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Kapitel 

Die Götter und Göttersagen der Germanen


von Friedrich von der Leyen

Dritte Auflage München 1924

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck


9. Gottesdienst

Die feierlichste Bestätigung für das Ansehen, das die Wahrsagerinnen der alten germanischen Art, die Wölwur, die Stabträgerinnen , im Norden genossen, bleibt die Wöluspa. Und das Gedicht schildert ja auch eine göttliche Wölwa — denn so faßt sie die Gullweig auf — die, von Volk zu Volk fahrend, ihren Zauber übt und überall jubelnd begrüßt wird. Von einer Wölwa, die er aus ihrem Totenschlafe weckt, sucht Odhin zu erfahren, was er selbst nicht weiß, das Schicksal Balders. Späte isländische Sagas berichten oft von solchen Wölwur, die zu Gastmahlen ziehen, mit großen Ehren empfangen werden, die Geister beschwören oder durch Zauberlieder die Geister rufen lassen, und dann den Fragen



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den offenbaren, was ihnen die Geister enthüllten. Die Tracht dieser Wölwur ist kostbar.

Eine Saga berichtet, daß eine besonders angesehene einen dunkelblauen Mantel trug, der am Rand und von oben bis unten mit Steinen besetzt war, um den Hals hatte sie Glasperlen, auf dem Kopf eine Mütze oon schwarzem Lammsfell mit weißem Katzenfell gefüttert, in der Hand trug sie einen Stab mit einem messingbeschlagenen, steinverzierten Knopf. An ihrem Gürtel hing ein Beutel mit dem ihr notwendigen Zauberzeug, sie trug Schuhe aus rauhem Kalbsfell mit langen, starken Riemen, an denen große Messingknöpfe saßen, und Handschuhe aus Katzenpelz, innen weiß und zottig.

Eine der Wahrsagung verwandte Art des Zaubers — wie die oben genannte, übrigens bei manchen Völkern belegt und auch bei den alten Engländern bezeugt — war das üti seta, das Sitzen in der Einsamkeit, nachts, unter freiem Himmel, um durch Lieder Tote zu beschwören oder zu wecken, oder um durch die Kraft der Sammlung und Versenkung die Geister zu rufen und oon ihnen verborgene Dinge zu erfragen. Eines solchen Zaubers war Odhin mächtig, wenn er Gehängte belebte. Erweckungen oon Toten aus ihrem starren Schlummer, in dunkler nacht, schildern uns in ihrer eindringlichen gespenstischen Kraft späte isländische Lieder von der Art der Edda, auch die isländische Saga.

Die germanische Wahrsagung mit Stäbchen (auf die Zeichen eingeritzt wurden, die man alsdann durcheinanderrüttelte, und aus denen man das Los zog) setzte sich im Nordischen fort. Die eingeritzten Zeichen waren im Nordischen die alten Runen, deren zauberische Kraft die Goten verdichteten, man ritzte die Runen auch auf Schwerter, Trinkhörner, auf Fingernägel, auf die innere Fläche und den Rücken der Hand, auf Schiffsteven, Steuer und Ruder, auf die Rinde und das Holz eines gen Osten die Zweige ausbreitenden Baumes, auf Walfischknochen, besonders auf die Grabsteine, um die Toten vor bösen Geistern zu beschützen. Die Runenkunde war im Norden eine eigene Wissenschaft: die erweckte



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Walküre Brünhild lehrt den Sigurd die Bedeutung der Runenzeichen . Durch falsche und böse Runen konnte man schweres Unheil stiften. Der zauberkundige Egil mußte von einem Walfischknochen falsche Runen abschaben und die rechten darauf einzeichnen, dann legte er ihn einer Kranken unter das Kopfkissen und sie genas. Odhin und Skirni rühmen sich ihrer Runenkunde, wie rasch fügt sich Gerd dem Willen des Frey, als Skirni sie mit dem Runenfluche bedroht!

