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Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


1. Hildebrand und Ermanarich

Von den germanischen Heldenliedern der Völkerwanderungszeit ist nur eins bewahrt, in deutschen Versen, in einer Handschrift des achten Jahrhunderts aus dem Kloster Fulda. Freilich fehlen die letzten Verse, und im Lied selbst sind auch Lücken. Wir zeigen es, mit leichten Änderungen in der übersetzung von karl Wolfskehl.

Ich hörte das sagen,
Daß sich Ausfordrer einzeln trafen:
Hildebrand und Hadubrand zwischen den Heeren. —
Sie, Sohn und Vater, sahen nach ihrem Panzer,
Schlossen ihr Schirmhemd, gürteten sich ihr Schwert um,
Die Reisigen über die Ringe, da zum Streite sie ritten. —
Hildebrand anhub, er war höher an Jahren,
Der Menschen Meister; gemessenen Wortes
Begann er zu fragen, wer sein Vater wäre,
Der Führer im Volke. —- — —-
— — — — —- "oder wes Geschlechtes du bist.
Wenn du mir einen sagest, weiß ich die andern eh',
Kind, im Königreiche; ich kenne die Heldenwelt." —
Hadubrand anhub, Hildebrands Sohn:
"Das sagten mir unsere Leute,
Alte Meister, die eh'r da waren,
Daß Hildebrand heiße mein Vater; ich heiße Hadubrand —
Ostwärts fuhr er einst, floh des Otaker Grimm
Weg mit Dietrich und vielen seiner Degen.
In der Heimat ließ er harmvoll zurück
Die Frau im Haus, das hilflose Kind,
Ganz ohn ' Erbe, er ritt gen Osten. —
Denn der Dietrich darbte so
Nach meinem Vater, der gar Verfemte.



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Der war dem Otaker bös ohne Maß
Und war der Degen liebster dem Dietrich.
Er ritt nur an Volkes Spitze, ihm war nur das Fechten zu lieb,
Kund war sein Name . . . . kühnen Männern.
Nicht, glaub ich, lebe noch" . . . .
"Zeuge der Höchste oben im Himmel,
Daß dennoch du nie mit so Versippten
Deine Sache führtest."
Da wand er vom Arm ab gewundene Spangen,
Kaisergoldwerk, wie's der König ihm gab,
Der Hunnen Herr: "das geb ' ich nun aus Huld dir!"
Hadubrand anhub, Hildebrands Sohn:
"Mit dem Gere soll man Gaben empfangen,
Spitze gen Spitze. . . . .
Du bist mir, alter Hunn', unmäßig schlau,
Lockst mich mit Worten, willst die Lanz' auf mich werfen,
So uralt bist du und immer voll Untreu. —
Das sagten mir, so die See befahren,
Westlich das Weltmeer, daß Krieg ihn wegnahm:
Tot ist Hildebrand, Herbrands Sohn.
Wohl aber seh ich an deinem Harnisch,
Daß du zu Haus hast guten Herrn,
Nimmer vom Reiche bannflüchtig reistest."
Hildebrand anhub, Herbrandes Sohn:
"Wehe nun, waltender Gott, Wehgeschick wird.
Der Sommer und Winter wallt' ich sechzig außer Lande,
Seitdem man mich schlug zum Volk der Schützen.
Dem auf keiner Burg wer das Sterben bot,
Nun soll eignen Kindes Eisen mich treffen,
Schwert mich strecken, oder ich ihm das Sterben schaffen.
Doch kannst auch du einfach, wenn dein Eifer reicht,
Des Hochbejahrten Harnisch gewinnen,
Raub dir erraffen, wenn's irgend dein Recht läßt. . . ."

(In den hier fehlenden Versen warf Hadubrand dem Hildebrand Feigheit vor und der Alte erwidert.)

"Der wär doch der Feigste der Fahrer von Osten,
Der den Kampfweg dir weigre, da so wohl es dich lüstet
Gemeinsamer Gänge. Erprobe, wer muß,



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Welcher heute räumt sein Heergewand
Oder der beiden Brünnen walte."
Da ließen sie erst Eschlanzen gleiten
In scharfen Schauern, die standen im Schilde fest.
Dann stapften sie zusammen, Buntschilde zerstoßend,
Hieben harmweckend ins helle Schildfeld.
Bis die Lindenschilde zerschnitten wurden,
Zerwirkt von den Waffen. . . .

