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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 4

IM INSEL-VERLAG


WAS SCHEHREZÂD DEM KÖNIG SCHEHRIJÂR IN DER 504 BIS 719 NACHT ERZÄHLTE



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Als nun die 504. Nacht anbrach, fuhr Schehrezâd also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschanschâh jene Tafel las, wie er sie erblickte; er sah die Worte, die wir schon genannt haben, und erkannte, daß am Schlusse der Inschrift geschrieben stand: ,Dann wirst du zu einem großen und reißenden Strome gelangen, und der fährt mit solcher Gewalt dahin, daß er die Augen blendet. Jener Strom trocknet an jedem Sabbat aus, und an seinem Ufer liegt eine Stadt, deren Einwohner sich alle Juden nennen und den Glauben Mohammeds nicht anerkennen; kein einziger Muslim findet sich unter ihnen. Auch gibt es in dem Lande dort keine andere Stadt als jene. Doch hier werden die Affen, solange du bei ihnen weilst, über die Ghule siegreich bleiben. Und wisse, diese Tafel schrieb der Herr Salomo, der Sohn Davids -über beiden sei Heil!' Als Dschanschâh solches gelesen hatte, hub er an bitterlich zu weinen. Dann wandte er sich seinen Mamluken zu und tat ihnen kund, was auf der Tafel geschrieben stand. Danach stieg er wieder zu Pferde; auch die Krieger der Affen saßen auf, rings uni ihn herum, und sie zogen dahin, froh des Sieges über ihre Feinde, und kehrten zu ihrer Burg zurück. Dort blieb Dschanschâh nun Sultan über die Affen einundeinhalbes Jahr lang. Da befahl er einmal den Kriegern der Affen, mit ihm zu Jagd und Hatz auszureiten. Jene saßen auf, und Dschanschâh und seine Mamluken ritten mit ihnen fort, durch Wüsten und Steppen, immer weiter von Ort zu Ort, bis er das Ameisental erkannte, wie es auf der Marmortafel beschrieben war. Sobald er dessen gewähr ward, befahl er allen, dort abzusitzen. Die Seinen und auch die Krieger der Affen saßen ab, und sie verblieben dort zehn Tage lang bei Speise und Trank. Dann ging Dschanschâh eines Nachts mit seinen Mamluken beiseite und sprach zu ihnen: ,Hört, ich wünsche, daß wir entfliehen;



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wir wollen ins Ameisental gehen und dann uns zur Stadt der Juden begeben. Vielleicht wird Allah uns so von diesen Affen befreien, auf daß wir unserer Wege ziehen können.' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie. Nun wartete er noch, bis eine kleine Weile der Nacht verstrichen war; dann stand er auf, und auch die Mamluken erhoben sich mit ihm. Sie legten ihre Rüstungen an und gürteten sich mit Schwertern und Dolchen und dergleichen Kriegsgerät. Darauf machte sich Dschanschâh mit seinen Mamluken auf den Weg, und sie wanderten die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen. Als aber die Affen aus ihrem Schlafe erwachten und ihn und seine Leute nicht mehr sahen, wußten sie, daß jene geflohen waren. Und sofort ritt ein Teil von ihnen auf den östlichen Paß zu, der andere aber zum Ameisental. Und während sie dahineilten, erblickten sie plötzlich Dschanschâh und seine Mamluken, die gerade beim Ameisental angekommen waren. Wie sie das sahen, stürmten sie hinter ihnen her. Dschanschâh aber und seine Leute flüchteten beim Anblick der Affen und dran gen in das Ameisental ein. Doch es verging nur eine kurze Weile, da fielen die Affen schon über die Flüchtlinge her und wollten sie töten. Plötzlich aber kamen Ameisen aus der Erde hervor, gleichwie ein Heuschreckenschwarm, und eine jede von ihnen war so groß wie ein Hund. Als die Ameisen die Affen sahen, stürzten sie auf sie zu und fraßen eine Menge von ihnen. Zwar wurden auch viele der Ameisen getötet, aber der Sieg blieb ihnen doch. Denn wenn nur eine Ameise auf einen Affen traf, so hieb sie auf ihn ein und zerteilte ihn in zwei Hälften, während zehn Affen eine einzige Ameise angriffen und an ihr herum zerrten und in zwei Teile zerrissen. Heftig tobte der Kampf zwischen ihnen bis zum Abend. Doch nachdem es dunkel geworden war, floh Dschanschâh mit den Mamluken, und sie eilten auf der Sohle des Tales dahin. — —u



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 505. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschanschâh mit seinen Mamluken floh, nachdem es dunkel geworden war; und sie eilten auf der Sohle des Tales dahin bis zum Morgen. Doch als es hell wurde, waren die Affen schon wieder dicht hinter ihnen. Wie Dschanschâh sie erblickte, schrie er seinen Leuten zu: ,Erschlagt sie mit den Schwertern!' Da zückten jene ihre Schwerter und hieben auf die Affen ein, nach rechts und nach links. Doch mit einem Male stürzte ein Affe wider sie los, der so große Zähne hatte wie ein Elefant, und er sprang auf einen der Mamluken, traf ihn und zerriß ihn in zwei Teile. Nun drangen die Affen in Scharen auf Dschanschâh ein, und er flüchtete bis ans Ende des Tales. Dort sah er einen großen Strom und an dessen Ufer eine gewaltige Ameisenschar. Als die Ameisen den Fliehenden auf sich zukommen sahen, umringten sie ihn; einer der Mamluken aber hieb mit dem Schwerte auf sie ein und zerschlug sie in Stücke. Wie die Krieger der Ameisen das bemerkten, stürzten sie in großen Haufen wider den Mamluken und machten ihn nieder. In diesem Augenblicke kamen plötzlich die Affen über den Berg und eilten in Scharen auf Dschanschâh los. Doch wie er ihr Anstürmen gewahrte, riß er sich sein Obergewand vom Leibe und sprang in den Strom hinab. Der letzte Mamluk, der ihm noch verblieben war, sprang hinter ihm her, und die beiden schwammen bis zur Mitte des Flusses. Von dort erblickte Dschanschâh einen Baum am anderen Ufer des Flusses; er schwamm hin und reckte seinen Arm nach einem der Zweige aus, ergriff ihn und klammerte sich an ihn und schwang sich so ans Land. Über den Mamluken aber kam die Strömung, und sie riß ihn fort und zerschmetterte ihn an einem Felsen.



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Nun stand Dschanschâh allein da am Ufer, und er wrang seine Kleider aus und trocknete sie an der Sonne. Unterdessen war zwischen den Affen und den Ameisen ein wilder Kampf entbrannt; doch schließlich kehrten die Affen in ihr Land zurück.

Solches erlebte Dschanschâh mit den Affen und den Ameisen. Sehen wir nun, wie es ihm weiter erging! Bis zum Abend weinte er; dann trat er in eine Höhle ein und suchte Zuflucht in ihr. Doch er war in großer Angst und Sorge, da er ja seine Mamluken verloren hatte. Nachdem er dann bis zum Morgen in jener Höhle geruht hatte, machte er sich wieder auf den Weg und zog ohne Aufenthalt weiter, Tag und Nacht, indem er sich von den Kräutern des Feldes nährte, bis er zu dem Berge kam, der wie Feuer brennt. Sobald er den erreicht hatte, zog er weiter an ihm entlang, bis er zu dem Strome gelangte, der an jedem Sabbat austrocknet. Und als er dort ankam, sah er, daß es ein mächtiger Strom war und daß auf seinem jenseitigen Ufer eine große Stadt lag, eben jene Stadt der Juden, von der er auf der Tafel gelesen hatte. Dort wartete er, bis es Sabbat ward und der Fluß austrocknete. Dann schritt er durch das Flußbett hindurch bis zu der Judenstadt. In ihr aber erblickte er keine Seele. Und er ging in ihr umher und öffnete schließlich das Tor eines Hauses, zu dem er gekommen war. Als er eintrat, sah er, wie die Bewohner des Hauses schweigend dasaßen, ohne ein Wort zu sagen; und er sprach zu ihnen: ,Ich bin ein Fremdling, und mich hungert.' Da antworteten sie ihm durch Zeichen: ,Iß und trink; doch sprich nicht!' So setzte er sich denn bei ihnen nieder und aß und trank und ruhte die Nacht hindurch. Als es Morgen ward, begrüßte ihn der Herr des Hauses und hieß ihn willkommen; dann fragte er ihn: ,Von wannen kommst du, und wohin gehst du?' Wie Dschanschâh die Worte des Juden vernahm, begann er bitterlich zu



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weinen, und er erzählte ihm seine Geschichte und nannte ihm die Stadt seines Vaters. Darüber wunderte sich der Jude und fuhr fort: ,Von dieser Stadt haben wir noch nie etwas gehört; wir haben nur von den Karawanen der Kaufleute vernommen. daß dort ein Land liegt, Jemen geheißen.' Nun fragte Dschanschâh den Juden: ,Wie weit ist das Land, über das die Kaufleute berichten, von diesem Orte entfernt?' Der jude erwiderte: ,Die Kaufleute jener Karawanen behaupten, daß die Reise von ihrem Lande bis hierher zwei Jahre und drei Monate daure.' ,Wann kommt denn die Karawane wieder?' fragte Dschanschâh; und der Jude antwortete: ,Im nächsten Jahre wird sie kommen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 506. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jude, als Dschanschâh ihn nach der Ankunft der Karawane fragte, antwortete: ,Im nächsten Jahre wird sie kommen.' Wie der Prinz diese Worte vernahm, weinte er heftig und trauerte über sein eigenes Schicksal und um seine Mamluken, über die Trennung von Mutter und Vater und über alles, was ihm auf seiner Fahrt begegnet war. Doch der Jude sprach zu ihm: ,Weine nicht, Jüngling! Bleibe bei uns, bis die Karawane kommt; dann wollen wir dich mit ihr in dein Land heimsenden.' Dschanschâh hörte auf seine Worte und blieb zwei Monate lang bei ihm; jeden Tag aber ging er hinaus auf die Straßen der Stadt und schaute sich in ihr um. Da begab es sich eines Tages, als er nach seiner Gewohnheit ausgegangen war und in den Straßen der Stadt überall um herwanderte, daß er hörte, wie ein Mann ausrief: ,Wer will tausend Dinare als Lohn empfangen und dazu eine schöne Sklavin, deren Reize in lieblichster Anmut prangen, indem er



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nur vom Morgen bis zur Mittagszeit für mich arbeitete' Aber niemand gab ihm Antwort, und so sagte sich Dschanschâh, als er die Worte des Ausrufers vernahm: ,Wenn diese Arbeit nicht gefährlich wäre, so würde der Dienstherr nicht tausend Dinare und eine schöne Sklavin bieten für ein Werk, das nur vom Morgen bis zur Mittagszeit dauert.' Dennoch trat er an den Ausrufer heran und sprach zu ihm: ,Ich will diese Arbeit tun!' Wie der Mann ihn so reden hörte, nahm er ihn mit sich und führte ihn in ein hohes Haus. Der Prinz trat mit dem Ausrufer ein und sah, daß es ein geräumiger Bau war; darauf erblickte er dort einen jüdischen Mann, einen Kaufmann, der auf einem Throne aus Ebenholz saß. Der Ausrufer trat vor ihn hin und sprach zu ihm: ,O Kaufmann, seit drei Monaten rufe ich in der Stadt aus, aber niemand hat mir bisher geantwortet, außer allein dieser Jüngling.' Nachdem der Kaufmann die Worte des Ausrufers vernommen hatte, hieß er Dschanschâh willkommen, nahm ihn mit sich und führte ihn in einen prächtigen Saal und gab seinen Sklaven ein Zeichen, daß sie ihm zu essen bringen sollten. Da breiteten sie den Tisch und trugen vielerlei Speisen auf. Der Kaufmann aß nun mit dem Prinzen, dann wuschen sie ihre Hände, und als der Wein gebracht war, tranken sie. Darauf erhob sich der Kaufmann, brachte Dschanschâh einen Beutel mit tausend Dinaren und eine Sklavin von herrlicher Schönheit und sprach zu ihm: ,Nimm diese Sklavin und dies Geld zum Lohn für die Arbeit, die du leisten wirst!' Dschanschâh nahm Mädchen und Geld in Empfang und ließ das Mädchen an seiner Seite sitzen; der Jude aber fügte noch hinzu: ,Morgen also leiste uns die Arbeit!' und ging dann fort. Nun ruhten der Prinz und die Sklavin jene Nacht über. Doch als es Morgen ward, begab er sich ins Bad. Da befahl der Kaufmann seinen Sklaven, ihm ein Gewand aus Seide zu bringen.



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Und jene holten ein kostbares Seidengewand für den Jüngling und warteten, bis er aus dem Bade herauskam; dann legten sie es ihm an und führten ihn in das Haus zurück. Und weiter befahl der Kaufmann, Harfe und Laute und Wein zu bringen; nachdem all das gebracht war, tranken die beiden und spielten und scherzten, bis die halbe Nacht verstrichen war. Darauf begab der Kaufmann sich in seinen Harem, während Dschanschâh mit der Sklavin bis zum Morgen ruhte. Dann ging er ins Bad, und als er von dort zurückkam, trat ihm der Kaufmann entgegen und sprach: ,Ich wünsche, daß du uns jetzt den Dienst leistest.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Prinz. Da gab der Kaufmann seinen Sklaven Befehl, zwei Mauleselinnen zu bringen; als jene sie gebracht hatten, bestieg er selbst die eine und gab Dschanschâh die andere zum Reiten. Und wie der auch aufgestiegen war, zogen die beiden vom frühen Morgen bis zur Mittagszeit dahin, und da hatten sie einen hohen Berg erreicht, dessen Höhe keine Grenze kannte. Dort saß der Kaufmann ab und befahl auch Dschanschâh, von seinem Maultier abzusteigen. Nachdem dieser das getan hatte, reichte der Kaufmann dem Jüngling ein Messer und einen Strick und sprach zu ihm: ,Ich wünsche, daß du dies Maultier schlachtest!' Da schürzte Dschanschâh seine Kleider. trat an das Maultier heran, legte ihm den Strick um die vier Beine und warf es zu Boden; darauf nahm er das Messer in die Hand und schlachtete das Tier, häutete es und schnitt ihm Beine und Kopf ab, so daß es ein Haufen Fleisches wurde. Der Kaufmann sagte nun zu ihm: ,Ich befehle dir, schneide ihm den Bauch auf und krieche hinein. Ich will dich darin einnähen, und nachdem du eine Weile drinnen geblieben bist, sollst du mir hernach alles berichten, was du in seinem Bauche gesehen hast.' Dschanschâh schnitt also den Leib des Maultieres auf und



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kroch hinein; der Kaufmann aber nähte ilm ein, ließ ihn dort liegen und entfernte sich von ihm. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 507. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann, nachdem er Dschanschâh in den Leib des Maultiers eingenäht hatte, ihn verließ und sich entfernte und sich am Fuße des Berges verbarg. Nach einer Weile schoß ein gewaltig großer Vogel auf das Maultier herab, packte es und flog davon. Oben auf dem Berge ließ er sich mit ihm nieder und wollte es auffressen. Doch als Dschanschâh bemerkte, was der Vogel tat, schlitzte er den Bauch des Maultieres auf und kroch hinaus. Der Vogel erschrak über seinen Anblick und flog auf und davon. Der Prinz aber erhob sich auf seine Füße und begann nach rechts und links umherzublicken: da sah er nichts als Leichen von Männern, die in der Sonne vertrocknet waren, und wie er solches schauen mußte, sprach er bei sich: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Dann spähte er zum Fuße des Berges hinab und sah den Kaufmann dort unten stehen, wie er nach ihm emporblickte. Kaum ward der jude seiner gewahr, da rief er ihm zu: ,Wirf mir von den Steinen herab, die rings um dich liegen; dann will ich dir einen Weg zeigen, auf dem du herunterkommen kannst!' Da warf Dschanschâh ihm an die zweihundert Steine hinab, Rubine, Chrysolithe und andere kostbare Edelsteine; dann rief er ihm zu: ,Wenn du mir jetzt den Weg zeigst, will ich dir noch einmal so viel hinabwerfen.' Aber der Jude sammelte die Steine, lud sie auf das Maultier, das er selber geritten hatte, und eilte davon, ohne ein Wort zu erwidern. So blieb denn Dschanschâh allein oben auf dem Berge, und er begann



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um Hilfe zu rufen und zu weinen. Drei Tage lang blieb er dort oben; dann machte er sich auf und zog zwei Monate lang quer durch das Gebirge, indem er sich von den Bergkräutern nährte. Ohne Aufenthalt wanderte er dahin, bis er den Rand des Gebirges erreicht hatte. Und wie er weiter bis zum Abhang gelangte, sah er in der Ferne ein Tal und in ihm Bäume zumal, mit Früchten behangen, und voller Vögelein, die zum Preise Allahs, des Einen und Allgewaltigen, sangen. Bei dem Anblick dieses Tales war Dschanschâh hocherfreut, und er ging darauf zu. Als er aber eine Weile weitergegangen war, kam er zu einer Schlucht im Gebirge, aus der ein Gießbach hervorströmte. An ihm entlang setzte er seinen Weg fort, bis er das Tal erreichte, das er vom Abhang des Gebirges gesehen hatte. In jenem Tale schritt er weiter, indem er nach rechts und nach links ausschaute, ohne Aufenthalt. bis er zu einer mächtigen Burg kam, die hoch in die Lüfte emporragte. Auf die ging er zu, und als er bei ihrem Tore ankam, erblickte er einen alten Mann von schöner Gestalt, in dessen Antlitz helles Licht erstrahlte und der in seiner Hand einen Stab aus Rubinen hielt. Der stand vor dem Tore der Burg. Dschanschâh trat an ihn heran und grüßte ihn; der Alte gab ihm den Gruß zurück, hieß ihn willkommen und sprach: ,Setze dich, mein Sohn!' Da setzte der Prinz sich am Tore der Burg nieder; der Alte aber hub an und fragte ihn: ,Von wannen kommst du in dies Land, das noch nie ein Menschenkind betreten hat, und wohin gehst du?' Als Dschanschâh ihn so sprechen hörte, weinte er so bitterlich um all der Leiden willen, die er erduldet hatte, daß die Tränen ihn fast erstickten. Doch der Alte fuhr fort: ,Mein Sohn, laß ab vom Weinen! Du tust meinem Herzen weh.' Darauf ging er fort, holte etwas Speise und setzte es vor den Jüngling hin, indem er sprach: ,Iß davon!' Nachdem



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jener gegessen und Allah dem Erhabenen gedankt hatte, bat ihn der Alte mit den Worten: ,Mein Sohn, ich möchte, daß du mir deine Geschichte erzählest und mir von allem berichtest, was dir widerfahren ist.' Da erzählte Dschanschâh ihm seine Geschichte und berichtete ihm alle seine Erlebnisse, von Anfang an bis zudem Augenblick, in dem er dorthin gekommen war. Wie der Alte seine Rede vernommen hatte, verwunderte er sich gar sehr. Der Prinz aber sagte nun zu ihm: ,Ich möchte, daß du mir berichtest, wem dies Tal gehört und wer der Herr dieser großen Burg ist.' ,Wisse, mein Sohn,' erwiderte der Alte, ,dies Tal, und was darinnen ist, und diese Burg mit allem, was sie umschließt, gehören dem Herren Salomo, dem Sohne Davids -über beiden sei Heil! Ich aber heiße Scheich Nasr, der König der Vögel; und wisse ferner, daß der Herr Salomo diese Burg meiner Obhut anvertraut hat.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 508 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Scheich Nasr, der König der Vögel, zu Dschanschâh sprach: ,Und wisse ferner, daß der Herr Salomo diese Burg meiner Obhut anvertraut hat; er hat mich auch die Sprache der Vögel gelehrt und mich zum Herrscher eingesetzt über alle Vögel, die es in der Welt gibt. In jedem Jahre kommen sie alle zu dieser Burg; dann halte ich Musterung über sie, und sie fliegen wieder fort. Das ist der Grund, weshalb ich hier an dieser Stätte weile.' Als Dschanschâh die Worte des Scheich Nasr vernommen hatte, begann er wieder bitterlich zu weinen und sprach: ,Mein Vater, was soll ich tun, um in meine Heimat zurückzukommen?' Der Alte gab ihm zur Antwort: ,Wisse, mein Sohn, du bist hier dicht bei dem Berge Kâf, und du kannst diesen Ort nicht eher



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verlassen, als bis die Vögel kommen; dann will ich dich einem von ihnen anvertrauen, auf daß er dich in deine Heimat bringt. Bleib nun bei mir in dieser Burg, iß und trink und sieh dir all diese Räume an, bis die Vögel wiederkommen!' Also blieb der der Prinz hei dem Scheich und begann in dem Tale umherzuwandeln; dabei aß er von den Früchten, schaute sich überall um, war fröhlich und guter Dinge und führte dort ein herrliches Leben, eine lange Weile, bis die Zeit nahte, daß die Vögel aus ihren Ländern kommen sollten, um Scheich Nasr zu besuchen. Als dieser nun ihr Kommen voraussah, erhob er sich und sprach zu dem Prinzen: ,Dschanschâh, nimm hier diese Schlüssel und öffne alle Räume der Burg und schau dich in ihnen um. Doch hüte dich, denundden Raum zu öffnen! Wenn du mir zu widerhandelst und ihn doch öffnest und eintrittst. so wird dir nichts Gutes begegnen.' Nachdem er Dschanschâh diese Weisung gegeben und sie ihm ernstlich eingeschärft hatte, verließ er ihn, um die Vögel zu empfangen. Und wie die Vogelscharen den Scheich Nasr erblickten, flogen sie auf ihn zu und küßten ihm die Hände, eine Sippe nach der anderen.

