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Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


4. Wieland und Egil

Von dem Lied von Wieland dem Schmied sagt Andreas



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Heusler, es sei wohl das tönereichste der Edda. Wir geben es wieder wie das von Ermanarich, so, wie es war, mit ganz wenigen notwendigen Ergänzungen und Kürzungen.

Mädchen flogen vom Süden, durch dunkle Wälder, Schwanenjungfrauen , des Schicksals zu walten. Da am Meeresstrand saßen sie zur Rast, die Frauen vom hellen Süd ', spannen köstliches Linnen. (Die Jungfrauen waren Walküren, sie hatten, als sie am Strande ruhten, ihre Schwanenhemden abgestreift.) Da kamen drei Brüder, Egil, Slagfidhr und Wölund, die sahen die Schwanenhemden, nahmen sie und vermählten sich mit den Mädchen.

Eine von ihnen umarmte den Egil, das Mädchen den Mann, und schloß ihn an ihre lichten Brüste.

Die andere war Schwanweiß, ein Schwanenkleid trug sie. . . . Und die dritte, ihre Schwester, umschlang den weißen Hals des Wölund.

Da saßen sie dort sieben Winter und den achten versehnten sie ganz und den neunten trennte die Not. Die Mädchen trieb es zum dunklen Wald, die Schwanenjungfrauen, des Schicksals zu walten.

Es kam von der Jagd der helläugige Schütze, Wölund schreitend den langen Weg. Slagfidhr und Egil fanden leer das Haus, gingen aus und ein und sahen herum.

Nach Osten glitt Egil, nach seiner Ölrun, nach Süden Slagfidhr, nach der Schwanweißen. Doch Wölund einsam saß im Wolfstal.

In rotes Gold schlug er hellen Stein, reihte alle Ringe schön an den Bast, so harrte er lange der lichten Frau, ob sie wiederkäme zu ihm zurück.

Nidhöd erfuhr das, der Herr der Njaren, daß Wölund einsam saß im Wolfstal. Nächtens fuhren die Mannen, goldbenagelt die Brünnen, ihre Schilde blinkten, schmal schien der Mond.

Sie stiegen aus den Sätreln am Giebel des Hauses und gingen hinein in den langen Saal, sahen auf den Bast die Ringe gezogen, wohl siebenhundert, die der Schmied dort besaß.

Sie nahmen sie ab, sie reihten sie auf, einen allein nahmen sie fort. . . .

Es kam von der Jagd der helläugige Schütze, Wölund schreitend den langen Weg, ging zu braten das Fleisch der braunen Bärin.



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Hoch brannte Reisig, dürres Föhrengezweig, windsprockes Holz vor Wölund auf.

Auf dem Bärenfell saß er, zählte die Ringe, der Schmiede Bester, suchte den einen. Er dachte, ihn hätte Hlodwers Tochter — die Schwanenjungfrau — kam sie denn heim?

Lang saß er da, bis er entschlief, dann erwachte er freudenlos. An den Händen fühlte er schwere Bande, die Füße umspannten eng die Fesseln.

Wölund sprach: " Wer sind die Recken, die mir anlegten Bastgeschnür und mich gebunden? . . ."

Nidhöd sprach, der König der Njaren: " Wo erwarbst du Wölund, du Fürst der Alben, all' das Gold dir in unserem Wolfstal?"

Wölund sprach: " Gold war da nicht auf Granis Pfad, fern ist dies Land den Gefilden des Rheins. Ich meine, wir hatten größere Schätze, als wir saßen froh daheim."

Draußen stand die kluge, Nidhöds Gemahlin, sie ging hinein inden langen Saal, stand in der Halle, dämpfte die Rede: "Nicht geheuer ist der Bursch, der vom Walde kam.

Die Augen gleichen dem gleißenden Wurme, die Zähne fletscht er, sieht er das Schwert, erblickt er den Ring, der Bödwild nun schmückt. Durchschneidet ihm die Kraft der Sehnen und setzt ihn dann an des Meeres Strand."

(Nidhöd hatte seiner Tochter Bödwild den Ring gegeben, den seine Mannen dem Wölund genommen, er selbst trug das Schwert, das, Wölund besaß. Dem Schmied durchschnitten sie die Sehnen und setzten ihn auf eine Insel dicht am Land, dort mußte er dem König Kostbarkeiten schmieden. Niemand durfte ihm nahen außer dem König.)

