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Kapitel 

Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


4. Starkad

Wir rufen uns nun das Lied oon Jngeld (S. 40) in unser Gedächtnis zurück. Dieser nahm die Tochter des Longobardenfürsten Froda zur Gemahlin, deren Vater ihm seinen Vater erschlagen hatte. Ihn reizte mit unerbittlichen Worten ein alter Krieger, bis einer von Jngelds Mannen einen Jüngling aus dem Gefolge der Könige tötete. Der Mörder entrann und die alte Feindschaft zwischen den Stämmen flammte wieder auf.

Das Lied von Jngeld lebte wie die von Uffe und Hagbard weiter und steht im zehnten Jahrhundert in einer neuen Form vor uns die Saro Grammaticus kannte und die er uns diesmal freilich in seinen lateinischen Versen, vollständig wiedergegeben hat. Wie die alten Strophen von Hagbard und Signe, so hat Axel Olrik uns auch das Lied von Starkad in seiner alten Reinheit wiedergeschenkt und wir folgen genau seiner Schilderung.

Die Handlung des Jngeldliedes spielt in dem Königsgehöft Lejre. Die Hofbediensteten König Jngelds eilen hinein und hinaus mit den leckeren Gerichten; sie beachten nicht den alten Mann, der; zu unterst in der Halle steht; da erhebt er seine Stimme und erinnert daran, wie er einst König Frodi gedient und zu oberst in der Halle des Dänenkönigs gesessen hat; nun ist er gekommen, um zu sehen, was jetzt Brauch sei im Königsgehöft der Schildunge; denkt Jngeld daran, seines Vaters Tod zu rächen ? oder nur daran, seinen Leib zu mästen? Er erinnert



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sich, wie er von Frodi mit bangen Ahnungen schied; wäre er nur bei ihm gewesen, dann würde der trügerische Sachsenhäuptling erschlagen sein — oder er selbst wäre an des Herrn Seite gefallen! Die Königin, die sächsische Gattin Jngelds, sucht ihn zu beruhigen durch ein goldgewirktes Hauptband; aber er schleudert es von sich mit Spott über die fremden Sitten in Kleidung und Speise, verhöhnt Jngeld, der mit den Fingern in den Eingeweiden der Vögel wühle, und preist die alte Zeit, wo er in der Wikingerschar Hakis rohen Schinken ass und sich süßer, berauschender Getränke enthielt. Er scheint nahe daran, sich in eine greisenhafte Lobrede der Vergangenheit zu verlieren, aber plötzlich ist er wieder bei dem Ziele, das er verfolgt: keiner nahm da eine Buße an für des Vaters Tod, nicht würde da ein Sohn zu Tische gesessen haben mit seines Vaters Mörder (wir denken aber an Alboin der am Tische des Königs saß, dem er den Sohn getötet). Er ermahnt Jngeld mit den stärksten Worten: wenn andre singen von den Großtaten der Könige, wird Starkad voll Scham sein Angesicht im Mantel verbergen, denn von Frodis Sohn gibt es nichts zu singen; ihm wird der Ruhm anderer Gewissensbisse erwecken, er wird nimmer sich den Edlen gesellen, sondern sich verbergen in den Armen des fremden Weibes und daliegen als eine Beute für die Begierde der Sachsen nach Seinem Reiche. Oder — er muß Rache nehmen für seinen Vater! Da springt Jngeld auf, schlägt die Sachsen nieder, die an seinem Tische sitzen, die sieben Brüder seiner Gattin, und trennt sich- auf den Rat des Starkad- von ihr, damit nicht das Geschlecht der Verräter in Dänemark gedeihe. Und während noch die Knechte die Leichen der Getöteten aus der Halle schleppten, richtet der alte Kämpe Abschiedsworte an die Generation, in deren Tun er dies eine Mal eingegriffen hat; er erinnert an das Kriegerleben zur See, .das die harte Schule Seiner Jugend war, wirft einen verächtlichen Blick auf die Menschen, die nunmehr vorwärts zu kommen suchen durch schlau angelegte Prozesse und Geldgeschäfte, die ihr Haar kräuseln und den Gaumen kitzeln wollen; alle werden sie einmal bangen um ihr Leben, aber er, der sich seinen Weg durch die Welt erkämpft hat, kann dem Tode frei ins Auge sehen.



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Im Beowulf war der Kampf zweier germanischer Völker in der Königshalle das Wesentliche, ein Kampf, wie er in der Wirklichkeit wohl oft gekämpft wurde. Nicht Jngeld rächte damals



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den Tod des Vaters, sondern ein anderer, das war wieder das ältere und im künstlerischen Sinn eine Unbeholfenheit. Die Vereinfachung , daß Jngeld selbst den Vater rächte, war die Tat eines Künstlers. Durch sie wurde der beherrschende große Gegensatz in dem Liede dieser: der alte Kämpe hier, der junge König dort. Die Longobarden des Beowulf sind im Starkadlied die Dänen, statt der Dänen des Beowulf erscheinen die Sachsen, aber sie erscheinen nicht als Volk, nur die Brüder der Königin sitzen am Mahl. Die Longobarden wurden eben, weil sie so weit fortgezogen waren, vergessen, der alte longobardische Kämpe, als der eigentliche Held, mußte sich im dänischen Liede in einen Dänen verwandeln, die Gegner von Starkad und Jngeld mußten Sachsen werden, weil sie damals die wirklichen Feinde der Dänen waren. Im Beowulf bricht der Haß der Stämme und der Durst nach Rache in seiner ganzen Grellheit hervor. Im Starkadlied ist die Rache für den hinterlistig ermordeten Vater ein sittliches Gebot, eine Mahnung, dem Beispiel und dem Heldentum der Vorfahren zu folgen, denn im Unterschied von der alten Dichtung war Frodi verräterisch von Swerting zum Gastmahl geladen worden, und beide Könige hatten sich getötet. Den einzelnen Menschen sieht unser Starkadlied im Zusammenhang mit der Kultur, der König steht für sein Reich.

Starkad aber tritt in anderer Vollendung vor uns als der alte aufreizende longobardische Krieger. Er ist nun der Repräsentant der alten Zeit, der starke, im kriegerischen Leben hart und rauh gewordene Held. Nicht als der Vollbringer einer großen Tat tritt er vor uns, er hat nur die ganze Heldenzeit erlebt. Er soll das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Jugend mit ihren Ahnen wecken, wie es später der Sänger Nornagest und wie es früher der englische Sänger Widsith geweckt hat. Starkad ist aber nicht wie jene ein Bote oder ein Sänger des Vergangenen, er ist ein Kämpfer, vorbildlich im Leben und vorbildlich im Tod.



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Als der König tut, was seines Amtes, legt sich Starkad selbst geruhig zum Sterben.

Starkad preist nicht allein die Vorzeit, er preist auch das Wikingerleben. Als solches, als Preis des Wikingerlebens, ist das Lied das erste seiner Art. Es entstand um die Mitte des zehnten Jahrhunderts, damals war der Gegensatz zwischen Dänen und Sachsen besonders heftig, damals beobachtete man ein Sinken der Moral, wie es das Lied andeutet, die Jugend schwankte damals ungewiß wie Jngeld zwischen Altem und Neuem. Der Einfluß deutscher Kultur drang gleichzeitig nach Dänemark und der alte Wikingergeist erwachte. —

Von den anderen vielfältigen Berichten über Starkad reicht noch einer in die Völkerwanderungszeit zurück, der über seinen Tod.

Starkad hatte das Neidingwerk seines Lebens getan, er hatte seinen König, den kühnen Ole, verräterisch getötet (wie Irini den Irminfried) . Nun wollte er selbst nicht länger leben. Er ging mit zwei Schwertern und zwei Stäben, auf die er sich stützte. Ein Bauer dat ihn um ein Schwert, den schlug Starkad mitten durch. Dann sah er den Hader, den Sohn eines Königs, den er ermordete. Er bat diesen, ihn zu töten und den Vater zu rächen. Hader stimmte zu, Starkad reichte ihm das Schwert, beugte seinen Nacken und versprach ihm, wenn er zwischen Rumpf und Haupt springen könne, während er falle, so solle er unverwundbar werden. Da hieb ihm Hader das Haupt herunter, war aber so vorsichtig, nicht zwischen Haupt und Rumpf zu springen, weil er die Tücke des Alten fürchtete und meinte, das Gewicht seines Körpers würde ihn erdrücken. Das Haupt Starkads biß noch in die Erde, als es sich vom Rumpf getrennt hatte.

Der freiwillige Tod eines Helden war eine im Germanischen und auch sonst weitverbreitete Sitte. In der nordischen überlieferung steht aber Starkads Tod vereinzelt da. Jedoch stimmt er überein mit der Todesart der wilden Heruler, sie beseitigten ihre Greise durch den Dolchstoß eines Stammesgenossen und verbrannten sie dann auf dem Scheiterhaufen.

Die Reste der Heruler kehrten im Anfang des sechsten Jahrhunderts



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nach Dänemark zurück und töteten dort nach alter Art ihre Greise. Da ein aussterbender, wilder und räuberischer Stamm ,einen Männern diesen Tod gab, wurde die Todesart immer seltener und von selbst zur Sage. Die Sage hat sich in Dänemark festgesetzt und steigerte ihr sagenhaftes Wesen, indem sie Motive aus Riesen- und Räubersagen zu sich nahm, wie das Volk sie von jeher gern miteinander verschmolz. Wer z. B. einen Riesen erschlägt, springt zwischen seinen Rumpf und seinen Kopf, damit beide nicht wieder zusammenwachsen. Aus einem seltsamen Mißverständnis dieses alten Glaubens ist die Vorsicht entstanden, die Starkads Mörder übt. Der Zug, daß der Kopf, vom Rumpf getrennt, ins Gras beißt und weiter kämpft, oder daß der kopflos gewordene Rumpf den Kampf fortsetzt, stammt wieder aus der Wirklichkeit und wird auf besonders kampfwütige Helden gern übertragen. Die Todessage von Starkad zeigt nicht Wikingerart, sondern nach germanischer Anschauung die Macht des Willens in der Todesstunde.

Die anderen Sagen von Starkad hatten in den folgenden Jahrhunderten in allen nordischen Ländern eine reiche Entwicklung. In der einen Gruppe lebte Starkad fort als das Ideal des Kämpfers aus der Wikingerzeit, stark und hart, rauh, genügsam, er kennt keinen Schmerz und ist ein bewundertes und gefürchtetes Vorbild. Die andere Gruppe ging aus von den betrügerischen Motiven, den Riesenmotiven in der Sage von seinem Tod. Diese Motive verbanden sich im Norden mit Geschichten von Wikinger Helden und es entwickelten sich aus ihnen Erzählungen von der Tücke und der grauenhaften Untreue des Krieges, die auch der besten Helden sich bemächtigt und sie fast wider ihren Willen zu hassenswerten Taten treibt. Schuldig unschuldig wurde Starkad die Ursache vom Tod des Königs Wikar, seine schlimmste Tat aber war der Mord des Königs Ole. Starkad konnte seinen Blick nicht ertragen, und erstach ihn deshalb, als er matt aus



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dem Bade kam. — Das eigentliche Inbild von der Größe und Untreue des Krieges war im Norden der Gott Odhin, sein Opfer ist dann Starkad auch geworden. Daneben vergrößerten und vermehrten sich die Riesenmotive, Starkad verschmolz mit einem Wasserriesen, er wurde der Gegner Thors, der ihn, den Achthändigen , besiegte. Andreas Heusler charakterisiert den Starkad so: Keineswegs das Idealbild des germanischen Helden, die derbere kämpenmäßige Art des Waffenmeisters, eines Wate oder Hildebrand , kommt bei ihm, nordisch düster und fast ins Dämonische gesteigert, zur Erscheinung. Als berufsmäßiger Kämpe zieht er von Land zu Land, von Wasser zu Wasser, im Heer und im Holmgang, oon Byzanz bis Irland, von der Elbe bis zum Weißen Meer, am öftesten gegen slawische und finnische Gegner.

Wer die Schicksale der alten germanischen Lieder an sich vorüberführt , erstaunt immer von neuem über die Fülle der Motive, die aus diesem scheinbar so harten und steinigen Boden hervordringen . Der Krieger, der im Dunkel des alten englischen Liebes wie die Stimme der Rache selbst den jungen König mahnte, wird im Dänischen des zehnten Jahrhunderts das Vorbild des Wikingers und versinkt dann wieder unter einer allzu großen Fülle von Geschichten . In dem gleichen Krieger lebt fort die todüberwindende Kraft der Germanen, das Volk gibt ihm zur Riesenstärke die Riesentücke. Isländischen Sagen erscheint er wie das Symbol des Krieges, und er, der die Treue selbst war; wird der treulose Gefolgsmann. Die isländische Dichtung steigert ihn dann ganz in das Phantastische und Riesenhafte and verbindet ihn mit ihren Göttern.


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