Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


2. Wermund und Uffe

Garmund (dän.: Wermund) und sein Sohn Offa (dän.: Uffe) waren anglische Könige des vierten Jahrhunderts; die germanische Dichtung, die sie feierte, haben wir schon kurz geschildert (S. 47). Den Kampf Uffes um sein Reich erzählt am schönsten Saro Grammaticus. Freilich umschreibt er die Vorgänge nach seiner Art rhetorisch und gefällt sich in seiner Redseligkeit. Doch unter dieser gelehrten und mönchischen Hülle spüren wir überall den Herzschlag des heroischen Liedes.

Wermund, der König der Dänen, war im Alter erblindet. Da lieh ihm der Sachsenkönig in herausfordernden Worten sagen, er sei zur Herrschaft doch zu schwach und er möge ihm sein Reich geben, sonst würde er es ihm mit Gewalt nehmen, es sei denn, daß ihre Söhne sich im Zweikampf mäßen; dem Sieger solle dann die Herrschaft zufallen. Wermund klagte, daß man sein Alter und seine Blindheit so schamlos und ungeduldig mißbrauche, doch werde er selbst lieber den Zweikampf bestehen, als seine Freiheit und Herrschaft aufgeben. Die Gesandten lachten, da bat Uffe, Wermunds Sohn, um die Erlaubnis zur Rede, nachdem er bis dahin sein ganzes Leben untätig und stumm geblieben. Der alte König fragte, wer reden wolle, und glaubte, auch seine Leute verhöhnten ihn, als sie antworteten, das sei ja sein eigener Sohn. Doch er ließ ihn sprechen und jener nahm in tapferen und würdigen Worten die Herausforderung an, er werde nicht allein den Sohn jenes Königs, sondern außer ihm den tapfersten ihrer Helden bestehen. Die Sachsen hielten diese Rede für Prahlerei, setzten aber Zeit und Ort des Kampfes fest, die Dänen waren von Staunen und Zweifeln erfüllt.

Wermund befühlte den Leib des Sohnes, um sich zu überzeugen, daß er wirklich gesprochen und er erkannte, daß er ihm am königlichen Wuchs und an Kraft der Glieder gleiche. Dann ließ er ihm Panzer bringen, doch alle waren diesem Helden zu eng, und auch des Vaters Panzer schnürte ihn ein. Da ließ Wermund ihn an der linken Seite zerschneiden und mit einer Spange zusammenheften: hier schützte ihn sein Schild und er brauche keinen anderen Schutz. Man brachte nun



DeutschsSagenBuch-Band_2-109 Flip arpa

dem jungen Helden Schwerter. Beim ersten Schwung zersprangen alle. Endlich gedachte der alte König des eigenen Schwertes, dem kein Eisen und keine Rüstung widerstand, er hatte es tief vergraben, weil er an seinen Sohn nicht glaubte, und kein anderer sollte es führen. Dies Schwert ließ er aus seinem Versteck holen, aber Uffe sollte es erst beim Kampf erproben, denn wenn auch dies vorher zerbreche, so wisse er für den Sohn keine Waffe.

Der Platz für den Kampf war eine von der Eider umströmte Insel. Uffe begab sich allein dorthin, seinen Gegner begleitete der stärkste Recke der Sachsen. Dänen und Sachsen strömten an beiden Ufern zusammen, Wermund trat an den Rand einer Brücke und wollte sich in die Fluten stürzen, wenn sein Sohn unterläge. Uffe erprobte zuerst die Kraft seiner Gegner, indem er sich vorsichtig verteidigte, und den Vater erfüllten bange Zweifel, als der Kampf sich in die Länge zog. Doch dann, indem er die Zurückhaltung des Begleiters verhöhnte, lockte Uffe ihn zum Kampf und schlug ihn mit dem ersten Schwertstreich mitten durch. Wie er den Klang des Schwertes hörte und wie ihm die Dänen sagten, sein Sohn habe den ganzen Mann zerspalten, lebte der alte Wermund auf und trat, nun wieder von Lebenslust erfüllt, vom Rand der Brücke zurück. Uffe jedoch reizte nun auch den Königssohn, er solle den Tod seines Freundes rächen, und zerschlug ihn dann wie seinen Begleiter. Das Gefolge meldete das jubelnd dem alten Herrscher, der brach in Tränen der Freude aus, und die Dänen empfingen den Sieger mit wilden Siegestänzen. —

