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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DER PFÖRTNERIN

O Beherrscher der Gläubigen, ich hatte einen Vater, der mir bei seinem Tode großen Reichtum hinterließ. Ich blieb nach seinem Hinscheiden noch kurze Zeit ledig und vermählte mich dann mit einem Manne, der als der Glückseligste unter seinen Zeitgenossen galt. Ein Jahr lang lebte ich mit ihm zusammen; da starb auch er, und mein Anteil an seinem Erbe betrug nach dem heiligen Gesetz achtzigtausend Dinare in Gold. So wurde ich überreich, und mein Ruf verbreitete sich überall; und ich ließ mir zehn Kleider machen, von denen ein jedes tausend Dinare kostete. Eines Tages nun, als ich zu Hause saß, siehe, da trat ein altes Weib zu mir ein, mit Backen, die eingefallen waren, und Brauen arm an Haaren; ihre Augen quollen heraus,



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und ihre Zähne fielen aus; voll von Flecken war ihr Gesicht, trüb ihrer Augen Licht, und ihr Kopf war gleichsam verpicht; aschgrau war ihr Haar, ihr Leib voller Krätze gar, ihre Farbe wechselte immerdar; ihre Gestalt war schief, ihre Nase lief, wie einst der Dichter über sie rief:

Die Unglücksalte! Ihr wird ihre Jugendzeit nicht vergeben,
Und an ihrem Todestage erfreut sie sich keiner Gnaden.
Sie kann wohl an die tausend Maultiere, die flüchtig geworden,
Kraft ihrer Listen lenken mit einem Spinnenfaden.

Als die Alte eintrat, grüßte sie mich, küßte den Boden vor mir und sprach zu mir: ,Ich habe daheim eine Waisentochter, und für heute nacht habe ich ihre Hochzeit und ihren Brautzug gerüstet. Wir sind aber fremd in dieser Stadt und kennen keinen ihrer Bewohner, und unser Herz ist gebrochen. So verdiene du dir den Lohn des Himmels und sei zugegen bei ihrem Brautzug; und wenn die Damen unserer Stadt vernehmen, daß du gekommen bist, so werden auch sie erscheinen; und du wirst ihren Kummer heilen, denn sie ist betrübten Sinnes, und sie hat niemanden außer Allah dem Erhabenen!' Und sie weinte und küßte mir die Füße und sprach diese Verse:

Dein Kommen ist uns eine Ehre,
Und dieses wollen wir verkünden:
Wenn du uns fernbleibst, werden wir,
Dich zu ersetzen, keinen finden.

Da faßte mich Mitleid und Erbarmen, und ich sagte: ,Ich höre und willige ein!' Dann fuhr ich fort: ,Ich werde, so Gott der Erhabene will, noch einiges mehr für sie tun; ich werde sie mit meinen Gewändern, meinem Schmuck und meiner Ausstattung ihrem Gemahl zuführen.' Da freute sich die Alte, und sie neigte den Kopf bis zu meinen Füßen, küßte sie und sagte: ,Allah vergelte dir mit Gutem und tröste dein Herz, wie du das



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meine getröstet hast! Aber, o Herrin, sorge dich nicht, mir diesen Dienst zu dieser Stunde zu tun; sei bereit gegen Abend, dann will ich kommen und dich holen.' Und sie küßte mir die Hand und ging ihres Weges. Ich machte mich also zurecht; und dann stand auch schon die Alte, die zurückgekehrt war, vor mir und sprach: ,O meine Herrin, siehe, die Damen der Stadt sind gekommen; denn ich habe ihnen gesagt, daß du zugegen sein würdest, und da freuten sie sich. Jetzt erwarten sie dich und harren deiner Ankunft.' Da warf ich meinen Mantel um und nahm meine Mädchen mit mir; und ich ging, bis wir in eine Straße kamen, wohlbesprengt und sauber gefegt, und die Luft darin war von einem frischen Hauch bewegt. Dann traten wir ein in ein Tor, überwölbt mit einer Kuppel aus Marmorgestein, von festem Bau, und kamen zu dem Tor des Palastes, der ragte empor vom Erdboden, bis er sich in den Wolken verlor; und über dem Tor standen diese Verse geschrieben:

Ich bin ein Haus, erbaut für Freuden,
Für Lust und Frohsinn all meine Zeit.
In meinem Hefe fließt ein Brunnen
Mit Wasser, das von Sorgen befreit;
Drauf ruht von Anemonen und Myrten,
Narzissen und Chrysanthemen ein Kleid.

Als wir bei dem Tore ankamen, pochte die Alte, und uns wurde aufgetan. Wir traten ein und fanden eine Vorhalle, die mit Teppichen belegt war; dort hingen brennende Lampen, und dort standen Leuchter, besetzt mit Edelsteinen und Juwelen. Wir gingen durch die Vorhalle und traten dann in einen Saal ein, der seinesgleichen nicht hat. Er war behangen und ausgelegt mit seidenen Teppichen; dort hingen brennende Lampen, und dort standen Leuchter in doppelten Reihen; am oberen Ende des Saales aber stand ein Lager aus Wacholderholz, das



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eingelegt war mit Perlen und Edelsteinen und überdacht von einem Baldachin aus perlenbesetztem Atlas. Kaum hatten wir das gesehen, so trat aus dem Baldachin ein junges Mädchen hervor; ich blickte sie an, o Beherrscher der Gläubigen, und siehe, sie war vollkommener als der Mond, wenn er sich füllt, und ihre Stirn glich dem Lichte des Morgens, wenn es am Himmel aufquillt, so wie der Dichter sagte, als er sang:

Du wärest wohl bestimmt für das Brautgemach des Kaisers;
Unter des Perserkönigs Erwählten die züchtigste Maid! Sie trägt auf ihren Wangen die roten Blätter der Rose;
Wie schön sind doch jene Wangen im drachenblurfarbigen Kleid!
Schlank ist sie, und ihre Blicke erglänzen matt und versonnen;
Sie vereinet in sich allein aller Schönheiten Pracht.
Es ist, als ob ihre Locke über der Stirne ihr schwebte
Wie über dem Morgen der Freuden die sorgenvolle Nacht.

Da trat das Mädchen herab aus dem Baldachin und sagte zu mir: ,Willkommen und herzlichen Gruß meiner Schwester, der vielgeliebten, erlauchten!' Dann sprach sie diese Verse:

Wußte das Haus, wer es besucht, es würde sichfreuen
Und selig die Stätte küssen, die du betreten hast.
Es würde mit stummer Sprache reden und laut verkünden:
Herzlich willkommen sei der edle, hochherzige Gast!

Darauf setzte sie sich nieder und sagte zu mir: ,Meine Schwester, siehe, ich habe einen Bruder, der dich zuweilen bei Hochzeiten und auf Festen gesehen hat; er ist ein Jüngling, schöner als ich, und sein Herz ist in heißer Liebe zu dir entbrannt, denn das gütige Geschick hat in dir alle Schönheit und Anmut vereinigt. Er hat gehört, daß du eine Herrin bist unter deinem Volk, und auch er ist ein Herr unter seinem Volk. Darum möchte er sein Leben an das deine binden; und so ersann er diese List, um mich mit dir zusammenzuführen. Er wünscht



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sich mit dir zu vermählen nach der Vorschrift Allahs und seines Propheten; und in dem, was recht ist, liegt keine Schande.' Als aber ich ihre Worte hörte und sah, daß ich in dem Hause gefangen war, erwiderte ich: ,Ich höre und willige ein.' Sie war erfreut und klatschte in die Hände; und eine Tür tat sich auf, und heraus trat ein Jüngling, in der Jugend Blütezeit, angetan mit einem herrlichen Kleid; eine Gestalt, dem Ebenmaß geweiht, der Schönheit und Lieblichkeit, der Anmut und Vollkommenheit, der zartesten Freundlichkeit; mit Brauen gleich einem Bogen, der zum Pfeilschuß bereit, und Augen, die alle Herzen berücken durch Zauber, den ihnen die erlaubte Magie verleiht; so wie ein Dichter von seinesgleichen sagt:

Sein Antlitz ist dem des Neumondes gleich;
Wie die Perle an strahlender Schönheit reich.

Und wie herrlich sprach doch jener Dichter:

Der Schönheit Preis ist sein. Gepriesen ist Allah
Und hocherhaben; denn er schuf ihn und gab ihm Gestalt.
Er hat aller Anmut Gaben in sich allein vereinet;
Alle Menschen sind verwirrt ob seiner Anmut Gewalt.
Die Schönheit selber schrieb ihm auf die J Ginge sein:
Ich bezeuge, es gibt keinen Schönen außer ihm ganz allein.

Als ich ihn ansah, neigte sich mein Herz ihm zu, und ich gewann ihn lieb. Er setzte sich mir zur Seite, und ich sprach eine Weile mit ihm. Dann klatschte das Mädchen wiederum in ihre Hände, und siehe, eine Seitentür tat sich auf, und es erschien der Kadi mit vier Zeugen. Sie grüßten uns, setzten sich und entwarfen den Ehevertrag zwischen mir und dem Jüngling und gingen wieder fort. Da wandte der Jüngling sich zu mir und sagte: ,Gesegnet sei unsre Nacht!' Dann fuhr er fort: ,Meine Herrin, ich muß dir eine Bedingung auferlegen.' Ich fragte: ,Mein Gebieter, was für eine Bedingung?' Da erhob er



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sich, brachte mir eine Abschrift des heiligen Buches und sprach: ,Schwöre, daß du nie einen andern ansehn willst als mich, noch ihm deine Neigung schenken.' Das schwor ich ihm, und er war hocherfreut und umarmte mich, derweilen die Liebe zu ihm mein ganzes Herz ergriff. Dann setzte man die Tische vor uns hin, und wir allen und tranken, bis wir gesättigt waren. Und als die Nacht gekommen war, führte er mich in das Brautgemach und küßte und umarmte mich immerfort bis zum Morgen. So lebte ich mit ihm ein Leben des Glücks und der Freude einen vollen Monat lang; da aber bat ich ihn um die Erlaubnis, in den Basar zu gellen und mir einige Stoffe zu kaufen, und er gab mir die Erlaubnis dazu. So zog ich mir den Mantel an, nahm die Alte mit und eine Sklavin, ging zum Basar und setzte mich dort in den Laden eines jungen Kaufmanns, den die Alte kannte; denn sie sprach zu mir: ,Dieses Jünglings Vater starb, als er ein Kind war, und hinterließ ihm großen Reichtum; er hat einen großen Warenvorrat, und bei ihm wirst du finden, was du suchst, denn es hat niemand im ganzen Basar schönere Stoffe als er.' Darauf sagte sie zu ihm: ,Zeig dieser Dame die kostbarsten Stoffe, die du besitzest'; und er versetzte: ,Ich höre und gehorche.' Nun begann sie, sein Lob zu singen; doch ich sagte: ,Wir verlangen nicht sein Lob von dir zu hören; wir wollen das, was wir brauchen, von ihm nehmen und nach Hause zurückkehren.' Er brachte mir also alles, was ich suchte; und ich bot ihm sein Geld, doch er weigerte sich, irgend etwas zu nehmen, und sagte: ,Dies sei heute euer Gastgeschenk bei mir!' Ich aber sagte zu der Alten: ,Wenn er das Geld nicht will, so gib ihm seine Stoffe zurück.' ,Bei Allah', tiefer, ,nichts will ich von dir nehmen; aber dies alles gebe ich hin für einen einzigen Kuß; denn der ist mir kostbarer als alles, was in meinem Laden ist.' Die Alte fragte: ,Was soll der Kuß dir nützen?'



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Doch mir flüsterte sie zu: ,Meine Tochter, hörst du, was dieser Jüngling sagt? Was soll es dir wohl schaden, wenn er einen Kuß von dir erhält und du so das bekommst, was du wünschest?' Ich aber sagte: ,Weißt du nicht, daß ich durch einen Eid gebunden bin?' Sie gab zur Antwort: ,Laß ihn dich küssen, doch sprich nicht mit ihm; so trifft dich keine Schuld, und du behältst dein Geld.' Und sie ließ nicht ab, mir die Sache schön vorzustellen, bis ich den Kopf in die Schlinge steckte und darein willigte. Dann verschleierte ich mir die Augen und verbarg mein Antlitz hinter der einen Seite meines Mantels vor den Leuten. Nun legte er unter meinem Schleier seinen Mund an meine Wange; aber als er mich küßte, biß er mich so scharf, daß er mir ein Stück Fleisch aus der Wange riß. Da ward ich ohnmächtig; doch die Alte fing mich in ihren Armen auf. Und als ich zu mir kam, sah ich den Laden verschlossen, und die Alte bezeugte mir ihre Trauer und sagte: ,Allah hat noch Schlimmeres abgewendet!' Dann fuhr sie fort: ,Komm, laß uns nach Hause gehen! Fasse dir ein Herz, ehe du ins Gerede kommst. Und wenn du zu Hause angelangt bist, so lege dich nieder und stelle dich krank; ich werde eine Decke über dich breiten und dir eine Arznei bringen, durch die du diesen Biß heilen und bald wieder gesund werden wirst.' So stand ich nach einer Weile auf, in äußerster Besorgnis; und Angst befiel mich, doch ich ging langsam weiter, bis ich das Haus erreichte; dort legte ich mich sofort wie krank nieder. Als aber die Nacht hereinbrach, kam mein Gatte herein und fragte: ,Was ist's, das dir widerfuhr, meine Herrin, auf diesem Ausgang?' Ich erwiderte ihm: ,Mir ist nicht wohl, mein Kopf schmerzt mich.' Er zündete jedoch eine Kerze an, trat nahe zu mir, sah mich an und sprach: ,Was für eine Wunde ist das, die ich da auf deiner Wange sehe, und gerade im zartesten Teil?' Darauf sagte ich:



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,Als ich heute mit deiner Erlaubnis ausging, um die Stoffe zu kaufen, stieß mich ein mit Brennholz beladenes Kamel an, zerriß meinen Schleier und verwundete mir die Wange, wie du es siehest; denn wahrlich, die Straßen dieser Stadt sind eng.' ,Morgen', rief er, ,werde ich zu dem Statthalter der Stadt gehen und ihm sagen, er solle alle Holzverkäufer dieser Stadt an den Galgen hängen.' ,üm Gottes willen', sagte ich, ,lade dir keine Schuld auf! In Wahrheit ritt ich auf einem Esel, und er stolperte mit mir, so daß ich zu Boden fiel; und ich stieß auf ein Stück Holz, das zerriß mir die Wange und brachte mir diese Wunde bei.' ,Dann', sagte er, ,will ich morgen zu Dscha'far, dem Barmekiden, gehen und ihm die Geschichte erzählen, so wird er alle Eseltreiber in dieser Stadt töten lassen.' ,Willst du', sagte ich, ,all diese Leute um meinetwilen vernichten? Was mir widerfahren ist, geschah doch durch die Schickung und Fügung Allahs.' Aber er versetzte: ,Es geht nicht anders'; und indem er auf die Füße sprang, drang er mit Worten in mich, so lange, bis ich ihn verabscheute und heftige Worte gegen ihn gebrauchte. Da aber, o Beherrscher der Gläubigen, erkannte er, wie es um mich stand, und rief: ,Du hast deinen Schwur gebrochen.' Und er stieß einen lauten Schrei aus; da tat sich eine Tür auf, und aus ihr traten sieben schwarze Sklaven heraus. Diesen befahl er, mich aus dem Bett zu reißen und mich mitten im Zimmer niederzuwerfen. Einem Sklaven befahl er darauf, mich bei den Schultern zu packen und sich mir zu Häupten hinzuhocken; und einem zweiten, sich auf meine Knie zu setzen und mir die Füße festzuhalten. Dann kam ein dritter mit einem Schwerte in der Hand; zu dem sprach er: ,Mein Freundchen, triff sie und zerschlage sie in zwei Teile, und je einer nehme den einen Teil und werfe ihn in den Tigris, damit die Fische sie fressen! Dies ist der. Lohn dessen, der den