Wölund sprach: "Nun leuchtet dem Nidhöd das Schwert am Gürtel, das ich geschmiedet, so scharf ich konnte, das ich gehärtet mit meinem Hammer. Das glänzende Schwert ist immer mir fern, nicht seh' ich's dem Wölund zur Schmiede getragen. Nun trägt Bödwild die roten Ringe meiner Geliebten, ich kann es nicht rächen."

Ihn floh der Schlaf und immer dort saß er und schlug den Hammer, dem König schmiedend schönen Schmuck. Da liefen die Burschen, des Königs Söhne, die Schätze zu sehen auf einsamer Insel.

Sie gingen zum Kasten, erbaten den Schlüssel und blickten hinein



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— da sah er die Rache. Dort lag Schmuckes die Fülle, vor den Augen der Knaben funkelten Gold und reiches Geschmeide.

Wölund sprach: " Kommt allein ihr zwei, kommt morgen wieder! Das Gold soll alles euer werden! Sagt's nicht den Mägden, nicht im Saal den Knechten, verratet es niemand, daß ihr mich fandet!"

Bald rief der eine Knabe dem andern, der Bruder dem Bruder: "Laß die Ringe uns sehen."

Sie kamen zum Kasten, erbaten den Schlüssel und sahen hinein — da sah er die Rache. Er schnitt ab das Haupt der beiden Burschen, in den Schlamm der Esse warf er die Füße.

Doch die Schädel unter den Haaren beschlug er mit Silber, schickte sie Nidhöd. Und aus den Augen Edelsteine sandt' er der klugen, Nidhöds Gemahlin. Und aus den Zähnen der beiden Knaben schuf er Brustschmuck, sandt' es der Bödwild.

(Bödwild zerbrach ihren Ring, der früher der Geliebten Wölunds gehörte und brachte ihn dem Schmied; sie wagte das nur ihm zu sagen.)

Wölund sprach: "Ich büße dir so den Bruch am Ringe, daß er deinem Vater schöner scheine und deiner Mutter um vieles besser und dir selber so wie vordem."

Er brachte ihr Bier, daß er's besser vollbrachte, daß auf ihrem Sitze sie sanft entschliefe. " Nun hab ' ich die Rache für meine Leiden, nur für eines nicht an den Missetätern."

Wölund rief: "Ich schmiede mich frei, ich bin frei an den Sehnen, die Nidhöds Mannen mir einst zerschnitten."

Lachend stieg Wölund hoch in die Lüfte, weinend ging Bödwild von seiner Insel, erzitternd von dem Flug des Buhlen, erbebend vor dem Zorn des Vaters.

Draußen stand die kluge, Nidhöds Gemahlin und ging hinein in den langen Saal. An der Türe sah sie erschöpft und ruhte: "Wachst du, Nidhöd, du Herr der Nsaren?"

Nidhöd sprach: "Ich wache und wache freudenlos, ich schlafe nicht, seit tot meine Söhne. Kalt ist mein Haupt, kalt war dein Rat, ich will nur eines: mit Wölund reden.

Sage mir Wölund, du Fürst der Alben, was ward aus meinen starken Söhnen ?"



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Wölund, der in den Lüften über ihm schwebt, sagt: "Die Eide sollst du mir alle schwören, bei Schiffes Bord, bei Schildes Rand, bei Rosses Bug, bei Schwertes Schneide, daß du nicht peinigst des Wölund Gattin, noch meiner Frau zum Mörder werdest, wär ' auch meine Gattin von dir gekannt oder mein Kind in deinem Hause.

Geh ' du zur Schmiede, die du geschaffen, dort findest du Bälge, blutbefleckt. Ich schnitt ab das Haupt deiner beiden Söhne, in den Schlamm der Esse warf ich die Füße.

Doch die Schädel unter den Haaren beschlug ich mit Silber und schickte sie Nidhöd. Und aus den Augen Edelsteine Sandt' ich der klugen, Nidhöds Gemahlin. Und aus den Zähnen beider Knaben schuf ich Brustschmuck, sandt ' es der Bödwild. Nun geht Bödwild und trägt ein Kind, eurer beider einzige Tochter."

Nidhöd rief: "Welche Kunde könnte mich bitterer kränken? Ah, könnt ' ich, Wölund, nun dich strafen! Doch kein Mann ist so hoch, der vom Hengste dich fällte und keiner so stark, der dich niederschösse, der du nun schwebst da im Himmel oben."