Wermund ist in diesem Bericht König der Dänen und seine Feinde sind die Sachsen. Dänen und Sachsen bekämpften sich im zehnten Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammt wohl auch das dänische Lied, dem Saxo folgte. Dies beruhte auf einem älteren germanischen, von dem Widsith wußte. Aus der germanischen Kunst sind uns bekannt der Kontrast zwischen dem herausfordernden prahlerischen und dem stillen tapferen König, die kämpfenden Helden, die sich durch ihre Reden reizen, auch der Held, der in der Jugend stumm und dumpf ist und die Seinen plötzlich durch sein Heldentum überrascht. Die dramatischen Augenblicke in unsrer Erzählung können ebenfalls dem germanischen Dichter gehören: die tapfere Rede Uffes in der höchsten Not seines Volkes,



DeutschsSagenBuch-Band_2-110 Flip arpa

der jähe Umschlag des Kampfes aus vorsichtig lauernder Deckung in vernichtendem Angriff. Der im Kampf untätige König, die Meldung vom Verlauf des Kampfes an den König, die freche Herausforderung der Gesandten hatten ja ihre Seitenstücke im Herulerlied (S. 31). Schließlich ist es die Art der germanischen Lieder, uns zwei einander ebenbürtige Helden zu zeigen, meist stellt sie dabei den Jungen und den Alten gegenüber, wir erinnern wieder an Turisind und Alboin, an Hildebrand und Hadubrand. — Anderes in unserer Erzählung weist auf eine Kunst, die ihre Steigerungen sorgfältiger vorbereitet, die ein feineres Ohr hat für seelische Schwingungen und deren Anschaulichkeit auch weniger gewaltsam wirkt. Das sind die Kennzeichen der dänischen Kunst des zehnten Jahrhunderts. Langsam entfaltet sich Uffe vor uns. Wir zweifeln noch mit dem Vater, ob denn wirklich er die erlösenden Worte gesprochen, dann zeigt uns der Dichter nacheinander seinen königlichen Wuchs, die Kraft des Leibes, die jeden Panzer sprengt, die Kraft des Arms, die jedes Schwert zerbricht. Den so entfalteten Helden führt er in den Kampf. Darin bewährt sich Uffe wiederum nicht sogleich, sondern allmählich erst in seiner gewaltigen überlegenheit. Im alten Wermund aber wollen die Zweifel nicht weichen, und nicht die Kraft des Sohnes, sondern erst der Klang des Schwertes, gibt ihm die ganze Zuversicht . Wie leidet dieser Greis unter der Bürde seines Alters und seiner Blindheit, und wie stolz und königlich steht er doch vor uns, der im Kampf lieber fallen will als sich unterwerfen, und der es ebensowenig überleben mag, wenn sein Sohn fällt. Es ist ein Bild von großer Anschaulichkeit, wie er am Rande der Brücke steht, bereit, sich ins Wasser zu stürzen, wie er vorschreitet, als der Kampf nicht voranrückt, und wie er stolz zurücktritt, als sein Schwert ertönt.

In allen diesen Zügen spüren wir die Hand des feinen Künstlers, in dem doch die Größe der alten Dichtung lebhaft



DeutschsSagenBuch-Band_2-111 Flip arpa

wiederklingt. Doch er hat das alte Lied nicht nur geadelt. Die Erfindung, daß Uffe nicht einen, sondern zwei Gegner besiegt, ist gewiß eine Vergröberung, die das Germanische noch nicht kannte. Ebenso scheint die so breit vorgetragene Schwertprobe nicht das Eigentum des alten Liedes, sondern dem keltischen Sagenschatz entnommen. — Wir sehen bei Wermund und Uffe an einem merkwürdigen Beispiel, wie spätere Jahrhunderte bemüht sind, das germanische Erbe zu wahren und zu erhöhen, ihm einen menschlichen Gehalt und zugleich eine wirksame Volkstümlichkeit zu geben. Eine verwandte Entwicklung können wir bei der Dichtung von Hagbard und Signe verfolgen.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt