ihre Hochherzigkeit und Milde, sie schont die Ortrun, sie will



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sogar ihre Peinigerin, die Gerlint, schonen, das ist vielleicht der schönste Zug in ihrem Wesen. Dabei bleibt Gudrun als Königin und als Wäscherin immer ganz Frau, voll zarten Gefühls für Schicklichkeit und Scham. Wie im Nibelungenlied tritt in die Mitte der Dichtung die Frau und ihre Treue und ihre große Liebe — aber wie weich ist Gudrun und, trotz allen Stolzes und aller Herbheit, wie rührend, im Vergleich mit Kriemhild. Wenn auch die Kunst, Helden und Heldinnen zu schildern, auf dem Boden der alten germanischen Heldendichtung aufblüht, wie anders, wie viel mittelalterlicher, ist diese Kunst geworden! Früher wenige Helden, in Wesen und Tat, in Stellung und Gegenüberstellung immer dieselben, dem ehernen Gebot unverbrüchlicher Sitte unterworfen, Opfer des Schicksals und doch stolz und frei, größer als das Leben, monumental eher als menschlich. Die nordische Dichtung begnügt sich noch längere Zeit mit den wenigen Linien und mit der alten strengen Ordnung und Zeichnung , im deutschen Mittelalter umgeben die Ritter ihre königlichen Herren leichter und vielfältiger, malerischer und oft in froher Begleitschaft, dem Abenteuer zugänglicher als dem alten Heldentum; die Tafelrunde des Artus ist das Ideal, nicht das todbereite, schweigsame und gemessene Gefolge des germanischen Königs. — Und richten wir den Blick auf die Frauen: man vergleiche einmal die Hilde in der nordischen Dichtung und die Hilde der Gudrun, dann sieht man sofort die gleichen Umbildungen.

Hetel ist dänischer König und sein Reich erstreckt sich weit über Nord- und Ostsee. Es entspricht ungefähr dem Dänemark vom Ende des neunten Jahrhunderts. Damals herrschte Dänemark in England und unternahm Beutezüge nach Irland. Hagen aber, Hildes Vater, ist irischer König. Horand und Frute sind dänische Helden, Frute ursprünglich der freigebige und milde dänische König Frodi. Wo Sass Mark Stürmen liegt, ob bei Berden oder in Holstein, ist ungewiß.



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Diese Namen und Orte weisen, soweit sie sicher sind, auf die Dänen des neunten und zehnten Jahrhunderts und auf ihre Kämpfe mit germanischen Völkern und mit den Iren. Die noch unsicheren Namen widersprechen diesen Zeugnissen nicht.

Von Hetel und Hilde erzählt nun der Isländer Snorri:

Ein König, der Hagen genannt ist, hatte eine Tochter, die Hild hieß; sie nahm als Kriegsbeute ein König, der Hedin hieß, der Sohn des Hjarrandi. Da war der König grade gefahren zu einer Königsversammlung. Aber als er erfuhr, daß in seinem Reiche geheert war und seine Tochter fortgenommen, da machte er sich mit seinen Mannen auf, um Hedin zu suchen und erfuhr über ihn, daß er nach dem Norden zu entlang der Küste gefahren sei. Als der König Hagen nach Norwegen kam, erfuhr er, daß Hedin weitergesegelt sei, nach Westen, da segelte Hagen ihm immer nach, bis zu den Orkney-Inseln, und als er dorthin kam zu der Insel, die Haey heißt, da lag Hedin und sein Gefolge vor ihm. Nun fuhr Hild zur Begegnung mit ihrem Vater und bot ihm einen Vergleich an von Hedins Seite, aber in demselben Atem sagte sie, daß Hedin zum Schlagen bereit sei und Hagen solle sich keine Hoffnung darauf machen, er werde ihn irgendwie schonen. Hagen antwortete kurz seiner Tochter; aber als sie zu Hedin zurückkehrte, sagte sie ihm, daß Hagen keinen Vergleich wollte und bat ihn, sich zum Kampfe zu rüsten. Das tun sie nun beide, sie gehen auf die Insel und ihre Heere folgen. Da ruft Hedin den Hagen an als seinen Verwandten und bietet ihm einen Vergleich und viel Gold als Buße. Hagen antwortet: "Zu spät botest du das, wenn du einen Vergleich willst, denn nun habe ich Dainsleif, das Schwert aus der Scheide gezogen , das die Zwerge machten, das eines Mannes Mörder werden soll, jedesmal daß es entblößt wird und niemals verfehlt es einen Hieb und die Wunde wächst nicht zu, die es schlägt." Da antwortet Hedin: "Du rühmst dich des Schwertes, aber nicht des Sieges, mir ist jede Waffe gut, die dem Herrn gehorcht." So begannen sie den Kampf, der der Kampf der Hjadninge genannt wird, und schlugen sich den ganzen Tag und am Abend gingen die Könige zu ihren Schiffen. Aber Hild ging in der Nacht auf die Walstatt und weckte sie auf durch Zauberei, alle, die tot waren, und den andern Tag gingen die Könige zum Kampfplatz und schlugen sich und ebenso alle, die am vorigen Tag gefallen waren. So ging dieser Kampf einen Tag nach dem anderen, daß



