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Die Götter und Göttersagen der Germanen


von Friedrich von der Leyen

Dritte Auflage München 1924

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck


5. Die Wanen

Art und Bedeutung der Wanen hat uns zuerst die Betrachtung von Nerthus und der ihr verwandten Gottheiten erschlossen. Im Vergleich mit Tiu, Donar, Wodan erschienen uns die Wanen weniger ausgeprägt in ihren Umrissen, ihr Wesen wies uns in ältere mythische und religiöse Schichten. Ihrem Kult aber war ein längeres Leben beschieden: er wird, freilich mit vielfachen Verschiebungen



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und da und dort etwas unkenntlich geworden, in Frühlings- und Herbstfesten immer noch gefeiert. Eine Beobachtung bestätigt die andere, es ist ein mythisches und religiöses Gesetz, daß im Volk die niederen Formen des Glaubens und des Kultus länger haften und widerstandsfähiger bleiben, als die höheren. Sie sind der Mutterboden, aus dem die großen Götter aufsteigen und in den sie oft wieder zurücksinken. Abweichend von den großen Göttern waren ferner Nerthus und die ihren Gottheiten der Freude und der Fülle, reicher und freundlicher als die härteren Götter des Krieges, des Wetters, der Ahnen und des Zaubers, sie waren auch ungebändigter: der Wunsch nach Fruchtbarkeit äußert sich in ihrer Verehrung unverhüllter, auch die Lust am Geschlechtlichen kommt derber und natürlicher zum Vorschein.

Im Norden stoßen der Kult der Wanen und der Kult der Asen, der großen Götter, aufeinander: die Auseinandersetzung zwischen beiden ist, wie wir bei Odhin erfuhren (S. 195 f.), nicht immer friedlich verlaufen. Dabei treten die Asen hinter Odhin zurück, und Odhin mißt vor allem seine Zauberkraft mit der Zauberkraft der Wanen. Die germanischen Berichte hatten die Zauberei der Wanen nicht so in den Vordergrund gestellt, freilich darf das Walten über die Fruchtbarkeit der Felder und Menschen als ein hohes Amt der Zauberei gelten.

Snorri in der Edda sagt über Njördh:

Er wohnt da, wo es Noatun (Schiffzaun) heißt, und waltet dort über des Windes Lauf und beruhigt Meer und Feuer; ihn soll man bei Seefahrt und Jagd anrufen. Er ist so reich und begütert, daß er jedem Land und fahrende Habe geben kann, wenn er will und darum soll man ihn anrufen. Nicht aus dem Asengeschlecht stammt Njördh, er wuchs im Wanaheim auf; die Wanen sandten ihn als Geisel zu den Göttern. Njördh hatte die Frau, die Skadi heißt, die Tochter des Riesen Thiazi, sie wollte die Wohnstätte behalten, welche ihr Vater hatte, die auf einem Gebirge ist, das Thrymheim heißt, Njördh aber wollte der See nahe sein. Sie setzten das fest, daß sie neun Nächte in Thrymheim



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weilen wollten und dann drei Nächte in Noatun. Als Njördh aber vom Gebirge nach Noatun zurückkam, da sprach er so:
"Nicht lieb ' ich die Berge, nicht lange dort weilt ich,
neun Nächte nur;
süßer schien mir der Sang des Schwanes
als der wilden Wölfe Geheul."

Skadi aber erwiderte:

"Mir stört den Schlaf am Strande des Meeres
der krächzenden Vögel Gekreisch;
am Morgen weckt mich die Möwe täglich,
die wiederkehrt vom Wald."

Als Gott des Reichtums und der Fruchtbarkeit, der Schiffahrt und der Jagd haben auch die Schweden den Njördh verehrt und als solchen den Lappen übergeben. Ein isländischer Vergleich hieß "reich wie Njördh" .

Nerthus war Göttin der Fruchtbarkeit und des Reichtums, wurde von meeranwohnenden Stämmen verehrt und war wie die Nehalennia wohl auch eine Göttin der Schiffahrt. Njördh ist das gleiche; er wurde dann ganz zum Gott von Wind, Wetter und Woge. Orte, die seinen Namen tragen, es sind auch im Norden nicht wenige, liegen alle am Meer, nach dem Zeugnis dieser Namen war seine Verehrung viel lebhafter, seine Bedeutung viel größer als nach dem Zeugnis der Edda. Wenn Njördh außer dem Wind und dem Meer auch die Flamme beherrscht, so nähert er sich dem Wesen Odhins und dessen Zauberkünsten. — Diese Rivalität war wohl auch ein Grund für die Sagen vom Kampf der Asen und Wanen.

Die Geschichte von Njördh und Skadi erzählt Snorri noch einmal so:

Es hob an die Erzählung, daß drei Asen von Hause gingen, Odhin und Loki und Höni, und sie gingen über Berge und Waldblößen und es war dort schlecht zu verweilen. Aber als sie von oben in ein Tal