Sehen wir weiter, wie es Dschanschâh erging! Der machte sich auf und schaute sich rings in der Burg um, nach allen Seiten. Er öffnete alle Räume, die dort waren, bis er zu dem Raume kam, den zu öffnen ihm Scheich Nasr verboten hatte. Wie er aber die Tür jenes Raumes anschaute, gefiel sie ihm sehr, und er entdeckte an ihr ein Schloß aus Gold. Da sagte er sich: ,Dieser Raum muß schöner sein als all die andern in der Burg. Was mag wohl in ihm verborgen sein, daß der Scheich Nasr mich hindern will, ihn zu betreten? Es ist nicht anders möglich, ich muß in diesen Raum hineingehen und sehen, was darinnen ist. Was dem Menschen bestimmt ist, das muß er auch erfüllen!' Darauf reckte er seine Hand aus, öffnete den Raum



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und trat hinein. Und er sah in ihm einen großen Teich, neben dem sich ein kleiner Pavillon befand, der aus Gold und Silber und Kristall erbaut war; seine Fenster waren mit Rubinen ausgelegt, und sein Boden war mit grünen Chrysolithen, Ballasrubinen, Smaragden und anderen Edelsteinen gepflastert, die marmorartig verästelt waren. Inmitten jenes Pavillons stand ein Springbrunnen, mit einem goldenen Becken voll Wassers, umgeben von allerlei Tieren und Vögeln, die aus Gold und Silber kunstvoll gearbeitet waren und aus denen das Wasser hervorströmte. Und wenn der laue Wind wehte, so drang er in ihre Ohren ein, und alle die Gestalten begannen zu flöten, jede in ihrer eigenen Weise. Neben dem Springbrunnen befand sich eine breite Estrade, auf der ein großer Thron aus Saphir stand, mit Perlen und anderen Edelsteinen eingelegt; darüber war ein Zelt aus grüner Seide gespannt, die mit Juwelen und kostbaren Steinen bestickt war; seine Breite maß fünfzig Ellen, und es enthielt in seinem Innern ein Gemach, in dem der Teppich des Herrn Salomo -über ihm sei Heil! —verborgen war. Ferner erblickte Dschanschâh rings um jenen Pavillon einen großen Garten. Dort sah er Fruchtbäume sprießen und Bächlein fließen und nahe bei ihm Beete mit Rosen und Basilien, Eglantinen und allerlei anderen duftenden Blumen; und wenn die Winde durch die Bäume säuselten, so wiegten sich ihre Äste hin und her. Alle Arten von Bäumen erblickte Dschanschâh in jenem Garten, grüne und dürre. Und all das befand sich in jenem Raume. Mit höchster Verwunderung sah Dschanschâh sich um, er schaute auf den Garten und auf den Pavillon und auf alles. was darinnen war, all die wunderbaren und seltsamen Dinge. Und wie er den Teich betrachtete, sah er, daß der Kies darin aus kostbaren Juwelen und wertvollen Steinen und edlen Metallen bestand. So erblickte er in jenem Raume des Wunderbaren viel - —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 509 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschanschâh in jenem Raume des Wunderbaren viel erblickte und darüber staunte. Und er schritt hinein, bis er in den Pavillon kam, der sich dort befand und stieg zu dem Throne empor, der auf der Estrade neben dem Teiche stand. Und weiter ging er in das Zelt, das darüber ausgebreitet war, und schlief in ihm eine Weile. Als er wieder aufwachte, trat er zum Pavillon hinaus und setzte sich auf einen Schemel, der vor der Tür stand, immer noch staunend über die Schönheit jener Stätte. Während er nun dasaß, schwebten plötzlich aus der Luft drei große Vögel herbei, die wie Tauben aussahen. Diese Vögel ließen sich neben dem Teiche nieder und spielten eine Weile. Darauf legten sie das Federkleid, das sie trugen, ab und wurden zu drei Mädchen, so schön wie Monde, die in der Welt nicht ihresgleichen hatten. Sie stiegen zum Teich hinab, schwammen in ihm munter und scherzten und lachten. Als Dschanschâh sie erblickte, ward er bezaubert durch ihre Schönheit und Anmut und das Ebenmaß ihrer Gestalten. Dann kamen sie wieder ans Ufer hinauf und lust wandelten im Garten. Wie Dschanschâh sie dort gehen sah, ward er fast wie von Sinnen. Er sprang auf und eilte ihnen nach, und als er sie eingeholt hatte, grüßte er sie, und sie erwiderten seinen Gruß. Darauf fragte er sie mit den Worten: ,Wer seid ihr, o erlauchte Herrinnen, und woher kommt ihr?' Da erwiderte ihm die jüngste: ,Wir kommen aus dem Hirnmeireiche Allahs des Erhabenen, um uns an dieser Stätte zu ergehen.' Entzückt ob ihrer Schönheit, sprach er zu der jungen Maid: ,Erbarme dich meiner, neige dich huldvoll zu mir und hab Mitleid mit meiner Not und mit allem, was ich habe erleben



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müssen!' Aber sie gab ihm zur Antwort: ,Laß dies Gerede und zieh deiner Wege!' Als er diese Worte aus ihrem Munde vernahm, weinte er bitterlich und begann in heftige Seufzer auszubrechen, und er hub an diese Verse zu sprechen:

Im Garten erschien sie mir in ihren grunen Ce: 'ï:: der:
Den wallenden, und im Haare, das hei herab ihr hing.
Ich fragte sie: Wie heißt du? Sie sprach: Ich bin die Schöne,
Die in dem heißen Feuer der Liebe die Herzen fing.
Ich klagte ihr, was ich gelitten in meiner treuen Liebe.
Sie sprach: Du klagst dem Felsen und weißt doch nichts davon.
Da rief ich: Wenn dein Herz ein Felsen ist, so wisse,
Gott ließ aus Fels entspringen den allerklarsten Brünn.

Als die Mädchen diese Verse von Dschanschâh vernommen hatten, da lachten sie, spielten und sangen und waren fröhlich. Er aber brachte ihnen Früchte, und sie aßen und tranken, und sie schliefen wie er, an der gleichen Stätte, jene Nacht hindurch bis zum Morgen. Doch als es hell ward, legten die Mädchen ihre Federkleider wieder an, wurden zu Tauben und flogen auf und davon. Wie Dschanschâh sie fortschweben und seinen Blicken entschwinden sah, entfloh ihm fast der Verstand mit ihnen, und er stieß einen lauten Schrei aus und sank ohnmächtig nieder. Jenen ganzen Tag über blieb er in seiner Ohnmacht liegen; doch während er so am Boden lag, kam Scheich Nasr von der Heerschau der Vögel zurück und suchte nach Dschanschâh, um ihn mit den Vögeln in seine Heimat zu entsenden. Als er ihn nicht fand, wußte er sogleich, daß er den verbotenen Raum betreten hatte. Vorher aber hatte der Alte zu den Vögeln gesagt: ,Bei mir ist ein Jüngling, den die Fügung des Schicksals aus fernem Lande an diese Stätte verschlagen hat, und ich möchte, daß ihr ihn mit nehmt und in seine Heimat traget.' Da hatten sie geantwortet: ,Wir hören und gehorchen!' Jetzt nun suchte Scheich Nasr unablässig nach Dschanschâh,



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bis er zu der Tür des Raumes kam, den er ihm zu öffnen verboten hatte. Er fand die Tür geöffnet, ging hinein und sah den Jüngling ohnmächtig unter einem Baume liegen. Da holte er ein wenig Rosenwasser und sprengte es ihm ins Antlitz. Alsbald erwachte der Prinz aus seiner Ohnmacht und blickte um sich. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 510. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Scheich Nasr, als er den Jüngling unter einem Baume liegen sah, ein wenig Rosenwasser holte und es ihm ins Antlitz sprengte und daß jener alsbald aus seiner Ohnmacht erwachte und sich nach rechts und links umblickte; aber da er niemanden bei sich sah als den Scheich Nasr, begann er in Seufzer auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

Sie strahlt dem Vollmond gleich in einer Nacht des Glückes;
Ihr Wuchs ist weich geformt, ihr Leib ist schlank und zart.
Ihr Auge nimmt durch Zauber jeden Sinn gefangen;
Der rosenrote Mund ist von Rubinenart.
Sie läßt auf ihre Hüfte schwarze Haare fallen:
Vor Schlangen hüte dich in ihres Haars Gelock!
Trotz ihrer weichen Form ist gegen Volk der Liebe
Ihr Herze doch noch härter als ein steinern Block.
Sie schnellt des Blickes Pfeil vom Bogen ihrer Braue,
Er trifft und fehlet nie, sei es auch noch so weit.
Ja, ihre Schönheit ragt empor ob aller Schöne;
Und niemand ist ihr gleich auf Erden weit und breit.

Als Scheich Nasr diese Verse aus Dschanschâhs Munde hörte, tiefer: ,Mein Sohn, hab ich dir nicht gesagt, du solltest diesen Raum nicht öffnen und nicht hineingehen? Doch jetzt, mein Sohn, berichte mir, was du hier erlebt hast! Erzähle mir deine Geschichte. und tu mir kund, was dir widerfahren ist!' Da erzählte



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Dschanschâh ihm seine Geschichte und berichtete ihm. was er mit den drei Mädchen erlebt hatte, während er dort gewesen war. Der Scheich aber sagte, nachdem er ihm zugehört hatte: ,Wisse, mein Sohn, diese Mädchen gehören zu den Töchtern der Geister. Alle Jahre kommen sie einmal an diese Stätte, spielen und freuen sich bis zum Nachmittag und kehren dann in ihr Land zurück.' ,Wo ist denn ihr Landt' fragte der Prinz; doch der Alte gab ihm zur Antwort: ,Bei Allah, mein Sohn, ich weiß nicht, wo ihr Land ist!' Dann fügte er hinzu: ,Komm mit mir und sei stark, auf daß ich dich mit den Vögeln in deine Heimat sende; solche Liebe aber tu von dir!' Bei diesen Worten des Alten schrie der Prinz laut auf; dann sank er in Ohnmacht. Und als er wieder zu sich kam, sprach er zu ihm: ,Mein Vater, ich will nicht eher in meine Heimat zurückkehren, als bis ich wieder mit diesen Mädchen vereinigt bin. Wisse, mein Vater, bis dahin will ich nie mehr von den Meinen sprechen, sollte ich auch vor deinen Augen sterben!' Dann weinte er von neuem und sprach: ,Ich will ja zufrieden sein, wenn ich nur das Antlitz der Maid sehe, die ich liebe, wäre es auch ein einziges Mal im Jahre!' Darauf begann er in Seufzer auszubrechen und hub an diese Verse zu sprechen:

Ach, käm das Traumbild doch zum Freunde nicht bei Nacht!
Ach, wäre solche Lieb für Menschen nie erdacht!
Wär nicht mein Herz in Flammen, wenn es dein gedenkt,
So wär die Wange nicht vom Tränenstrom getränkt.
Bei Tag und auch bei Nacht geduld ich meinen Sinn;
Doch durch der Lieb,' Feuer schwand mein Leib dahin.

Dann warf er sich dem Scheich Nasr vor die Füße und küßte sie, weinte bitterlich und bat ihn: ,Erbarme dich meiner, auf daß Allah sich deiner erbarme! Hilf mir in meiner Not, auf daß Allah dir helfe!' Doch der Alte erwiderte: ,Mein Sohn, bei



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Allah, ich kenne diese Mädchen nicht, und ich weiß nicht, wo ihr Land ist. Doch, mein Sohn, da du nun einmal in Liebe zu einer von ihnen entbrannt bist, so bleibe bei mir bis übers Jahr. Sie werden ja im nächsten Jahre am gleichen Tage wie heute kommen; und wenn die Tage ihrer Wiederkehr nahen, so verbirg dich im Garten unter einem Baume. Wenn die Mädchen dann in den Teich hinabsteigen und dort schwimmen und spielen, fern von ihren Kleidern, so nimm der von ihnen, die du begehrst, ihr Federkleid weg! Und wenn sie dich sehen, so werden sie ans Ufer steigen, um ihre Kleider anzulegen. Die aber, deren Kleid du genommen hast, wird dich bitten mit Worten voll Süßigkeit und mit einem Lächeln der Lieblichkeit: ,Gib mir mein Kleid, Bruder, auf daß ich es anlege und mich darin einhülle!' Wenn du ihren Worten Folge leistest und ihr das Kleid gibst, so wirst du nie dein Ziel bei ihr erreichen; sondern sie wird ihr Federkleid anlegen und zu ihrem Volke fliegen, und du wirst sie dann niemals wieder erblicken. Wenn du das Kleid also in deine Gewalt gebracht hast, so hüte es, halt es unter deinen Armen fest, gib es ihr nicht wieder, bis ich von der Heerschau der Vögel zurückkomme und zwischen euch beiden Eintracht stifte: dann will ich dich mit ihr in deine Heimat entsenden. Das ist alles, was ich tun kann, mein Sohn, mehr nicht.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 511. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Scheich Nasr zu Dschanschâh sprach: ,Halte das Kleid derer, die du begehrst, fest, gib es ihr nicht wieder, bis ich von der Heerschau der Vögel zurückkomme. Das ist alles, was ich tun kann, mein Sohn, mehr nicht.' Durch diese Worte des Alten ward das Herz des Jünglings beruhigt,



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und er blieb bei ihm bis zum nächsten Jahre. Doch er zählte jeden Tag, der verging, bis dahin, wann die Vögel kommen würden. Und als nun die Zeit der Wiederkehr der Vögel kam, ging Scheich Nasr zu Dschanschâh und sprach zu ihm: ,Tu nach der Weisung, die ich dir gegeben habe, mit den Kleidern der Mädchen! Ich gehe jetzt zur Heerschau der Vögel.' ,Ich höre und gehorche deinem Befehle, mein Vater!' erwiderte der Jüngling. Darauf ging der Alte, um die Vögel zu mustern, während der Prinz nunmehr sich in den Garten begab und sich unter einem Baume versteckte, wo ihn niemand sehen konnte. Dort blieb er den ersten Tag, einen zweiten Tag und einen dritten, ohne daß die Mädchen gekommen wären. Da ward er unruhig und weinte und klagte, da Trauer an seinem Herzen nagte; ja, er weinte solange, bis er in Ohnmacht fiel. Als er nach einer Weile wieder zu sich kam, begann er um sich zu schauen, bald gen Himmel, bald auf die Erde, bald auf den Teich. bald ins offene Land hinaus: und sein Herz war von heißer Liebe erregt. Und während er in solcher Not war, schwebten plötzlich aus der Luft die drei Vögel zu ihm herab, in Gestalt von Tauben, aber so groß wie Adler. Sie setzten sich neben dem Teiche nieder und blickten nach allen Seiten um sich, aber sie sahen niemanden, weder ein menschliches Wesen noch ein Wesen aus der Geisterwelt. Da legten sie ihre Kleider ab und stiegen ins Wasser, spielten und scherzten und freuten sich, nackt und weiß wie Silberbarren. Nun sagte die älteste unter ihnen: ,Schwestern, ich fürchte, in dem Pavillon dort ist jemand versteckt und sieht uns!' Aber die zweite erwiderte: ,Liebe Schwester, diesen Pavillon hat seit der Zeit Salomos niemand betreten, weder ein Mensch noch ein Geist.' Und die jüngste von ihnen rief lachend: ,Bei Allah, Schwestern, wenn dort jemand verborgen ist, dann wird er keine andere fangen



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als mich.' So spielten und scherzten sie. Im Herzen des Prinzen jedoch tobte wilde Leidenschaft, als er unter dem Baume versteckt war und sie beobachtete, ohne daß sie ihn sahen. Wie sie aber im Wasser schwammen und bis zur Mitte des Teiches gelangten und fern von ihren Kleidern waren, sprang er auf, eilte wie der blendende Blitz dahin und ergriff das Gewand der jüngsten Maid, der, an die er sein Herz gehängt hatte und die da Schamsa' hieß. Die Mädchen wandten sich um, und wie sie seiner gewahr wurden, erschraken sie in ihrem Herzen und versteckten sich vor ihm im Wasser. Sie schwammen aber bis nah ans Ufer heran, um das Antlitz des Jünglings zu betrachten. Da sahen sie, daß es so schön war wie der Mond in der Nacht seiner Fülle. und sie riefen ihm zu: ,Wer bist du, und wie bist du zu dieser Stätte gekommen? Und warum hast du das Gewand der Herrin Schamsa weggenommen?' Er antwortete ihnen: ,Kommet her zu mir, auf daß ich euch erzähle, wie es mir ergangen ist!' Nun fragte die Herrin Schamsa: ,Was ist es mit dir? Warum hast du gerade mein Kleid genommen, und woher kennst du mich unter meinen Schwestern?', O du mein Augenlicht,' sprach Dschanschâh zu ihr, ,komm heraus aus dem Wasser; ich will dir meine Geschichte erzählen und dir berichten, was mir widerfahren ist, und dir kundtun, wieso ich dich kenne.' Aber sie bat: ,Lieber Herr, du mein Augentrost, du meines Herzens Frucht, gib mir mein Kleid, auf daß ich es anlege und mich darin einhülle; dann will ich zu dir herauskommen.' Doch er entgegnete ihr: ,O du Herrin der Schönen, ich kann dir dein Kleid nicht geben und mich selbst in den Liebestod treiben! Ich gebe es dir nicht eher, als bis Scheich Nasr, der König der Vögel, kommt.' Als die Herrin Schamsa seine Worte vernommen hatte, sprach sie zu ihm: ,Wenn du



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mir also mein Kleid nicht wiedergeben willst, so tritt ein wenig von uns zurück, auf daß meine Schwestern ans Ufer gehen und ihre Kleider anlegen und mir ein wenig abgeben, mit dem ich meine Blöße bedecken kann!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Dschanschâh, ging von ihnen fort und trat in den Pavillon ein. Da kamen alle drei ans Ufer, die Herrin Schamsa und ihre Schwestern; die Schwestern legten ihre Federkleider an, und die älteste Schwester gab der Herrin Schamsa etwas von ihrer Gewandung ab, doch nicht genug, um damit fliegen zu können. Nun kam sie daher, als wäre sie der aufgehende Vollmond. der helle, oder eine äsende Gazelle; und sie schritt auf Dschanschâh zu, den sie auf dem Throne sitzen sah. Sie grüßte ihn und setzte sich in seiner Nähe nieder; dann hub sie an: ,O du Jüngling mit dem schönen Antlitz, du treibst mich und dich selber in den Tod. Doch erzähle uns deine Erlebnisse. damit wir erkennen, wie es um dich steht!' Bei diesen Worten der Herrin Schamsa weinte der Prinz so heftig, daß sein Gewand von den Tränen naß ward; da wußte sie, daß er von Liebe zu ihr ergriffen war. Und sie stand auf, faßte ihn bei der Hand und setzte ihn neben sich und trocknete seine Tränen mit ihrem Ärmel. Dann sprach sie zu ihm: ,Du Jüngling mit dem schönen Antlitz, laß dies Weinen und erzähle mir, was dir widerfahren ist!' Nun erzählte er ihr seine Abenteuer und berichtete ihr, was er erlebt hatte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 512. zwölfte Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Herrin Schamsa zu Dschanschâh sprach: ,Erzähle mir, was dir widerfahren ist', und daß er ihr von allen seinen Erlebnissen berichtete. Doch als sie solches von ihm hören mußte, seufzte sie auf und sprach:



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,Lieber Herr, wenn du mich so heiß liebst, so gib mir mein Gewand, auf daß ich es anlege und mit meinen Schwestern zu den Meinigen fliege und ihnen erzähle, was du in deiner Liebe zu mir erduldet hast. Dann will ich zu dir zurückkehren und dich in deine Heimat tragen.' Wie er diese Worte aus ihrem Munde vernahm, weinte er bitterlich, und er fragte sie: ,Ist es dir vor Allah erlaubt, mich ungerecht zu töten?' ,Lieber Herr,' erwiderte sie, ,wie könnte ich dich je ungerecht töten?' Er gab ihr zur Antwort: ,Wenn du dein Gewand angelegt und mich auf immer verlassen hast, so werde ich zur selbigen Stunde sterben.' Über diese Antwort lachte die Herrin Schamsa, und auch ihre Schwestern mußten lachen. Dann aber sagte sie: ,Hab Zuversicht und quäl dich nicht! Es ist ja sicher, daß ich mich mit dir vermähle.' Und sie neigte sich ihm zu und umarmte ihn und zog ihn an ihre Brust und küßte ihn auf Stirn und Wange. Eine lange Weile hielten die beiden sich umschlungen; dann aber rissen sie sich voneinander los und setzten sich auf das Thronlager. Da ging ihre älteste Schwester aus dem Pavillon hinaus in den Garten, holte einige Früchte und Blumen und brachte sie ihnen. Und sie aßen und tranken, waren froh und guter Dinge, scherzten und spielten. Nun war Dschanschâh von herrlicher Schönheit und Lieblichkeit und schlanken Wuchses Ebenmäßigkeit; und die Herrin Schamsa sprach zu ihm: ,Mein Lieb, bei Allah, ich liebe dich herzinniglich, und ich will nie mehr von dir lassen.' Wie der Prinz diese Worte von ihr vernahm, schwoll ihm die Brust vor Freude, und er lachte, daß seine Zähne blitzten; und alle blieben beieinander, lachend und scherzend. Während sie so in Glück und Freude vereint waren, kehrte Scheich Nasr von der Heerschau der Vögel zurück; und als er zu ihnen kam, erhoben sich alle vor ihm, begrüßten ihn und küßten ihm die Hände. Der Alte hieß sie willkommen und



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bat sie, sich wieder zu setzen. Nachdem sie das getan hatten, sprach er zu der Herrin Schamsa: ,Dieser Jüngling liebt dich herzinniglich, und ich beschwöre dich um Allahs willen, nimm dich seiner gütig an! Denn er gehört zu den Großen unter den Menschen und zu den Söhnen der Könige; sein Vater gebietet über das Land von Kabul und beherrscht ein gewaltiges Reich.' Auf diese Worte des Scheichs antwortete die Herrin Schamsa: ,Ich höre und gehorche deinem Gebot!' Dann küßte sie ihm die Hände und blieb in Ehrfurcht vor ihm stehen. Er aber fuhr fort: ,Wenn du die Wahrheit sprichst, so schwöre mir bei Allah, daß du ihm nicht untreu werden willst, solange du in den Banden des Lebens weilst !'Da schwor sie ihm einen feierlichen Eid, sie wolle dem Jüngling nie untreu werden und sie wolle sich ihm gewißlich vermählen. Und sie bekräftigte ihren Schwur noch einmal mit den Worten: ,So wisse denn, Scheich Nasr, ich werde mich nie von ihm trennen!' Nachdem sie also geschworen hatte, glaubte der Scheich ihrem Eide, und er sprach zu Dschanschâh: ,Preis sei Allah, der alles zwischen dir und ihr zum Guten gefügt hat!' Darüber war Dschanschâh hoch erfreut, und er blieb mit der Herrin Schamsa drei Monate lang bei Scheich Nasr; und sie aßen und tranken, spielten und scherzten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 513. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschanschâh mit der Herrin Schamsa drei Monate lang bei Scheich Nasr blieb, daß sie aßen und tranken und spielten und sehr glücklich waren. Doch als diese Monate verstrichen waren, sprach sie zu Dschanschâh: ,Ich will mit dir in deine Heimat ziehen: dort wollen wir uns vermählen, und dort wollen wir bleiben.' ,Ich höre und ge



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horche!' erwiderte er. Dann beriet er sich mit Scheich Nasr. indem er sprach: ,Siehe, wir wollen in mein Land ziehen', und ihm des weiteren berichtete, was die Herrin Schamsa gesagt hatte. ,Ziehet heim,' sprach der Alte, ,und nimm du dich ihrer in Treuen an!' Dschanschâh sagte: ,Ich höre und gehorche!' Darauf verlangte sie ihr Federkleid, und sie sprach: ,Scheich Nasr, befiehl ihm, daß er mir mein Gewand gibt, damit ich es anlege.' Der Alte gebot ihm: ,Dschanschâh, gib ihr das Kleid, das ihr gehört!' Der Prinz gehorchte seinem Befehl, ging eilends fort, trat in den Pavillon ein, holte das Kleid und gab es ihr. Nachdem sie es von ihm in Empfang genommen hatte, legte sie es an und sprach zu ihm: ,Dschanschâh, steig auf meinen Rücken, schließe deine Augen und verstopfe deine Ohren, damit du das Brausen der kreisenden Sphären nicht hörst; halte dich auch mit deinen Händen an meinem Federkleide fest, solange du auf meinem Rücken bist, und gib acht, daß du nicht hinabfällst!' Der Prinz gehorchte ihren Worten und stieg auf ihren Rücken; doch als sie gerade fortfliegen wollte, rief Scheich Nasr: ,Warte, ich will dir das Land von Kabul beschreiben, damit ihr den Weg nicht verfehlet!' Sie wartete also, bis er ihr jenes Land geschildert und noch einmal den Prinzen ihrer Obhut empfohlen hatte; darauf nahm er Abschied von den beiden, und die Herrin Schamsa sagte ihren Schwestern Lebewohl, indem sie schloß: ,Nun ziehet heim zu den Eurigen und tut ihnen kund, wie es um mich und Dschanschâh steht!' Und im selben Augenblick erhob sie sich in die Lüfte und fuhr dahin wie ein Windstoß oder wie der flammende Blitz. Und auch ihre Schwestern flogen empor, kehrten zu den Ihren heim und brachten ihnen die Kunde von der Herrin Schamsa und Dschanschâh. Die Herrin Schamsa aber hielt in ihrem Fluge vom frühen Morgen bis zur Zeit des Nachmittagsgebetes