Lachend stieg Wölund hoch in die Lüfte, gebrochen sah Nidhöd und starrte ihm nach.

Nidhöd sprach: "Steh ' auf, Thakkrat, Bester der Knechte. Entbiete Bödwild — ihre Brauen sind weiß, ihr Schmuck leuchtet hell — sie gehe zum Vater!

Ist das wahr, Bödwild, was er mir sagte? Warst du bei Wölund, draußen am Holm?"

Bödwild sprach: "Wahr ist das, Nidhöd, was er dir sagte. Ich saß mit Wölund draußen am Holm, eine Schreckensstunde, hätt' ich nie sie erlebt! Mich seiner erwehren, ich konnte das nicht, mich seiner erwehren, ich wollte das nicht."

Das alte, vermutungsweise von uns erschlossene, fränkische Lied von Wieland und seine Grausamkeiten sind uns im Gedächtnis (siehe oben S .53). Das Lied wanderte nach England. Dort ist Wieland der "Fürst der Schmiede" —und er blieb es bis in das neunzehnte Jahrhundert, in der Volkssage. Er lebt in schwer zugänglichen Höhlen, niemand hat ihn gesehen; vor den Eingang seiner Behausung mußte man ihm legen, was man gebessert zu



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haben wünschte, dann fand man es am Morgen, wunderbar vollendet wieder. — Die Geschichte von Wielands Knechtschaft und Rache kannte ja der Dichter von Deors Klage. Seine Verse sind erfüllt von Jammer und Unglück. Schmerz und Sehnsucht, sagt er, waren Wielands Gefährten, oft empfand er Weh, nachdem Wieland ihn in Fesseln gelegt, Baduhild konnte die eigene Schande schwerer verwinden als den Tod der armen Brüder. — Auch ein sehr altes wertvolles Zeugnis für die Sage ist ein altenglisches Runenkästchen, wohl aus dem achten Jahrhundert, eines der wenigen bildlichen Denkmäler, die uns die Verbreitung der germanischen Heldenlieder bezeugen. Es zeigt die Baduhild, die den Wieland in Begleitung einer Dienerin besucht, unten liegt die Leiche eines Knaben. In den Versen von Deors Klage hat sich der Dichter tief in das vergebliche Sehnen, in die zerstörte Liebe, in die trostlose Einsamkeit des Wieland versenkt. Von den germanischen Völkern hat das englische zuerst die ganze Kraft und den ganzen Schmerz der Liebe, der Verlassenheit, der Sehnsucht besungen, vielleicht war den Dichtern dabei die Kunst des Vergil und des Ovid Vorbild. Klassische Sagen von der Kunst des Fluges, der Knechtschaft und der Lähmung des Schmiedes, von der Rache des Geknechteten, das Schicksal des Ikarus, des Dädalus, des Hephästus klingen ja an die Sage von Wieland an.

An die altenglische Kunst und ihre Stimmung erinnert da und dort das Wielandslied. Wir denken bei der Schilderung der Krieger, die beim Schein des Mondes zu Wieland reiten, an das Finnsburglied (S. 43). Wie rührend —weicher als sonst im Nordischen — ist Wielands Verlangen nach der entflogenen Geliebten geschildert, wie herzbrechend Baduhilds Schmerz und Angst, wie oft kehren, im melancholischen und im drohenden Gleichklang, Verse und Versreihen wieder. Bilder, wie die von Wieland, der am Feuer sitzend sich die Bärin brät, der Geliebten nachseuszt und die Ringe zählt, haben vielleicht im dänischen Lied von Bjarki ihr Seiten



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stück, in dem das prasselnde Herdfeuer und der warme Herd gepriesen werden. Andere Bilder haben nirgends im Nordischen ihresgleichen: der Schmied, der funkelnden Auges, die Zähne fletschend, zusehen muß, wie man ihm seine Schätze raubt, die Knaben, die neugierig zum gefesselten Schmied laufen und in seinen Kasten schauen, die Baduhild, die erhebend zu dem entfliegenden Geliebten hinaufstarrt. Solche Szenen kann man sich im Märchen vorstellen, und auch die Knechte, die Wielands Ringe zählen und den schönsten nehmen, die Freude an Schmuck und Edelsteinen, die grausame Königin gehören dahin. Grade diese Szenen stehen in merkwürdigem und wohl auch gewolltem Gegensatz zu der Grausamkeit des Liedes. Am Schluß zeigt uns der Dichter das mächtigste Bild: den Wieland, der hoch in den Lüften schwebend, dem König die Einzelheiten der Rache zuruft.

Im nordischen Lied von Wölund dehnt sich einsam und weit der Meeresstrand, in Tälern versteckt liegen die Hütten, auf Schneeschuhen ziehen die Jäger zur Bärenjagd und kehren erschöpft nach weitem Weg heim, die Wölfe hausen im Wald, die Schwäne lassen sich nach langem Flug am Ufer nieder. Das ist eine Landschaft im nordischen Osten, in Finnlands Nähe, in der etwa der Gott Ull und die Schneeschuhgöttin Skadi verehrt werden.

Das Lied von Wieland besteht aus zwei Dichtungen, die früher Selbständig und in sich abgeschlossen waren. Die eine ist das Märchen von den Schwanenjungfrauen, denen Sterbliche ihre Gewänder rauben. Sie verweilen bei den Sterblichen, sehnsüchtig nach der alten Kraft, bis sie ihr Gewand wiederfinden, da fliegen sie davon und kommen nie wieder. Das ist eine sehr alte und sehr verbreitete Erzählung, sie fehlt kaum in einer Märchensammlung. Die andere ist die Dichtung von dem Schmied, der einsam seine Kunst übt, den ein König fängt und fesselt und der die Schmach an dem König rächt, sich Flügel schmiedet und auch davonfliegt.



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Es war die Tat eines nordischen Dichters, daß er diese beiden Dichtungen verband. Sie hatten gewisse Ähnlichkeiten, Wieland und Baduhild (Bödwild) waren beide verlassen, Wieland von der geliebten Frau, Baduhild vom geliebten Mann. Der Dichter deutet uns an, leise, doch erschütternd, daß Baduhild den liebte, der ihr das Leben zerstörte. Beiden entflog das Wesen, an dem ihr Leben hing, sie blieben einsam zurück. Der einsame Schmied war der Anfang der Dichtung von Wieland, da war es für einen Dichter verlockend zu erzählen, wodurch er einsam geworden. Welche Vorgeschichte war nun schöner, als das weitbekannte Märchen von der Schwanenjungfrau, die den Menschen doppelt einsam zurückließ, der lange Jahre ihre Liebe genoß?

Nun, da beide Geschichten verbunden waren, hatte der Dichter noch einen künstlerischen Gewinn. Er konnte allmählich den Wieland aus seiner Umgebung herausheben. In den ersten Strophen ist sein Los wie das der andern Brüder auch, diese gehen fort, er bleibt einsam da, ihm gehört nun unsre ganze Teilnahme. Das war nordische, besonders isländische Kunst, das Interesse des Hörers langsam auf den Helden zu lenken. Es ist auch sehr schön, wie das Lied mit sehnsüchtiger Erzählung beginnt, und, Sobald es in die Gegenwart kommt, in das Dramatische, in Rede und Gegenrede, sich erhebt.

Der Beginn des Liedes hebt sich leuchtend und hell aus dem Dunkel des Waldes: helle Schwanjungfrauen in weißem Gefieder rasten an dem weißen Strand des Meeres, sie schließen die Helden an ihre lichten Brüste, ihre schimmernden Arme umschließen den weissen Hals der Männer. Wie strahlt der Klang des Verses: onnur was Swanhwit swanfjadrar dro! — Wieland ist Herr der Alben, sein Feind Nidud der Herr der Njaren, der Herr dunkler, tückischer Mächte und Knechte. Die Jungfrauen fliegen ins tiefe Dunkel des Waldes zurück. — Dies Auftauchen und Entschwinden des Lichts, die alles umschattende, dichter und



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dichter sich niedersenkende Finsternis ist wie ein schnell und trostlos verfliegender Traum aus längst vergangenem flüchtigem und unvergeßlichem Glück.