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alle Männer fielen und alle Waffen, die auf dem Kampfplatz lagen, zu Steinen wurden. Aber als es tagte, standen alle toten Männer auf und schlugen sich, und alle Waffen wurden neu. So ist es gesagt in den Gedichten, daß die Hjadninge so die Götterdämmerung erwarten.

Die Sage von Hetel und Hilde ist uns vom neunten bis zum vierzehnten Jahrhundert in nordischen Ländern bezeugt, wurde also gern erzählt und besungen. Ihre Größe und Wildheit macht das leicht verständlich. Wir finden die Sage in der Skaldendichtung, in Anspielungen bei Sato Grammaticus, in der isländischen Saga und schließlich in Balladen. Sogar eine Ballade, die 1774 ein schottischer Reisender auf den Shetlandinseln hörte, bewahrt eine Erinnerung daran, vermischt sie allerdings mit anderen Erinnerungen, z. B. mit solchen aus den Liedern von den Nibelungen und von Hagbard und Signe. Genau stimmen die anderen Berichte nicht immer mit denen von Snorri überein. Aber die Abweichungen geben sich meist als Zutaten späterer Erzähler leicht zu erkennen. Zum Beispiel hat Saxo, indem ihn die Erinnerung an einen anderen Kampf verwirrte, den Kampf von Hedin und Hagen verdoppelt, und er hat seine Erzählung mit Motiven aus dänischen Liebessagen vermischt. Eine späte isländische Saga, aus dem vierzehnten Jahrhundert, der Sörla Thatt, fabelt, die Göttin Freya hätte den Kampf zwischen den Hjadningen heraufbeschworen , um den Odhin zu versöhnen, dem sie die Treue gebrochen. Bei diesen beiden Gewährsmännern sind Hagen und Hedin, wie viele Helden der isländischen Saga, bevor sie sich verfeinden, Blutbrüder; der Schauplatz des Kampfes lag wohl ursprünglich in Dänemark; Saxo verlegt ihn nach Hithinsö, Hiddensee.

In dem Bericht von Snorri erscheint dem ersten Blick und auch vielen Forschern der ewige Kampf der Hjadninge als das Älteste und Mythische. Wer genauer zusieht, erkennt, daß in der Erzählung von diesem Kampf die unersättliche Kampflust der



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Wikinger sich zeigt und ihr Hang, eine alte einfache tragische Sage in das Phantastische zu .erhöhen, in das Endlose zu erweitern. Das Ganze klingt eher nach keltischer als nach germanischer Phantasie: ist es ein irisches Beutestück im Schatz der Wikingerdichtung? Im Bericht von Snorri ist außerdem manches sonderbar , er hat vergessen, daß ursprünglich die Seelen der Gefallenen , sie allein, in jeder Nacht, und nur nachts weiter kämpfen. Die ganze Erzählung von dem ewigen Kampf ist eigentlich eine Erzählung für sich, hängt mit der Hildesage gar nicht zusammen und wurde erst im Nordischen, schwerlich vor dem elften Jahrhundert und wahrscheinlich in Island, mit der Hildesage verbunden . —Auch die Geschichte oon dem unheilbringenden Schwerte Hagens ist nicht heroisch, sondern eine der schönen und finsteren Erfindungen, die gerade die isländische Saga liebt, wir denken etwa an die Herwararsaga.

Trennen wir beides ab, so steht die Dichtung vor uns, daß Hedin die Hilde liebt, daß sie seine Liebe erwidert und ihrem Vater zum Trotz ihm folgt. Ihr Geliebter raubt sie, ihr Vater verfolgt das Paar, Vater und Geliebter kämpfen miteinander und fallen beide, sie bleibt einsam zurück. In dieser Gestalt ist die Dichtung eine Schwester der dänischen von Hagbard und Signe und der dänischen von Helgi und Sigrun. Ein dänischer Dichter des neunten Jahrhunderts hat sie ausgeprägt, von Dänemark ist sie nördlich Nach Island, südlich nach Deutschland gewandert.

Da der Widsith die Namen von Hagen (Hagena) Hedin (Heoden) und Wate (Wada) unmittelbar nebeneinander nennt, ist es wahrscheinlich, daß die Anfänge der Hildesage aus der germanischen Zeit stammen. Widsith nennt auch die Reiche, die diese Fürsten beherrschten. Die Namen weisen auf das Ostseegebiet. Die Holmryger, deren Herr Hagen ist, sind die alten Ulmerugier an der Weichselmündung, die Glommen, das Volk des Heoden, sind ihnen benachbart, gegenüber den Ulmerugiern lagen die Haelsingen,



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das Volk des Wate, man denke an Helsingfors, Helsingör , Helsingborg. Von der Ostsee wanderte die Dichtung nach England und zu den Dänen, die Ereignisse der Wikingerzeit hauchten ihr neues Leben ein, das Leben, das wir kennen. In dem deutschen Gedicht ist der alte tragische Ausgang nicht wie im Nordischen in das Mythische und Endlose gesteigert, sondern wie im Waltharius in einen ritterlichen Kampf verwandelt, in dem die Gegner Kraft und Kunst zeigen, sich Verwundungen beibringen , nach derber Scheltrede einander die Hände schütteln und sich der Frau in ihrer Mitte freuen. Außerdem ist die Dichtung bereichert durch Frute und Horant.

Frute wäre leicht zu entbehren. Die Spielleute, denen ein freigebiger König immer willkommen war, haben einen der freigebigsten und reichsten — denn das war Frute — natürlich mit besonderem Wohlbehagen in ihre Dichtung eingefügt.

Der Name Horand klingt an das Altenglische Heorrenda an — dieser Sänger hat den Deor, den Sänger der Hedeningen, aus der Gunst seines Herrn verdrängt — und an das Nordische Hjarrandi. Im Nordischen ist Hjarrgndi der Vater Hedins und erscheint auch einmal als ein Beiname des Gottes Odhin. Hjarrandi war, wie der Klang vermuten läßt, ein Sängername. Im Horand der Gudrun scheint uns zweierlei verschmolzen: der germanische Sänger, im Königsdienst und königlich belohnt, wie der altenglische Heorrenda, der nordische Hjarni — und der Bote, der, dem Befehl seines königlichen oder göttlichen Herrn gehorchend, durch seine Kunst, oder seinen Gesang, oder seine List, oder seine Zaubergewalt die Liebe eines Mädchens gewinnt. Wir erinnern an Skirm, der für Frey um Gerd wirbt, an Odhins Werbung um Rind. Diesem Boten geben die Spielleute ihre Kunst und ihre List.

Wate, den der Widsith und den das Gedicht von Hetel und Hilde kennen, in seiner unbändigen Kampflust, in der Vorbildlichkeit



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seines Heldentums, erinnert wieder an einen dänischen Helden, an den Starkad. Wie jener steht er als erprobter und ergrauter Krieger dem jungen König bei, er hält auch seiner Gemahlin und seinen Kindern unverrückbar die Treue. Wie jener ist er unerbittlich in der Rache und erschlägt sogar die Kinder, damit sie nicht heranwachsen. Die Ähnlichkeiten reichen noch weiter, wie Starkad wurde Wate in späteren Sagen mit einem Wasserriesen verschmolzen, den die deutschen meeranwohnenden Stämme kannten. Dem deutschen Dichter der Gudrun erscheint dieser alte Held gar zu wild, er hält ihn zurück und entreißt ihm seine Opfer, damit er nicht gar so vernichtend wüte. Er gibt auch seinem Wesen, wie wir gesehen haben, eine hübsche Kindlichkeit . Da die altenglische Dichtung den Wate und den Horand in die Nähe des Hetel stellten, dürfen wir vermuten, daß schon im germanischen Lied Wate der Freund und Führer des Hetel war und daß Horand ihm als Werber seine Dienste leistete. Der dänische Dichter hätte dann den Reichtum der Helden und Begebnisse absichtlich eingeschränkt, der deutsche hätte ihn erweitert .