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nicht inne, während Dschanschâh sich auf ihrem Rücken festhielt. Doch um jene Stunde erspähte sie in der Ferne ein Tal, in dem Bäume sprossen und Bächlein flossen, und so sprach sie zu Dschanschâh: ,Ich denke, wir wollen in dem Tale dort landen, damit wir uns der Bäume und Kräuter erfreuen und dort die Nacht zubringen können!' ,Tu, wie du willst!', sprach er zu ihr; und sie ließ sich aus der Höhe hinab und landete in jenem Tale. Da stieg Dschanschâh von ihrem Rücken und küßte ihre Stirn. Dann setzten sich die beiden eine Weile ans Ufer eines Baches; und als sie sich wieder erhoben hatten, wanderten sie in dem Tale umher, indem sie sich dort umschauten und von den Früchten aßen. Das taten sie bis zum Abend, darauf gingen sie zu einem Baume und schliefen unter ihm bis zum Morgen. Und nun hieß die Herrin Schamsa den Prinzen wieder auf ihren Rücken steigen. Mit den Worten: ,Ich höre und gehorche!' folgte er ihrem Geheiß, und sie flog im selben Augenblick mit ihm davon. Vom Morgen bis zur Mittagszeit schwebte sie dahin; da kamen ihnen die Wegzeichen in Sicht, die Scheich Nasr ihnen angegeben hatte. Und als die Herrin Schamsa das bemerkte, schwebte sie aus den Wolken hinab auf ein weites Wiesenland in der Blumen Prachtgewand, mit äsenden Gazellen und sprudelnden Quellen, wo Bäume voll reifer Früchte standen und breite Bäche sich wanden. Nachdem sie den Boden erreicht hatte, stieg Dschanschâh von ihrem Rücken und küßte ihre Stirn. Sie aber fragte ihn: ,Mein Lieb, mein Augentrost, weißt du, wie viele Tagereisen wir geflogen sind?' ,Nein', gab er zur Antwort; und sie fuhr fort: ,Wir haben eine Strecke von dreißig Monaten zurückgelegt.' Da rief er: ,Preis sei Allah für unsere glückliche Ankunft!' Dann setzten sie sich nebeneinander nieder, aßen und tranken, spielten und scherzten. Und während sie so dasaßen,



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kamen plötzlich zwei Mamluken auf sie zu; einer von den beiden war jener, der bei den Pferden geblieben war, als Dschanschâh in das Fischerboot stieg, und der andere gehörte zu den Mamluken, die während der Jagd bei ihm gewesen waren. Sowie die beiden Dschanschâh erblickten, erkannten sie ihn als ihren Prinzen, grüßten ihn und sprachen zu ihm: ,Mit deiner Erlaubnis wollen wir zu deinem Vater eilen und ihm die frohe Botschaft von deiner Heimkehr bringen.' Der Prinz erwiderte: ,Gehet hin zu meinem Vater und bringt ihm die Kunde! Holt uns aber auch Zelte; denn wir wollen sieben Tage an dieser Stätte verweilen, um uns auszuruhen, bis das Geleit zu unserem Empfange kommt und wir im Prunkzuge uns in die Stadt begeben.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 514. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschanschâh zu den beiden Mamluken sprach: ,Gehet hin zu meinem Vater und bringt ihm die Kunde von mir! Holt uns aber auch Zelte; denn wir wollen sieben Tage an dieser Stätte verweilen, um uns auszuruhen, bis das Geleit zu unserem Empfange kommt und wir uns im Prunkzug in die Stadt begeben.' Da saßen die beiden Mamluken auf, ritten zu seinem Vater und sprachen zu ihm: ,Frohe Botschaft, o größter König unserer Zeit!' Als König Tighmûs ihre Worte hörte, fragte er: ,Was für frohe Botschaft bringt ihr mir? Ist etwa mein Sohn Dschanschâh gekommen?' ,Ja,' sprachen sie, ,dein Sohn Dschanschâh ist aus der Fremde heimgekehrt, und jetzt ist er dir nahe, auf der Karâni-Wiese.' Wie der König das hörte, ward er von gewaltiger Freude erfüllt, und er sank im Übermaß seiner Freude ohnmächtig zu Boden. Als er dann wieder zu sich kam, befahl er seinem Wesir,



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jedem der beiden Mamluken ein kostbares Ehrenkleid anzulegen und jedem eine Summe Geldes zu geben. ,Ich höre und gehorche!' sprach der Wesir und gab alsbald den Mamluken, was der König ihm befohlen hatte, indem er zu ihnen sprach: ,Nehmt dies zum Lohn für die frohe Botschaft, die ihr gebracht habt, mag sie wahr oder falsch sein!' Da beteuerten die beiden Mamluken: ,Wir lügen nicht. Soeben sind wir noch bei ihm gewesen und haben ihn begrüßt und ihm die Hände geküßt; und er hat uns befohlen, ihm Zelte zu bringen, da er sieben Tage auf der Karâni-Wiese bleiben will, bis daß die Wesire und die Emire und die Großen des Reiches kommen, um ihn zu empfangen.' Nun fragte der König: ,Wie ergeht es meinem Sohne?' Sie antworteten: ,Bei deinem Sohne ist eine Huri, als hätte er sie aus dem Paradiese entführt.' Als der König das hörte, befahl er, die Pauken zu schlagen und die Hörner zu blasen, und so ward die Freudenbotschaft verkündet. Auch schickte König Tighmûs die Freuden boten in der Stadt umher, um der Mutter Dschanschâhs und den Frauen der Emire und Wesire und der Großen des Reiches die Meldung zu überbringen. Die Boten zerstreuten sich in der Stadt und taten allem Volke kund, daß Dschanschâh gekommen sei. Dann rüstete König Tighmûs sich mit all seinen Kriegern und Mannen und begab sich mit ihnen zur Karâni-Wiese. Während nun der Prinz zur Seite der Herrin Schamsa ruhig dasaß, kamen plötzlich die Krieger auf sie zu. Da sprang er auf und ging ihnen entgegen. Die Krieger aber stiegen von ihren Rossen ab, als sie ihn erkannten, und kamen ihm zu Fuß entgegen, grüßten ihn und küßten ihm die Hände. Und dann ging der Prinz, geführt von den Kriegern in einzelnen Reihen, weiter dahin, bis er zu seinem Vater kam. Kaum aber erblickte König Tighmûs seinen Sohn, da warf er sich vom Rücken seines Rosses hinab und



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umarmte ihn unter Tränen der Freude. Dann saß er wieder auf, und auch sein Sohn und die Krieger zu seiner Rechten und zu seiner Linken stiegen zu Pferde, und sie zogen dahin, bis sie zum Ufer des Flusses kamen. Dort saßen die Krieger und die Mannen ab, schlugen die Zelte und Prunkzelte auf und errichteten die Standarten; und die Trommeln wirbelten, die Flöten erklangen, die Pauken dröhnten und die Hörner schmetterten. Nun befahl König Tighmûs den Zeltaufschlägern, ein Zelt aus roter Seide zu bringen und es für die Herrin Schamsa herzurichten. Nachdem sie den Befehl ausgeführt hatten, legte sie ihr Federkleid ab, begab sich in jenes Zelt und setzte sich dort nieder. Kaum hatte sie sich gesetzt, da traten auch schon König Tighmûs und ihm zur Seite sein Sohn Dschanschâh bei ihr ein. Wie sie den König erblickte, erhob sie sich und küßte den Boden vor ihm. Darauf setzte der König sich nieder, nahm seinen Sohn zu seiner Rechten und die Herrin Schamsa zu seiner Linken, hieß die Maid willkommen und sprach zu seinem Sohne: ,Berichte mir, was dir auf deiner Wanderschaft widerfahren ist!' Als der ihm nun seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende erzählt hatte, war der König aufs höchste erstaunt, und er wandte sich zu der Herrin Schamsa mit den Worten: ,Preis sei Allah. der dir Seinen Beistand lieh, so daß du mich wieder mit meinem Sohne vereinen konntest; dies ist fürwahr Seine übergroße Güte!" — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 515. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Tighmûs zur Herrin Schamsa sprach: ,Preis sei Allah, der dir Seinen Beistand lieh, so daß du mich wieder mit meinem Sohne vereinen konntest:



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dies ist fürwahr Seine übergroße Güte! Jetzt aber möchte ich, daß du dir von mir erbittest, was du wünschest, damit ich es tun kann, um dich zu ehren.' Die Herrin Schamsa gab ihm zur Antwort: ,Ich bitte dich, daß du mir ein Schloß, zu dessen Füßen das Wasser fließt, inmitten eines Blumengartens erbauest.' ,Ich höre und willfahre', erwiderte der König, und während sie noch so sprachen, kam plötzlich die Mutter des Prinzen, begleitet von all den Frauen der Emire und Wesire und der Großen der Stadt. Als ihr Sohn sie erblickte, eilte er vor das Zelt hinaus ihr entgegen. Eine lange Weile hielten sie sich in den Armen; dann aber begann die Mutter vor übergroßer Freude in Tränen auszubrechen, und sie hub an diese beiden Verse zu sprechen:

Jetzt ist so große Freude über mich gekommen,
Daß mich zum Weinen bringt das Übermaß der Lust.
O Aug, dir sind die Tränen so vertraut geworden,
Daß du vor Freude und vor Trauer weinen mußt.

Dann klagten sie einander alles, was sie durch die Trennung und die Schmerzen der Sehnsucht erlitten hatten. Der König aber begab sich in sein Zelt, während Dschanschâh mit seiner Mutter in sein eigenes Zelt ging; dort setzten die beiden sich nieder und plauderten miteinander. Und während sie dort saßen, kamen Boten und meldeten das Nahen der Herrin Schamsa, indem sie zur Mutter des Prinzen sprachen: ,Sieh, Schamsa kommt zu dir, sie ist auf dem Wege, um dir ihren Gruß zu entbieten.' Als die Königin das hörte, erhob sie sich, ging der Kommenden entgegen und begrüßte sie; eine Weile saßen die beiden beieinander. Dann aber erhob sich die Königin, und die Herrin Schamsa tat das gleiche; und nun gingen alle, die Königin und die Prinzessin und die Frauen der Emire und der Großen des Reiches miteinander zu dem Zelte, das



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der Herrin Schamsa bestimmt war. Nachdem sie dort eingetreten waren, setzten sie sich nieder. Derweilen verteilte König Tighmûs Gaben aus voller Hand und beschenkte alles Volk im Land. da er sich so unendlich über seinen Sohn freute. Zehn Tage lang blieben sie an jener Stätte, aßen und tranken und führten ein herrliches Leben. Danach gab der König seinen Kriegern Befehl, aufzubrechen und in die Stadt zurückzukehren. Und er saß auf, auch die Krieger und Mannen rings um ihn stiegen zu Pferde, die Wesire und Kammerherren ritten zu seiner Rechten und zu seiner Linken, und so zogen sie dahin, bis sie in die Stadt einritten, während die Mutter Dschanschâhs sich mit der Herrin Schamsa in ihren Serail begab. Die Stadt war aufs schönste geschmückt, Trommelwirbel verkündete die frohe Botschaft; alle Häuser waren mit Zierat und kostbaren Stoffen behangen, und prächtige Brokate waren ausgebreitet, so daß die Hufe der Rosse darüber schritten. Die Großen des Reiches waren voll Freude und brachten Geschenke, die Zuschauer waren voll Staunen, die Armen und Bedürftigen wurden gespeist, und man feierte ein großes Freudenfest zehn Tage lang. Und die Herrin Schamsa war hoch beglückt, als sie all das sah. Dann aber ließ König Tighmûs die Bauherren und Architekten und Meister der Kunst rufen und befahl ihnen, ein Schloß in jenem Garten zu erbauen. Sie antworteten: ,Wir hören und gehorchen!' und machten sich alsbald daran, den Bau zu errichten, und vollendeten ihn in der schönsten Weise. Dschanschâh aber hatte, als er hörte, daß der Befehl erlassen sei, das Schloß zu erbauen, den Werkleuten geboten, einen Block von weißem Marmor zu bringen und ihn nach Art einer Truhe zu behauen und auszumeißeln. Nachdem die seinen Befehl ausgeführt hatten, nahm er das Federkleid der Herrin Schamsa, mit dem sie zu fliegen pflegte, barg es in jener Truhe



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und ließ sie in die Fundamente des Schlosses versenken. Dann hieß er die Bauleute darüber die Bögen errichten, auf denen das Schloß ruhen sollte. Als nun der Bau vollendet war, wurde er ausgestattet, und er ward zu einem herrlichen Schloß mitten in jenem Garten, und zu seinen Füßen flossen die Bäche. Und schließlich nach alledem ließ der König die Vermählung Dschanschâhs feiern, und das war ein großes Freudenfest ohnegleichen; die Herrin Schamsa wurde darauf im hochzeitlichen Zuge zum Schloß geleitet, und dann ging ein jeder seiner Wege. Als die Prinzessin aber eingetreten war, verspürte sie den Duft ihres Federkleides - —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 516. sechzehnte Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Herrin Schamsa, als sie in jenes Schloß eingetreten war, den Duft des Federkleides verspürte, in dem sie zu fliegen pflegte; und sie erriet, wo es sich befand, und beschloß, es wiederzuholen. So wartete sie, bis um Mitternacht Dschanschâh in tiefen Schlaf versunken war; dann erhob sie sich und begab sich zu der Truhe, über der die Bögen erbaut waren, grub dort nach, bis sie zu der Truhe mit dem Kleide gelangte, und nahm das Blei ab, mit dem sie verschlossen war. Alsbald holte sie das Kleid heraus, legte es an und flog im selben Augenblick empor und setzte sich oben auf das Dach des Schlosses. Von dort rief sie den Leuten im Schlosse zu: ,Ich bitte euch, bringt mir Dschanschâh, auf daß ich ihm Lebewohl sagen kann!' Sie meldeten es dem Prinzen, und der ging hinaus zu ihr; und wie er sie oben auf dem Dache des Schlosses im Federkleide sah, fragte er sie: ,Wie konntest du mir das antun?' Sie erwiderte ihm: ,Du mein Lieb, mein Augentrost, meines Herzens Frucht, bei Allah, ich liebe dich über die Maßen, und



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ich bin so unendlich froh, daß ich dich in dein Heimatland zurückgebracht und deine Mutter und deinen Vater gesehen habe. Doch wenn du mich liebst, so wie ich dich liebe, so komm zu mir nach Takni, dem Edelsteinschloß!' Und zur selbigen Stunde schwebte sie davon und flog zu den Ihren. Dschanschâh aber, der die Worte der Herrin Schamsa vom Dache des Schlosses herunter vernommen hatte, war wie tot vor Verzweiflung und sank ohnmächtig nieder. Da eilten die Leute zu seinem Vater und brachten ihm die Kunde. Der saß alsbald auf und ritt zu dem Schlosse; und als er dort angekommen war und seinen Sohn am Boden liegen sah, weinte er, denn er wußte, daß sein Sohn die Herrin Schamsa leidenschaftlich liebte. Er sprengte ihm aber Rosenwasser ins Antlitz, so daß der Prinz wieder zu sich kam. Wie der nun seinen Vater zu seinen Häupten sah, hub er an zu weinen, weil er seine Gemahlin verloren hatte. Doch sein Vater fragte ihn: ,Was ist dir widerfahren, mein Sohn?' Und er antwortete: ,Wisse, mein Vater, die Herrin Schamsa gehört ja zu den Töchtern der Geister; aber ich liebe sie von ganzem Herzen, und ihre Schönheit hat mich berückt. Nun hatte ich ein Kleid, das ihr gehörte und ohne das sie nicht fliegen konnte; und ich hatte das Kleid genommen und in einer Truhe aus einem Steinblock verborgen. Die Truhe hatte ich mit Blei verschlossen und in den Fundamenten des Schlosses vergraben. Sie aber grub dort nach, nahm das Kleid, legte es an und flog empor; dann setzte sie sich auf das Dach des Schlosses und rief mir zu: Ich liebe dich, und ich habe dich in dein Heimatland gebracht und dich mit Vater und Mutter wieder vereint; und wenn du mich liebst, so komm zu mir nach Takni, dem Edelsteinschloß. Dann flog sie von dein Dache des Schlosses auf und davon.' ,Mein Sohn,' sagte König Tighmûs darauf, ,gräme dich nicht! Wir wollen alle Kaufherren



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und Reisenden im Lande versammeln und sie nach jenem Schlosse fragen; und wenn wir erfahren, wo es liegt, wollen wir dorthin ziehen und zu den Angehörigen der Herrin Schamsa gehen, und wir wollen zu Allah dem Erhabenen flehen, daß jene sie dir geben, damit sie wieder deine Gemahlin wird.' Damit ging der König fort und berief alsbald seine vier Wesire und sprach zu ihnen: ,Rufet mir alle Kaufleute und Reisenden, die in der Stadt sind, zusammen und fragt sie nach dem Edelstein schloß Takni. Wenn einer es kennt und uns dorthin führt, so will ich ihm funfzigtausend Dinare geben.' Nachdem die Wesire seine Worte angehört hatten, sprachen sie: ,Wir hören und gehorchen!' gingen alsbald fort und führten den Befehl des Königs aus. Sie fragten alle Kaufleute und Reisenden im Lande nach dem Edelsteinschloß Takni; aber keiner konnte ihnen darüber Auskunft geben. Da gingen sie wieder zum König und sagten es ihm. Kaum hatte er das erfahren, so befahl er, man solle seinem Sohne schöne Mädchen bringen, Sklavinnen, in deren Händen die Musikinstrumente erklangen, und Odalisken, die da sangen, derengleichen nur bei Königen zu finden waren, auf daß er von seiner Liebe zur Herrin Schamsa abgelenkt würde. Und sein Befehl ward ausgeführt. Darauf sandte er Späher und Kundschafter in alle Länder, zu allen Inseln und nach allen Richtungen, um nach dem Edelsteinschlosse Takni zu fragen. Zwei Monate lang forschten jene danach; aber niemand konnte ihnen darüber Auskunft geben, und so kehrten sie zum König zurück und sagten es ihm. Da weinte er bitterlich und begab sich zu seinem Sohne Dschanschâh; den fand er, wie er zwischen den Mädchen, den Odalisken, den Harfnerinnen und Lautenspielerinnen und anderen Musikantinnen dasaß, ohne daß er sich durch sie von der Herrin Schamsa ablenken ließ. Und er sprach zu ihm: ,Mein



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Sohn, ich habe niemanden gefunden, der jenes Schloß kennt; so will ich dir denn eine bringen, die noch schöner ist als sie.' Als Dschanschâh diese Worte von seinem Vater vernahm, begann er zu weinen und in Tränen auszubrechen, und er hub an diese beiden Verse zu sprechen:

Geduld schwand mir dahin, die Sehnsucht ist geblieben;
Mein Leib ist siech, von schwerer Liebespein gebannt.
Wann wird mich das Geschick mit Schamsa einst vereinen,
Wo mein Gebein zerfällt, von Trennungsschmerz verbrannt?