Die Form des Liedes ist der fortlaufende Langvers, nicht die Strophe wie im Nibelungenlied und in den Liedern der Edda. Jeder Langvers ist aus zwei Kurzversen gebaut und diese sind durch den Stabreim, durch den gleichen Anlaut der Silben verbunden , die den stärksten Ton tragen. Im ersten Halbvers stehen ein oder zwei stabreimende, im zweiten nur ein stabreimendes Wort (Hildebrand und Hadubrand zwischen den Heeren, gegen: Hadubrand anhub, Hildebrands Sohn). Jeder der Halbverse hat zwei bis vier Hebungen (betonte Silben), die Gesetze der Senkungen (unbetonte Silben) sind etwas freier: es können eine oder zwei zwischen den Hebungen stehen, es können auch zwei Hebungen sich unmittelbar aneinander schließen. Ende des Langverses und Ende des Satzes fallen meist zusammen, bisweilen zieht der Dichter das Ende des Satzes über einen Langvers herüber bis in die Mitte des zweiten. — Der Dichter vermag also den Vers zusammenzuziehen und zu erweitern, er kann gedrungene und lockere, langsame und rasche oder gleichmäßig gebaute Verse neben und gegeneinander stellen, er kann stärker ausholen und mitten im Vers innehalten, die Hebungen von Gipfel zu Gipfel führen und wieder abschwellen lassen, überall schafft ihm sein Vers die Möglichkeit Nachdruck und Tempo und Fluß der Rede zu variieren. — Die sogenannte stilistische Variation, d. h. die Kunst, durch umschreibende Wiederholungen die Vorgänge zu schildern, oder einen Vorgang in seinen wechselnden und sich steigernden



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Einzelheiten uns darzustellen, ist eine Stärkung und Stützung dieser rhythmischen Möglichkeiten.

Unser Dichter bleibt dieser Möglichkeiten Meister. Seine Sprache ist auch des Klanges ebenso mächtig wie des Rhythmus. Die Stabreime hämmern den Klang, den wir hören sollen, wuchtig ins Ohr, die Vokale der Stammsilben breiten ihren hellen und dunklen Schimmer in reicher Abwechslung vor uns aus und die Vokale der Biegungen und Endungen folgen in bunten und schmiegsamen und verstummenden Ausklingungen. Man höre Klangfolgen wie: sunufatarungo iro saro rihtun; forn her ostar giweit, floh er Otachres nit; brut in bure, barn unwahsan; und vor allem: welaga nu, waltant got, wewurt skihit.

Ähnliche Wirkungen erstreben und erreichen Denkmäler aus der gleichen Zeit: Zaubersprüche und Hymnen. Eine reiche, durch lange überlieferung feste und geschmeidige, aus den besondern Bedingungen der germanischen Sprachen gewachsene Technik bietet sich den Dichtern an. Die Verskunst unsres Hildebrandsliedes ist nichts vereinzeltes, sie ist die Verskunst der alten heroischen und mythischen germanischen Dichtung. Entsprechendes gilt für den Stil, die Vortragsart, die ganze Kunst, den ganzen Lebenskreis des Hildebrandsliedes.

Trotz der trümmerhaften überlieferung unsrer alten heroischen Dichtung ist es gelungen, eine ganze Reihe von seinen Worten, Stabreimen , Wendungen in der Dichtersprache der alten nordischen, englischen, deutschen Dichtung nachzuweisen. Auch die Sitten des Hildebrandliedes, die Formen der Begrüßung, die Einleitung und den Verlauf der Kämpfe, die Anschauungen von Ehre und Ruhm, die Gier nach Schatz und Rüstung gehören in die germanische Heldenzeit.