Die Gudrun fassen manche Forscher als Schößling und Fortbildung der Hildedichtung auf: wie dort raube der Liebhaber in Abwesenheit des Vaters die Geliebte, der Vater verfolge ihn, hole ihn ein und auf einer Insel werde gekämpft. — Die Werbungsgeschichten und die Kämpfe der Gudrun galten auch uns als Steigerung und Erweiterung der Geschichte von Hetel und Hilde im spielmännischen Sinn. Wir sehen dem Spielmann in der Gudrun auch sonst in seine lustigen und übermütigen Augen. Wenn er z. B. den Siegfried von Morland schildert, der in den interessantesten und entlegensten Ländern herrscht, und der, ein armer Mohr, im Schweiße seines Angesichts und doch umsonst turniert, oder wenn er betont, der König Hetel hätte sich von überall her die schönsten Mädchen an seinen Hof geholt, und das



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natürlich nur, damit seine Frau, die Königin Hilde, die rechte Augenweide hätte.

Doch gerade solche spielmännischen Züge sind späte Arabesken, ebenso wie die Ausmalung der Gudrun in das Märchenhafte, in die Kunst des Volksliedes und der Ballade. Die böse Gerlint quält die Gudrun wie die Stiefmutter das Aschenbrödel, die Gudrun leidet wie die brave und schöne Stieftochter des Märchens, ein Vogel tröstet sie und verheißt ihr Hilfe, wie die hilfreichen Tiere im Märchen sich der armen und unschuldigen Kinder erbarmen, die arme Wäscherin wird durch den stollen Bruder von ihrer bösen Herrin befreit, wie es auch das Volkslied tröstlich schildert — und der Schwan, ein Wunderbote aus dem Jenseits, königlich einer Königstochter nahend und ihr ein königliches Los verheißend, gehört doch in die zauberhafte Ballade . — Nicht eine, sondern ein ganzes Geflecht von Werbungsfabeln webt und entwirrt am Ende vor uns der Dichter; eine vergleichbare Vielfältigkeit zeigte uns nur die späte Einleitung eines späten nordischen Gedichtes, des Gedichtes von Helgi, dem Sohn Hjörwards (S. 178 f.).

Auch Gegensätze und Widersprüche in der Gudrun verraten uns, daß sie ihre endgültige Form in einer spätem Zeit erhielt; besonders zeigen das die Angaben über Herwig. Bald soll er ein mächtiger König, bald ein Held niederer Herkunft sein, statt den Räuber seiner Frau zu verfolgen und zu erschlagen, rät er nach dem Tod Hetels, den Kampf abzubrechen, und dann muß ihn Frau Hilde zur Rache treiben, und dann erschlägt er nicht seinen Nebenbuhler, sondern befreit ihn aus Wates Hand — Aber auch Ortwin, der Sohn Hotels, überrascht uns: warum treibt er nicht unablässig zur Rache für Hetel an und warum wird er nicht von Wate unablässig dazu getrieben? Und warum wird Hartmut durch den alten Ludwig so verdunkelt?

Eine Auflösung dieser Widersprüche und Befremdlichkeiten ist



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noch nicht gelungen. — Ist nun an der Gudrun alles spielmännisch , Märchen- und Volkslied- und Balladenkunst, oder ist sie die Umdichtung einer älteren heroischen Fabel?

Siegfried von Morland ist in der Geschichte nachgewiesen als ein Dänenfürst, der im neunten Jahrhundert in Frankreich und in den Niederlanden einfiel und im Kampf gegen die Friesen seinen Tod fand. Hartmut und Ludwig heißen Normannen: die Normannen hatten enge Beziehungen zu England im zehnten Jahrhundert und dies war Dänemark untertan. Der Wülpenwert, der Schauplatz der Schlacht zwischen Hetel und den Normannen , ist bei der Scheldemündung im westlichen Friesland nachgewiesen (Wulp heißt ein Brachvogel, der in der Gegend dort nistet). Herwig dürfen wir vielleicht in Seeland ansiedeln. Diese Namen weisen also wieder auf das neunte und zehnte Jahrhundert und auf die Dänen und auf ihre Kämpfe mit Friesen und Normannen.