Nun herrschte zwischen König Tighmûs und dem König von Indien bittere Feindschaft, da König Tighmûs jenen angegriffen, seine Mannen getötet und seine Schätze geraubt hatte. Jener König von Indien war König Kafîd geheißen, und er hatte viele Mannen, Krieger und Helden; auch hatte er tausend Ritter, von denen ein jeder über tausend Stämme gebot, und jeder von diesen Stämmen vermochte viertausend Berittene zu stellen. Er hatte vier Wesire; und Könige, Große und Emire und mächtige Heereshaufen standen unter seiner Herrschaft; ferner gebot er über tausend Städte, und jede Stadt hatte tausend Burgen. Ja, er war ein gewaltiger, trutziger König, und seine Heere erfüllten alle Lande. Als damals nun König Kafîd von Indien erfuhr, daß König Tighmûs wegen der Liebe zu seinem Sohn in Sorgen war, daß er Regierung und Reich vernachlässigte und seine Heere sich verminderten, und daß er von schwerer Not bedrängt war, eben weil die Liebe zu seinem Sohn ihn ganz in Anspruch nahm, da versammelte er die Wesire und Emire und die Großen des Reiches und sprach zu ihnen: ,Ihr wißt doch noch, wie König Tighmûs einst über unser Land herfiel und meinen Vater und meine Brüder tötete, und wie er dann unsere Schätze raubte! Unter euch ist wohl keiner, dem er nicht einen der Seinen getötet, dem er nicht sein Gut



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geraubt und seine Habe geplündert, dem er nicht Weib und Kind in die Gefangenschaft geschleppt hätte. Nun habe ich heute gehört, daß er wegen der Liebe zu seinem Sohne Dschanschâh in Sorgen ist und daß seine Heere sich vermindert haben; jetzt ist es also Zeit für uns, Blutrache an ihm zu nehmen. Drum auf, haltet euch bereit zum Zuge wider ihn, rüstet das Kriegsgerät zum Angriff auf ihn! Laßt es an nichts fehlen; wir wollen wider ihn zu Felde ziehen und ihn angreifen, wir wollen ihn und seinen Sohn erschlagen und von seinem Lande Besitz ergreifen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 517. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Kafîd von Indien seinen Mannen und Kriegern befahl, wider das Land des Königs Tighmûs zu reiten, indem er zu ihnen sprach: ,Haltet euch bereit zum Zuge wider ihn, rüstet das Kriegsgerät zum Angriff auf ihn! Laßt es an nichts fehlen; wir wollen wider ihn zu Felde ziehen und ihn angreifen, wir wollen ihn und seinen Sohn erschlagen und von seinem Lande Besitz ergreifen!' Als sie seine Worte vernommen hatten, antworteten sie ihm: .Wir hören und gehorchen!' Und alsbald begann ein jeder von ihnen sein Kriegsgerät zu rüsten. Drei Monate lang waren sie beschäftigt, Kriegsgerät und Waffen zu rüsten und die Truppen zu sammeln. Als dann aber die Heere und Mannen und Helden vollzählig beieinander waren, wurden die Trommeln geschlagen und die Hörner geblasen, und die Banner und Feldzeichen wurden aufgepflanzt. Darauf zog König Kafîd an der Spitze seiner Heerhaufen hinaus und ritt dahin, bis er an die Grenze des Landes Kabul, der Herrschaft des Königs Tighmûs, gelangte. Dort begannen sie das Land auszuplündern, unter den



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Einwohnern zu wüten, die Alten zu morden und die Jungen in Gefangenschaft zu schleppen. Als König Tighmûs diese Kunde vernahm, ergrimmte er gewaltig, und alsbald berief er die Großen seines Reiches, seine Wesire und die Emire seiner Herrschaft und sprach zu ihnen: ,Wisset, Kafîd ist in unser Land eingefallen, er hat unser Gebiet betreten und will Krieg gegen uns führen; er hat Mannen und Helden und Krieger bei sich, soviele, daß nur Allah der Erhabene ihre Zahl kennt. Was ratet ihr nun, zu tun?' Sie gaben zur Antwort: ,O größter König unserer Zeit, unser Rat geht dahin, daß wir wider ihn zu Felde ziehen und mit ihm kämpfen und aus unserem Lande jagen.' ,So rüstet denn zum Kampfe!' erwiderte der König und ließ die Panzer und Kürasse, Helme und Schwerter herausholen und all das Kriegsgerät, das die Helden vernichtet und die tapferen Männer zugrunde richtet. Und nun strömten die Krieger, die Mannen und Helden herbei und rüsteten sich zum Streite; die Fahnen wurden aufgepflanzt, die Pauken dröhnten, die Hörner bliesen, die Trommeln wirbelten und die Pfeifen erklangen, und der König Tighmûs zog aus mit seinen Heerscharen zum Kampfe mit König Kafîd. Er ließ nicht eher Halt machen, als bis er dem Feinde nahe war; dann lagerte er sich in einem Tale des Namens Wâdi Zahrân, nahe der Grenze des Landes von Kabul. Dort schrieb er einen Brief an König Kafîd und ließ ihn durch einen Boten aus seinem Heere zu ihm tragen. Dieser Brief lautete folgendermaßen: ,Ohne Gruß tun wir Dir zu wissen, König Kafîd, daß Dein Tun das Tun des Gesindels ist. Wenn Du wirklich ein König, der Sohn eines Königs, wärest, so hättest Du dergleichen nicht getan. Dann wärest Du nicht in mein Land eingedrungen, hättest nicht das Gut der Einwohner geplündert und nicht unter meinem Volke gewütet. Weißt Du nicht, daß dies alles Gewalttat Deinerseits



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ist? Hätte ich geahnt, daß Du in mein Land einfallen wolltest, so wäre ich Dir längst zuvorgekommen und hätte Dich von meinem Lande zurückgehalten. Wenn Du nun umkehrst und weiterem Unheil zwischen mir und Dir vorbeugst, so mag es damit sein Bewenden haben. Willst Du aber nicht heimkehren, so tritt mir auf offenem Kampffelde entgegen und streit mit mir an der Stätte, da Schwerter und Lanzen sich regen!' Dann versiegelte er den Brief und übergab ihn einem Hauptmann aus seinem Heere; den sandte er mit Spähern aus, die ihm Kundschaft bringen sollten. Jener Bote also zog mit dem Briefe dahin, bis er in die Nähe des feindlichen Königs kam. Dort schaute er sich um und erblickte von weitem ein Lager mit Zelten aus Satin, sah Fahnen aus blauer Seide und entdeckte unter den Zelten ein großes Prunkzelt aus roter Seide, das von einer starken Wachmannschaft umgeben war. So ging er denn weiter, gerade auf jenes Zelt zu, und als er fragte, sagte man ihm, es sei das Zelt des Königs Kafîd. Er schaute hinein und sah den König auf einem Throne sitzen, der mit Edelsteinen besetzt war, umgeben von den Wesiren und Emiren und Großen des Reiches. Da hielt er den Brief in seiner Hand hoch, und alsbald kam eine Schar von den Wachen des Königs auf ihn zu. nahm ihm das Schreiben ab und brachte es dem König. Der nahm es entgegen, und nachdem er es gelesen und seinen Sinn verstanden hatte, schrieb er eine Antwort dieses Inhalts: ,Ohne Gruß tun wir Dir kund, König Tighmûs, daß wir den festen Willen haben. die Blutrache zu vollstrecken und die Schande zu bedecken. Wir bringen Verwüstung in das Land, wir zerreißen die Vorhänge mit unserer Hand; wir töten die Mannen und schleppen die Kinder von dannen. Wohlan, tritt mir morgen zum Kampf auf dem Blachfeld entgegen, auf daß ich Dir zeige, wie Schwert und Lanze sich regen!' Nachdem



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er das Schreiben versiegelt hatte, übergab er es dem Boten des Königs Tighmûs, der nahm es hin und ging davon. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 518 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König Kafîd die Antwort auf den Brief des Königs Tighmûs dem Boten übergab. Der nahm sie hin und kehrte zurück; und als er vor seinem König stand, küßte er den Boden vor ihm, überreichte ihm den Brief und berichtete, was er geschen hatte, indem er sprach: ,O größter König unserer Zeit, ich sah Ritter und Helden und Mannen, deren Menge keine Zahl beschreibt und deren Macht immer ungebrochen bleibt.' Nachdem der König die Antwort gelesen und ihren Sinn verstanden hatte, ergrimmte er gewaltig, und er befahl seinem Wesire 'Am Zâr, aufzusitzen und mit tausend Reitern um Mitternacht über das Lager des Königs Kafîd herzufallen, auf die Krieger loszuschlagen und sie zu töten. ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Wesir 'Am Zâr; und alsbald saß er auf mit den Kriegern und Mannen, und sie zogen wider den König Kafîd aus. Nun hatte dieser einen Wesir namens Ghatrafân; dem befahl er, mit fünftausend Reitern wider das Lager des Königs Tighmûs zu ziehen, über die Krieger herzufallen und sie zu töten. Der Wesir Ghatrafân tat, wie ihm sein König befohlen hatte, und zog mit seinen Leuten gegen König Tighmûs. Sie ritten dahin bis Mitternacht; da hatten sie den halben Weg zurückgelegt, und da trafen sie plötzlich auf das Heer des Wesirs 'Am Zâr. Und Mann schrie gegen Mann, und ein erbitterter Streit begann; bis zum Anbruch des Tages kämpften sie miteinander. Als es aber Morgen ward, waren die Krieger des Königs Kafîd geschlagen, sie wandten den Rücken und flohen zu ihm zurück. Wie er das



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sehen mußte, ergrimmte er gewaltig und schrie sie an: ,'Weh euch! Was ist mit euch geschehen, daß ihr eure Helden verloren habt?' Sie gaben ihm zur Antwort: ,O größter König unserer Zeit, als der Wesir Ghatrafân ausritt und wir mit ihm wider König Tighmûs zogen, bis die halbe Nacht verstrichen war und wir die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, da trat uns 'Am Zâr, der Wesir des Königs Tighmûs, in den Weg und griff uns mit seinen Mannen und Helden an. Das geschah bei dem Wâdi Zahrân. Aber ehe wir uns dessen versahen, waren wir bereits mitten in dem feindlichen Heere, Auge blickte auf Auge, und wir fochten einen harten Strauß von Mitternacht bis Tagesanbruch. Viel Volks ward getötet; und plötzlich schrie der Wesir 'Am Zâr den Elefanten laut an und schlug ihm auf die Stirn. Der Elefant erschrak über den heftigen Schlag und trat die Reiter nieder und wandte sich zur Flucht. Da konnte keiner mehr den andern sehen, weil eine Wolke von Staub alles verhüllte, während das Blut wie ein Sturzbach das Tal erfüllte. Und wären wir nicht geflüchtet und hierhergekommen, so wären wir alle bis zum letzten Mann gefallen.' Als König Kafîd diesen Bericht vernommen hatte, rief er: ,Die Sonne soll euch nicht segnen, sondern in wildem Zorn wider euch entbrennen!' Inzwischen kehrte der Wesir 'Am Zâr zu König Tighmûs zurück und brachte ihm die Kunde. Da wünschte der König ihm Glück zur sicheren Heimkehr und war hocherfreut und befahl, die Trommeln zu schlagen und die Hörner zu blasen. Nun ward auch das Heer gemustert, und siehe da, zweihundert tapfere und wackere Reiter waren gefallen.

Darauf rüstete König Kafîd sein ganzes Heer, all seine Truppen und Mannen, zu neuem Kampfe und zog mit ihnen ins Feld. Dort stellten sie sich in Schlachtreihen auf, eine hinter



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der andern, und es waren ihrer fünfzehn, von denen eine jede zehntausend Reiter zählte. Auch hatte er dreihundert Recken. die auf Elefanten beritten waren, auserwählte Degen, Männer kühn und verwegen. Die Banner und Feldzeichen wehten, und mit Trommelschall und Hörnerhall zogen die Mannen zum Kampfe von dannen. Doch auch König Tighmûs stellte sein Heer auf, eine Reihe hinter der anderen, und das waren zehn Schlachtreihen, von denen eine jede zehntausend Reiter zählte; und er hatte bei sich hundert Kämpen, die zu seiner Rechten und Linken ritten. Als nun die Krieger in Schlachtordnung aufgestellt waren, rückten all die berühmten Ritter vor, und die Heere prallten aufeinander; die weite Erde ward zu eng für die Menge der Rosse, die Trommeln wurden geschlagen, die Pfeifen geblasen, die Pauken dröhnten und die Hörner ertönten, und die Trompeten schmetterten. Die Ohren wurden betäubt von dem Gewieher der Rosse auf dem Schlachtfelde, die Mannen erhoben die Schlachtrufe, und die Staubwolken wölbten sich über ihren Häuptern. So tobte ein heftiger Kampf vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Dunkelheit; dann trennten sich die Heere und kehrten zurück, ein jedes in sein Lager. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 519 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Heere sich trennten und zurückkehrten, ein jedes in sein Lager. Da musterte König Kafîd seine Truppen, und als erfand, daß fünftausend Mann gefallen waren, ergrimmte er gewaltig. Auch König Tighmûs musterte seine Truppen; doch er fand, daß dreitausend von seinen erlesensten und tapfersten Rittern getötet waren. Wie er das sehen mußte, ward auch er sehr zornig. Am nächsten



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Morgen zog König Kafîd wieder zum Schlachtfeld, und die Heere standen wie zuvor. Nun wollte jede von beiden Seiten den Sieg für sich erringen. Und König Kafîd rief seinen Kriegern zu: ,Ist einer unter euch gewillt, auf den Plan zu reiten und uns zu Hieb und Stich den Weg vorzubereiten?' Da ritt ein Held, Barkîk geheißen, auf einem Elefanten hervor; das war ein gewaltiger Held. Als er sich dem König näherte, sprang er von dem Rücken des Tieres hinab, küßte den Boden vor dem Herrscher und bat ihn um Erlaubnis zum Einzelkampf. Dann stieg er wieder auf seinen Elefanten, trieb ihn mitten auf den Plan und rief: ,Wer wagt es, hervorzutreten? Wer ist zu Waffenstreit und Kampf bereit?' Als König Tighmûs das hörte, wandte er sich seinem Heere zu und fragte: ,Wer von euch will es mit diesem Helden aufnehmen?' Da kam ein Reiter aus den Reihen hervor, der ritt auf einem edlen Roß von gewaltigem Bau, und er sprengte vor den König Tighmûs, saß ab und küßte den Boden vor ihm und bat um die Erlaubnis zum Einzelkampf. Dann ritt er auf Barkîk los, und als er nahe bei ihm war, schrie der ihn an: ,Wer bist du. daß du mich verhöhnen willst und allein wider mich auf den Plan trittst? Wie lautet dein Name?' ,Mein Name ist Ghadanfar' ibn Kamchîl', erwiderte er; und Barkîk fuhr fort: ,Ich habe von dir in meinem Lande gehört. Jetzt auf zum Streit, zwischen den Heldenscharen, die hier aufgereiht!' Als Ghadanfar diese Worte vernahm, zog er seine eherne Keule unter seinem Schenkel hervor, doch Barkîk schwang sein Schwert mit der Hand empor. Und die beiden fochten einen harten Strauß. Barkîk schlug mit dem Schwerte; und der Hieb traf Ghadanfars Helm, doch er fügte ihm keinen Schaden zu. Wie Ghadanfar das sah, ließ er die Keule auf den Gegner niedersausen,



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und da ward sein Leib zu Brei, flach auf dem Rücken des Elefanten. Alsbald sprengte ein anderer herbei und rief: ,Wer bist du, daß du meinen Bruder zu töten wagst?' Dann ergriff er seinen Wurfspeer und schleuderte ihn gegen Ghadanfar, und er traf seinen Schenkel mit solcher Kraft, daß er ihm den Panzer ans Fleisch nagelte. Wie Ghadanfar das merkte, zuckte er das Schwert mit der Hand, traf den Feind und spaltete ihn in zwei Hälften, so daß sein Leib zu Boden sank und in seinem Blute lag. Darauf wandte der Sieger sich um und eilte zu König Tighmûs zurück. Doch als König Kafîd das sah, rief er seinen Kriegern zu: ,Zieht ins Feld und streitet Held wider Held!' Auch König Tighmûs führte seine Krieger und Mannen zur Schlacht, und es entspann sich ein heißer Kampf. Roß wieherte wider Roß, Mann schrie gegen Mann; die Schwerter wurden gezückt, alle ruhmvollen Helden kamen angerückt; Ritter stritt gegen Ritter, doch die Feigen flohen aus dem Lanzengewitter. Die Trommeln erdröhnten, die Hörner ertönten; und die Streitenden hörten nichts als Stirnmengewirr und Waffengeklirr. Da fiel manch einer von den Helden. Und so ward weiter gekämpft, bis die Sonne hoch am Himmelsdom stand. Nun zog König Tighmûs mit seinem Heer in sein Zeltlager zurück, und König Kafîd tat desgleichen. Als König Tighmûs dann seine Mannen musterte, fand er, daß fünftausend Reiter gefallen und vier seiner Standarten zerbrochen waren; darüber ergrimmte er gewaltig. Auch König Kafîd musterte seine Heerschar, und er fand, daß sechshundert' seiner erlesensten und tapfersten Ritter getötet und neun Feldzeichen verloren waren. Nachdem drauf der Kampf zwischen ihnen drei Tage lang geruht hatte, schrieb König Kafîd einen Brief und sandte ihn mit einem Boten aus seinem



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Heere an einen König namens Fakûn el-Kalb; dieser Bote machte sich alsbald auf den Weg. Kafîd berief sich darauf, daß Fakûn von Mutters Seite her mit ihm verwandt war: und so sammelte jener, als er die Nachricht erhielt, sogleich seine Krieger und Mannen und zog zu König Kafîd. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 520. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Fakûn seine Krieger und Mannen sammelte und zu König Kafîd zog. Und so geschah es, daß plötzlich, als König Tighmûs ruhig dasaß, ein Mann zu ihm kam und ihm meldete: .Ich habe in der Ferne eine Staubwolke aufwirbeln und hoch gen Himmel steigen sehen.' Da befahl Tighmûs einer Schar seiner Truppen, zu erforschen, was die Staubwolke bedeute. Die Leute riefen: .Wir hören und gehorchen!' und ritten davon. Als sie heimkehrten, meldeten sie: ,O König, wir haben gesehen, wie die Wolke nach einer Weile vom Winde getroffen und zerteilt wurde; da erschienen unter ihr sieben Standarten, und unter jeder Standarte dreitausend Reiter, die sich zum König Kafîd begaben.'

Als nun König Fakûn el-Kalb beim König Kafîd eintraf, begrüßte er ihn und fragte: ,Wie steht es mit dir? Was bedeutet dieser Krieg, den du führst?' Jener erwiderte ihm: ,Weißt du nicht, daß König Tighmûs mein Feind ist und der Mörder meiner Brüder und meines Vaters? Ich bin jetzt gegen ihn zu Felde gezogen, um Blutrache an ihm zu nehmen.' Da sagte König Fakûn: ,Der Segen der Sonne ruhe auf dir!' Darauf nahm der König Kafîd den König Fakûn mit sich und führte ihn in sein Zelt, aufs höchste erfreut über ihn.

So stand es nun um die beiden feindlichen Könige. Sehen wir aber weiter, wie es dem Prinzen Dschanschâh erging! Der war



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zuerst zwei Monate allein geblieben, ohne daß er seinen Vater sah und ohne daß er einer von den Sklavinnen, die in seinem Dienste standen, erlaubte, zu ihm einzutreten. Doch dann kam große Unruhe über ihn, und er sprach zu einigen seiner Diener: ,Was ist es mit meinem Vater. daß er nicht mehr zu mir kommts' Da berichteten sie ihm, was zwischen seinem Vater und dem König Kafîd vorging; und alsbald rief er: ,Bringt mir mein Schlachtroß; ich will zu meinem Vater reiten.' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten die Diener und brachten ihm das Roß. Doch als er neben dem Tiere stand, sagte er bei sich: ,Ich kümmere mich um mich selber. Ich denke, ich will auf meinem Rosse in die Stadt der Juden reiten; und wenn ich erst dort bin, wird Allah mir meinen Weg erleichtern durch jenen Kaufmann, der mich einst in seinen Dienst nahm: vielleicht wird er es mit mir machen wie zuvor. Doch keiner weiß. woher das Gute kommt.' Dann saß er auf und nahm tausend Reiter mit sich; und wie er ausritt, sagten die Leute: ,Nun zieht Dschanschâh zu seinem Vater, um an seiner Seite zu kämpfen.' Bis zum Abend zog die Schar dahin; dann machte sie auf einer großen Wiese halt, um dort die Nacht zu verbringen. Nachdem die Leute sich zur Ruhe begeben hatten und Dschanschâh bemerkt hatte, daß alle seine Krieger schliefen, erhob er sich heimlich, gürtete sich, bestieg sein Roß und machte sich auf den Weg nach Baghdad, weil er von den Juden gehört hatte, daß von dort alle zwei Jahre eine Karawane zu ihnen käme; und er beschloß bei sich, wenner nach Baghdad komme, so wolle er mit der Karawane zur Stadt der Juden ziehen. Und fest entschlossen zog er seines Weges. Als aber die Krieger aus ihrem Schlafe erwachten und weder Dschanschâh noch sein Roß erblickten, saßen sie auf und suchten nach ihm überall. Doch sie fanden keine Spur von ihm, und so begaben sie sich



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zu seinem Vater und berichteten ihm, was sein Sohn getan hatte. Der geriet in eine gewaltige Erregung; fast sprühten Funken aus seinem Munde, er warf seine Krone von seinem Haupte und rief: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah! Meinen Sohn habe ich verloren, und der Feind steht immer noch vor mir!' Doch die Könige und Wesire sprachen zu ihm: ,Gedulde dich, o größter König unserer Zeit! Geduld kann nur Gutes bringen.'

Derweilen war Dschanschâh ob der Trennung von seinem Vater und von seiner Geliebten tief betrübt; sein Herz war zerrissen, seine Augen waren wund, und er wachte Tag und Nacht. Doch als sein Vater erfuhr, daß sein Heer so große Verluste erlitten hatte, ließ er von dem Kampf mit seinem Feinde ab und kehrte zu seiner Hauptstadt zurück; dort zog er ein, verschloß die Tore und befestigte die Mauern. So flüchtete er vor dem König Kafîd. Jener aber kam in jedem Monat vor die Stadt und forderte sieben Nächte und acht Tage hindurch zu Kampf und Streit heraus; dann kehrte er mit seinem Heere zu den Zelten zurück, um die verwundeten Krieger zu pflegen. Die Leute in der Stadt aber pflegten, wenn der Feind abzog, ihre Waffen auszubessern, die Mauern zu befestigen und die Wurfmaschinen herzurichten. Das blieb so zwischen König Tighmûs und König Kafîd sieben Jahre lang; die ganze Zeit hindurch war Krieg zwischen ihnen beiden. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 521. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß es zwischen König Tighmûs und König Kafîd sieben Jahre lang so blieb.

Wenden wir uns nun von ihnen wieder zu Dschanschâh zurück! Der zog immer weiter dahin, indem er Wüsten und



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Steppen durchmaß, und jedesmal, wenn er in eine neue Stadt kam, fragte er nach dem Edelsteinschlosse Takni; aber niemand konnte ihm darüber Auskunft geben, sondern alle antworteten ihm nur: ,Wir haben niemals von diesem Namen gehört.' Schließlich fragte er nach der Stadt der Juden, und da erzählte ihm ein Kaufmann, sie liege im äußersten Osten. Der Mann fügte aber auch noch hinzu: ,Reise doch noch in diesem Monate mit uns nach Mizrakân: das ist eine Stadt in Indien. Von dort ziehen wir weiter nach Chorasân; dann reisen wir nach Madînat Schirn'ûn und zuletzt nach Chwarizm. Dann ist es von dort nicht mehr weit bis zur Stadt der Juden; zwischen beiden liegt nur ein Weg von einem Jahre und drei Monaten.' Da wartete Dschanschâh, bis die Karawane auf brach, und er zog mit ihr, bis daß sie zur Stadt Mizrakân gelangten. Wie er dorthin kam, fragte er wieder nach dem Edelsteinschlosse Takni; aber keiner konnte ihm Auskunft geben. Weiter zog die Karawane, und er mit ihr, nach der Hauptstadt von Indien. Auch dort fragte er nach dem Edelsteinschlosse Takni; aber niemand konnte ihm etwas darüber sagen, sondern alle sprachen: ,Wir haben diesen Namen noch niemals gehört.' Nachdem er dann auf seinem Wege noch viele Mühen und schwere Gefahren, Hunger und Durst überstanden hatte, kam er auf seiner Fahrt von Indien nach dem Lande Chorasân und weiterhin nach Madînat Schim'ûn. Wie er dort eingezogen war, fragte er nach der Stadt der Juden. Von der konnte man ihm erzählen, und man wies ihm auch den Weg dorthin. So zog er denn weiter, Tag und Nacht, bis er die Stätte erreichte, an der er vor den Affen geflüchtet war. Und wiederum reiste er weiter, Tag und Nacht, bis er zu dem Flusse gelangte, an dem die Stadt der Juden lag. Er setzte sich am Ufer nieder und wartete bis zum Sabbat. an dem durch die Macht Allahs des Erhabenen der



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Fluß austrocknete. Dann schritt er hindurch und ging zu dem Hause des Juden, bei dem er früher gewesen war. Der jude und die Seinen begrüßten ihn, erfreut über seine Ankunft, und brachten ihm Speise und Trank. Als sie ihn dann fragten, wo er so lange gewesen sei, antwortete er:, ,Im Reiche Allahs des Erhabenen.' Die Nacht über blieb er bei ihnen; doch als es Morgen ward, ging er in der Stadt umher und schaute sich um. Wieder erblickte er einen Ausrufer, der da rief: ,Ihr Leute allzumal, wer will sich tausend Dinare und eine schöne Sklavin verdienen, indem er einen halben Tag bei uns arbeitet?' Als Dschanschâh sagte: ,Ich will diese Arbeit leisten', sprach der Ausrufer: ,Folge mir!' Da folgte der Prinz ihm, bis er zum Hause des jüdischen Kaufmanns gelangte, bei dem er auch das erste Mal gewesen war. Dort sagte der Ausrufer zum Hausherrn: ,Dieser Jüngling will die Arbeit leisten, die du verlangst.' Der Kaufmann hieß ihn mit herzlichen Worten willkommen, nahm ilm mit sich und führte ihn in den Harem, dort ließ er ihm Speise und Trank vorsetzen. Nachdem Dschanschâh gegessen und getrunken hatte, brachte der Kaufmann ihm die Dinare und die schöne Sklavin. Der Prinz verbrachte die Nacht bei ihr, und als es Morgen ward, nahm er das Gold und die Sklavin, übergab sie dem Juden, in dessen Haus er früher gewesen war, und kehrte zu dem Kaufmann, seinem Dienstherrn, zurück. Der saß auf mit ihm, und beide ritten dahin, bis sie zu dem hohen Berge kamen, der in die Lüfte emporragte. Dort holte der Kaufmann einen Strick und ein Messer heraus und sprach zu Dschanschâh: ,Wirf dies Pferd zu Boden!' Jener warf das Tier nieder, band ihm die vier Füße mit dem Stricke zusammen, schlachtete und häutete es und schnitt ihm die Beine und den Kopf ab und den Bauch auf, wie der Kaufmann ihm befahl. Dann sprach der Mann zu ihm: ,Krieche in den Bauch



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dieses Pferdes; ich will dich darin einnähen, und du mußt mir alles berichten, was du darin siehst. Das ist die Arbeit, für die du deinen Lohn empfangen hast.' Da kroch Dschanschâh in den Bauch des Pferdes; der Kaufmann nähte ihn darin ein und zog sich dann zurück und verbarg sich an einem fernen Orte. Nach einer Weile kam ein gewaltig großer Vogel aus der Luft heruntergeflogen, packte das Pferd und schwebte mit ihm den Wolken des Himmels zu. Dann ließ er sich auf dem Gipfel des Berges nieder, und wie er dort saß, wollte er seine Beute verzehren. Als Dschanschâh das bemerkte, schlitzte er den Bauch des Tieres auf und kroch heraus. Der Vogel aber erschrak vor ihm und flog alsbald auf und davon. Doch der Prinz ging an eine Stelle, von der aus er auf den Kaufmann hinabblicken konnte; und er sah ihn, wie er am Fuße des Berges stand, so groß wie ein Sperling. Da rief er ihm zu: ,Was wünschest du, o Kaufmann?' Der antwortete ihm: ,Wirf mir einige von den Steinen herunter, die rings um dich liegen; dann will ich dir den Weg zeigen, auf dem du herunterkommen kannst!' Dschanschâh aber rief: ,Du bist es, der vor fünf Jahren so und so an mir gehandelt hat; da mußte ich Hunger und Durst leiden, und viel Mühsal und großes Unheil kam über mich. Jetzt hast du mich zum zweiten Male hierhergebracht und denkst mich in den Tod zu treiben. Bei Allah, ich will dir nichts hinabwerfen!' Darauf ging er fort und machte sich auf den Weg, der ihn zu Scheich Nasr, dem König der Vögel, bringen sollte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 522. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Dschanschâh fortging und sich auf den Weg machte, der ihn zu Scheich Nasr,



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dem König der Vögel, bringen sollte. Er zog Tag und Nacht dahin, mit Tränen im Auge und Trauer im Herzen; wenn ihn hungerte, so aß er von den Kräutern der Erde, und wenn ihn dürstete, so trank er von ihren Bächen, bis er die Burg des Herren Salomo erreichte und den Scheich Nasr am Tore sitzen sah. Er eilte auf ihn zu und küßte ihm die Hände, und der Scheich hieß ihn willkommen und begrüßte ihn. Dann fragte der Alte: ,Mein Sohn, was ist es mit dir, daß du wieder an diese Stätte gekommen bist? Du hast sie doch einst mit der Herrin Schamsa verlassen, kühlen Auges und frohen Herzens.' Da weinte der Prinz und erzählte dem Scheich alles, was er mit der Herrin Schamsa erlebt hatte, und wie sie davongeflogen war mit den Worten: ,Wenn du mich liebst, so komm zu mir nach Takni, dem Edelsteinschlosse!' Darüber wunderte sich der Scheich, und er sprach: ,Bei Allah, mein Sohn, ich kenne es nicht! Ja, beim Herren Salomo, ich habe in meinem ganzen Leben diesen Namen noch nie gehört!' Nun fragte der Prinz: ,Was soll ich denn tun? Ich sterbe vor Liebe und Sehnsucht.' ,Gedulde dich,' erwiderte der Alte, ,bis daß die Vögel kommen! Dann kannst du sie nach dem Edelsteinschlosse Takni fragen; vielleicht kennt es einer von ihnen.' Da ward Dschanschâhs Herz beruhigt, er trat in die Burg ein und ging zu jenem Raume mit dem Teiche, in dem er die drei Mädchen gesehen hatte. Eine ganze Weile blieb er bei Scheich Nasr. Und als er einst wie gewöhnlich bei ihm saß, hub der Alte an: ,Mein Sohn, die Wiederkehr der Vögel steht nahe bevor.' Über diese Botschaft war Dschanschâh erfreut; und kaum waren einige Tage verstrichen, so begannen die Vögel schon zu kommen. Da trat Scheich Nasr zu dem Jüngling und sprach zu ihm: ,Mein Sohn, lerne diese Zauberworte, und dann tritt mit mir den Vögeln entgegen!' Und alsbald kamen die Vögel herangeflogen und



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begrüßten Scheich Nasr, eine Sippe nach der anderen. Da befragte er sie über das Edelsteinschloß Takni; doch ein jeder von ihnen sagte: ,Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie von dieser Burg gehört.' Dschanschâh aber weinte und klagte und sank ohnmächtig nieder. Nun rief Scheich Nasr einen großen Vogel und befahl ihm: ,Bring diesen Jüngling nach dem Lande von Kabul', und er beschrieb ihm das Land und den Weg dorthin. ,Ich höre und gehorche!' sprach der Vogel; und der Alte gebot dem Prinzen, sich auf seinen Rücken zu setzen, und sprach zu ihm: ,Gib acht und hüte dich, daß du dich nicht zur Seite neigst; sonst wirst du in der Luft zerrissen. Verstopfe auch deine Ohren gegen den Wind, auf daß dir das Kreisen der Sphären und das Tosen der Meere keinen Schaden tut.' Dschanschâh beschloß, die Worte des Scheichs zu befolgen; und der Vogel erhob sich mit ihm und stieg hoch in die Luft empor. Einen Tag und eine Nacht flog er mit ihm dahin, dann ließ er sich nieder bei dem König der wilden Tiere, der Schâh Badri hieß, und sprach zu dem Prinzen: ,Wir haben den Weg, den Scheich Nasr uns beschrieben hat, verloren.' Als er aber mit ihm wieder weiterfliegen wollte, sagte Dschanschâh zu ihm: ,Flieg du deiner Wege und laß mich hierbleiben, auf daß ich entweder sterbe oder zum Edelsteinschlosse Takni gelange; ich will jetzt nicht in mein Land heimkehren.' Da ließ der Vogel ihn bei Schâh Badri, dem König der wilden Tiere, und flog auf und davon. Nun fragte der König ihn: ,Mein Sohn, wer bist du, und woher kommst du mit dem großen Vogel da?' Und der Jüngling erzählte ihm alle seine Erlebnisse von Anfang bis zu Ende. Verwundert hörte der König der Tiere seiner Erzählung zu; dann sprach er zu ihm: ,Bei dem Herren Salomo, ich kenne dies Schloß nicht. Wenn aber einer uns den Weg dorthin zeigt, so wollen wir ihn reich beschenken



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und dich dorthin senden.' Dschanschâh weinte bitterlich: doch er geduldete sich, bis nach einer kleinen Weile der Tierkönig wieder zu ihm kam und zu ihm sprach: ,Wohlan, mein Sohn, nimm diese Zaubertafeln und behalt, was auf ihnen geschrieben steht. Wenn die Tiere kommen, so wollen wir sie nach jenem Schlosse fragen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 523. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Schâh Badri, der König der Tiere, zu Dschanschâh sprach: ,Behalt, was auf diesen Tafeln geschrieben steht; wenn die Tiere kommen, wollen wir sie nach jenem Schlosse fragen.' Und kaum war eine kleine Weile verstrichen, so kamen auch schon die wilden Tiere, eine Sippe nach der anderen, und begrüßten den König Schâh Badri. Doch wie er sie nach dem Takni fragte, antworteten ihm alle: ,Dies Schloß kennen wir nicht; wir haben auch nie etwas von ihm gehört.' Da weinte Dschanschâh von neuem, und er beklagte es, daß er nicht mit dem Vogel weitergeflogen war, der ihn von Scheich Nasr hergebrachthatte. Der Tierkönig aber sprach zu ihm: ,Sei unbesorgt, mein Sohn. Ich habe einen Bruder. der ist älter als ich. Er heißt König Schammâch. Einst war er gefangen bei dem Herren Salomo, weil er sich gegen ihn empört hatte. Keiner von den Geistern ist älter als er und Scheich Nasr, vielleicht weiß er etwas von dem Schlosse ;jedenfalls herrscht er über alle Geister in diesen Landen.' Dann ließ der Tierkönig ihn auf dem Rücken eines der wilden Tiere reiten und gab ihm einen Brief an seinen Bruder mit, in dem er ihn seiner Fürsorge empfahl. Jenes Tier machte sich zur selben Stunde auf und eilte mit Dschanschâh dahin, Tag und Nacht, bis es zum König Schammâch



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kam. Dort blieb es allein für sich, fern von dem König, stehen; da stieg Dschanschâh von seinem Rücken ab und schritt weiter, bis er vor König Schammâch stand. Er küßte ihm die Hände und überreichte ihm den Brief. Nachdem jener ihn gelesen und den Sinn verstanden hatte, hieß er den Jüngling willkommen und sprach: ,Bei Allah, mein Sohn, von diesem Schlosse habe ich in meinem ganzen Leben noch nie etwas gehört noch gesehen.' Als aber der Jüngling weinte und seufzte, sprach König Schammâch zu ihm: ,Erzähle mir deine Geschichte, und sage mir, wer du bist, woher du kommst und wohin du gehst!' Da berichtete er ihm alles, was ihm widerfahren war, von Anfang bis zu Ende. Erstaunt sagte darauf Schammâch: ,Mein Sohn, ich glaube, selbst der Herr Salomo hat in seinem ganzen Leben nie etwas von dieser Burg gehört oder gesehen. Doch, mein Sohn, ich kenne einen Einsiedler im Gebirge; der ist uralt, und ihm gehorchen alle Vögel und wilden Tiere und Geister wegen seiner vielen Beschwörungen. Denn er hat immerdar Beschwörungsformeln über die Könige der Geister ausgesprochen, bis sie sich ihm unterwarfen, gegen ihren Willen: so stark sind jene Formeln und der Zauber, den er besitzt. Und jetzt dienen ihm alle Vögel und Tiere. Ich selbst empörte mich einst gegen den Herren Salomo; und er nahm mich gefangen. Aber es war nur jener Einsiedler, der mich durch seine große List und durch seine starken Beschwörungen und Zauberformeln überwunden hat; und nun muß ich ihm auch dienen. Wisse, er ist in allen Ländern und Erdteilen gereist, er kennt alle Wege, Gegenden und Stätten, alle Schlösser und Städte; ich glaube, daß seiner Kenntnis kein Ort verborgen ist. Darum will ich dich zu ihm schicken. Vielleicht kann er dir den Weg zu dem Schlosse weisen; wenn er das nicht tun kann, so wird dich kein anderer dorthin führen können; denn



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ihm gehorchen alle Vögel und Tiere und Geister, und alle kommen zu ihm. Ferner hat er sich durch seine große Zauberkunst einen Stab aus drei Stücken gemacht: wenn er den in die Erde pflanzt und über dem ersten Stück Beschwörungen murmelt, so kommen Fleisch und Blut daraus hervor; beschwört er aber das zweite Stück, so fließt süße Milch heraus; und wenn er über dem dritten Stück zaubert, so kommen Weizen und Gerste heraus; zuletzt zieht er den Stab wieder aus der Erde und geht zu seiner Klause, und die heißt die Diamantenklause. Dieser Zaubermönch läßt aus seiner Hand auch allerlei kunstvolle und seltene Erfindungen hervorgehen. Ja, er ist ein Hexenmeister, voll Lug und Trug, ein gefährlicher Kerl. Er heißt Jaghmûs; und er beherrscht alle und sämtliche Zauberformeln und Beschwörungen. Zu ihm muß ich dich auf dem Rücken eines großen Vogels mit vier Flügeln senden.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 524. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Schammâch zu Dschanschâh sprach: ,Ich muß dich mit einem großen Vogel zu dem Einsiedler senden.' Darauf setzte er ihn auf den Rücken eines gewaltigen Vogels, der vier Flügel hatte, von denen ein jeder dreißig haschimitische Ellen in der Länge maß; und er hatte Füße gleich denen des Elefanten, aber er flog nur zweimal im Jahre. Und es lebte bei dem König Schammâch ein dienstbarer Geist, des Namens Tamschûn; der holte jeden Tag für diesen Vogel zwei baktrische Kamele aus dem Lande Irak und schlachtete und zerlegte sie für ihn, so daß er sie fressen konnte. Nachdem also Dschanschâh den Rücken jenes Vogels bestiegen hatte, befahl König Schammâch, ihn zu dem Einsiedler Jaghmûs zu tragen. Der Vogel gehorchte und flog



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mit ihm dahin, Tag und Nacht, bis er zum Berg der Burgen und zur Diamantenklause kam. Dort, bei jener Klause, stieg Dschanschâh ab; und da er sah, wie der Einsiedler Jaghmûs in der Kapelle war und dort seine Andacht verrichtete, trat er an ihn heran, küßte den Boden vor ihm und blieb ehrfurchtsvoll vor ihm stehen. Jener aber sprach: ,Sei willkommen, mein Sohn, du aus fremdem Land, dessen Wiege so ferne stand! Berichte mir, weshalb du an diese Stätte gekommen bist.' Da weinte Dschanschâh und erzählte ihm seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende. Voll Staunen über das, was er gehört hatte, sprach nun der Einsiedler: ,Bei Allah, mein Sohn, in meinem ganzen Leben habe ich von jenem Schlosse noch nie gehört, noch auch habe ich jemanden gesehen, der von ihm gehört hätte oder dort gewesen wäre, trotzdem ich schon zur Zeit Noahs, des Propheten Allahs -Heil sei über ihm! — am Leben war und von jenen Tagen bis zur Zeit des Herren Salomo, des Sohnes Davids, über die wilden Tiere und die Vögel und die Geister geherrscht habe. Ich glaube auch nicht, daß Salomo selber etwas von dem Schlosse wußte. Doch warte, mein Sohn, bis die Tiere und die Vögel und die dienstbaren Geister kommen; dann will ich sie fragen, und vielleicht kann eins von ihnen uns davon berichten oder Kunde darüber bringen. Allah der Erhabene möge dir deinen Weg leicht machen!' So blieb denn Dschanschâh eine Weile hei dem Einsiedler, und eines Tages, wie er dort saß, kamen all die Tiere der Wildnis und die Vögel und die Geister herbei. Da fragten sie, er sowohl wie der Einsiedler, nach dem Edelsteinschlosse Takni; aber keiner von ihnen sagte: ,Ich habe es gesehen' oder: ,Ich habe davon gehört', sondern ein jeder erwiderte: ,Ich habe dies Schloß nie geschaut noch auch je von ihm vernommen.' Nun begann Dschanschâh wieder zu weinen und zu klagen und inständigst



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zu Allah dem Erhabenen zu flehen. Und da, in diesem Augenblicke, kam als letzter der Vögel noch einer herzu, das war ein schwarzer, gewaltig großer Vogel. Nachdem er aus den Höhen der Luft heruntergestiegen war, küßte er die Hände des Einsiedlers, und der fragte ihn nach dem Edelsteinschlosse Takni. Der Vogel antwortete: ,O Einsiedler, wir lebten hinter dem Berge Kâf auf dem Kristallberg in einer weiten Ebene, als ich und meine Brüder noch nicht flügge waren. Damals pflegten mein Vater und meine Mutter jeden Tag fortzufliegen, um uns Futter zu holen. Einmal aber begab es sich, daß sie auf ihrem Fluge sieben Tage lang fortblieben, so daß wir argen Hunger litten. Erst am achten Tage kamen sie wieder, mit Tränen in den Augen. Wir fragten sie, weshalb sie so lange von uns fortgewesen wären, und sie erwiderten uns: Ein Mârid' kam über uns, packte uns und schleppte uns zum Edelsteinschlosse Takni und brachte uns vor König Schahiân. Als der uns erblickte, wollte er uns töten. Doch wie wir ihm sagten, wir hätten junge Brut daheim, ließ er uns los und verschonte uns. Wenn mein Vater und meine Mutter noch am Leben wären, so könnten sie euch sicher von jenem Schlosse berichten.' Bei diesen Worten weinte Dschanschâh bitterlich: dann sprach er zu dem Einsiedler: ,Ich bitte dich, befiehl diesem Vogel, mich zudem Neste seines Vaters und seiner Mutter auf dem Kristallberge hinter dem Berge Kâf zu tragen.' Und der Einsiedler sagte zu dem Vogel: ,Du Segler der Luft, ich wünsche, daß du diesem Jüngling in allem gehorchst, was er dir befiehlt.' ,Ich höre und gehorche deinen Worten!' erwiderte der Vogel; und er nahm Dschanschâh auf seinen Rücken und flog mit ihm davon. Tag und Nacht schwebte er mit ihm dahin, bis sie endlich zum Kristallberge kamen. Dort setzte er



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ihn nieder und wartete eine kleine Weile. Dann nahm er ihn wiederum auf den Rücken und flog noch zwei volle Tage mit ihm weiter, bis sie zu der Stätte kamen, an der sich das Nest befand. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 525. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Vogel noch zwei volle Tage mit Dschanschâh weiterflog, bis sie zu der Stätte kamen, an der sich das Nest befand. Dort setzte er ihn nieder und sprach zu ihm: ,Dschanschâh, dies ist der Horst, in dem wir einst waren.' Der Jüngling weinte bitterlich und sprach dann zu dem Vogel: ,Ich bitte dich, trage mich noch weiter und bringe mich in jene Gegend, in die dein Vater und deine Mutter zu fliegen pflegten, um Futter für euch zu holen. Der Vogel erwiderte: ,Ich höre und gehorche dir, Dschanschâh!' Dann nahm er ihn wieder auf sich und flog sieben Nächte und acht Tage mit ihm weiter, bis er mit ihm einen hohen Berg erreichte. Dort ließ er ihn von seinem Rücken absteigen und sprach zu ihm: ,Hinter diesem Orte kenne ich kein Land mehr.' Nun war aber der Prinz von Müdigkeit überwältigt, und er schlief ein, oben auf dem Gipfel jenes Berges. Als er aus seinem Schlafe erwachte, sah er in der Ferne etwas blitzen, dessen Glanz den ganzen Himmel erfüllte. Er wunderte sich sehr über jenes Leuchten und Blitzen und ahnte nicht, daß es der Schimmer von eben jener Burg war, die er suchte. Zwischen ihm und ihr lag aber noch eine Wegstrecke von zwei Monaten. Jene Burg war erbaut aus rotem Karneol, und ihre Räume waren aus gelbem Golde; sie hatte auch tausend Türmchen, erbaut aus edlen Steinen, die aus dem Meere der Finsternisse gehoben waren. Deswegen hieß sie das Edelsteinschloß



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Takni, weil sie ja aus Juwelen und edlen Gesteinen bestand. Sie war eine gewaltig große Burg; und ihr König hieß Schahlân, das war der Vater der drei Mädchen im Federkleide.

Doch sehen wir nun erst, was die Herrin Schamsa inzwischen getan hatte! Als sie dem Prinzen entflohen und wieder zu Vater und Mutter und den Ihren gekommen war, hatte sie ihnen von ihren Erlebnissen mit Dschanschâh berichtet. Sie hatte ihnen seine Geschichte erzählt und ihnen kundgetan, wie er die Welt durchwandert und viele Wunder gesehen hatte; und zuletzt hatte sie ihnen gesagt, wie er sie und sie ihn liebgewonnen hatte, und was dann geschehen war. Nachdem ihr Vater und ihre Mutter diesen Bericht aus ihrem Munde vernommen hatten, sprachen beide zu ihr: ,Es war dir vor Gott nicht erlaubt, so an ihm zu handeln!' Dann erzählte ihr Vater davon seinen dienstbaren Geistern unter den Dämonen, die da Mârid heißen, und befahl ihnen: ,Ein jeder, der ein menschliches Wesen erblickt, soll es mir bringen!' Denn die Herrin Schamsa hatte ja ihrer Mutter erzählt, daß Dschanschâh sie leidenschaftlich liebe. und ihr gesagt: ,Er wird sicherlich zu uns kommen; habe ich doch, als ich vom Dache seines väterlichen Schlosses fortflog, ihm noch zugerufen: ,Wenn du mich liebst, so komme zum Edelsteinschlosse Takni.'