Die Geschichte oon den Schwanenjungfrauen selbst erscheint im Wielandslied in ganz anderer Gestalt als im Märchen. Nicht wie dort, nicht durch einen Zufall, oder durch eine Unachtsamkeit oder durch eine List finden die Schwanenjungfrauen ihr Gewand: sie bleiben sieben Winter bei den Sterblichen, den achten versehnen sie, im neunten trennt sie die Not, das allgewaltige Schicksal. Denn es sind nicht die Schwanenjungfrauen des Märchens, denen wir im Wielandslied begegnen, es sind Walküren, die des Schicksals und des Krieges walten, die sich selbst am Meeresstrand die Zukunft weben, daß sie irdischen Männern wenige Winter gehören müssen und die es dann doch unwiderstehlich zurücktreibt zum alten Wesen, zum Flug durch die Lüfte, zum ewigen Kampf.

Im Märchen von den Schwanenjungfrauen ziehen die Verlassenen den Entflogenen nach, manchmal finden sie nach langen Wanderungen die Geliebten, dann gibt es eine Vereinigung für immer. Im Wielandlied wandern nur Schlagfider und Egil hinter den Geliebten her, wir hören nicht, ob sie jemals sie wieder fanden. Wieland bleibt zurück: er glaubt wohl, daß die Schönheit des Mannes und seine Liebe und sein Schmuck und seine Kostbarkeiten die Geliebte doch wieder zu ihm treiben werden.

Wir stoßen hier auf eine bewundernswerte Kunst. Aus einer alten zauberhaften Geschichte ist ein dunkles Schicksalslied geworden und das Vorspiel zugleich zu dem Liede von Wieland dem Schmied. Damit ist dies selbst in die Höhe und Tragik des Schicksals gehoben. Es ist nicht eine grausame Begebenheit, ein seltsames und nie wiederkehrendes Unglück, diese Geschichte von Wielands Knechtschaft und Wielands Rache. Es ist die ewige Schmach der Knechtschaft, das ewige Gebot der Rache, das uns der Dichter besingt.



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Man darf die Geschichte von den Schwanenjungfrauen auch eine Geschichte der Liebe nennen, das Lied von Wieland ein Lied der Rache. Sind beide verbunden, so ergibt sich für den Künstler noch eine Möglichkeit der Steigerung. Er kann schildern — und unser Dichter hat es geschildert — wie die Gefühle der Liebe, von denen Wieland sich zuerst überwältigen läßt, durch die Gefühle der Rache ganz verdrängt werden. Dieser Rache gibt sich Wieland mit noch wilderer Leidenschaft hin als der, die er früher für seine Liebe hatte. Er gibt sich ihr hrn, bis sie ihn ganz erfüllt und durchdringt, ja bis sie größer wird als er selbst und ihm überirdische Kräfte zuführt. Nun erst, das ist wieder eine wunderbare Vertiefung des alten Märchens vom Flug des Menschen, nun erst, nicht früher, gewinnt Wieland die Macht, sich Flügel zu schmieden, die alte Freiheit sich zu Waffen, den Peinigern, die ihm das Leben zerstören wollten, in furchtbarer Vergeltung vielfältig zurückzugeben, was sie ihm angetan.

In der Rache selbst liegt eine schaurige Folgerichtigkeit. Man nahm Wieland das Schwert, er tötet die Knaben, des Königs Schwerter. Man nahm ihm den Ring, den er für seine Geliebte bestimmt; er heilt diesen Ring der Baduhild und entehrt sie und unterwirft sie seiner Liebe. Man zwang ihn, Kostbarkeiten zu schmieden; er schmiedet seine besten Kostbarkeiten aus den Schädeln, den Zähnen, den Augen der Königsknaben, die er gemordet . Man durchschnitt ihm die Sehnen und stahl ihm die Freiheit; er schmiedet sich Flügel und ist freier als jemals. Vom Himmel herunterrufend, enthüllt er den Peinigern die furchtbaren Einzelheiten seiner Rache, erhebt sich höhnisch lachend in die Lüfte und überläßt sie ihrem ohnmächtigen Grimm.

Diese Vergeltung ist barbarisch, uns überläuft ein Grauen, wenn sie vor uns aufsteigt. Aber sie geht den unerbittlichen Gang des Schicksals und ist unabwendbar wie das Schicksal: das bleibt ihre Größe. Am Ende, nachdem der Dichter unsre



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Empfindungen alle in wilden Aufruhr gebracht, läßt er sein Lied leise und trostlos verklingen, mit den verzweifelnden Worten des Vaters und dem wimmernden Ruf der Baduhild, daß sie des Wieland sich nicht erwehren konnte und nicht erwehren wollte —

Nach langer Zeit, im dreizehnten Jahrhundert, finden wir die Sage von Wieland wieder, in der Thidreksaga, jener großen Sammlung von Heldensagen, die ein nordischer Sagaschreiber auf Grund von Berichten von Kaufleuten aus Soest und Münster aufzeichnete und die er um Dietrich von Bern ordnete. In den drei Jahrhunderten seit dem Lied von Wölund hat sich aber unsre Sage bis zur Unkenntlichkeit verändert und erweitert.