Auch andere Verwünschungen sind uns in der nordischen Dichtung erhalten, von leidenschaftlicher und wilder Kraft, wie die der Sigrun, als der Bruder ihr die Eide gebrochen und den Gatten erschlagen, oder die der Busla über den König Hring, als er den Böst und seinen Freund töten will.

Sein Herz sollen Würmer zernagen, sein Ohr nicht mehr hören, sein Auge aus dem Kopf springen, bei der Segelfahrt soll ihm das Tauwerk zerreißen, die Segel in Fetzen gehn, das Steuer zerbrechen, beim Ritt der Zaum zerfallen, das Pferd lahmen, Pfade und Wege in Unholds Gewalt geraten, auf dem Lager soll ihm wie ein Feuer, auf dem Hochsitz wie auf Wogen zumute sein, alle Riesen und bösen Mächte sollen ihm sein Hans verbrennen und ihn verderben, Stroh ihn stechen, Stürme ihn betäuben, Hengste ihn treten, wenn er ihr nicht zu Willen ist.

Böse und gute Vorzeichen zu deuten, war wie die Wahrsagung das Amt der Priester. Im Nordischen waltet seiner, in einem Heldenliede, Odhin. In diesem Lied ist, nach Wikinger Art, der alte Aberglaube in die Höhe des Heldentums gehoben:

Wenn der dunkle Rabe den Helden umfliegt, wenn er den grauen Wolf unter Eschen heulen hört, wenn er den Gegner zuerst erspäht, und wenn er gerüstet zur Tür hinaustritt und zwei ruhmgierige Recken sieht, so sind es gute Zeichen. Aber er soll sich fürchten, wenn auf dem Wege sein Fuß strauchelt, dann stehen böse Schicksalsfrauen zu beiden Seiten unb wünschen ihm Wunden an.

Auch die Wahrsagung aus dem Blut, die schon die. Cimbern übten, hat sich während der ganzen Zeit des nordischen Heidentums



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erhalten: man weissagte besonders aus dem Blut der geopferten Tiere. Viel grausamer waren die Normannen. Sie zerschmetterten dem Opfer den Schädel, legten das Gehirn bloß und weissagten aus den Herzfasern des zu Boden gestreckten.

Der Hergang beim nordischen Opfer wird uns so geschildert: Die Opfer wurden im Tempel vor den Götterbildern geschlachtet, ihr Blut sammelte man in dem hierfür bestimmten Opferkessel, sprengte es mit Sprengwedeln über das versammelte Volk und bestrich damit die Götterbilder, Altäre, Opfersteine und die Wände des Tempels. Die geschlachteten Menschen wurden an Bäumen aufgehängt oder in den Opfersumpf versenkt, die Tiere dienten zum Opferschmaus, ihr Fleisch wurde gekocht und gesotten, nie gebraten, in Kesseln, über Feuern, die in der Halle des Tempels zwischen den Bankreihen der beiden Langseiten am Boden brannten. Der Leiter des Mahles reichte Speise und Trank und man brachte feierliche Trinksprüche aus. Odhins Becher wurde um Sieg und Macht, Freys Becher um gutes Jahr und Friede geleert. Bisweilen ging das Opfer der großen Thingversammlung voran. Dann fielen Schmaus und Trank fort, vielleicht erklangen bei Schmaus und Opfer auch Lieder und geschahen Tänze.