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Schwur und die Liebe bricht.' Und seine Wut stieg noch mehr, und er sprach diese Verse:

Müsst ich mich in meine Liebe mit einem anderen teilen,
Ich risse sie mir aus der Seele, stürbe ich gleich vor Leid.
Und ich spräche zu ihr: ,O Seele, mein Tod ist edel!
Nichts Gutes bringet die Liebe, liegt sie mit dein Gegner im Streit.'

Darauf sagte er nochmals zu dem Sklaven: ,Triff sie, o Sa'd!' Als so der Sklave des Befehles sicher war, neigte er sich zu mir herab und sagte: ,O meine Herrin, sprich das Bekenntnis, und wenn du noch irgendwelche Bestimmungen zu treffen wünschest, so nenne sie mir; denn wahrlich, dies ist deine letzte Stunde.' ,Guter Sklave', sagte ich, ,warte mit mir noch eine kleine Weile, damit ich dir meine letzten Wünsche sagen kann.' Dann hob ich den Kopf und sah, wie es nun um mich stand und wie ich aus dem höchsten Glück in die tiefste Schmach gestürzt war; da flossen meine Tränen, und ich weinte bitterlich. Mein Gatte aber sah mich mit den Augen des Zornes an und sprach die Verse:

Sag ihr, die unsere Liebe verschmähte und uns verstieß,
Und die einem anderen Freund ihre Huld zuteil werden ließ:
Wir haben genug von dir, eh du uns ein Gleiches getan;
Was zwischen uns geschehen, widert schon längst mich an.'

Als ich das hörte, o Beherrscher der Gläubigen, da weinte ich, blickte ihn an und sprach diese Verse:

Du trenntest mich von der Liebe und ließest dich ruhig nieder;
Du machtest die wunden Lider mir schlaflos und schliefest dann.
Du ließest zu meinem Auge die wachen Nächte einkehren;
Doch mein Herz vergaß dich nicht, und meine Träne rann.
Du schlossest mit mir einen Bund, du würdest die Treue halten;
Doch als du mein Herz besaßest, da verrietest du mich.
Ich liebte dich wie ein Kind und wußte nichts von der Liebe;
Darum töte mich nicht; ein Lehrling der Liebe bin ich.



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Ich bitte dich bei Allah, bin ich gestorben, so schreibe
Auf meines Grabes Tau!: ,Ein Sklave der Liebe ruht hier.'
Vielleicht tritt ein Betrübter, der Liebesqualen kennet,
Zum Herzen der Liebenden einst und hat Erbarmen mit mir.

Als ich mein Lied geendet hatte, weinte ich von neuem; doch als er das Lied hörte und mich weinen sah, packte ihn Wut über Wut, und er sprach diese Verse:

Des Herzens Geliebte verließ ich nicht überdrüssig in Willkür.
Nein, sie beging ein Verbrechen, das führte die Trennung herbei.
Sie wollte in unserer Liebe noch einen Gefährten haben:
Doch meines Herzens Glaube neigt nicht zur Vielgötterei.

Als er seine Verse geendet hatte, weinte ich wiederum und demütigte mich vor ihm; denn ich sagte zu mir selber: ,Ich will mit Worten auf ihn wirken; so wird er mir vielleicht doch den Tod erlassen, wenn er mir auch alles nimmt, was ich habe.' Also klagte ich ihm, was ich erlitten, und sprach die Verse:

Bei deinem Leben, wärst du gerecht, du ließest mich leben.
Doch ist die Trennung beschlossen, wird's keinen Gerechten geben.
Du ludest auf mich der Sehnsucht Qual, doch laß dir sagen:
Ich bin zu schwach und zu matt, mein eigenes Hemd zu tragen.
Ich staune nicht, daß ich sterben muß; nur das allein
Erstaunt mich, wird mein Leib ohne dich zu erkennen sein.

Als ich mein Lied geendet hatte, weinte ich wieder; doch er sah mich an, schrie mich an und schmähte mich und sprach diese Verse:

Du wandtest dich von mir zur Liebe eines andern,
Du hast die Trennung verursacht; doch nicht so handelte ich.
Ich werde dich verlassen, wie du mich zuerst verließest;
Und ich werde ohne dich leben, so wie du lebst ohne mich.
Eine andre werde ich lieben, wie du einen andern liebtest;
Den Bruch der Liebe lad ich nicht auf mich, sondern auf dich.



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Als er seine Verse geendet hatte, rief er dem Sklaven nochmals zu: ,Spalte sie und erlöse uns von ihr; denn sie gilt uns nichts mehr.' Doch während wir noch, o Beherrscher der Gläubigen, uns gegenseitig mit Versen anredeten und wie ich mich schon auf den Tod gefaßt gemacht, mit dem Leben abgeschlossen und meine Sache Gott anvertraut hatte, siehe, da kam die Alte hereingestürzt, warf sich meinem Gatten zu Füßen, küßte sie ihm, weinte und rief: ,O mein Sohn, bei meiner Pflege an dir und bei meinem Dienst für dich, verzeih dieser Frau; denn wahrlich, sie hat keine Schuld begangen, die ein solches Schicksal verdiente. Du bist noch ein sehr junger Mann, und ich fürchte, du wirst durch sie eine Schuld auf dich laden; denn es heißt: Wer da tötet, der soll getötet werden. Was liegt an dieser buhlerischen Person? Laß sie von dir gehen und vertreib sie aus deinem Sinn und deinem Herzen.' Dann weinte sie und ließ nicht ab, in ihn zu dringen, bis er nachgab und sagte: ,Ich vergebe ihr; aber ich muß ihr eine Spur aufprägen, die ihr Leben lang auf ihr bleiben soll.' Darauf befahl er den Sklaven, mich über den Boden zu schleifen, mir die Kleider herunterzureißen und mich auszustrecken; und während die Sklaven mich festhielten, holte der Jüngling einen Quittenzweig herbei, fiel damit über meinen Leib her und schlug immerfort auf Rücken und Flanken, bis ich die Besinnung verlor vor der Gewalt der Schläge und am Leben verzweifelte. Da nun befahl er den Sklaven, sie sollten mich gleich nach Einbruch der Dunkelheit forttragen, die Alte mitnehmen, die ihnen den Weg zeigen konnte, und mich in das Haus werfen, das ich früher bewohnt hatte. Und sie taten nach ihres Herrn Geheiß, warfen mich nieder in meinem Hause und gingen ihrer Wege davon. Ich aber blieb in meiner Ohnmacht liegen, bis der Tag anbrach; dann behandelte ich meine Wunden mit Pflastern und Arzneien und



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suchte meinen Leib zu heilen; aber meine Seiten behielten die Narben der Rute, wie du sie gesehen hast. Doch vier Monate lang lag ich krank und ans Bett gefesselt, bis ich mich endlich erholte und gesund wurde. Dann ging ich zu dem Hause, in dem mir all dies widerfahren war, und ich fand es verwüstet; die Straße war von Anfang bis Ende niedergerissen, und an der Stätte des Hauses lagen Schutthaufen; wie das geschehen war, konnte ich nicht erfahren. Da ging ich zu dieser meiner Schwester von Vaters Seite und fand bei ihr diese beiden schwarzen Hündinnen. Ich grüßte sie und berichtete ihr, was mir widerfahren war, und erzählte ihr meine ganze Geschichte; sie erwiderte: ,Liebe Schwester, wer ist's, der den Unbilden der Zeit entronnen wäre? Dank sei Allah, daß du mit dem Leben davongekommen bist.' Und sie sprach:

Das Schicksal ist immer so! Ertrage es mit Geduld,
Verlierst du dein Gut oder mußt du vom Geliebten dich trennen.