Der Anfang der Sage berichtet nun von Wielands Jugend, er sei der Sohn Mades gewesen und habe zuerst bei Mimi zur selben Zeit wie Siegfried und dann bei zwei Zwergen das Schmieden gelernt. Diese behielten ihn, weil er so geschickt war, länger bei sich. Zuerst gaben sie dem Wade dafür Lohn, dann aber gereute sie das und sie knüpften an den Lohn die Bedingung, daß Wielands Leben ihnen verfallen sei, wenn Wade ihn nicht zur rechten Zeit zurückhole. Nach einem Jahr kam Wade, doch wurde er dicht vor dem Ziel, als er sich zur Ruhe gelegt, von einer herabfallenden Klippe erschlagen, und als Wieland ihn gefunden und dies gesehen, tötete er die Zwerge, die sein Leben wollten, nahm ihre Schätze, ging zur Weser, fällte dort einen starken Baum, höhlte ihn aus und schloß beide Teile eng aneinander, setzte vor die Löcher Glas und lieh sich und seine Schätze vom Baum ins Meer tragen, bis Fischer des Königs Nidung in Jütland den Stamm in ihren Netzen fingen und ihn und Wieland ans Land zogen.

Wieland wurde nun vom König Nidung gut aufgenommen und zeigte seine Schmiedekünste. Er schmiedete ein weit besseres Schwert als der Schmied des Königs, obwohl er nur dessen Werkzeuge dabei brauchte. Als seine eigenen Werkzeuge dann gestohlen waren, fertigte er ein Bild des Mannes an, den er beim Diebstahl beobachtet hatte und führte dadurch dessen Entdeckung herbei. Dann schmiedete er mit seinen Werkzeugen ein Schwert so scharf, daß es in einem Strom gegen die Strömung gehalten eine antreibende Wollflocke zerschnitt. Vorher hatte Wieland zweimal das Schwert zerfeilt, die Eisenspäne mit Mehl



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vermischt und sie den Vögeln zu fressen gegeben, ihre Eikremente schmolz er aus und gewann dadurch sein wunderbares Material.

Der König zog nun in den Krieg, hatte aber seinen Siegstein vergessen . Wieland ritt auf seinem wunderbaren Roß in einem Tag einen fünf Tage langen Weg zurück, holte den Siegstein und begehrte des Königs Tochter, die dieser dem überbringer des kostbaren Steines versprochen. Ein neidischer Truchseß wollte dem Wieland mit Gewalt den Siegstein abnehmen, wurde jedoch von ihm erschlagen. Da verbannte Nidung den Wieland. Dieser schlich sich, als Koch verkleidet, an Nidungs Hof und tat Liebeszauber in die Speisen der Prinzessin. Doch das Mädchen erkannte das am Klang ihres Messers, das alles Unreine anzeigte, und Wieland wurde gefangen, die Sehnen wurden ihm zerschnitten und er mußte für den König Geschmeide schmieden.

Nun erzählt die Sage, daß Wieland die Söhne des Königs erschlug und aus ihren Gebeinen allerhand Schmuck und Tischgerät fertigte. Er bewältigte auch die Königstochter und heilte ihr dann ihren Ring. Darnach ließ er sie durch seinen Bruder Egil zu sich rufen und er versprach ihr und sie ihm Treue. Wieland fertigte sich nun aus Vogelfedern ein Fluggewand. Egil sollte es erproben; der stieg, wie es ihm Wieland geraten, gegen den Wind auf und setzte sich mit dem Wind und stürzte ab. Wieland, der mit Recht gefürchtet, Egil würde ihn um sein Flughemd betrügen, wenn er ihn richtig unterwies, setzte ihm auseinander, die Vögel stiegen mit dem Wind auf und setzten sich gegen den Wind. Wieland flog nun auf und von der Luft herab erzählte er dem König, was er ihm angetan. Nidung befahl dem Egil, nach Wieland zu schießen; dieser, einer Verabredung gemäß, traf nur eine mit Blut gefüllte Blase, die Wieland sich unter den Arm gebunden. Der König glaubte nun, Wieland sei tot. Doch dieser entkam nach Seeland. Dann starb Nidung, sein Sohn versöhnte sich mit dem Schmied und gab ihm seine Schwester, die Prinzessin, zur Frau.