Von großen Opferfesten in Seeland und Schweden, die alle neun Jahre stattfanden, und von denen sich keiner ausschließen durfte, erzählen uns die Geschichtschreiber. Thietmar von Merseburg berichtet über das Opfer auf Hleidra, zu Beginn des Jahres mit vielen Opfern von Menschen, Hunden und Vögeln gefeiert. Thietmar spricht von neunundneunzig Menschen, das ist wohl übertrieben. Die Darbringung geschah, wie Thietmar wohl zutreffend meint, zu Ehren der Abgeschiedenen, um sie zu versöhnen und um ihre Gier nach allem Lebendigen zu stillen. Adam von Bremen berichtet von dem großen Opfer in Schweden, in Upsala, zur Zeit des Frühlings, von dem sich die Christen loskauften, und bei dem je neun Wesen männlichen Geschlechts — Adam erwähnt später



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Menschen, Pferde, Hunde — geopfert und im Hain neben dem Tempel an die Bäume gehängt wurden, diese wurden durch die toten und verwesenden Opfer heilig. Das Opfer begleiteten unzählige Lieder und große Schmause, ein König, der nicht daran teilnehmen wollte, wurde vertrieben.

Das Menschenopfer hat also der heidnische Norden nicht beseitigt und seine Grausamkeit nicht gemildert. Wir hörten ja schon aus vielen Geschichten, wie unersättlich Odhin blieb und wie fein Speer das Heer der Feinde oder einzelne Fürsten dem Tod weihte. Auch die nordischen Tieropfer scheinen von den germanischen nicht unterschieden. Das Pferd blieb auch im Norden das vornehmste der geopferten Tiere, sein Schädel wehrte Unheil ab. Man denke nochmals an die Verse, unter denen das Geschlechtsglied eines Hengstes herumgegeben wurde, das eine Bäuerin durch Kräuter frisch hält, und an dessen Kraft jeder teilhaben wollte, der es berührte (S. 69).

Die Zeit der nordischen Opfer war wohl ebenfalls der Frühling, der Herbst und der Winter, der Winter war eigentlich die Zeit für die Opfer an die Toten. Doch haben sich die Opfer der verschiedenen Zeiten oft vermischt, gerade auf diesem Gebiet gleitet ja alles durcheinander (S. 97 f.).

Wir erstaunen, wie heidnisch bis tief in das Christentum hinein der Opferbrauch und der Gottesdienst im germanischen Norden blieben; erstaunen zumal, da wir wissen, daß die nordischen Tempel — und es gab viele — in allen Einzelheiten die Merkmale der christlichen Kirchen zeigen, die auf ihren Fahrten in Irland und England von den Wikingern gesehen wurden. Ein neues Zeugnis, daß von sich selbst aus die Germanen zur Erbauung von Tempeln nicht getrieben wurden. Im Norden blieb dann auch neben dem Tempel der Hain das ältere und ehrwürdigere Heiligtum und auch die waldige Anhöhe. Hier errichtete man Einfriedigungen aus Holz und Steinen, auch große und hohe Säulen,



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Baumstämme von gewaltiger Länge stellte man als Wahrzeichen der Götter auf die Höhen.

Bei den Germanen war die Stätte der Götterverehrung zugleich die Stätte der Rechtsprechung, Gottesdienst und Rechtspflege verschmolzen in Eines. Da nun im Norden die Rechtspflege reicher und vielfältiger wurde, wuchsen auch der Gottesdienst und der Tempel in ihrer Bedeutung — nach den Ausweisen der Ortsnamen breitete sich eine Menge heiliger Stätten und Tempel durch das ganze Land.

Dienstag und Donnerstag, der Tag des Ty und des Thor, blieben die Tage des Gerichts. Die Gerichtstätte wurde geheiligt und gegen die andere Welt abgegrenzt. Menschenopfer mußten bisweilen die Heiligung steigern. Vor der Verhandlung gebot der Leiter des Things tiefes Schweigen, die Formen des Rechts waren heilige, althergebrachte Formen.

Götterbilder gab es im Norden vielerlei. Auf Pfählen oder auf Stämmen waren die Gesichtszüge der Götter mit einfacher Kunst eingeschnitten. Die Lehnen des Hochsitzstuhls, die Steven des Schiffes verzierten Götterbilder, diese nahmen die norwegischen Ansiedler nach Island mit, warfen sie in die Wogen und siedelten sich, nach altem Brauch, an, wo die Bilder angetrieben wurden. Kleine Götterbilder aus Bein, aus Silber, auf Brakteaten trug man als Amulette, Metallblättchen mit einem Götterbild schob sich der Krieger in den Helm, auch aus Ton knetete man und aus Teig buk man Götterbilder.