Dann erzählte sie mir ihre eigene Geschichte und alles, was ihr mit ihren Schwestern widerfahren war und wie sie verwandelt waren; und wir lebten zusammen, ohne daß wir je wieder von der Ehe sprachen. Nach einer Weile aber schloß sich uns diese Dame an, die Wirtschafterin, die jeden Morgen ausgeht und uns alle Dinge einkauft, deren wir für den Tag und die Nacht bedürfen; und so lebten wir bis zum gestrigen Tage. An ihm ging unsere Schwester wie gewöhnlich aus, um für uns einzukaufen; und dann geschah, was uns geschah, durch die Ankunft des Lastträgers und dieser drei Bettelmönche. Wir plauderten mit ihnen, ließen sie zu uns hereinkommen und bewirteten sie freigebig; doch es war erst ein kleiner Teil der Nacht verstrichen, da kamen drei ehrenwerte Kaufleute aus Mosul zu uns und erzählten uns ihre Geschichte. Wir plauderten mit ihnen, aber nur unter einer Bedingung, die sie verletzten; da



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behandelten wir sie gemäß ihrem Vertrauensbruch. Doch fragten wir sie alle nach ihren Erlebnissen; und sie berichteten uns ihre Geschichte und was ihnen widerfahren war. Daraufhin verziehen wir ihnen; so gingen sie von uns, und heute morgen wurden wir unerwartet vor dich geführt. Und das ist unsere Geschichte!'

Der Kalif aber staunte darüber und befahl, daß die Erzählung aufgezeichnet und in seinem Archiv niedergelegt würde. — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 19. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif befahl, diese ganze Geschichte in den Chroniken aufzuzeichnen und im königlichen Archiv niederzulegen. Dann aber fragte er das älteste Mädchen: ,Weißt du, wo die Dämonin ist, die deine Schwestern verzauberte?' Sie erwiderte: ,O Beherrscher der Gläubigen, sie gab mir eine Locke ihres Haares und sagte: Wenn du je wünschest, daß ich erscheine, so verbrenne eins von diesen Haaren, und ich werde unverzüglich bei dir sein, wäre ich auch jenseits des Berges Kaf.' Da sprach der Kalif: ,Bring mir das Haar.' Die Dame brachte es; und der Kalif nahm es und verbrannte es. Als aber der Duft des brennenden Haares aufstieg, da erbebte der Palast; man hörte ein Rauschen und Krachen, und siehe, da erschien die Dämonin. Da sie eine Muslimin war, so sprach sie: ,Friede sei mit dir, o Stellvertreter Allahs'; und er erwiderte: ,Auch mit dir sei Friede und Allahs Gnade und sein Segen.' Dann fuhr sie fort: ,Wisse, dies Mädchen säte für mich die Saat der Güte, und ich kann es ihr nicht genug vergelten, denn sie rettete mich vom Tode und tötete meinen Feind. Nun hatte ich gesehen, wie ihre Schwestern gegen sie gehandelt hatten, und ich sah es als meine Pflicht an, Rache an ihnen zu nehmen. Erst