Als nun Dschanschâh jenes Blitzen und Leuchten gesehen hatte, ging er darauf zu, um zu erfahren, was das bedeute. Nun hatte aber gerade zur selben Zeit die Herrin Schamsa einen dienstbaren Geist mit einem Auftrage in der Richtung des Berges Karmûs gesandt. Und wie jener Geist dahinflog, erblickte er plötzlich ein sterbliches Wesen in der Ferne. Sobald er das sah, flog er auf den Menschen zu und begrüßte ihn. Dschanschâh erschrak vor dem Geiste, doch er erwiderte seinen Gruß. Da fragte der Geist ihn: ,Wie heißest du?' Der Prinz



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gab ihm zur Antwort: ,Ich heiße Dschanschâh. Ich hatte einst eine Fee gefangen, des Namens Herrin Schamsa, deren Schönheit und Liebreiz mich bezaubert hatten. Und ich liebte sie herzinniglich; aber sie entfloh mir wieder, nachdem sie mit mir in meines Vaters Schloß gekommen war.' So erzählte er ihm alles, was er mit ihr erlebt hatte, und klagte ihm unter Tränen seine Not. Als der Dämon den Jüngling weinen sah, entbrannte sein Herz von Mitleid, und er sprach zu ihm: ,Weine nicht! Du hast dein Ziel erreicht. Wisse, auch sie liebt dich von Herzen. und sie hat ihrem Vater und ihrer Mutter von deiner Liebe zu ihr erzählt, und alle in der Burg lieben dich um ihretwillen. So hab denn Zuversicht und quäl dich nicht!' Dann nahm der Mârid ihn auf seine Schultern und trug ihn davon zum Edelsteinschlosse Takni. Dort eilten die Freudenboten zu König Schahlân und zur Herrin Schamsa und zu ihrer Mutter und meldeten ihnen, Dschanschâh sei gekommen. Über diese frohe Kunde waren sie alle hoch erfreut; und König Schahlân befahl all seinen dienstbaren Geistern, Dschanschâh entgegenzuziehen. Er stieg selbst zu Pferde und ritt mit allen seinen Geistern, Ifriten und Mârids. dem Prinzen Dschanschâh entgegen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 526. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Schahiân mit all seinen Geistern, Ifriten und Mârids. dem Prinzen Dschanschâh entgegenritt. Und wie der Geisterkönig, der Vater der Herrin Schamsa. mit dem Prinzen zusammentraf, umarmte er ihn. Der aber küßte dem König die Hände. Darauf gab Schahiân Befehl, ihm ein kostbares Ehrengewand aus vielfarbiger Seide anzulegen, das mit Gold durchwirkt und mit



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Edelsteinen besetzt war. Ferner setzte er ihm eine Krone auf, wie sie noch kein König unter den sterblichen Menschen gesehen hatte. Dann befahl er, eine edle Stute von den Rossen der Geisterkönige zu bringen, und ließ ihn darauf reiten. Und so ritt er mit dem Könige, rechts und links von den dienenden Geistern umgeben, in prächtigem Aufzuge dahin, bis sie das Tor des Schlosses erreichten. Dort saß Dschanschâh ab; und er sah, eine wie mächtige Burg es war, wie seine Mauern aus Juwelen. Karneolen und edlen Metallen bestanden und wie der Boden dort mit Kristall, Chrysolith und Smaragd ausgelegt war. Da brach er in Freudentränen aus; der König und die Mutter der Herrin Schamsa aber trockneten ihm die Tränen und sprachen zu ihm: ,Laß ab zu weinen, sorge dich nicht! Wisse, du hast dein Ziel erreicht.' Wie er dann in den inneren Hof kam, empfingen ihn der schönen Sklavinnen Scharen, die mit den Sklaven und Dienern gekommen waren, und führten ihn auf den Ehrenplatz und stellten sich dienstbereit vor ihm auf. Traumverloren blickte er sich in dem herrlichen Raume um und schaute auf die Mauern, die aus allerlei edlem Metall und kostbarem Gestein erbaut waren. Dann begab sich König Schahlân in seinen Staatssaal und befahl den Sklavinnen und Dienern, den Prinzen zu ihm zu führen, auf daß er neben ihm sitze. Da führten sie ihn zu ihm hinein, und der König selbst erhob sich vor ihm und ließ ihn auf seinem Thronsessel zu seiner Seite sitzen. Dann wurden die Tische gebracht, und sie aßen und tranken. Nachdem sie ihre Hände gewaschen hatten, trat auch die Mutter der Herrin Schamsa zu ihm herein und begrüßte ihn und hieß ihn willkommen, indem sie zu ihm sprach: ,Jetzt hast du dein Ziel erreicht nach all der Mühsal; jetzt kann dein Auge schlafen, nachdem es so lange gewacht hat. Preis sei Allah für deine glückliche Ankunft!' Dann ging



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sie sogleich zu ihrer Tochter, der Herrin Schamsa, und kehrte mit ihr zu Dschanschâh zurück. Die Herrin Schamsa trat auf ihn zu und begrüßte ilm und küßte ihm die Hände; aber sie senkte ihr Haupt, da sie sich vor ihm und ihrer Mutter und ihrem Vater schämte. Auch ihre beiden Schwestern, die mit ihr im Schlosse des Scheich Nasr gewesen waren, kamen und küßten ihm die Hände und begrüßten ihn. Nun hub die Mutter an: ,Sei willkommen, mein Sohn! Meine Tochter Schamsa hat sich an dir versündigt. Du aber vergib ihr, was sie an dir getan hat, um unsertwillen!' Als Dschanschâh diese Worte vernahm, stieß er einen Schrei aus und sank ohnmächtig nieder. Der König verwunderte sich über ihn; und man sprengte ihm Rosenwasser, das mit Moschus und Zibet vermischt war, ins Antlitz. Als er dann wieder zu sich kam, blickte er auf die Herrin Schamsa und rief: ,Preis sei Allah, der mich an mein Ziel geführt und das Feuer in mir ausgelöscht hat, so daß mein Herz jetzt ruhig ist!' Da sagte die Herrin Schamsa: ,Allah behüte dich vor dem Feuer! Doch nun, mein Prinz. bitte ich dich, erzähl mir, was dir widerfahren ist, seit ich mich von dir trennte, und wie du hierher gekommen bist, wo doch viele Geister nicht einmal das Edelsteinschloß Takni kennen; wir sind ja unabhängig von allen Königen, keiner kennt den Weg zu dieser Stätte, noch hat jemand von ihr gehört.' Darauf erzählte er ihr alles, was er erlebt hatte und wie er dorthin gekommen war; er tat ihnen alles kund, was seinem Vater von König Kafîd widerfahren war, was er selbst auf seinem Wege erduldet, welche Schrecken und Wunder er gesehen hatte. Und er schloß mit den Worten: ,All das geschah um deinetwillen, o meine Herrin Schamsa!' Die Mutter aber sprach: ,Jetzt hast du dein Ziel erreicht. Die Herrin Schamsa ist deine Dienerin, wir schenken sie dir.' Voll hoher Freude hörte



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Dschanschâh diese Worte. Dann fuhr die Königin fort: ,So Allah der Erhabene will, werden wir im nächsten Monat das Fest bereiten und die Hochzeit feiern und dich mit ihr vermählen. Dann magst du mit ihr in deine Heimat zurückkehren; und wir wollen dir tausend Mârids von den dienstbaren Geistern zum Geleite geben, von denen der Geringste so stark ist, daß er, wenn du ihm es befiehlst, den König Kafîd samt seinem Kriegsvolke in einem Augenblicke erschlägt. Und wir werden dir ferner Jahr für Jahr eine Schar senden, von der jeder einzelne auf deinen Befehl alle deine Feinde vernichten kann.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 527. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Mutter der Herrin Schamsa zu Dschanschâh sprach: ,Und wir werden dir ferner Jahr für Jahr eine Schar senden, von der jeder einzelne auf deinen Befehl alle deine Feinde bis zum letzten Manne vernichten kann.' Dann setzte König Schahiân sich auf den Thron und befahl den Großen des Reiches, ein prächtiges Fest zu rüsten, bei dem die Stadt sieben Tage und sieben Nächte geschmückt sein sollte. ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie und begannen die Vorbereitungen für das Fest zu treffen. Zwei Monate lang waren sie damit beschäftigt; dann wurde die Hochzeit der Herrin Schamsa gefeiert, und das ward ein so herrliches Fest, wie es noch nie eines gegeben hatte. Dschanschâh ging zu der Herrin Schamsa ein, und zwei Jahre lang lebte er mit ihr in Herrlichkeit und Freuden bei Speise und Trank. Danach aber sprach er zu der Herrin Schamsa: ,Dein Vater hat uns doch versprochen, uns in meine Heimat ziehen zu lassen, damit wir abwechselnd ein Jahr dort und ein Jahr hier zubringen könnten.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte



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sie, und als es Abend ward, ging sie zu ihrem Vater hinein und erzählte ihm, was Dschanschâh gesagt hatte. ,Ich höre und ich will seinen Wunsch erfüllen,' erwiderte der König, ,doch wartet noch bis zum Ersten des Monats, damit ich euch das Geistergefolge rüsten kann.' Sie berichtete dem Prinzen die Worte ihres Vaters. und so wartete er noch die bestimmte Frist. Nachdem diese verstrichen war, gab der König Schahlân den dienenden Geistern das Zeichen zum Aufbruch im Gefolge der Herrin Schamsa und des Prinzen Dschanschâh auf ihrer Fahrt in seine Heimat. Er hatte für die beiden ein großes Thronlager aus rotem Golde herrichten lassen, das mit Perlen und Edelsteinen besetzt war, und darüber einen Baldachin aus grüner Seide, mit allen Farben bestickt und mit kostbaren Steinen geschmückt, deren Schönheit die Beschauer entzückt. Und nun stiegen Dschanschâh und die Herrin Schamsa auf jenes Thronlager, und vier dienende Geister wurden ausgewählt, um es zu tragen. Die ergriffen also das Thronlager, je einer auf jeder der vier Seiten, während Dschanschâh und Schamsa sich darauf befanden. Darauf rief die Herrin Schamsa ihrer Mutter und ihrem Vater und ihren Schwestern und allen Ihren ein Lebewohl zu. Ihr Vater jedoch saß schon zu Rosse und begleitete sie, während die dienenden Geister das Thronlager trugen, bis zum Mittag. Dann setzten die Geister das Lager nieder, und nun ward Abschied voneinander genommen. König Schahlân empfahl seine Tochter der Obhut des Prinzen, und die Herrin Schamsa verabschiedete sich von ihrem Vater, desgleichen auch Dschanschâh. Dann setzten die beiden ihre Reise fort; ihr Vater aber ritt heim. Der König hatte ihr jedoch dreihundert schöne Sklavinnen mitgegeben, und ebenso hatte er dem Prinzen Dschanschâh dreihundert Mamluken von den Söhnen der Geister geschenkt. Die stiegen jetzt alle auf das Thronlager,



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und die vier dienenden Geister nahmen es auf und flogen mit ihm zwischen Himmel und Erde dahin. An jedem Tage legten sie eine Strecke von dreißig Monaten zurück, und in dieser Weise flogen sie ununterbrochen zehn Tage lang. Nun kannte einer der Geister das Land von Kabul; und als er es an jenem Tage erblickte, sagte er den anderen, sie wollten bei der großen Stadt in dem Lande dort zur Erde hinabsteigen. Jene Stadt aber war die Hauptstadt des Königs Tighmûs; und sie stiegen zu ihr hinunter. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die Fünf 528. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Geister zur Stadt des Königs Tighmûs mit Dschanschâh und der Herrin Schamsa hinunterstiegen. Der König aber war ja vor den Feinden in seine Stadt geflüchtet und war in großer Not, da König Kafîd ihn hart bedrängte. Er hatte auch seinen Gegner um Gnade gebeten; aber der wollte sie ihm nicht gewähren. Als König Tighmûs nun einsah, daß ihm kein Ausweg mehr offen stand, um sich vor König Kafîd zu retten, da beschloß er, sich selbst zu erdrosseln, um durch den Tod von all der Sorge und Qual erlöst zu werden. So nahm er denn Abschied von den Wesiren und Emiren und begab sich in seinen Palast, um den Seinen Lebewohl zu sagen. Da begann das Volk seines Reiches zu weinen und zu klagen und die Trauer durch lautes Jammern zur Schau zu tragen. Und gerade zu jener Zeit, als König Tighmûs in solch äußerster Not war, da näherten sich die Geister dem Schlosse in jener Burg. Dschanschâh befahl ihnen, das Thronlager inmitten des Staatssaales niederzusetzen, und sie taten nach seinem Gebot. Darauf stiegen die Herrin Schamsa und Dschanschâh und die Dienerinnen und Mamluken



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hinunter. Und da sic alles Volk der Stadt in Not und Elend und großem Jammer sahen, sagte der Prinz zu seiner Gemahlin: ,Geliebte meines Herzens, du mein Augentrost, sieh, in welch schlimmer Bedrängnis mein Vater ist!' Da die Herrin erkannte, wie groß die Not seines Vaters und seines Volkes war, befahl sie den Geistern, mit Macht über das Heer der Belagerer herzufallen und alle zu töten, indem sie ihnen einschärfte, niemanden am Leben zu lassen. Dschanschâh aber winkte einen der Geister herbei, der gewaltige Kraft besaß, namens Karâtasch, und befahl ihm, den König Kafîd in Ketten herzubringen. Darauf zogen die Geister aus wider jenen. Sie nahmen aber den Thronhimmel mit sich und flogen so lange, bis sie ihn in der Luft oberhalb der Erde hinstellten und den Baldachin über ihm errichteten; dort warteten sie bis zur Mitternacht. Dann fielen sie über König Kafîd und seine Krieger her und machten sie nieder. Ein jeder von ihnen packte acht bis zehn der Feinde. während sie auf dem Rücken des Elefanten waren, und flog mit ihnen zum Himmel empor; dann warf er sie nieder, so daß sie vom Winde zerrissen wurden. Einige der Geister aber hieben mit eisernen Keulen auf sie ein. Der Geist nun, der Karâtasch hieß, begab sich sogleich zum Zelte des Königs Kafîd, stürzte sich auf ihn, während er auf dem Throne saß, packte ihn und sauste mit ihm zum Himmel empor, während er aus Schrecken vor dem Dämon schrie. Der aber flog mit ihm weiter, bis er ihn vor den Augen Dschanschâhs auf das Thronlager legte. Das Lager war ja auf Befehl Dschanschâhs von den vier dienenden Geistern emporgehoben und schwebte hoch in der Luft; und so sah König Kafîd, als er die Augen aufschlug, daß er zwischen Himmel und Erde hing. Da schlug er sich ins Antlitz, und Grausen erfüllte ihn.



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So erging es dem König Kafîd. Sehen wir uns nun nach König Tighmûs um! Als der seinen Sohn erblickte, wäre er fast im Übermaß der Freude gestorben; er stieß einen lauten Schrei aus und sank ohnmächtig nieder. Da besprengte man sein Antlitz mit Rosenwasser; und als er wieder zu sich gekommen war, umarmte er seinen Sohn, und beide weinten heftig. König Tighmûs wußte aber noch nicht, daß die Geister wider den König Kafîd kämpften. Nun kam auch die Herrin Schamsa herbei, trat vor den König, den Vater Dschanschâhs, küßte ihm die Hände und sprach zu ihm: ,Hoher Herr, steig mit mir zum Dache des Schlosses hinauf und sieh zu, wie die Geisterhelden meines Vaters kämpfen!' Da stieg er mit ihr zum Dache hinauf; und dort setzten sich die beiden nieder, er und die Herrin Schamsa. Und wie sie dem Kampfe zuschauten, sahen sie, daß die Geister kreuz und quer auf die Feinde dreinhieben. Manch einer von ihnen nahm die eiserne Keule und schlug damit auf einen Elefanten, so daß der mitsamt seinen Reitern zermalmt wurde und Tier und Mensch nicht mehr zu unterscheiden waren. Ein anderer lief einer Schar von Fliehenden entgegen und schrie ihnen so gewaltig ins Gesicht, daß sie tot niedersanken. Wieder ein anderer ergriff an die zwanzig Reiter, flog mit ihnen zum Himmel empor und warf sie auf die Erde, so daß sie in Stücke zerschmetterten, während Dschanschâh und sein Vater und die Herrin Schamsa zusahen und ihre Augenweide an dem Kampfe hatten. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 529. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Tighmûs und sein Sohn Dschanschâh und dessen Gemahlin. die Herrin Schamsa, zum Dache des Schlosses emporstiegen und dort dem



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Kampfe der Geister mit dem Heere des Königs Kafîd zuschauten. Auch König Kafîd mußte das alles mit ansehen, während er sich auf dem Thronlager befand und weinte. Das Morden unter seinem Heere dauerte zwei Tage lang; da waren sie alle bis zum letzten Mann vernichtet. Nun befahl Dschanschâh den Geistern, das Thronlager zu holen und es mitten in der Burg des Königs Tighmûs niederzusetzen. Sie gingen hin und taten, wie ihnen ihr Herr geboten hatte. Darauf befahl König Tighmûs einem der Geister, der Schimwâl hieß, den König Kafîd zu ergreifen, in Ketten und Fesseln zu legen und ihn in den Schwarzen Turm einzusperren. Schimwâl tat, wie ihm befohlen war. Darauf ließ König Tighmûs die Trommeln schlagen und sandte die Freudenboten zur Mutter Dschanschâhs. Die eilten zu ihr und taten ihr kund, daß ihr Sohn gekommen sei und all dies getan habe. Erfreut ritt sie alsbald zu ihm. Und als Dschanschâh sie erblickte, zog er sie an seine Brust; doch sie sank im Übermaße des Glücks ohnmächtig nieder. Man sprengte ihr Rosenwasser ins Gesicht. und als sie dann wieder zu sich kam. umarmte sie ihren Sohn und weinte Freudentränen. Und wie die Herrin Schamsa hörte, daß sie gekommen war, eilte sie zu ihr hin und begrüßte sie; und die beiden umarmten einander eine lange Weile; dann setzten sie sich und plauderten miteinander. König Tighmûs aber ließ die Tore der Stadt öffnen und sandte die Freudenboten ins ganze Land hinaus. Die verkündeten überall die frohe Mär; und bald schon wurden ihm wertvolle Gaben und Kostbarkeiten gebracht. Da kamen denn auch die Emire und die Krieger und die Herrscher in den Ländern, um ihn zu begrüßen und ihn zu seinem Sieg und der sicheren Heimkehr seines Sohnes Glück zu wünschen. Das dauerte eine ganze Weile; immer neue Menschen kamen mit wertvollen Geschenken und kostbaren Gaben. Darauf ließ der



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König ein prächtiges Hochzeitsfest für die Herrin Schamsa feiern, nunmehr zum zweiten Male, und befahl, die Stadt zu schmücken. Dann ließ er sie, geschmückt und mit prächtigen Gewändern angetan, zur Entschleierung vor Dschanschâh führen: und als der zu ihr hineintrat, schenkte er ihr alsbald hundert schöne Sklavinnen, die sie bedienen sollten. Nach einer Reihe von Tagen aber begab sich die Herrin Schamsa zu König Tighmûs und bat ihn um Gnade für König Kafîd, indem sie sprach: ,Entläßt ihn, auf daß er in sein Land zurückkehre! Wenn er je wieder Böses gegen dich im Schilde führt, so befehle ich einem der Geister, daß er ihn ergreife und zu dir bringe.' ,Ich höre und willfahre', sprach der König und sandte zu Schimwâl, er solle den Gefangenen vor ihn bringen. Der holte ihn; und als der feindliche Herrscher in Ketten und Fesseln vor ihn trat und den Boden vor ihm küßte, befahl Tighmûs, ihm jene Fesseln abzunehmen. Nachdem dies geschehen war, setzte er ihn auf eine lahme Mähre und sprach zu ihm: ,Die Königin Schamsa hat für dich um Gnade gebeten; so zieh denn heim in dein Land! Wenn du aber noch einmal dein früheres Tun beginnen solltest, so wird sie einen ihrer Geister senden, und der wird dich holen!' So zog der König Kafîd mit Schimpf und Schanden in sein Land zurück. —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 530. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Kafîd mit Schimpf und Schanden in sein Land zurückzog. Dschanschâh aber und sein Vater und die Herrin Schamsa lebten fortan herrlich und in Fröhlichkeit und in lauter Glück und Seligkeit.' —

All dies erzählte der Jüngling, der zwischen den Gräbern saß, dem Wanderer Bulükija, und er schloß mit den Worten:



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,So wisse denn, ich bin Dschanschâh, ich bin es, der all dies erlebt hat, mein Bruder Bulûkija!' Und wundersam klang diese ganze Erzählung in Bulûkijas Herzen. Dann fragte Bulûkija, er, der in der 'Welt umherzog, getrieben von der Liebe zu Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!—, den Prinzen Dschanschâh: ,Mein Bruder, was ist es mit diesen beiden Gräbern? Und warum sitzest du zwischen ihnen? Und warum weinest du? 'Jener erwiderte: ,'Wisse, Bulûkija, wir lebten herrlich und in Fröhlichkeit und in lauter Glück und Seligkeit und verbrachten abwechselnd ein Jahr in unserem Lande und ein Jahr in dem Edelstein schlosse Takni. Und wir reisten immer auf dem Thronsessel, getragen von den dienenden Geistern, die mit ihm zwischen Himmel und Erde dahinflogen.' Da fragte Bulûkija: ,Mein Bruder Dschanschâh, wie weit war es von eurem Lande bis zu jener Burg?' Und Dschanschâh gab ihm zur Antwort: ,Wir legten jeden Tag eine Strecke von dreißig Monaten zurück, und wir erreichten die Burg in zehn Tagen. So lebten wir eine Reihe von Jahren dahin. Doch einst, als wir wie gewöhnlich unsere Reise machten, begab es sich, daß wir an diese Stätte gelangten und hier mit dem Thronlager landeten, um uns diese Insel anzusehen. Wir setzten uns an das Ufer des Flusses und aßen und tranken. Da sagte die Herrin Schamsa: ,Ich möchte in diesem Flusse baden.' Dann legte sie ihre Kleider ab, und die Sklavinnen taten das gleiche; und sie stiegen in den Fluß hinab und schwammen. Derweilen ging ich am Ufer des Flusses einher und ließ die Mädchen mit der Herrin Schamsa sich dort vergnügen. Doch plötzlich kam ein großer Hai, ein Meerungeheuer, und packte die Herrin am Fuß. ohne eins der Mädchen zu berühren. Sie stieß einen lauten Schrei aus und sank im selben Augenblick tot dahin; die Mädchen aber kamen aus dem Wasser heraus und flüchteten



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vor dem Hai zu dem Baldachin. Nach einer Weile gingen einige von den Mädchen hin, nahmen den Leichnam auf und trugen ihn unter den Baldachin. Als ich sehen mußte, daß sie tot war, sank ich in Ohnmacht. Da besprengte man mein Antlitz mit Wasser; und als ich wieder zu mir gekommen war, beweinte ich sie. Dann befahl ich den dienenden Geistern, sie sollten das Thronlager nehmen und zu den Ihren bringen, und sie sollten ihnen kundtun, was ihr widerfahren war. Jene gingen zu den Ihren und brachten ihnen die Kunde; und es währte nicht lange, da kamen die Ihren hierher, wuschen den Leichnam, hüllten ihn in das Totenlaken, begruben ihn an dieser Stätte und trauerten um die Tote. Dann wollten sie mich mit sich in ihr Land nehmen; aber ich sprach zu ihrem Vater: ,Ich bitte dich, grab mir eine Grube neben ihrem Grabe und mache sie zum Grabe für mich, auf daß ich dereinst, wenn ich sterbe an ihrer Seite bestattet werde!' Da befahl König Schahiân einem der dienenden Geister, solches zu tun; und der tat, wie ich es wünschte. Dann gingen sie fort von mir und ließen mich hier, wo ich um sie klage und weine. Das ist meine Geschichte, und das ist der Grund, weshalb ich zwischen diesen beiden Gräbern sitze.' Danach sprach er noch diese beiden Verse:

Das Haus ist, seit du gingst, o Herrin, gar kein Haus;
Der liebe Nachbar kann mir nicht mehr Nachbar sein.
Der Freund, mit dem ich einst in ihm den Bund geschlossen,
Ist mir kein Freund mehr -ach, das Licht verlor den Schein. *


***
Als Bulûkija all dies von Dschanschâh vernommen hatte, staunte er. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 531



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Bulükija, als er all das von Dschanschâh vernommen hatte, staunte und ausrief: ,Bei Allah, ich glaubte, ich hätte die Welt durchwandert und wäre durch alle Lande umhergezogen; aber, bei Allah, jetzt, da ich deine Geschichte vernommen habe, denke ich nicht mehr an meine Erlebnisse.' Alsdann sprach er zu Dschanschâh: ,Ich bitte dich, sei so gütig und freundlich, mein Bruder, und zeige mir einen sicheren Weg!' Da wies Dschanschâh ihn auf den rechten Weg, und Bulûkija nahm Abschied von ihm und wanderte weiter.'

