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Kapitel 

Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


2. Alboin

Das Hildebrandlied zeigte uns als die Merkmale des germanischen Heldenliedes: Entwicklung der Handlung und der Handelnden durch Rede und Gegenrede und durch Aussprüche, scharfe Kontrastierung der Handelnden, strenge dramatische Geschlossenheit und rasche Steigerung und schwere Konflikte.

Der Geschichtschreiber der Longobarden, Paulus Diaconus, erzählt im 8. Jahrhundert von Alboin, dem berühmtesten König der Longobarden, der in der zweiten Hälfte des s. Jahrhunderts lebte und der Italien erobert hat. Seine Taten erschollen überall , sein Ruhm wurde bei den Longobarden, den Bayern, den Sachsen und andern Völkern der gleichen Sprache gesungen. Die erste Tat vollbrachte der junge Held im Kampf mit den Gepiden: er trat darin dem Turismod, dem Sohn des Turisind entgegen, traf ihn mit seinem Schwert, daß er vom Pferde stürzte, tötete



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ihn und entschied dadurch den Kampf. Die Longobarden verfolgten die Gegner. Nachdem sie soviel wie möglich von ihnen erschlagen, kehrten sie zurück und nahmen die Waffen der Gefallenen .

Nach diesem glänzenden Sieg schlugen die Longobarden ihrem König vor, daß Alboin sein Tischgenoß werden solle, durch dessen Kühnheit sie ja den Sieg errungen hätten; damit er dem Vater ebenso in Gefahr wie beim Mahl ein Freund wäre. Audoin aber verwarf dies, weil nach der Gewohnheit des Volks der Königssohn nicht eher mit dem Vater speisen dürfe, bis er von einem auswärtigen König bewaffnet worden sei. Sobald dies Alboin hörte, ritt er, nur von vierzig Jünglingen begleitet , zu Turisind und erzählte ihm, aus welcher Ursache er käme. Turisind nahm ihn gütig auf, lud ihn zu Gast und setzte ihn zu seiner Rechten an der Mahlzeit, wo sonst sein Sohn zu sitzen pflegte. Als er nun so saß und als sie speisten, sah Turisind seinen Sohn im Geiste neben sich und erlebte noch einmal seinen Tod. Und nun gewahrte er, daß der Mörder seines Sohnes dort sitze, seufzte tief auf, konnte sich nicht mehr bezwingen, und in seinem Schmerz brach er endlich in die Worte aus: "Der Platz ist mir lieb, aber der Anblick des Mannes leid, der nun daraufsitzt." Durch diese Worte gereizt, hub der andere Sohn Turisinds an, der Longobarden zu spotten, weil sie unterhalb der Waden weiße Binden trügen und verglich sie Stuten, deren Füße bis an die Schenkel weiß sind, " das sind ekelhafte Mähren, denen ihr gleicht" . Einer der Longobarden versetzte hierauf, "komm mit ins Asfeld, da kannst du sehen, wie gut die, welche du Mähren nennst, mit den Hufen schlagen. Da liegen deines Bruders Gebeine wie die eines elenden Gauls, mitten auf der Wiese." Die Gepiden mochten die Schmach nicht ertragen, gerieten in Wut und wollten sich rächen. Augenblicklich faßten alle Longobarden ihre Schwertgriffe. Der König aber sprang vom Tische auf, warf sich in ihre Mitte, hielt die Seinen vom Krieg zurück und bedrohte den, welcher zuerst den Streit anheben würde: der Sieg mißfalle Gott, wenn man in seinem eignen Hause den Feind erlege. So beschwichtigte er den Zank, nahm nach vollbrachtem Mahle die Waffen seines Sohnes Turismod und übergab sie dem Alboin. Dieser kehrte in Frieden zu seinem Vater heim und wurde nun dessen Tischgenoß . Er erzählte alles, was ihm bei den Gepiden begegnet war, und die Longobarden lobten mit Bewunderung sowohl Alboins Wagstück, als Turisinds große Treue.



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Wir erkennen, daß dieser Bericht aus einem longobardischen Lied übersetzt ist, das noch zur Zeit des Paulus Diaconus gesungen wurde. Die Achse, um die es sich dreht, ist wieder ein Konflikt, der zwischen dem Gebot der Gastfreundschaft und dem Gebot der Rache. Die Höhepunkte sind die Aussprüche des Königs. Der eine, indem er seinem Schmerz nachgibt und der dann den Kampf zu entfesseln droht und der andere, in dem er sich bezwingt und den Kampf beschwichtigt. Diese Erfindung des Dichters, daß der König einen Augenblick unterliegt und sich dann höher als je über sich erhebt, ist von der stärksten dramatischen Kraft. In dem Augenblick, als das Unheil unabwendbar scheint, triumphiert der Beruf des Königs, der sein Volk erhalten soll, über den Schmerz des Vaters, der den liebsten Sohn verlor. Eine kurze, eindringliche Vorgeschichte leitet ein; nachdem er von Schlachten und Taten erzählt, versenkt sich der Dichter in die Empfindungen des Königs, der endlich seinen Schmerz aussprechen muß. Leidenschaftliche, aufreizende Reden folgen, die sich die germanischen Helden so gern zuwerfen und die fast immer den Kampf erzeugen, und sie erhöhen sich hier rasch in atemloser Spannung. Dann bannt der König das Unheil, das er, wie er nun erkennt, selbst heraufbeschwor, und in einem kurzen versöhnenden Bericht, der beide Helden preist, klingt das Lied aus. Die beiden Charaktere sind sehr schön gegeneinander gestellt, der alte, milde König, den der Schmerz bezwingt und der sich dann königlicher als je bewährt, und der junge tollkühne Held, der im Rausch des Sieges mit kleinem Gefolge mitten in das feindliche Lager reitet und im wilden Trotz gerade von dem die Waffen fordert, dessen Sohn er erschlagen und den dann der Edelmut doch überwältigt und fast beschämt, den ihm der feindliche König zeigt.

Ker weist darauf hin, daß Homer in der Ilias eine vergleichbare Szene hat: Achill hat den Hektor erschlagen und seinen



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Leichnam geschändet und der alte Priamus bittet den Mörder seines Sohnes, daß er ihm die Leiche gebe. Wie anders aber erzählen der griechische und der germanische Dichter! Homer mildert die schreckliche Szene, wo er sie nur mildern kann, er breitet sein ganzes weiches Mitleid darüber aus. Die Götter beschützen den Priamus und leiten ihn mit gütiger Hand und Achill, von tiefem Erbarmen erfüllt, des eigenen alten Vaters gedenkend, erquickt den Priamus durch Essen und Schlaf und durch freundliche Worte. — Der germanische Dichter weiß nichts von Weichheit, in seinem Liede weht und wirbelt die ganze wilde Art der Jugend, die keine Schonung kennt und die eigensinnig Ruhm will und die eigenen Heldentaten überjagen muß. Die ganze Gefahr, die ganze Kühnheit des jungen, den ganzen Schmerz des alten Königs läßt das Lied uns auskosten; an der Härte des Konfliktes will der Dichter seine Hörer härten und der Edelmut des alten Königs soll ihnen ein großes und leuchtendes Vorbild werden. Wohl ist das germanische Lied in seinem Äußern barbarisch, aber das Heldentum und die Kraft der Selbstüberwindung, die seine sittliche Voraussetzung bilden, haben die Germanen von allen Völkern der Welt allein.

Von Alboin erzählt derselbe Paulus Diaconus weiter:

Nach Turisinds Tod brach dessen Sohn und Nachfolger Cunimund, um das alte Leid zu rächen, aufs neue den Frieden mit den Longobarden. Alboin aber schlug und vernichtete die Feinde, erlegte den Cunimund selber und machte sich aus dessen Schädel eine Trinkschale. Cunimunds Tochter Rosimund führte er mit vielen anderen in die Gefangenschaft und nahm sie darauf zu seiner Gemahlin. Eines Tages sah Alboin zu Verona länger, als es gut war, fröhlich am Mahl, er befahl der Königin in jener Schale Wein zu schenken, die er aus ihres Vaters Haupt gemacht hatte, und sprach zu ihr: " Trinke fröhlich mit deinem Vater!" Rosimund empfand tiefen Schmerz, bezwang sich gleichwohl und sann auf Rache. Sie wandte sich aber an Helmichis, des Königs Waffenträger (Schiltpor) und Milchbruder, und bat ihn, daß er den Alboin umbringe. Dieser riet ihr, den Peredeo, einen



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tapfern Helden, ins Verständnis zu ziehen. Peredeo wollte aber mit dieser Untat nichts gemein haben. Da barg sich Rosimund heimlich in ihrer Kammermagd Bett, mit welcher Peredeo vertrauten Umgang hatte; und so geschah's, daß er unwissend dahin kam und bei der Königin schlief. Nach vollbrachter Sünde fragte sie ihn: Für wen er sie wohl halte? und als er den Namen seiner Freundin nannte, sagte sie: "Du irrst dich sehr, ich, Rosimund bin's; und nun du einmal dieses begangen hast, gebe ich dir die Wahl, entweder den Alboin zu ermorden oder zu erwarten, daß er dir das Schwert in den Leib stoße." Da sah Peredeo das unausweichliche übel ein und bewilligte gezwungen des Königs Mord.

Eines Mittags also, wie Alboin eingeschlafen war, gebot Rosimund Stille im ganzen Schlosse, schaffte alle Waffen beiseits und band Alboins Schwert an die Bettstelle stark fest, daß es nicht weggenommen, noch aus der Scheide gezogen werden mochte. Dann führte sie, nach Helmichis Rat, grausamer als ein wildes Tier, Pereheo herein. Alboin, aus dem Schlafe erwachend, sah die Gefahr, worin er schwebte, und wollte schnell sein Schwert ergreifen; da er's nicht losbringen konnte, griff er den Fußschemel und wehrte sich eine gute Weile tapfer damit. Endlich aber mußte dieser kühne und gewaltige Mann, der so viele Feinde besiegt hatte, durch die List seiner Frau wehrlos unterliegen. —

Schon Gregor von Tours, der Franke, weiß von Alboins Tod: er habe nach dem Tode seiner ersten Frau eine andere zur Frau genommen, deren Vater er kurze Zeit vorher getötet. Deshalb hegte sie immer einen Groll gegen ihren Gemahl und wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, um das Unrecht zu rächen, das der Vater erlitten. So geschah es, daß sie auf einen von Alboins Leuten ihr Auge warf und ihren Gemahl durch Gift umbrachte.

Dieser Bericht klingt neben dem des Paulus Diaconus recht farblos, und weicht in einem entscheidenden Zug, in der Todesart des Alboin, wesentlich oon ihm ab. Er steht wohl den wirklichen Vorgängen näher. Das Mehr und das Andere bei Paulus Diaconus sind grade dichterische Motive: die unbesonnene, leichtfertige und grausame Kränkung der Rosimund beim Gastmahl, die Selbstentehrung der Rosimund, die Treulosigkeit der Treuesten,



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der schmähliche Untergang des Alboin; ihm fehlt in der Todesstunde die Waffe, er muß sich der Feinde mit einem Schemel erwehren , er stirbt den ruhmlosen Bettod.

Solch jämmerliches Ende war in der germanischen Heldendichtung manchem Helden beschieden. Von dem Goten Turismod erzählt Jordanes: während er sich zur Ader ließ, wurde er von einem ihm feindlich gesinnten Diener angegriffen; der hatte ihm vorher die Waffen versteckt und ihm angekündigt, daß seine Feinde kämen. Aber mit einer freien Hand ergriff Turismod einen Schemel und erschlug damit einige der Andringenden, bis er ihrer Übermacht erlag. — In der späteren dänischen Dichtung von Amleth stirbt Amleths Oheim, nachdem ihm der Neffe das Schwert genommen und an seine Stelle das eigene, unbrauchbar gemachte, in die Scheide gesteckt hatte. Amleth vollstreckt seine Rache mit Hilfe seiner Mutter, die dem Oheim als Gattin gefolgt war.

Noch auffallender sind die Ähnlichkeiten der Schicksale Siegfrieds und Alboins. Wie Alboin verletzt Siegfried, ohne das zu ahnen, tötlich die Ehre einer Frau, der Brünhild, diese verleumdet ihn, verwandelt dadurch seine Blutsbruder in seine Feinde, die ihn ermorden: nach nordischen Berichten erschlugen sie den Waffenlosen im Bett. — Die Ehe eines Fürsten mit der Tochter des Königs, den er gefällt, ist in manchen germanischen Liedern der Anfang des Unglücks, und die Treuen wandeln sich oft in Treulose . — In ihren Motiven, in ihren Kontrasten, im tragischen Gegeneinander von heldenhaftem Leben und unheldischem Tod, von heller jugendlicher Unbesonnenheit und dunklem Ränkespiel, auch in ihren Seelenkämpfen, im Widerstreit des Verlangens nach Leben mit dem Verlangen nach Treue und Ehre — in dem allem ist die Alboindichtung bis in den letzten Faltenwurf germanische Kunst.

Allerdings enthält sie ein Motiv, das uns befremdet. Wozu



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Helmichis und Peredeo? War nicht ein Mörder genug, wie bei Gregor? Sollte die Verdoppelung das Wert eines lombardischen Spielmanns sein, dem Tragik weniger galt als Reichtum der Handlung? Das Recht zu diesen Fragen bestätigt ein Blick auf die weitere Geschichte der Rosimund, die uns Paulus Diaconus noch erzählt.

Nach Alboins Tode dachte Helmichis das Reich zu bekommen, allein die Longobarden hinderten das und stellten ihm, vor tiefem Schmerz über ihres Herrschers Ermordung, nach dem Leben. Also entflohen Helmichis und Rosimund, jetzt seine Gemahlin, auf einem Schiffe, das ihnen Longinus, Vorsteher zu Ravenna, gesandt hatte, nachts aus Verona, entwandten Albsuind, Alboins Tochter erster Ehe, und den ganzen longobardischen Schatz. Wie sie zu Ravenna angelangt waren, nahm Rosimundens Schönheit auch den Longinus ein, und er beredete sie, den Helmichis zu töten und sich hernach ihm zu vermählen. Zum Bösen aufgelegt und wünschend, Ravennas Herrin zu werden, reichte sie dem Helmichis, als er aus dem Bad kam, einen Becher Gift; er aber, sobald er merkte, daß er den Tod getrunken, zog das Schwert über sie und zwang sie, was im Becher geblieben war, auszuleeren. So starben diese beiden Mörder durch Gottes Gericht zu einer Stunde. Longinus schickte Albsuind und die lombardischen Schätze nach Konstantinopel zum Kaiser Tiberius. Einige erzählen: auch Peredeo sei mit Helmichis und Rosimund nach Ravenna gekommen und ebenfalls mit Albsuinden nachher zu Tiberius gesandt worden.Er soll zu Konstantinopel Beweise seiner großen Stärke gegeben und einmal im Schauspiel vor dem Kaiser und allem Volk einen ungeheuren Löwen erlegt haben. Aus Furcht, daß er kein Unheil stifte, ließ ihm der Kaiser die Augen ausstechen. Peredeo schaffte sich zwei kleine Messer, barg sie in seinen Ärmeln und ging in den Palast unter dem Vorwand, er habe dem Kaiser etwas Wichtiges zu offenbaren. Dieser sandte zwei seiner vertrauten Diener, daß sie ihn anhörten; alsbald nahte er sich ihnen, als wolle er etwas Heimliches entdecken, und schlug ihnen mit seinen beiden kleinen Schwertern solche Wunden, daß sie zur Stelle hinsanken und ihren Geist aufgaben. So rächte dieser tapfere Mann, dem Simson nicht ungleich, seiner beiden Augen Verlust an dem Kaiser durch den Verlust zweier wichtiger Hofmänner.

Klingt das alles nicht stärker nach einem byzantinischen Roman



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als nach einer deutschen Heldendichtung? Spätantike Einwirkungen haben wohl eine germanische Erzählung auf einen Boden gedrängt, auf dem sie entartete.

Daß der Vertraute eines Königs, durch die Königin bestochen, der Feind des Königs wird, und daß die Gattin dem Helden, den sie beseitigen will, vorher das Schwert nimmt, das erzählt uns schon Herodot als Schicksal alter griechischer Könige.


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