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wollte ich beide töten; doch ich besorgte, das könnte ihr zu schwer zu ertragen sein, und so verzauberte ich sie in Hündinnen. Jetzt aber, wenn du ihre Befreiung wünschest, o Beherrscher der Gläubigen, so will ich sie dir und ihr zu Gefallen befreien; denn ich gehöre zu den Muslimen.' Der Kalif antwortete: ,Befreie sie, und nachher wollen wir uns mit der Sache der geschlagenen Dame befassen und alles genau untersuchen; wenn sie sich als wahr erweist, so will ich an dem, der ihr unrecht tat, Vergeltung für sie üben.' Die Dämonin fuhr fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich will sie befreien und will dir auch den entdecken, der an diesem Mädchen also handelte und ihr unrecht tat und ihr nahm, was sie besaß; denn er steht dir von allen Menschen am nächsten!' Darauf nahm die Dämonin eine Schale Wassers und sprach einen Zauber darüber und murmelte Worte, die ich nicht verstand; und sie besprengte die Gesichter der Hündinnen und sagte: ,Kehret in eure frühere menschliche Gestalt zurück!' Da kehrten sie in die Gestalt zurück, die sie früher gehabt hatten. Dann sprach die Dämonin: ,O Beherrscher der Gläubigen, wahrlich, der dieses Mädchen schlug, ist dein Sohn el-Amîn, der Bruder von el-Ma'mûn; er hatte von ihrer Schönheit und Anmut gehört, und er brauchte eine List gegen sie und vermählte sich mit ihr nach dem Gesetz. Ihm kann man keine Schuld vorwerfen, wenn er sie schlug; denn er erlegte ihr eine Bedingung auf und nahm ihr einen feierlichen Eid ab, eines nicht zu tun. Sie aber brach ihr Gelübde, und da wollte er sie töten; doch er fürchtete Allah den Erhabenen, geißelte sie in dieser Weise und schickte sie in ihr Haus zurück. Dies ist die Geschichte des zweiten Mädchens; doch Allah weiß es am besten.' Als der Kalif diese Worte der Dämonin hörte und erfuhr, wer das Mädchen geschlagen hatte, geriet er in höchstes Staunen und sagte: ,Preis sei Allah, dem



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Erhabenen und Allmächtigen, der mir gnädig war und bewirkte, daß diese beiden Mädchen von der Verzauberung und der Folter befreit wurden, und der mich in seiner Gnade bekannt machte mit der Geschichte dieses Mädchens! Jetzt will ich, bei Allah, eine Tat tun, die man nach meinem Tode aufzeichnen wird.' Darauf ließ er seinen Sohn el-Amîn holen und fragte ihn nach der Geschichte des zweiten Mädchens; und der erzählte alles der Wahrheit gemäß. Dann ließ der Kalif die Kadis und die Zeugen vor sich rufen, ebenso die drei Mönche und das erste Mädchen mit ihren Schwestern, die verzaubert gewesen waren; und er vermählte die drei mit den drei Bettelmönchen, die ja berichtet hatten, daß sie Könige wären, und ernannte diese zu Kammerherren an seinem Hofe und teilte ihnen Einkünfte zu und alles, dessen sie bedurften, und gab ihnen Wohnung im Palast zu Baghdad. Und das Mädchen mit den Narben gab er seinem Sohne el-Amân zurück, und er erneuerte zwischen ihnen die Ehe und gab ihr großen Reichtum und ließ das Haus noch schöner als zuvor von neuem erbauen. Er selber jedoch nahm zur Gemahlin die Wirtschafterin und schlief in selbiger Nacht mit ihr; und am nächsten Tage bestimmte er ihr ein Haus und Sklavinnen zu ihrem Dienst, setzte Einkünfte für sie fest und gab ihr einen Platz unter seinen Gemahlinnen. Das Volk staunte ob der Großmut des Kaufen, seiner natürlichen Wohltätigkeit und seiner Weisheit; der Kalif aber wiederholte den Befehl, man solle alle diese Geschichten in seine Annalen eintragen. « —

Da sprach Dinazâd zu ihrer Schwester Schehrezâd: »O Schwester, bei Allah, dies ist eine schöne und anmutige Geschichte, dergleichen man noch nie gehört hat. Doch, bitte, erzähle mir jetzt noch eine neue Geschichte, um den Rest der wachen Stunden dieser Nacht uns zu vertreiben. «Sie erwiderte: »Mit



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größter Freude, wenn der König es mir erlaubt. «Der König aber sagte: »Erzähle deine Geschichte, und erzähle sie bald. « So begann Schehrezâd


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