Die alte Größe und Tragik des Wielandliedes ist in dieser Form der Wielandsage bis auf die letzte Spur getilgt. Die Schwanenmädchen, die Königin, die Bedeutung vom Ring und der tiefe Sinn und die Gewalt der Rache, die Einsamkeit, kurz der ganze Geist der alten Dichtung fehlt. Der Ausgang ist freundlich und die ganze Sage ist erweitert und mit Wundern und Anekdoten überdeckt, so daß eine schlechte und grobe Erzählung



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vor uns steht. Sie war für den Geschmack eines niederen Hörerkreises berechnet und wurde ihm wahrscheinlich mit allerhand derben Pantomimen vorgetragen. Freilich kam ja schon das nordische Wielandslied in manchen Szenen dem Märchen entgegen.

In Island wohl wird man das Lied von Wölund in eine Saga verwandelt haben, an einzelnen Stellen klingt die Thidreksaga noch an das Lied von Wölund wörtlich an. Einige seiner uns neuen Züge, die nämlich, die aus der Siegfriedsage stammen, vermischten sich wohl dort schon mit der Wielandsaga, nämlich die erste Lehrzeit bei den Zwergen, die Schwertprobe im Strom und die Furcht vor dem neidischen Egil. Andere Motive in dem Bericht der Thidreksaga wanderten vom Märchen hinüber: der neidische und diebische Ritter, der neidische Truchseß, der Siegstein, das schnelle Roß, der Liebeszauber in der Speise, das Messer, das alles Unreine anzeigt. Da der Ritter auch in seinem Namen dem Ritter Röd entspricht, den besonders das dänische Märchen kennt, und da unsre Erzählung in Jütland und Seeland angesiedelt ist, darf man annehmen, daß wir die märchenhaften Zutaten einem dänischen Erzähler verdanken. Von wieder anderen Zügen endlich machte die Forschung wahrscheinlich, daß sie in Niedersachsen hinzukamen: der Tod Wades durch die herabfallende Klippe, der Einbaum, die Fahrt auf der Weser, die Schmiedeanekdoten von der Nachahmung des Diebes im Bild und von der Gewinnung des Materiales für das Schwert, der falsche und der richtige Rat zu fliegen und die Blutblase.

Je weiter sie sich vom Norden entfernte, um so fremder wurde die Sage von Wieland also ihrem Wesen, und um so eifriger behing sie sich mit märchenhaftem Tand, bis sie endlich sich in der Thidreksaga in eine rohe und aufdringlich aufgeputzte Fabel verwandelt hatte. Ein ähnliches Schicksal ereilte auch andere Helden und Sagen. Starkad, der freilich viel größer blieb und tiefer, wurde in das Reich der Wunder und des Zaubers geführt, über die Balder-sage, wie Sato Grammaticus sie uns erzählt,



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sind eine Fülle von Märchen und Wunderdingen geschüttet. Aber so entstellt und verroht wie die Sage von Wieland ist doch keine andere; ihre Grausamkeiten mögen daran ein wenig schuld sein.

Die alte Dichtung verlor ihr Ansehen nicht, die Nordmänner scheinen sie und die Dichtung von Sigurd in Frankreich erzählt zu haben. Aus ihnen beiden erwuchs dann, indem sie sich mit seltsamen Erinnerungen aus Schlangenmärchen bereicherte, in der Gascogne eine neue wunderbare Erzählung. —

In der Thidreksaga trat neben Wieland sein Bruder Egil auf als wunderbar geschickter Schütze, und die Saga erzählte von seiner Geschicklichkeit und seinem kühnen Trotz eine sehr schöne Geschichte. Egil erscheint im Wielandslied des zehnten Jahrhunderts ja nur in der Geschichte von den Schwanenjungfrauen, doch war er seit langen Jahrhunderten der germanischen Sage bekannt, auch das altenglische Runenkästchen zeigt ihn im Bild. Die ihm geltende Sage kennt auch Saxo Grammaticus, sein Schütz heißt freilich nicht Egil, sondern Toko.