All dies erzählte die Schlangenkönigin dem Hâsib Karîm cd-Dîn. Da fragte er sie: ,Woher weißt du alle diese Dinge?' Sie gab ihm zur Antwort: ,O Hâsib, ich sandte einst, vor fünfundzwanzig Jahren, eine große Schlange nach Ägyptenland, und ich gab ihr einen Brief mit, in dem ich Bulûkija meinen Gruß entbot; den sollte sie ihm überbringen. Jene Schlange ging davon und brachte ihn der Bint Schumûch'; die hatte eine Tochter im Lande Ägypten, und die nahm den Brief und zog dahin, bis sie in jenes Land kam. Dort fragte sie die Leute nach Bulûkija; und nachdem man ihr den Weg zu ihm gewiesen hatte, ging sie zu ihm, und sowie sie ihn erblickte, begrüßte sie ihn und übergab ihm den Brief. Er las ihn und verstand seinen Sinn; dann fragte er die Schlange: ,Kommst du von der Schlangenkönigin?' Als sie das bejahte, fuhr er fort:, ,Ich wünsche mit dir zur Königin der Schlangen zu gehen; denn ich habe ein Anliegen an sie.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte sie. Dann nahm sie ilm mit zu ihrer Tochter und begrüßte sie. Bald aber verabschiedete sie sich wieder von ihr und verließ



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sie. Nun sagte sie zu Bulûkija: ,Schließe deine Augen!' Er schloß sie; doch als er sie wieder aufmachte, befand er sich in dem Berge, in dem ich wohne. Und dort ging sie mit ihm zu der Schlange, die ihr den Brief gegeben hatte, und begrüßte sie. Jene fragte alsbald: ,Hast du den Brief zu Bulûkija gebracht?' ,Jawohl,' erwiderte sie, ,ich habe ihn ihm übergeben, und ich habe ihn selbst mit mir gebracht. Dort ist er!' Da trat Bulûkija vor und begrüßte jene Schlange und fragte nach der Schlangenkönigin. Jene Schlange gab ihm zur Antwort: ,Sie ist mit ihren Scharen und ihren Kriegern zum Berge Kâf gegangen. Wenn der Sommer kommt, wird sie hierher zurückkehren. Jedesmal, wenn sie zum Berge Kâf zieht, setzt sie mich an ihre Stelle, bis sie wiederkommt. Wenn du also ein Anliegen hast, so will ich es dir erfüllen.' Nun sagte Bulûkija: ,Ich wünsche, daß du mir das Kraut bringst, das jedem, der es preßt und seinen Saft trinkt, gegen Krankheit und Alter und Tod feit.' Doch jene Schlange erwiderte ihm: ,Ich werde es dir nicht eher bringen, als bis du mir erzählst, was dir widerfahren ist, nachdem du dich von der Schlangenkönigin getrennt hast, damals, als du mit 'Affân zum Grabe des Herren Salomo gingst.' Da erzählte Bulükija ihr seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende; auch tat er ihr kund, was Dschanschâh erlebt hatte, und berichtete ihr seine Erlebnisse. Und zuletzt sagte er: ,Nun erfülle mir meinen Wunsch, damit ich in mein Land zurückkehren kann.' Aber sie antwortete ihm: ,Bei dem Herrn Salomo, ich kenne den Weg zu jenem Kraut nicht.' Dann befahl sie der Schlange, die ihn gebracht hatte, ihn in sein Land zurückzuschaffen. ,Ich höre und gehorche!' erwiderte jene und hieß Bulûkija seine Augen schließen. Er tat es, und als er sie wieder öffnete, fand er sich auf dem Berge al-Mokattam';



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darauf ging er in seine Wohnung zurück. Als aber die Schlangenkönigin vom Berge Kâf zurückkehrte, begab sich die Schlange, die ihre Stelle vertreten hatte, zu ihr, grüßte sie und sprach zu ihr: "Bulûkija läßt dich grüßen' und berichtete ihr alles, was Bulûkija ihr erzählt hatte, was er selbst auf seiner Wanderung erlebt hatte und wie er mit Dschanschâh zusammengetroffen war. Auf diese Weise, so schloß die Schlangenkönigin, erfuhr ich diese Dinge, o Hâsib.' Da bat Hâsib sie: ,O Königin der Schlangen, berichte mir nun noch, was Bulûkija erlebte, als er nach Ägypten zurückkehrte.' Und sie erzählte:

,Wisse, o Hâsib, als Bulûkija sich von Dschanschâh getrennt hatte, zog er Tag und Nacht dahin, bis er zu einem großen Meere kam; dort salbte er seine Füße mit dem Safte, den er bei sich hatte, und schritt auf der Oberfläche des Wassers dahin, bis er zu einer Insel kam, auf der Bäche flossen und Bäume mit Früchten sprossen, und die dem Paradiese glich. Wie er dann auf jener Insel umherging, sah er einen mächtigen Baum, dessen Blätter so groß wie Segel von Schiffen waren. Er ging hinzu, und da entdeckte er unter ihm einen ausgebreiteten Tisch, der mit allerlei prächtigen Speisen gedeckt war. Weiter erblickte er auf jenem Baume einen großen Vogel mit einem Leib aus Perlen und grünem Smaragd, mit Füßen aus Silber, einem Schnabel aus rotem Karneol und Federn aus edlen Erzen; und der pries Allah den Erhabenen und betete für Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 532. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Bulûkija, als er auf jener Insel gelandet war, sie einem Paradiese gleich fand, daß er auf ihr umherging und die Wunderdinge auf ihr



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schaute, darunter auch den Vogel, dessen Leib aus Perlen und grünem Smaragd und dessen Federn aus edlen Erzen bestanden, wie er dort saß und Allah pries und für Mohammed - Allah segne ihn und gebe ihm Heil! — betete. Als Bulûkija jenen großen Vogel erblickte, fragte er ihn: ,Wer bist du? Was ist es mit dir?' Jener antwortete: ,Ich bin einer von den Vögeln des Paradieses. Wisse, mein Bruder, als Gott der Erhabene Adam aus dem Paradiese vertrieb, ließ er ihn vier Blätter mitnehmen, auf daß er seine Blöße damit bedecke. Die fielen auf die Erde; eins von ihnen fraß der Wurm, und daraus wurde die Seide; das zweite fraßen die Gazellen, und daraus wurde der Moschus; das dritte fraßen die Bienen, und daraus entstand der Honig; das vierte aber fiel in das Land Indien, und daraus entstanden die Gewürze. Was mich angeht, so bin ich lange auf der ganzen Erde umhergewandert, bis Allah der Erhabene mir in seiner Gnade diese Stätte zuwies. und da blieb ich denn. In jeder Nacht zum Freitag und am Freitag selbst kommen die Heiligen und die Glaubensfürsten aus der ganzen Welt hierher, um diese Stätte zu besuchen, und dann essen sie von den Speisen dort. Dies ist ein Gastmahl Allahs des Erhabenen, mit dem er sie in jeder Nacht zum Freitag und am Tage darauf bewirtet. Danach aber wird der Tisch wieder zum Paradiese entrückt, und niemals nehmen die Speisen ab oder verderben.' So aß denn auch Bulûkija davon. Doch als er satt war und Allah den Erhabenen pries, erschien plötzlich el-Chidr' — Heil sei über ihm! Da erhob sich Bulükija, grüßte ihn und wollte fortgehen. Doch der Vogel rief ihm zu: ,Bleib sitzen, Bulûkija, und warte in Gegenwart el-Chidrs - Heil sei über ihm!' Als er sich dann wieder gesetzt hatte, sprach el-Chidr zu



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ihm: ,Tu mir kund, wie es um dich steht, und erzähle mir deine Geschichte!' Da berichtete Bulûkija ihm alles von Anfang an bis zu der Zeit, da er an die Stätte gekommen war, an der er nun vor el-Chidr saß. Und zum Schlusse fragte er: ,Mein Gebieter. wie weit ist es von hier nach Kairo?' ,Eine Reise von fünfundneunzig Jahren', erwiderte jener. Wie Bulûkija das hörte, begann er zu weinen. Dann ergriff er el-Chidrs Hand und küßte sie und fichte ihn an: ,Befrei mich von dieser Wanderschaft! Allah wird es dir lohnen. Sieh, ich bin dem Ende nahe, und ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.' Da gab el-Chidr zur Antwort: ,Bete zu Allah dem Erhabenen, daß er mir gestatte, dich nach Kairo zubringen, ehe du umkommst.' Und Bulûkija fichte unter Tränen zu Allah dem Erhabenen, und Er nahm sein Gebet an und befahl dem Heiligen, über dem Heil sei, durch eine Offenbarung, Bulûkija zu den Seinen zu bringen. Dann sprach el-Chidr -Heil sei über ihm! — zu Bulûkija: ,Erhebe dein Haupt! Allah hat dein Gebet erhört und mir durch eine Offenbarung geboten, dich nach Kairo zu führen. Nun faß mich an, halte mich mit beiden Händen fest und schließe deine Augen!' Der Jüngling tat, wie ihm befohlen war; el-Chidr aber tat einen einzigen Schritt und sagte dann zu Bulûkija: ,Öffne deine Augen!' Als jener die Augen aufmachte, sah er sich vor der Tür seines Palastes stehen. Er wandte sich um und wollte von el-Chidr - Heil sei über ihm! —Abschied nehmen; doch er fand keine Spur mehr von ihm. ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 533. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Bulûkija, als el-Chidr -Heil sei über ihm! —ihn an die Tür seines Palastes ge



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bracht hatte, seine Augen aufschlug und von ihm Abschied nehmen wollte, ihn aber nicht fand. Dann trat er in sein Schloß ein, und als seine Mutter ihn erblickte, stieß sie einen lauten Schrei aus und sank vor Freuden ohnmächtig nieder. Man sprengte ihr Wasser ins Antlitz, um sie wieder ins Bewußtsein zu rufen: und als sie erwachte, umarmte sie ihn unter heißen Tränen, während Bulükija bald weinte und bald lachte. Dann kamen auch die Seinen zu ihm, alle seine Freunde und Anverwandten, und wünschten ihm Glück zu seiner sicheren Heimkehr. Und die Kunde verbreitete sich im Lande, und von allen Seiten wurden ihm Geschenke dargebracht. Die Trommeln wurden geschlagen, die Pfeifen geblasen, und alles Volk freute sich gewaltig. Dann erzählte auch Bulükija seine Geschichte und berichtete alles, was er erlebt hatte, und wie zuletzt el-Chidr ihn an die Tür seines Palastes gebracht hatte. Alle Leute verwunderten sich darüber, und sie weinten, bis sie des 'Weinens müde waren.'

*



***
Dieser ganzen Erzählung der Schlangenkönigin hatte Hâsib Karîm ed-Dîn mit Staunen zugehört und dabei viele Tränen vergossen. Nun aber sprach er wiederum zu ihr: ,Ich möchte in meine Heimat zurückkehren.' Die Königin der Schlangen jedoch erwiderte ihm: ,Ich fürchte, o Hâsib, wenn du in deiner Heimat bist, so wirst du dein Versprechen nicht halten, sondern deinen Schwur brechen, indem du ins Bad gehst.' Da schwur er ihr noch manche feierliche Eide, er wolle sein ganzes Leben lang nie wieder ins Bad gehen. Nun rief die Königin endlich eine Schlange und befahl ihr, Hâsib Karîm ed-Dîn wieder an die Oberfläche der Erde zu bringen. Die Schlange nahm ihn mit sich und führte ihn von Ort zu Ort. bis sie ihn



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zur Öffnung eines verlassenen Brunnens hinausbrachte. Darauf ging er allein weiter, bis er zur Stadt kam, und dort begab er sich zu seiner Wohnung. Es war aber gegen Abend, als die Sonne schon gelb ward. Er klopfte an die Tür; seine Mutter kam heraus und öffnete. Da sah sie plötzlich ihren Sohn vor sich. Bei seinem Anblick warf sie sich in übergroßer Freude auf ihn und weinte. Und als seine Frau das Weinen hörte, kam auch sie herausgelaufen. Wie sie aber ihren Gatten erblickte, grüßte sie ihn und küßte ihm die Hände. Und alle hatten große Freude aneinander. Dann gingen sie wieder ins Haus hinein, und als sich alle gesetzt hatten und er wieder zwischen den Seinen dasaß, fragte er nach den Holzfällern, die einst mit ihm Holz zu holen pflegten und ihn dann in der Zisterne verlassen hatten. Seine Mutter gab ihm zur Antwort: ,Sie kamen zu mir und sagten, der Wolf im Tal habe dich gefressen. Jetzt sind sie Kaufleute und Besitzer von Häusern und Läden geworden, und sie führen ein behagliches Leben. Aber täglich bringen sie mir Speise und Trank; so tun sie bis zum heutigen Tage.' Da sprach Hâsib zu seiner Mutter: ,Geh du morgen zu ihnen und sage ihnen: ,Mein Sohn Hâsib Karîm ed-Dîn ist von seiner Reise zurückgekehrt; also kommt, empfangt ihn und begrüßt ihn!' Und als es Morgen ward, ging sie zu den Häusern der Holzfäller und brachte ihnen die Botschaft ihres Sohnes. Wie jene aber diese Worte vernahmen, erblichen sie und sprachen: ,Wir hören und gehorchen!' Und jeder von ihnen gab ihr ein seidenes Gewand, das mit Gold bestickt war, indem er sprach: ,Gib das deinem Sohne, auf daß er es anlege, und sage ihm, wir würden morgen zu ihm kommen.' Sie erwiderte einem jeden: ,Ich höre und gehorche!' und kehrte zu ihrem Sohne zurück, richtete ihre Botschaft aus und gab ihm die Geschenke, die man ihr gegeben hatte.



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Sehen wir nun aber, was die Holzhauer inzwischen taten! Sie riefen eine Anzahl von Kaufleuten zusammen und gestanden ihnen, wie sie einst gegen Hâsib Karîm ed-Dîn gehandelt hatten, und schlossen mit den Worten: ,Was sollen wir jetzt mit ihm tun?' Die Kaufleute erwiderten: ,Es gebührt sich, daß ein jeder von euch ihm die Hälfte seines Geldes und seiner Mamluken gebe.' Mit diesem Plane waren alle einverstanden; und so nahm ein jeder die Hälfte seines Besitzes mit sich, und alle gingen gemeinsam zu ihm, begrüßten ihn und küßten ihm die Hände. Und indem sie ihm alles überreichten, sprachen sie zu ihm: ,Dies kommt von deiner Güte. und wir stehen zu deiner Verfügung.' Er nahm ihre Gaben an und sprach: ,Was vergangen ist, ist vergangen. Dies war von Allah so bestimmt. Und gegen das, was einmal beschlossen ist, hilft keines Vorsichtigen List.' Darauf baten sie ihn: ,Komm, wir wollen uns in der Stadt ergehen und das Bad besuchen.' Doch er antwortete: ,Ich habe einen Eid geschworen, in meinem ganzen Leben nie mehr ein Bad zu betreten.' ,Nun denn,' so baten sie weiter, ,komm mit uns nach Haus, auf daß wir dich bewirten können!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er und ging mit ihnen zu ihren Häusern. Ein jeder von ihnen bewirtete ihn an einem Abend, bis in dieser Weise sieben Abende vergangen waren. Nun war auch er Besitzer von Geld und Häusern und Läden, und die Kaufleute der Stadt versammelten sich bei ihm. und er erzählte ihnen seine Erlebnisse. So wurde er einer der angesehensten Kaufherren. Eine ganze Weile führte er dies Leben; da begab es sich eines Tages, daß er in die Stadt ging und einer seiner Freunde, der Besitzer eines Bades, ihn erblickte, wie er an der Tür des Bades vorbeiging. Ihre Blicke trafen sich, und der Freund begrüßte ihn und umarmte ihn. Dann sprach er zu ihm: ,Bitte, tritt ein und nimm ein Bad, damit ich



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dir Gastfreundschaft erweisen kann!' Aber Hâsib erwiderte ihm: ,Ich habe einen Eid geschworen, in meinem ganzen Leben nie mehr ein Bad zu betreten.' Dennoch beschwor ihn der Badbesitzer und rief: ,Meine drei Frauen sollen dreifach geschieden sein, wenn du nicht mit mir eintrittst und ein Bad nimmst!' Da ward Hâsib verwirrt, und er sprach: ,Willst du denn, mein Bruder, meine Kinder zu Waisen machen, mein Haus zugrunde richten und mir die Sündenlast auf den Rücken legen?' Nun warf der Mann sich ihm zu Füßen, küßte sie und sprach: ,Ich bitte dich um alles in der Welt, tritt ein mit mir ins Bad; die Sünde komme über mein Haupt!' Alsbald kamen alle Diener des Bades und die Leute. die darin waren. zuhauf, drangen auf Hâsib ein, schleppten ihn ins Bad und nahmen ihm die Kleider ab. Kaum aber war er im Bade drinnen und hockte an der Wand nieder und begann, sich Wasser aufs Haupt zu gießen, da kamen zwanzig Männer auf ihn zu und riefen: ,Auf, Mann, folge uns! Du bist ein Schuldner des Sultans.' Dann entsandten sie einen aus ihrer Zahl zum Wesir des Sultans; der eilte fort und brachte die Meldung. Und alsbald stieg der Wesir mit sechzig Mamluken zu Rosse, und sie ritten dahin, bis sie zum Bade kamen und Hâsib Karîm ed-Dîn trafen. Der Minister begrüßte ihn und hieß ihn willkommen; dem Badbesitzer aber gab er hundert Goldstücke. Dann befahl er für Hâsib ein Pferd zu bringen, damit er reite. Und nun zogen der Wesir und Hâsib und die ganze Dienerschar dahin, bis sie zum Schlosse des Sultans kamen; dort saßen alle ab, der Minister und seine Leute und Hâsib. und setzten sich im Schlosse nieder. Die Tische wurden gebracht, und man und trank. Nachdem auch die Hände gewaschen waren, gab der Wesir ihm zwei Ehrengewänder, von denen ein jedes fünftausend Dinare wert war, und sprach zu ihm: ,Wisse, Allah



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hat dich uns geschenkt und hat dich in seiner Barmherzigkeit zu uns kommen lassen. Der Sultan liegt todkrank am Aussatz darnieder; und die Bücher haben uns angezeigt, daß sein Leben in deiner Hand steht.' Darob war Hâsib sehr erstaunt; und nun führten ihn der Wesir und die Würdenträger des Reiches durch sieben Türen des Schlosses, bis sie zum König eintraten. Jener König war König Karazdân geheißen, der Herrscher von Persien, und er gebot über die sieben Lande. Und ihm waren hundert Sultane untergeben, die auf Thronen von rotem Golde saßen, dazu hunderttausend Ritter, von denen ein jeder hundert Statthalter unter sich hatte, und hundert Henker, die Schwerter und Beile trugen. Diesen König also fanden sie auf seinem Bette liegen; sein Antlitz war mit einem Tuche verhüllt, und er stöhnte im Übermaß der Schmerzen. Als Hâsib all die Pracht dort sah. erstarb er in Ehrfurcht vor König Karazdân, küßte den Boden vor ihm und flehte Segen auf sein Haupt herab. Darauf trat der Großwesir, Schamhûr geheißen, auf Hâsib zu, bot ihm den Willkommensgruß und ließ ihn auf einem hohen Stuhle zur Rechten des Königs sitzen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 534. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir Schamhûr auf Hâsib zutrat und ihn auf einem hohen Stuhle zur Rechten des Königs Karazdân sitzen ließ. Dann wurden die Tische gebracht, und man aß und trank. Nachdem man sich auch die Hände gewaschen hatte, erhob sich der Wesir Schamhûr; und alle, die im Saale waren, erhoben sich zugleich aus Ehrfurcht vor ihm. Dann schritt er auf Hâsib Karîm ed-Dîn zu und sprach zu ihm: ,Wir stehen dir zu Diensten; alles, was du wünschest,



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wollen wir dir geben, ja, sogar die Hälfte des Reiches würden wir dir schenken, wenn du sie verlangtest: denn die Heilung des Königs ruht in deiner Hand.' Darauf nahm er ihn bei der Hand und führte ihn zum König; und als Hâsib das Antlitz des Königs aufdeckte und ihn anschaute, erkannte er, daß jener auf den Tod erkrankt war. Darüber war er bestürzt. Doch nun beugte sich der Wesir über Hâsibs Hand und küßte sie und sprach: ,Wir flehen dich an, heile diesen König, und wir wollen dir alles geben, was du verlangst. Dies ist unsere Bitte an dich.' Hâsib gab ihm zur Antwort: ,Freilich bin ich der Sohn Daniels, des Propheten Allahs; aber ich verstehe nichts von dieser Wissenschaft. Man hat mich wohl dreißig Tage in der Heilkunst unterrichtet; doch ich habe nichts davon gelernt. Ich wollte, ich verstände etwas davon und könnte diesen König heilen!' Aber der Wesir fuhr fort: ,Verschwende nicht zuviel Worte an uns! Wenn wir auch alle Ärzte aus Ost und West zusammenberiefen, so könnte ihn doch niemand heilen als du allein.' Da fragte Hâsib: ,Wie kann ich ihn gesund machen, wo ich weder seine Krankheit noch ihre Heilung kennet' Doch der Minister beharrte darauf: ,Die Heilung des Königs liegt in deiner Hand.' Und als Hâsib sagte: ,Wenn ich das Mittel für ihn wüßte, so würde ich ihn heilen', fuhr jener fort: ,Du weißt recht wohl das Mittel für ihn: es ist die Schlangenkönigin; du kennst ihre Stätte, du hast sie gesehen, du bist bei ihr gewesen!' Als Hâsib diese Worte hörte, ahnte er, daß all dies geschah, weil er das Bad betreten hatte; und er bereute, als die Reue nichts mehr fruchtete. Und er sprach: ,Wie ist das mit der Schlangenköniginm Ich kenne sie nicht, habe auch mein Leben lang nie ihren Namen gehört.' ,Leugne nicht, daß du sie kennst!' erwiderte der Wesir, ,ich habe Beweise dafür, daß du um sie weißt und zwei Jahre bei ihr gewesen bist.' Dennoch



