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Kapitel 

Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


4. Das deutsche Mittelalter

Als wir bei der Sage von Ermanarich die nordischen Formen mit den deutschen verglichen, erschraken wir fast über die Ärmlichkeit der deutschen. Solch ein Schreck wird sich noch mehr als einmal wiederholen, die deutschen Heldenbücher und Heldensagen sind an Umfang reich, an heroischem Inhalt oft recht arm. Damit hängt etwas anderes zusammen. Die germanische überlieferung aus der Zeit der Völkerwanderung lebte und entfaltete im Norden durch Jahrhunderte und trieb Zweig auf Zweig. Als sie endlich verdorrte und als andere Dichtungsarten sie verdrängten, geschah das sanft und friedlich; ihre Zeit war gekommen, ihre Aufgabe gelöst. Die nordische Sage von Nornagest ist für diese Entwicklung ein schönes Symbol. Dieser Held hatte sein Leben in seiner Hand, es hing an einer Kerze, verbrannte sie, so mußte auch er sterben, das war die Gabe der Norne bei seiner Geburt. Nun lebte er dreihundert Jahre und kannte alle mächtigen Helden und sang oon ihnen, dann machte er mit dem Christentum seinen Frieden, zündete die Kerze an, empfing, wie es der neue Glaube verlangte, die letzte Ölung und starb, als das Licht verlosch.

In Deutschland lebten die alten Heldenlieder wohl auch weiter, Sagen, die auf ihnen beruhen, hatten uns ja Widukind von Corvey und Aimoin im zehnten und elften Jahrhundert aufgezeichnet . Doch wenn Ermanarich, Dietrich von Bern und ihre Helden sonst erwähnt werden, so wird dabei gern hinzugefügt, daß nur das Volk sich von ihnen unterhielt, und das Volk wird besonders das Wirksame und Abenteuerliche und übertriebene der alten Mären betont und wohl auch vergröbert haben.

In der Literatur aber herrschten vor allem die Geistlichen. Sie wollten die Bildung und den Geschmack und die Dichtung



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des Volkes mit christlichem Geist erfüllen und durchdringen und in immer neuen Versuchen mühten sie sich, die geistliche, die gelehrte und auch die unterhaltende Dichtung zu pflegen und zu verbreiten. Da vom neunten Jahrhundert an bis tief in das elfte Jahrhundert hinein keiner dieser Versuche einen dauernden Erfolg hatte, so konnten sie weder eine Literatur, noch eine überlieferung schaffen, nur eine Fülle der verschiedensten und isoliert bleibenden Versuche erzeugte sich aus ihnen.

Neben den Geistlichen erschienen als Pfleger der Literatur die Spielleute. Doch diese, die sich uns schon in der Völkerwanderung und namentlich in longobardischen Dichtungen zeigten, waren nicht die Nachfahren der germanischen Sänger, sondern die Erben der römischen Mimi und Gaukler, eine Hinterlassenschaft der alten Welt an das Mittelalter von immerhin zweifelhaftem Wert. Es war ein: bunt und üppig durcheinander gewürfelte Gesellschaft; sie traten gerne in Massen auf und führten wohl auch einen Troß von Frauen mit sich. Schauspieler und Seiltänzer, Akrobaten und Musiker, Kundschafter und wandernde Zeitungen, Sänger und Erzähler, alles waren sie in einem. Sie unterhielten das Volk auf den Gassen und rissen es zum Jubel hin, sie sangen auch den Ruhm dessen, der ihnen Brot, Geld und Geschenke gab, und machten sich ihm durch ihre Schlauheit und ihre Verwegenheit unentbehrlich. Natürlich blieben sie selbst auf die Gunst der Mächtigen und Reichen besonders angewiesen. Um den Mönchen und um den hohen geistlichen Herren zu gefallen, trugen sie ihnen daher gewandt und gefügig, wie sie waren, lateinische Schwänke und Lieder in den Formen und Maßen der geistlichen Dichtung vor und suchten zugleich durch ihre derben Spässe und durch unterhaltsame Geschichten die geistlichen Poeten aus der Gunst des Volkes zu verdrängen. Auch bemächtigten sie sich der nationalen Dichtung und bildeten sie nach ihrer Art weiter; noch an der Gudrun und an dem deutschen Nibelungenlied erkennen



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wir die vergröbernden Hände der Spielleute. Es ist daher kein Zufall, wenn die beiden deutschen Heldengedichte, die uns aus dem zehnten und aus dem Anfang des zwölften Jahrhunderts erhalten sind, das eine, der Waltharius manu fortis (Walter Starkhand) einen Geistlichen, das andere, der König Rother, einen Spielmann zum Dichter hat.


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