Die Gudrun ist außerdem, wie wir wiederholt andeuteten, mit dänischen Dichtungen des zehnten Jahrhunderts eng verwandt . — Gudrun selbst entscheidet zwischen ihren Werbern wie Signe und Sigrun, wie Signe teilt sie Leiden und Freuden mit ihren Jungfrauen, sie triumphiert über Gerlint ähnlich wie Hagbard über Signes Mutter, sie tröstet edelmütig den Hartmut wie die Sigrun den Hödbrodd, ihr gilt wie den dänischen Heldinnen Königtum wenig und Heldentum alles. Auch die Charakterisierung der Gudrun, ihre feine Ausmalung, erinnert an die dänische Kunst.

Wir glauben also, daß die Vorlage für unsern Spielmann auf ein dänisches Gedicht des zehnten Jahrhunderts zurückweist, ein Gedicht von der Entführung einer Frau, der Verfolgung des Entführers, die zu heftigen tragischen Kämpfen führte, vom Leiden der Frau in der Fremde und von ihrer Rückkehr in die Heimat. Dies Gedicht war dem von Hetel und Hilde verwandt,



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aber stärker und widerstandsfähiger in seinen heroischen Elementen . Noch unsre Gudrun kennt keine List bei der Entführung, sondern Raub und Kampf, das tragische Ende, der Tod Hetels, und der tragische Zwang, die Rache, sind noch nicht vergessen. Grade das unterscheidet im künstterischen Sinn unsre altdeutsche Dichtung von Hetel und Hilde von der altdeutschen Gudrun. Hetel und Hilde sind ganz und gar Spielmannsgedicht geworden, in der Gudrun ist das Spielmännische etwas gewaltsam, zu absichtlich und zu vielfältig auf ein altes heroisches Gedicht aufgetragen.

Der Kern der dänischen Gudrun des zehnten Jahrhunderts war also nicht eine heroische Werbungsfabel, sondern mehr: nach der Entführung ein Kampf mit tragischem Ausgang, das Leiden der Entführten nider Fremde, die Rache an dem Entführer, die Rückkehr der Entführten in die Heimat. Wie die geknechteten Fenja und Menja im Mühlenlied stählte sich Gudrun durch ihr Leid, das sie in der Fremde ertrug, und die Rückkehr zu den Ihren vergleicht sich, wie wir schon hörten, ehesten dem Schicksal der Hildburg m der alten englischen Dichtung vom Kampf um Finnsburg (S. 43). In dieser kämpften Dänen und Friesen; Hetel aber ist ein Däne, der Wülpenwert liegt in Friesland, Siegfried von Morland war ein Däne und fiel bei den Friesen, Herwig ist wieder ein Däne, im dänisch friesischen Umkreis ist also die Dichtung geblieben, und es scheint ein merkwürdiger Zufall, daß noch in der Gudrun plötzlich eine Hildburg dem Fürsten des Feindes die Hand reicht.

Aus germanischen und dänischen Elementen ist also, wie wir glauben, die Gudrun wie auch die Hilde entstanden, im deutschen Mittelalter hat sis ein Spielmann umgedichtet.

Unsere Gudrun ist in Bayern aufgezeichnet worden. Ob auch ein Bayer die Gedichte von Hilde und Gudrun, die von Dänemark und Niederdeutschland her rheinaufwärts wanderten, erweitert , verbunden und verschmolzen hat? Wir wissen es nicht.



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Bekannt ist uns nur, daß ein rheinischer Dichter aus dem ersten Drittel des zwölften Jahrhunderts, der Pfaffe Lamprecht, der allerdings vieles durcheinanderrührt, noch den tragischen Ausgang des Kampfes von Hetel und Hilde kennt. Doch er verlegt diesen Kampf auf den Wülpenwert, der doch in dem späteren Gedicht der Schauplatz des Kampfes um die Gudrun war. Namen aus der Gudrun sind uns dann in Bayern seit dem zwölften Jahrhundert bezeugt.