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beteuerte Hâsib: ,Ich kenne sie nicht, ich habe sie nie gesehen, und ich habe erst jetzt durch euch zum ersten Male etwas von ihr gehört.' Da holte der Wesir ein Buch, schlug es auf und begann zu berechnen. Dann sprach er: ,Siehe, die Schlangenkönigin wird mit einem Manne zusammentreffen, und er wird zwei Jahre bei ihr bleiben. Dann wird er von ihr gehen und zur Oberfläche der Erde zurückkehren. Und wenn er in ein Bad eintritt, so wird sein Bauch schwarz werden!' Darauf sagte er zu Hâsib: ,Sieh deinen Bauch an!' Er tat es und sah, daß er schwarz war; aber er entgegnete dem Wesir: ,Mein Bauch war schwarz seit dem Tage, da meine Mutter mich gebar.' Jener aber fuhr fort: ,Ich hatte bei jedem Bade drei Mamluken aufgestellt; die mußten auf jeden, der eintrat, genau achten, mußten auf seinen Bauch sehen und mir Meldung bringen. Und als du in das Bad eintratst, blickten sie auf deinen Bauch und sahen, daß er schwarz geworden war. Sie brachten mir die Meldung; und wir konnten es kaum abwarten, noch heute dich bei uns zu sehen. Wir wünschen auch nichts anderes von dir, als daß du uns die Stelle zeigst, an der du herausgekommen bist; dann kannst du deiner Wege gehen. Wir vermögen die Schlangenkönigin festzuhalten, und wir haben Leute, die sie holen können.' Als Hâsib diese Worte hörte, bereute er es von neuem, daß er in das Bad eingetreten war, und machte sich bittere Vorwürfe, jetzt, da die Reue ihm nichts mehr nützte. Und die Emire und Wesire drangen in ihn, er möchte ihnen doch die Stätte der Schlangenkönigin zeigen, bis sie müde waren. Aber immer noch sagte er: ,Ich habe dies Wesen nie gesehen, und ich habe nie von ihm gehört.' Zuletzt rief der Wesir nach dem Henker; und als der gekommen war, befahl er ihm, Hâsib zu entkleiden und heftig zu schlagen. Der tat es so lange, bis Hâsib im Übermaße des Schmerzes schon den



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Tod vor Augen sah. Wieder hub der Wesir an: ,Wir haben sichere Beweise, daß du die Stätte der Schlangenkönigin kennst. Warum leugnest du noch? Zeig uns die Stelle, an der du herausgekommen bist; dann geh fort von uns. Wir haben einen, der sie fängt; dir wird nichts Böses geschehen.' So redete er ihm gut zu; auch ließ er ihn wieder aufrichten und befahl, ihm ein Ehrenkleid zu bringen, das mit rotem Golde bestickt und mit Juwelen besetzt war. Schließlich gehorchte Hâsib dem Befehle des Wesirs und sprach zu ihm: ,Ich will euch die Stelle zeigen, an der ich herausgekommen bin.' Als der Wesir das hörte, war er hocherfreut und stieg mit allen Emiren zu Roß; auch Hâsib mußte aufsitzen und vor der Schar herreiten. bis sie zu dem Berge kamen. Dort ging er mit ihnen in die Höhle, aber er weinte und seufzte. Die Emire und Wesire waren abgesessen und schritten hinter ihm her, bis sie zu dem Brunnen kamen, aus dem er heraufgestiegen war. Da trat der Großwesir vor, setzte sich nieder, verbrannte den Weihrauch, fing an zu beschwören und sprach Zauberformeln, blies und murmelte; denn er war ein kundiger Magier, ein Zauberer, der in der Wissenschaft von den Geistern und vielen andern Dingen bewandert war. Und als die erste Beschwörung zu Ende war, sprach er eine zweite und dann eine dritte; und jedesmal, wenn der Weihrauch verbrannt war, warf er neuen auf das Feuer. Zuletzt rief er: ,Komm hervor, du Königin der Schlangen!' Und siehe da, das Wasser im Brunnen senkte sich, eine große Tür tat sich auf, und ein gewaltiges Getöse, dem Donner gleich, drang aus ihr hervor. Da glaubten sie, der Brunnen sei eingestürzt, und alle, die dort waren, sanken in Ohnmacht; ja, einige starben vor Schrecken. Und nun kam aus jenem Brunnen eine Schlange hervor, die war so groß wie ein Elefant, und sie sprühte Funken gleich glühenden Kohlen aus ihren Augen



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und aus ihrem Munde hervor. Und auf ihrem Rücken war eine Schale aus rotem Golde, die mit Perlen und Edelsteinen besetzt war; inmitten jener Schale lag eine Schlange, die mit ihrem Glanze den Raum erfüllte; ihr Antlitz glich dem eines Menschen, und sie sprach mit wohlberedter Zunge. Das war die Schlangenkönigin. Sie wandte sich nach rechts und nach links, und als ihr Blick auf Hâsib fiel, sprach sie: ,Wo ist das Versprechen, das du mir gabst, wo der Eid, den du mir schwurest, du wollest nie mehr ein Bad betreten? Doch gegen das Schicksal nützt kein Mittel, und keiner kann den Dingen entgehen, die ihm auf der Stirne geschrieben stehn. Allah hat es so gefügt, daß ich durch deine Hand mein Ende finden soll; das ist Sein Wille, und Er hat bestimmt, daß ich getötet, König Karazdân aber von seiner Krankheit geheilt werden soll.' Darauf weinte die Schlangenkönigin bitterlich, und auch Hâsib weinte mit ihr. Doch als der Wesir Schamhûr, der Verfluchte. die Schlangenkönigin sah, streckte er seine Hand aus, um sie zu ergreifen. Da schrie sie ihn an: ,Nimm die Hand zurück, du Verfluchter; sonst blase ich dich an und mache dich zu einem Häuflein schwarzer Asche.' Dann rief sie Hâsib und sprach zu ihm: ,Komm du zu mir, nimm mich in deine Hand und lege mich in die Schüssel, die ihr dort bei euch habt; dann trag sie auf deinem Kopfe! Mein Tod durch deine Hand war von Ewigkeit her bestimmt, und du hast keine Macht, ihn abzuwenden.' Da nahm er sie und legte sie sich aufs Haupt; und der Brunnen ward, wie er zuvor gewesen war. Dann machten sich alle auf den Heimweg nach der Stadt, während Hâsib die Schüssel auf dem Haupte trug. Unterwegs aber sprach die Schlangenkönigin heimlich zu ihm: ,Hâsib, höre auf den guten Rat, den ich dir gebe, obwohl du das Versprechen nicht gehalten und den Eid gebrochen und all dies getan hast; doch



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das war ja alles von Ewigkeit her so bestimmt.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er; ,was befiehlst du, o Königin der Schlangen?' Da fuhr sie fort: ,Wenn du zum Hause des Wesirs kommst, so wird er dir sagen, du sollest mich töten und in drei Teile zerschneiden. Dessen weigere du dich; tu es nicht, sondern sprich zu ihm: ,Ich weiß nicht, wie man schlachtet', auf daß er mich mit seiner eigenen Hand töte und mit mir tue, was er will! Wenn er mir dann das Leben genommen und mich zerschnitten hat, so wird ein Bote zu ihm kommen, der ihn zu König Karazdân entbietet. Darauf wird er mein Fleisch in einen kupfernen Kessel tun und den Kessel über ein Kohlenbecken stellen. Und ehe er zum König geht, wird er zu dir sagen: ,Schüre das Feuer unter diesem Kessel, bis der Schaum von dem Fleische aufsteigt! Wenn das geschehen ist, nimm den Schaum ab und tu ihn in eine Phiole und warte, bis er abkühlt: dann trink ihn aus, und wenn du das getan hast, so wirst du nie mehr Krankheit in deinem Leibe haben. Danach, wenn der zweite Schaum aufsteigt, so tu ihn in eine andere Phiole und bewahre sie bei dir auf, bis ich vom König zurückkomme; ich will ihn trinken wegen einer Krankheit in meinem Rückgrat!' Und er wird dir die beiden Phiolen geben und dann zum König gehen. Wenn er also fort ist, so schüre das Feuer unter dem Kessel, bis der erste Schaum aufsteigt, nimm ihn ab und tu ihn in die eine Phiole; die heb auf und hüte dich, davon zu trinken, denn wenn du davon trinkst, so wird dir nichts Gutes geschehen. Steigt dann der zweite Schaum auf, so tu ihn in die andere Phiole, warte, bis er sich kühlt, und bewahre dann das Fläschchen bei dir auf, damit du es nachher trinken kannst. Wenn der Wesir aber vom König zurückkommt und von dir die zweite Phiole verlangt, so gib ihm die erste und schau, was ihm begegnen wird.' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 535. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Schlangenkönigin Hâsib ermahnte, nicht von dem ersten Schaum zu trinken, und den zweiten sorgfältig aufzubewahren, indem sie sprach: ,Wenn der Wesir vom König zurückkommt und von dir die zweite Phiole verlangt, so gib ihm die erste und schau, was ihm begegnen wird. Danach trinke du dann die zweite; und wenn du die getrunken hast, so wird dein Herz' zu einem Hause der Weisheit werden. Zuletzt nimm das Fleisch, lege es auf eine Schüssel aus Kupfer und gib es dem König, auf daß er es esse. Wenn er gegessen hat und das Fleisch in seinem Magen liegt, so bedecke sein Antlitz mit einem Tuche und warte bis zur Mittagszeit, bis sein Leib sich abgekühlt hat. Darauf gib ihm etwas Wein zu trinken, und er wird wieder gesund werden wie zuvor und von seiner Krankheit geheilt sein durch die Macht Allahs des Erhabenen! Dies ist der Rat, den ich dir gebe; bewahre ihn sorgsam in deinem Gedächtnis!' So gingen sie dahin, bis sie zum Hause des Wesirs kamen. Dort sagte der Wesir zu Hâsib: ,Tritt mit mir ins Haus ein!' Als nun der Wesir mit Hâsib hineingegangen war und die andere Schar sich zerstreut hatte und ein jeder von ihnen seines Weges gezogen war, nahm Hâsib die Schale, auf der die Schlangenkönigin lag, von seinem Haupte herab. Dann sprach der Wesir zu ihm: ,Schlachte die Königin der Schlangen!' Doch Hâsib erwiderte ihm: ,Ich weiß nicht, wie man schlachtet. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas geschlachtet. Wenn du sie töten willst, so tu du es mit eigener Hand!' Sofort nahm der Wesir Schamhûr die Schlangenkönigin von der Schale, auf der sie



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lag, herunter und schlachtete sie. Als Hâsib das sehen mußte, weinte er bittere Tränen; aber Schamhûr lachte seiner und sprach: ,Du Schwachkopf, wie kannst du weinen, wenn eine Schlange getötet wird?' Dann zerschnitt er sie in drei Stücke und legte sie in einen kupfernen Kessel; den Kessel aber stellte er aufs Feuer und setzte sich, um zu warten, bis das Fleisch gar wäre. Doch während er dasaß, trat plötzlich ein Mamluk vom König an ihn heran und sprach zu ihm: ,Der König verlangt in diesem Augenblick nach dir.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der 'Wesir; und rasch holte er zwei Phiolen für Hâsib und gab sie ihm mit den Worten: ,Schüre das Feuer unter diesem Kessel, bis der erste Schaum von dem Fleische aufsteigt; wenn er hochkommt, so schäume ihn von dem Fleische ab und tu ihn in eine dieser beiden Fläschchen! Dann warte, bis er sich abkühlt, und trinke ihn; wenn du ihn trinkst, so wird dein Leib gesund sein, und du wirst nie mehr krank werden! Und wenn der zweite Schaum aufsteigt, so tu ihn in das andere Fläschchen und heb es auf, bis ich vom König zurückkomme; ich will es trinken, weil ich im Rückenmark Schmerzen habe, die vielleicht geheilt werden, wenn ich davon trinke!' Darauf begab er sich zum König, nachdem er Hâsib noch einmal den Auftrag eingeschärft hatte. Hâsib nun begann das Feuer unter dem Kessel zu schüren, bis der erste Schaum aufstieg; den schäumte er ab und tat ihn in eine der beiden Phiolen und bewahrte sie bei sich auf. Dann schürte er das Feuer unter dem Kessel weiter, bis der zweite Schaum emporkam; auch den schäumte er ab, und er tat ihn in die andere Phiole und behielt sie bei sich. Als aber das Fleisch gar war, nahm er den Kessel vom Feuer herunter und setzte sich, um auf den Wesir zu warten. Als jener nun von dem König zurückkam, fragte er Hâsib: ,Was hast du getan?' ,Die Arbeit ist vollbracht', erwiderte



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Hâsib; und der Wesir fuhr fort: ,Was hast du mit der ersten Flasche gemachte' ,Ich habe soeben getrunken, was darin war.' ,Aber ich sehe nicht, daß dein Körper irgendwie verändert ist.' ,Ich fühle, daß mein Leib wie Feuer brennt, vom Scheitel bis zur Sohle.' Der falsche Wesir Schamhûr verbarg die Wahrheit arglistig vor Hâsib und sagte nun: ,Gib mir die andere Flasche; ich will trinken, was darin ist; vielleicht werde ich von diesen Schmerzen in meinem Rückgrat geheilt!' Darauf trank er den Inhalt der ersten Flasche, in dem Glauben, er tränke aus der zweiten. Kaum aber hatte er sie getrunken, da entfiel sie seiner Hand, und er schwoll sofort auf und platzte. So ward an ihm das Sprichwort wahr: ,Wer seinem Bruder eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.' Als Hâsib das sah, erschrak er; und er zauderte, die zweite Phiole zu trinken. Aber er dachte an die Mahnung der Schlange, und er sagte sich: ,Wenn in dieser Flasche etwas Schädliches wäre, so hätte der Wesir sie nicht für sich gewählt.' Und mit den Worten: ,Ich setze mein Vertrauen auf Allah' trank er sie aus. Kaum hatte er das getan, da ließ Allah der Erhabene in seinem Herzen die Quellen der Weisheit sprudeln und öffnete ihm den Born des Wissens, und Freude und Lust kamen über ihn. Dann nahm er das Fleisch, das in dem Kessel war, legte es auf die kupferne Schüssel und verließ das Haus des Wesirs. Und er hob sein Haupt gen Himmel auf. Da sah er die sieben Himmel und was darinnen ist, bis zum Lotusbaum', über den kein Weg hinaus führt; er sah auch die Art des Kreisens der Sphären, und Allah offenbarte ihm alle die Geheimnisse des Himmels; er sah die Planeten und die Fixsterne und erkannte die Art der Sternenbahnen und schaute die Form von Festland und Meer. So erlangte



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er die Kenntnis der Geometrie, der Astrologie, der Astronomie, der Sphärenkunde, der Arithmetik und alles dessen, was damit zusammenhängt; und er begriff die Ursachen der Finsternisse von Sonne und Mond und vieles andere derart. Dann blickte er auf die Erde. und er sah darin alle Mineralien und Pflanzen und Bäume und erkannte ihre Eigenschaften und Kräfte. Dadurch erlangte er die Kenntnis der Heilkunst, der natürlichen Magie und der Chemie und lernte die Kunst, Gold und Silber zu machen. Indessen trug er das Fleisch dahin, bis er zum König Karazdân kam; bei ihm trat er ein, küßte den Boden vor ihm und sprach: ,Möge dein Haupt deinen Wesir Schamhûr überleben!' Da ward der König gewaltig erregt über den Tod seines Wesirs, und er weinte bitterlich, und auch alle die Wesire und Emire und Großen des Reiches weinten um ihn. Darauf sprach der König Karazdân: ,Der Wesir Schamhûr war doch eben noch in voller Gesundheit bei mir. und er ging fort, um mir das Fleisch zu bringen, wenn es gar wäre. Wie kommt es, daß er jetzt tot ist? Was für ein Unheil hat ihn betroffen?' Da erzählte Hâsib dem König alles, wie es sich zugetragen hatte, wie der Wesir die Flasche getrunken hatte, wie dann sein Leib angeschwollen und aufgequollen und er selbst gestorben war. Der König war tief um ihn betrübt, und er sprach zu Hâsib: ,Was soll nun aus mir werden, da Schamhûr tot ist?' ,Sorge dich nicht, o größter König unserer Zeit,' erwiderte jener, ,ich werde dich in drei Tagen heilen, so daß keine Spur von der Krankheit in deinem Leibe zurückbleibt.' Da schwoll dem König Karazdân das Herz vor Freude, und er sprach zu Hâsib: ,Ich will so gern von dieser Plage befreit werden, und wenn es auch noch Jahre dauern sollte!' Nun machte Hâsib sich ans Werk. Er holte die Schüssel und setzte sie vor den König hin, nahm ein Stück von dem Fleische der



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Schlangenkönigin und gab es ihm zu essen; dann deckte er ihn zu und breitete ein Tuch über sein Gesicht, setzte sich neben ihn und empfahl ihm, zu schlafen. Der König schlief von Mittag bis Sonnenuntergang, bis das Stück Fleisch in seinem Magen verdaut war. Danach weckte er ihn auf, gab ihm etwas Wein zu trinken und empfahl ihm, wieder zu schlafen. Der König schlief die Nacht hindurch bis zum Morgen; und als der Tag anbrach, tat Hîsib genau so, wie er am Tage vorher getan hatte, und so gab er ihm die drei Stücke in drei Tagen zu essen. Da schrumpfte die Haut des Königs zusammen und schälte sich ganz ab, und schließlich begann er so sehr zu schwitzen, daß der Schweiß ihm vom Kopfe bis zu den Füßen rann. Aber er war gesund geworden, und keine Spur von Krankheit war in seinem Leibe geblieben. Danach sprach Hâsib zu ihm: ,Jetzt mußt du ins Bad gehen.' Und so führte er ihn ins Bad und wusch ihm den Leib; und als er ihn wieder hinausführte, war des Königs Leib wie ein silberner Stab, und er war wieder gesund wie zuvor, ja, er fühlte sich noch kräftiger und besser als je in früherer Zeit. Nun legte er seine besten Gewänder an und setzte sich auf den Thron; und er geruhte, Hâsib Karim cd-Dîn an seiner Seite sitzen zu lassen. Darauf befahl er die Tische zu breiten, und es geschah also; und beide, der König und Hâsib, aßen und wuschen sich danach die Hände. Dann befahl er, den Wein zu bringen; und als man gebracht hatte, was er verlangte, tranken die beiden. Und hernach kamen alle die Emire und Wesire, die Krieger und die Großen des Reiches und die Vornehmen unter dem Volke und wünschten ihm Glück zu seiner völligen Genesung. Die Trommeln wurden geschlagen, und die Stadt ward geschmückt, weil der König genesen war. Und als alle, die ihre Glückwünsche darbringen wollten, bei dem König versammelt waren, sprach er zu ihnen:



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,Ihr Männer, Wesire und Emire und Großen des Reiches, dieser da, Hâsib Karim ed-Dîn, ist es, der mich von meiner Krankheit geheilt hat. Wisset daher, daß ich ihn zum Großwesir gemacht habe an Stelle des Wesirs Schamhûr.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 536. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Karazdân zu seinen Wesiren und Großen seines Reiches sprach: ,Der mich von meiner Krankheit geheilt hat, ist Hâsib Karîm ed-Dîn; darum habe ich ihn zum Großwesir gemacht an Stelle des Wesirs Schamhûr. Wer ihn liebt, der liebt auch mich; und wer ihn ehrt, der ehrt mich; und wer ihm gehorcht, der gehorcht auch mir.' Da riefen alle: ,Wir hören und gehorchen!' und sie gingen alle hin und küßten Hâsibs Hand, begrüßten ihn und beglückwünschten ihn zur Ministerwürde. Dann verlieh der König ihm ein kostbares Ehrengewand, das mit rotem Golde durchwirkt und mit Perlen und Edelsteinen besetzt war, deren kleinster einen Wert von fünftausend Dinaren hatte. Ferner schenkte er ihm dreihundert Mamluken und dreihundert Odalisken, die mondengleich strahlten, dreihundert abessinische Sklavinnen und fünfhundert Maultiere, die mit Schätzen beladen waren, dazu allerlei Haustiere, Kleinvieh, Büffel und Rinder, so viel, daß keiner es beschreiben kann. Nach alledem befahl der König den Wesiren und Emiren, den Großen seines Reiches und den Vornehmen seiner Herrschaft, den Mamluken und allen Untertanen, auch sie sollten ihm Geschenke bringen. Hâsib bestieg nun sein Roß und ritt, begleitet von den Wesiren und Emiren, den Großen des Reiches und der gesamten Kriegerschar, zu dem Hause, das der König für ihn bestimmt hatte. Dort setzte er sich auf einen Stuhl, und die



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Emire und Wesire küßten ihm die Hände und wünschten ihm von neuem Glück zu seiner hohen Würde, und alle wetteiferten, ihm zu dienen. Auch seine Mutter war aufs höchste erfreut und beglückwünschte ihn zu seinem Amte. Und dann kamen die Seinen und brachten ihre Glückwünsche dar, daß er sicher heimgekehrt und nun gar Wesir geworden war; und alle zeigten ihre große Freude. Zuletzt kamen auch seine einstigen Freunde, die Holzhauer, und beglückwünschten ihn zu seiner neuen Stellung. Nach alldem saß er wieder auf und ritt zum Schlosse des Wesirs Schamhûr, versiegelte das Haus und legte seine Hand auf alles, was darinnen war; das nahm er für sich in Besitz und ließ es in sein Haus schaffen. So wurde er, der früher nichts von den Wissenschaften. nicht einmal lesen und schreiben gelernt hatte, durch den Ratschluß Allahs des Erhabenen zu einem Gelehrten, der alle Wissenschaften beherrschte. Und der Ruf seiner Gelehrsamkeit verbreitete sich, und seine Weisheit wurde in allen Landen gerühmt. Er ward bekannt als ein Meer des Wissens von der Heilkunde und der Astronomie, der Geometrie und der Astrologie, der Chemie und der natürlichen Magie, der Geisterkunde und allen anderen Wissenschaften.

Eines Tages nun sprach er zu seiner Mutter: ,Liebe Mutter, mein Vater Daniel war ein trefflicher Gelehrter. Sag mir doch, was er an Büchern und dergleichen hinterlassen hat.' Wie die Mutter das hörte, brachte sie ihm die Truhe. in die sein Vater die fünf Blätter gelegt hatte, jene Blätter, die er von seinen Büchern gerettet hatte, als er Schiffbruch litt. Und sie sagte zu ihm: ,Dein Vater hat von allen seinen Büchern nichts hinterlassen als die fünf Blätter, die in dieser Truhe sind.' Da öffnete er die Truhe, nahm die Blätter heraus und las sie. Dann sprach er: ,Liebe Mutter, diese Blätter sind ja nur Teile eines Buches;



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wo ist denn das übrige ?' Sie gab ihm zur Antwort: ,Dein Vater machte eine Seereise, auf die er alle seine Bücher mitnahm, und da litt er Schiffbruch, und seine Bücher gingen unter. Allah der Erhabene rettete ihn; aber von seinen Büchern blieben nur diese fünf Blätter übrig. Als dein Vater von der Reise zurückkehrte, war ich schwanger mit dir; und er sprach zu mir: ,Vielleicht wirst du einem Knaben das Leben schenken; nimm diese Blätter und bewahre sie auf bei dir, und wenn der Knabe herangewachsen ist und fragt, was ich ihm hinterlassen habe, so gib sie ihm und sprich: Dein Vater hat dir nichts anderes hinterlassen als dies. Und siehe, hier sind sie! !'Danach lebte Hâsib Karîm ed-Dîn, der nun der größte Gelehrte geworden war, bei Speise und Trank herrlich und in Freuden, bis Der zu ihm kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt. Dies ist das Ende von dem, was uns über die Geschichte von Hâsib, dem Sohne Daniels, bekannt geworden ist -Allah habe ihn selig! Und Allah weiß alle Dinge am besten. «

Nachdem Schehrezâd diese Geschichte von Hâsib Karîm ed-Dîn und der Schlangenkönigin beendet hatte, sprach sie: »Und sie ist doch nicht wunderbarer als die Geschichte von Sindbad!«' Da fragte König Schehrijâr: »Wie ist denn die?« Und nun erzählte sie


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