In der Darstellung fällt uns weiter auf die strenge Sachlichkeit. Ganz wenige Worte des Dichters führen mitten in die Begebnisse. Dem heimkehrenden Heere reitet Hildebrand voran und



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stößt auf Hadubrand: der hält vor dem die Heimat bewachenden Heere. Als die Helden einander gewahr werden, prüfen sie zuerst die Rüstungen: wie Hagen sich den Helm fester bindet, als er Kriemhilds tödlichem Haß Auge in Auge sieht. Hildebrand, als der ältere, beginnt das Gespräch: im Gespräch und durch das Gespräch erzählt der Dichter knapp, lebendig, erschöpfend das Schicksal der beiden, das der Begegnung vorausging und den Kampf, zu dem die Begegnung führt. Er unterbricht Rede und Gegenrede nur einmal, um zu erzählen, wie Hildebrand sich die Gunst des Sohnes durch kostbare Geschenke erwerben will und wie er dadurch nur das Mißtrauen und die Gier des Jungen steigert. Den Kampf schildert wieder der Dichter selbst, mitten in der Schilderung reißt die Überlieferung ab. In einem nordischen Lied des 12. Jahrhunderts klagt der sterbende Hildebrand, daß er wider Seinen Willen dem eignen Sohn das Leben nahm. Dies war das Ende: diesen harten und tragischen Ausgang forderten Anlage und Art des Liedes.

Rede und Gegenrede in Hildebrandslied müssen nicht nur die Vorgeschichte der Handlung entfalten und die Handlung selbst entwickeln und steigern, sie müssen auch den Alten und den Jungen in ihrer Verschiedenheit zeigen und gegenüberstellen! Wie ist auch das gelungen! Jung, unbesonnen, herausfordernd, verstockt Hadubrand; die verzehrende Sehnsucht nach der ersten Heldentat, nach Ruhm, nach der glänzenden Rüstung des Alten, sonst ist nichts in seinem Sinn; eine tragische Ironie ohnegleichen, daß er vom Vater sagt, dem sei der Kampf immer zu lieb gewesen! Hadubrand will es nicht glauben, daß sein Vater vor ihm steht. Zuerst verkündet er wortreich dessen ganze Lebensgeschichte, beruft sich eigensinnig auf seine Gewährsmänner; anfangs vermutet er nur, sein Vater sei nicht mehr am Leben, dann redet er sich heftig in die Gewißheit hinein: Hildebrand ist tot. Den Alten belehrt er über die Gebote des Heldentums, dann schilt er ihn einen



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Lügner, der sich die Rüstung unredlich erbeutet, der dem Gegner ausweichen will, und ihn listig betrügen; ein Hunne sei er, führe Böses im Schild, kein Held, ein Feigling. — Dagegen Hildebrand: gütig, bedächtig und mild, voller Verständnis für das wilde Heldentum vor ihm, gesättigt mit der Erfahrung eines langen, ruhmreichen, heimatlosen Lebens. Aber die verderblichen Worte und die schmählichen Vorwürfe des Jungen müssen die schlafenden Geister des Kampfes in dem Alten wecken, die heiße Liebe des Sohnes gerät in unlöslichen Widerstreit mit den eisernen Geboten des Heldentums, mit dem Gebot der Ehre. Dies Gebot muß siegen, den Alten zermalmt eine Macht, die stärker ist als alles Heldentum, das Schicksal. In dem Augenblick der letzten Erkenntnis verwandelt sich das Zwiegespräch in Selbstgespräch "Wehe nun, waltender Gott, Wehgeschick wird" .

Die Erfindung ist das Gemeingut vieler Völker und Sagen, daß ein Vater nach jahrelanger Abwesenheit in die Heimat zurückkehrt, und daß ihm dort als erster sein Sohn entgegentritt und ihn bekämpft, weil er ihn nicht kennt. Aber die Konflikte, die solches Aufeinanderstoßen in sich birgt, und ihre Tragik sind in keiner Dichtung so rücksichtslos und so folgerichtig und erschütternd durchgeführt wie im germanischen Hildebrandslied.

Der ganze Gehalt dieser Tragik wird jedoch erst sichtbar, wenn wir dies Lied in seinen großen Zusammenhang stellen, in den Zusammenhang der Theoderich Dichtung. Hildebrand hat sein Leben seinem Herrn geopfert, dem Theoderich oder Dietrich, wie ihn die deutsche Sage nennt. Dietrichs Heimat war Italien, daraus vertrieb ihn der Haß Otakers (Odoakers). Er zog nach Osten, und Attila, der Herr der Hunnen, gab ihm gütigen Schutz, dem einsamen König und dem Recken, der ihm allein die Treue hielt. Um Dietrichs willen hatte Hildebrand die Heimat verlassen, die junge Frau und das Söhnchen, das sie ihm kaum geschenkt. Er wußte nicht, ob er sie je wiedersehen werde. Nun, nach dreißig



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Jahren, kam er, der Heimatlose, in die Heimat zurück. Ihn begrüßte der Sohn, zur vollen Heldenkraft erblüht, und — hier liegt der Kern der Tragik — der alte Held wird noch einmal, grausamer als je aus dem Glück der Heimat und der Ruhe verstoßen. Nachdem in allen Schlachten der Tod ihn niemals packte, muß der Sohn ihn töten, oder er wird der Mörder des eigenen Kindes. Zu dieser Prüfung hatte ihn das Schicksal sich aufbewahrt ! Welch ' eine Zeit war es, die solche Konflikte fand und ertrug und besang!

Der Dietrich der Sage ist in seinen äußeren Schicksalen dem Theoderich der Geschichte sehr unähnlich. Der Theoderich der Geschichte hat den Odoaker besiegt, Italien erobert, und in langer, gerechter und ruhmreicher Regierung beherrscht. Der Dietrich der Sage ist aus seiner Heimat von Odoaker vertrieben, findet bei dem Hunnenkönig Attila, der in Wirklichkeit gar nicht sein Zeitgenosse war, Schutz, kehrt nach langer Verbannung in die Heimat zurück und erobert sie nach langen schweren Kämpfen. In diesen verliert er seine liebsten Helden oder seine Getreuen müssen das zerstören , was doch der Inhalt und die Sehnsucht ihres Lebens war.

Zum Teil haben Verwechslungen diese Verkehrung der Dinge geschaffen. Die Dichtung erinnerte sich wohl daran, daß schon vor der Zeit des Theoderich die Goten in Italien eingedrungen waren, und leitete daraus den Glauben ab, daß Italien ihre Heimat sei. Sie vertauschte auch, wie wir das öfter beobachten können, Vater und Sohn. Theoderichs Vater war in der Verbannung bei Attila gewesen und hatte unter seinem gütigen Schutze gelebt. Theoderich selber lebte übrigens in seiner Jugend als Geisel am Hofe des oströmischen Kaisers. Dem Theodemer, dem Vater Theoderichs, wahrte der treue Gensimund Krone und Reich. In diesem Gensimund haben manche Forscher das geschichtliche Urbild Hildebrands erblicken wollen.

Dann aber, und das liegt im Wesen der Heldendichtung,



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blieb im Gedächtnis der kriegerischen Goten nicht die lange Zeit des Friedens hasten, sondern die leidenschaftliche Zeit der Kämpfe, die Theoderich um Italiens Besitz führen mußte, ihre Treulosigkeit, ihre unwiederbringlichen Verluste und ihr haßerfülltes Ringen. Die Erinnerung an die Zeit der Kämpfe wird das Bild des Odoaker verzerrt haben. Später verschwand er aus der Sage und an seine Stelle trat Ermanarich. Davon erzählen dann die Dichtungen des späteren deutschen Mittelalters. Auch der Dichter des Beowulf erzählt nur in ganz wenigen Versen von den fünfzig Jahren friedlicher Herrschaft, die dem Beowulf vergönnt waren. Endlich glauben einige Forscher, daß die dem Theoderich folgenden Jahrzehnte, deren lange bittre Kämpfe zum Untergang der Goten führten, in der Erinnerung der Nachlebenden sich mit der Erinnerung an Theoderich vermischt hätten.

Das Wesen des Theoderich, wie ihn seine Zeitgenossen schildern, blieb jedoch bei allem diesem Wechsel unverändert. Den Kern der Geschichte, die Persönlichkeit, hat die Dichtung nicht angetastet, , sondern geläutert und verklärt. Dietrich von Bern war, wie den Theoderich seine Zeitgenossen schildern, milde und liebreich ; er hielt die andern vom Kampfe zurück und kämpfte nur, wenn die Ehre es verlangte. Dann aber wurde offenbar, daß er stärker und tapferer war als alle seine Helden. Nie hat dieser König seine überlegenheit mißbraucht, den Seinen blieb er der gütigste Herr, für den sie gern ihr Leben und ihr Alles hingaben. Sein Wesen ruhte schön und fest in sich selbst, es strahlte von ihm ein Zauber und eine Gewalt aus, die jeden in ihren Bann zog. Man mußte ihn lieben, denn er war der freundlichste König und der leuchtendste Held.