Die Zeitgenossen haben die Gudrun nicht so geliebt und geschätzt wie wir. Wahrscheinlich ist sie ihnen nicht bunt und abenteuerlich genug gewesen, zu fest gefügt und gerade durch ihren alten heroischen Inhalt doch zu eintönig; sie liebten wohl nicht diese sich ewig wiederholenden und im Grunde einander so ähnlichen Entführungen und Kämpfe. Erst im neunzehnten Jahrhundert haben sich die Augen für die Kunst der Gudrun geöffnet; seine Forscher haben freilich lange Zeit hindurch ihren heroischen Gehalt überschätzt, ihre mittelalterliche Art verkannt. —

Nun hat auch unsre Wanderung durch die Heldendichtung des deutschen Mittelalters, soweit sie außerhalb des Nibelungenliedes liegt, glücklich ein Ende. Es war kein ganz einfacher Weg, er führte durch allzu dichte Wirrnis der Abenteuer. Wie mühselig aber wäre die Fahrt erst geworden, hätten wir unsre Leser durch alle Schlachten und durch alle ärmlichen Erfindungen der Epen von Dietrich von Bern oder durch alle Erlebnisse des Wolfdietrich geschleppt. So fanden wir in der bunten Fülle der Geschichten , in der kindlichen Einfalt und Unschuld des Märchens und der Legende und in der heiteren Freude am Fabulieren reichen Ersatz für die Verluste im Heldenhaften. Wie froh ist doch das Mittelalter über seine Mären, und wie gern und viel und hübsch hat es manchmal erzählt, dieselbe Zeit, die man immer noch die finstere nennen hört, und die so viel bunter, heiterer und kindlicher war als die strenge und unbarmherzige Zeit der Völkerwanderung.



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Es war natürlich, daß in diesem Mittelalter die Heldensage viel von ihrem heroischen Charakter verlor. Seltsam erscheint es uns freilich, daß in unsrer überlieferung gerade ein Geistlicher als erster den Weg geht, der von der Dichtung, die stählen und hart machen will, führt zu der anderen, die nur die Unterhaltung liebt. Unter der bunten Decke der mittelalterlichen Fabeleien zogen wir aber manchmal noch das alte Heldentum hervor und erkannten, daß es in manchen Helden und Heldinnen, wie im Dietrich von Bern und in der Gudrun, rein und groß blieb wie in den alten Tagen, ja daß es sich läuterte. Bei der Gudrun hat sich unsre Kenntnis der alten Sagen und Lieder sogar .bereichert.



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Die Nibelungensage ist von allen germanischen Heldensagen die reichste. Manche Stämme haben ihre besten Helden ihr gegeben, die Franken, die Burgunden, die Goten. Dazu gewann der hunnische König Attila gerade für diese Sage eine große Bedeutung. Die Ausdehnung der Sage erstreckt sich über einen größeren Raum als die irgendeiner anderen, die nordischen Nibelungenlieder sind über Dänemark und Island hinaus zu den Färöischen Inseln und nach Grönland gedrungen, die deutsche Nibelungensage erhielt in Österreich ihre künstlerische Vollendung, uns erscheint die Sage und Dichtung von den Nibelungen dadurch wie ein Symbol für die Einheit aller germanischen Völker. Auch der Zeugnisse aus der bildenden Kunst sind bei der Nibelungensage mehr, besonders im Norden, als bei anderen germanischen Heidensagen.

Die Dichtungen, die den Nibelungen gelten, überragen an umfang die anderen Heldenlieder und Heldenepen weit und noch weiter übertreffen sie diese an Vielfältigkeit und Bedeutung des Stoffes. Wir haben in der Edda eine große Anzahl von Nibelungenliedern , die Nibelungensage und ihre Vorgeschichte finden wir in verschiedenen Auszügen in Prosa und in der isländischen Wölsungensaga, ein großer Teil der niederdeutschen Thidreksaga ist wieder der Nibelungensage gewidmet. In Deutschland haben wir, wenn wir von manchen Fortsetzungen und Anspielungen absehen, das Nibelungenlied und das Lied vom Hürnen Seyfried.

Die ältesten germanischen Nibelungenlieder sangen die Sänger des sechsten oder siebenten Jahrhunderts. Die nordischen Nibelungenlieder reichen dann vom neunten bis in das dreizehnte Jahrhundert. Die Sagas führen bis in das vierzehnte Jahrhundert . Das deutsche Nibelungenlied entstand um die Wende


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