In den berühmten Tempeln standen kostbare, schmuckbeladene Götterbilder, die bekanntesten waren wohl die in Upsala, die Adam von Bremen sah und schilderte. Die Bildsäulen von Thor, Odhin und Frey wurden dort verehrt. Thor thronte in Drontheim auf seinem bockbespannten Wagen. Im 10. Jahrhundert bildete man auf Friesen und Schilden ganze Szenen der Göttersage ab, diese wurden dann in skaldischen Dichtungen verherrlicht. Die



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Götterbilder weisen auf einen familiären und privaten neben einem öffentlichen und staatlichen, einen einfachen und kunstloseren neben einem kunstreichen und aristokratischen Gottesdienst. Beide Arten von Gottverehrung sonderten sich schon im Germanischen voneinander, im Nordischen wurden, wie es scheint, die Grenzen noch sichtbarer . Die gleichen Abstufungen zeigen unsre Nachrichten über die nordischen Priester. Wie im Germanischen leitete der Hausvater den Gottesdienst der Familie, der Priester den Dienst bei den großen Feiern, und Priester und König und Adel und Dichter gehörten zusammen, bald übernahm der König die priesterlichen Obliegenheiten, z. B. in Norwegen, bald kam, z. B. in Island, die Staatsgewalt in priesterliche Hände.

Das Amt des Priesters war auch wie das Amt der Wölwa das Götterlied. Aus alten Götterliedern beim Gottesdienste sind wahrscheinlich solche Rätseldichtungen wie die Wafthrudnismal, solche Preislieder auf die göttliche Macht wie die Grimnismal entstanden. Nordische Rätsellieder und altindische großartige Rätsellieder des Weda klingen einander noch ähnlich. — Beim Gottesdienst erklangen dann auch die inständigen Bitten um Fruchtbarkeit der Felder und Menschen, sie verbanden sich mit jenen derben und kräftigen Zeremonien, jenen mimischen Vorführungen, die wir auf dem Grunde des Lieds von Thors Hochzeit und von Skadis Vermählung erkannten. Außer den hohen Göttern galt den Abgeschiedenen, den Geistern der Felder und der Gewässer, den Elben, den Zwergen, den Landwichten, den Hausgeistern, den Trollen ein lebhafter, von Geschlecht zu Geschlecht getragener Kult, von dem die Rechtsbücher und die Sagas viel wissen — er war älter als der Kult der Götter und hat diesen überdauert. Wir dürfen diese Welt, wenn sie uns auch sehr verlockt, nicht betreten, sie würde uns aus den germanischen Gefilden ganz und gar in den Spuk und die Wirklichkeit der nordischen Geister führen.

Form und Gehalt des nordischen Gottesdienstes blieb viel



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heidnischer als Form und Gehalt der nordischen Göttersagen. Die Dichter mochten den Gottesdienst nicht schildern, Priester und Könige mochten den Volksbrauch nicht stören, den jahrhundertelange Pflege heiligte. Eben weil er allen vertraut und weil er oft auch heiliges Geheimnis war, hören wir über diesen Gottesdienst nur wenig. Die meisten Nachrichten stammen natürlich aus später Zeit oder aus dem Munde christlicher Bekehrer. Eine religiöse Entwicklung spüren wir kaum. Die alten Formen werden vielfältiger, lebendiger, bestimmter, entarten wohl auch am Ende des Heidentums, doch ihr Wesen bleibt das gleiche. Eben die Erhaltung des Alten ist für uns unschätzbar: beim Gottesdienst weilen wir auf altem germanischen Boden.


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