Die Sage vom alten Hildebrand, der den eigenen Sohn erschlug, wanderte, wie gesagt, nach dem Norden, und begegnet uns dort im zwölften Jahrhundert bei dem dänischen Geschichtsschreiber Saro und in einer isländischen Saga. Hildebrand



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kämpft mit seinem jüngeren Halbbruder. Beide führen wunderbare Schwerter. Das von Hildebrand zerspringt und er empfängt die Todeswunde. Der Sterbende gibt sich dem Sieger zu erkennen, der nicht ahnt, wen er überwand, dann blickt er noch einmal zurück auf sein Leben.

Steht mir zu Häupten der Heerschild geborsten . . .
Sind an der Zahl zehnmal acht,
Lauter Männer, denen ich Mörder ward.
Liegt hier der Sohn selbst mir zu Häupten,
Erbsproß er, den eigen gehabt,
Unwollend schuf ich sein Ende.

Diese Verse atmen die Melancholie und die Sentimentalität der späteren isländischen Dichtung, ihnen fehlt die Kraft und die Gehaltenheit des altdeutschen Liedes. Aber in den Worten des sterbenden Helden liegt eine wunderbare visionäre Stimmung. Die Worte wiederholen, die Gedanken verwirren sich, und die Gesichte sind von einer überirdischen Klarheit. Die Geschichte und der Ruhm eines langen Lebens und endloser Kämpfe, die Namen der erschlagenen Feinde ziehen nochmals an ihm vorüber, und der eigene Sohn ist das schmerzlichste Opfer. Ihm gilt die bittere Klage und er zeigt dem Sterbenden jenes Reich, indem die anderen Helden des Alten harren.

Ganz anders, vom Boden der Heldenzeit auf den des Bürgertums verpflanzt, behaglich und guten Ausgangs ist das jüngere Hildebrandslied, das wohl im dreizehnten Jahrhundert entstand und bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein zu den beliebtesten deutschen Heldenliedern gehörte, breit und leicht im Vortrag, unsern alten Volksliedern gleich. Vater und Sohn kämpfen; nachdem der Junge den Alten verspottet, gibt der Sohn dem Vater zuerst einen Schlag, daß der voller Schreck sieben Klafter zurückspringt. Doch er findet seinen Humor bald wieder, fragt den Jungen, ob er diesen Schlag von den Weibern gelernt,



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packt ihn dann an seiner schwächsten Stelle und wirft ihn zu Boden. Den überwundenen erst fragt Hildebrand, wer er sei. Hadubrand gibt sich zu erkennen, beide erschrecken, freuen sich aber, daß ihnen nichts geschah, versöhnen sich und reiten frohgemut zu Frau Ute, der Mutter. — Ganz hat auch dies Lied das Erbe der Heldenzeit nicht verloren; den alten und den jungen Krieger stellt es hübsch gegeneinander; es charakterisiet sie duch Rede und Gegenrede. In den Worten des Hildebrand, ihm sei für sein ganzes Leben das Wandern auferlegt, klingt leise die Erinnerung an sein heimatloses Sein nach. Der Junge begehrt auch wieder die Waffen des Vaters. Die Verbissenheit Hadubrands wandelte sich aber in rühmlichen Ehrgeiz, die Schmähungen in die liebenswürdige Unverschämtheit der Jugend, er rät dem Alten, zuhause am warmen Ofen zu hocken, zum Fechten sei er zu alt, er will ihm den Bart ausraufen und ihn gefangen nehmen. Vor allem ist von der Tragik des alten Liedes nichts mehr geblieben, an ihre Stelle trat der beliebte gute Ausgang, in den im dreizehnten Jahrhundert auch andere Lieder der alten Heldenzeit mündeten. So sehr konnte sich im Laufe der Jahrhunderte das alte Hildebrandslied lockern und wandeln, dessen Gefüge uns so fest und unverletzlich scheint, und aus solchen anderen Augen sah das Heldentum der Germanen in das ausgehende Mittelalter! — Im Österreichischen und Bayerischen gerät denn zu guterletzt der alte Hildebrand als komischer Ehemann ins Märchen und haut den Ehebrecher durch, der seine Frau verführen will, im Schwertfechterspiel wechselt er mit seinem Sohn Hadubrand lustige Prahlreden. — Nun, aus Siegfried wurde ein Säufritz, der heilige Gral wurde ein Name für ein recht unheiliges Jahrmarktsfest, dem Wort grölen merkt nur der Sprachforscher seine Herkunft aus Gral an. Sogar sehr große überlieferungen geraten in Vergessenheit, , nur einzelne Töne, mutwillig und abgerissen und neckend, fliegen über die Jahrhunderte herüber.