Egil rühmte sich und seine Schützenkunst. Der König wollte ihn erproben und hieß ihn einen Apfel vom Kopf seines dreijährigen Söhnchens schießen. Da nahm Egil drei Pfeile aus dem Köcher und der erste traf den Apfel. Als der König ihn fragte, was er mit den beiden anderen Pfeilen gewollt, erwiderte er, daß er sie dem König zugedacht, wenn er seinen Sohn getroffen hätte. Der König aber verstand und bewunderte diese kühne Antwort und tat dem Schützen nichts zuleide.

Nach Saxo war Toko ein Prahler und behauptete, er könne einen Apfel vom Stock schießen. Diesen Stock ersetzte der König durch das Kind. Toko mußte sich dann noch als Skiläufer erproben und einen steilen Bergabhang herunterfahren. Sato und wohl auch die Thidretsaga schöpfen aus isländischer Tradition; die Sage von Egil dem Schützen ist in ihrer Art durchaus denen der Völkerwanderung gleich. Ihr Schwerpunkt ist das Verhältnis des Königs zum Gefolgsmann, nicht das Kind und die Liebe zu ihm, das würde Egil opfern. Der Schütz bezwingt sich, als der König die



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grausame Probe seiner Kunst von ihm verlangt. Dann kommt die verhaltene Mal und der verhaltene Zorn gewaltsam zum Ausbruch und diese Entladung versteht der König und vergibt ihm in königlicher Milde, ein Herrscher ebenbürtig dem Turisind.

Den gleichen Egil bildet auch das altenglische Runenkästchen als Verteidiger seines Hauses ab. Daran bewahrte eine englische Ballade des sechzehnten Jahrhunderts die Erinnerung, die Ballade von William von Cloudesly.

William wurde in seinem Hause von bewaffneter Macht belagert. Er ging in sein stärkstes Zimmer und schoß auf seine Feinde, während sein Weib mit der Axt an die Türe trat. " Der muß sterben, der hier herein will, solange ich dastehe." — "Ergib dich!" rufen die Feinde, dem Helden zu. " Gott verfluche ihn, der diesen Rat gibt," antwortete die Gattin. Da legten sie draußen Feuer an. " Verbrennen wir William, sein Weib und seine drei Kinder." Die Flamme schlug hoch auf. "Wehe, daß wir hier sterben sollen! rief die Frau. Da ließ William Weib und Kind an Tüchern zum Fenster herunter. " Tut ihnen kein Leid," rief er, " an mir nehmt Rache." Und er schoß, bis alle seine Pfeile verschossen waren und das Feuer auf ihn fiel und seine Bogensehne entzwei brannte. " Lieber mit dem Schwert in den Haufen stürzen," sagte er, " als hier jämmerlich verbrennen," und er nahm Schwert und Schild und rannte in die dichteste Schar und schlug um sich, bis man Fensterläden und Türen über ihn warf, da konnten sie ihm die Hände und Füße binden.

Auf dem Runenkästchen waren von dieser stolzen und im Wesen ganz germanischen Geschichte — manche ihrer Züge erinnern an den weisen Njal und an die Geschichte seiner Verbrennung — schon abgebildet der zum Fenster hinausschießende Held, die von Pfeilen heregneten Angreifer, die Frau mit der Waffe unter der Tür und der mit dem Schild sich unter die Feinde werfende Egil, am Boden liegend, von einem andern am Bein gepackt.

Von der Sage von Wieland drangen nur wenige Namen und der Ruf seiner Schmiedekunst nach dem südlichen Deutschland. Die



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Sage von Egil dem Schützen, der den Apfel vom Haupt des Sohnes schoß, kam bis in die Schweiz und auf ihr beruht die Sage vom Wilhelm Tell. Diese ist wirkungsvoller und volkstümlicher, die germanische Sage durch die Gestalt ihres Königs und durch ihre Auffassung von der Gefolgschaft edler und höher. — Wie bunt, abenteuerlich und vielfältig werden nun vor unsren Augen die Schicksale der Heldensage und wie mächtig war ihr Leben, daß sie sogar unter späten altenglischen Balladen in ihrer alten tragischen Größe überraschend vor uns tritt!


Copyright: arpa, 2015.

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