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Dem Ermanarich, dem Feind des Dietrich von Bern im Mittelalter, galt auch eine heroische Dichtung.

Als am Ende des vierten Jahrhunderts die Hunnen in das Reich der Ostgoten einbrachen, gab sich ihr hochbetagter König Ermanarich, der eine weite Herrschaft über die umliegenden Stämme aufgerichtet, selbst den Tod. Die Gewalt des Einfalls und die wilden Gerüchte von der Zahl und Macht des Gegners brachen seine Widerstandskraft — so erzählt es der Geschichtschreiber Ammianus Marcellinus.

Dieser Ermanarich wurde einer der berühmten Helden der deutschen Heldensagen, der späteren deutschen Dichtung war er das Beispiel des Königs, wie er nicht sein soll.

Jordanes weiß, daß Ermanarich hundertzehn Jahre alt beim Einfall der Hunnen starb. Aber nicht genug mit Alter und Schwäche, der König siechte noch an einer schweren Wunde dahin. Die hatten ihm zwei Brüder, Sarus und Ammius beigebracht, weil sie den Tod ihrer Schwester Sunilda rächen mußten. Denn die Sunilda ließ Ermanarich an wilde Pferde binden und zerreißen. Was nun das Vergehen der Sunilda war, das eine solche entsetzliche Strafe forderte, sagt uns Jordanes wohl; aber seine Ausdrucksweise ist leider unklar und vieldeutig. Für das Wahrscheinlichste halten wir trotz allem, daß Jordanes sagen will, daß Sunilda die Gattin Ermanarichs war und daß sie ihn betrog. Ihre Brüder und sie gehörten dem Stamm der Rosomonen an, den Ermanarich vorher unterworfen hatte und der ihm widerwillig genug gehorchte. Vielleicht hatte der König, um den Stamm zu versöhnen, die Sunilda zu seiner Gemahlin erhoben; nun, bei dem Einfall der Hunnen, stachelte sie die Ihren zum Aufruhr an und mußte den Verrat mit dem Tode büßen, der einer Verräterin gebührt. Dieser Verlauf entspräche der Art germanischer Heldenlieder; von Frauen, die ähnliche Schuld auf Sich laden wie Sunilda und die sie mit ähnlicher grausamer Strafe



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bezahlen, wissen longobardische Sagen. In der späteren altnordischen Dichtung ist Sunilda unschuldig; der gegen sie erhobene Vorwurf ist Ehebruch, ihre Strafe ist die gleiche wie bei Jordanes , die Rache vollziehen ihre beiden Brüder und sie töten den König nicht, aber sie verstümmeln ihn. Sarus, gotisch Sarws, heißt der Gerüstete, Ammius, gotisch Hamjis, der durch ein Zauberkleid beschützte. Die Forschung schließt, und wohl mit Recht, aus diesen Namen, daß die Brüder bei ihrem Kampf gefeite Rüstungen trugen, die kein Eisen verletzen konnte. Solche Rüstungen tragen sie noch im Altnordischen.

Aus dem Gegensatz zwischen der Macht dieses völkerbeherrschenden Königs und seinem kläglichen Ende ist gewiß die Dichtung von Ermanarich erwachsen. Die Sage erklärte das Ende durch Verrat und Abfall eines der unterworfenen Völker, und den Verrat erklärte sie durch ein Ereignis, wie es das Leben und auch die Dichtung oft zeigte, durch die Treulosigkeit einer Frau.


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