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kamen und eine Ochsenherde sahen, nahmen sie einen Ochsen und schickten sich an zum Braten. Wie sie glauben, er sei gar, stören sie die Kohlen auf und er war nicht gar. Und ein zweites Mal, als sie die Kohlen aufstören, als eine Zeit vergangen war, und er noch nicht gar geworden, da fragten sie sich, wie das zugehen könne. Da hören sie eine Stimme in einer Eiche oben über ihnen, und der oben saß sagte, er sei schuld daran, wenn das Gebratene nicht gar würde. Sie sahen hin und es saß da ein Adler und kein kleiner. Da sprach der Adler: wenn ihr mir meinen vollen Anteil am Ochsen geben wollt, dann wird das Gebratene gar werden. Sie bewilligten ihm seinen vollen Anteil am Ochsen, da läßt er sich aus dem Baum herab und setzt sich an das Gebratene und legt sich vor als erstes beide Schinken des Ochsen und beide Bugstücke. Da wurde Loki zornig und griff auf eine große Stange und schwingt sie mit aller Kraft und stößt sie dem Adler in den Bauch. Der Adler schwingt sich auf bei dem Stoß und fliegt in die Höhe: da waren fest die Hände an der Stange, aber das andere Ende am Leib des Adlers. Der Adler fliegt nun so hoch, daß die Füße Lokis schleifen über die Steine und das Geröll und die Baumwurzeln, und von seinen Händen glaubt er, daß sie reihen sollen aus den Achseln. Er schreit und bittet flehentlich den Adler um Schonung, aber der sagt, daß Loki niemals loskommen solle, wenn er ihm nicht den Eid leiste, mit Idhun herauszukommen aus Asgard und mit ihren Äpfeln. Loki verspricht das, er kommt los und fährt zu seinen Begleitern, und es wird nun nichts weiter berichtet über ihre Fahrt, bis sie heimkommen.

Zur bestimmten Stunde lockt Loki die Idhun aus Asgard heraus in einen Wald und sagt, daß er Äpfel gefunden hat, die ihr kostbar dünken werden und bat, daß sie mitbringen sollte ihre Äpfel und sie mit jenen vergleichen. Da kommt dorthin Thiazi, der Riese, im Adlerhemd und nimmt die Idhun und fliegt fort mit ihr und nach Thrymheim bis zu seinem Haus. Aber die Asen vertrugen schlecht das Verschwinden der Idhun und sie wurden bald grau und alt. Da hatten sie ihre Versammlung, es fragte jeder den anderen, was er zuletzt erfuhr von Idhun. Doch das war als das letzte gesehen, daß sie aus Asgard ging mit Loki. Da wurde Loki ergriffen und geführt auf die Versammlung und es wurde ihm Tod oder Folter verheißen. Aber als er in Schrecken geriet, sagte er, er würde die Idhun im Riesenheim suchen, wenn Freyja ihm leihen wollte das Faltenhemd, das sie hat. Und als er das Faltenhemd empfing, fliegt er nördlich nach dem Riesenheim und kommt einen Tag



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zu Thiazi, dem Siegen: er war aufs Meer gerudert und Idhun war allein zu Hause. Loki verwandelte sie in eine Nuß und nahm sie in die Klauen und flog so rasch wie möglich. Aber als Thiazi heimkam und Idhun vermißte, nimmt er sein Adlerhemd und fliegt dem Loki nach und das Rauschen großer Adlerflügel schwang in den Lüften. Wie nun die Asen sahen, daß ein Falke flog mit der Nuß und wohin der Adler flog, da gehen sie heraus unten nach Asgard und trugen dorthin Haufen von Hobelspänen. Der Adler, wie er hinflog zur Burg, ließ sich niedergleiten an der Burgmauer. Da schlugen die Asen das Feuer aus den Hobelspänen. Doch der Adler konnte sich nicht anhalten, als er den Falken vermißte, das Feuer schlug ins Gefieder des Adlers und brannte ihm fort die Flugkraft. Da waren die Asen nah und erschlugen den Adler — das war Thiazi der Riese — in den Gittertüren und es ist dieser Kampf weit berühmt.

Doch Skadi, die Tochter von Thiazi dem Riesen, nahm Helm und Brünne und alle Heerwaffen und fährt nach Asgard, ihren Vater zu rächen. Doch die Asen boten ihr Vergleich und Buße und als erstes, daß sie sich wählen soll einen Mann aus den Asen und wählen nach den Füßen und nichts weiter sehen. Da sah sie eines Mannes Füße, selten schöne, und sagte: den wähle ich, weniges wird häßlich sein bei Balder. Doch das war Njördh aus Noatun. Das hatte sie auch als Vergleichsbedingung , daß die Asen tun sollten, wovon sie glaubte, daß sie es nicht können würden, sie zum Lachen bringen. Da tat Loki das, daß er band um den Bart einer Ziege ein Band und das andere Ende um seine Hoden, und dann gaben sie einander nach und es schrie jeder laut, da ließ Loki sich gleiten in den Schoß der Skadi und da lachte sie: da war der Vergleich von der Hand der Asen mit ihr erfüllt. So heißt es, daß Odhin ihr auch das zur Buße tat, daß er nahm die Augen des Thiazi und sie warf hinauf in den Himmel und machte daraus zwei Sterne.

Diese Geschichte ist in ihren verschiedenen Teilen so lose aneinander gelegt wie etwa die von Odhin und Odhreri, Thor und Geirröd, Thor und Hrungni. Sie erinnert uns auch oft an diese und an andere Erzählungen. Der Eingang, der übermut Lokis, seine Strafe, die Bedingung seines Loskommens ist dem Eingang der Sage oon Thor und Geirröd ähnlich. Das Unheil, das Loki



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anrichtet durch Entführung der Idhun, der Zorn der Götter über ihn und die von ihm geleistete Buße, dieser Teil der Geschichte gleicht der vom Riesenbaumeister. Wie in der Thrymskwidha fliegt Loki in Freyjas Federhemd zum Riesen und dieser wohnt sogar wie Thrym in Thrymheim. Die Verfolgung des Falken Loki durch den Adler Thiazi scheint ein Widerspiel von der Verfolgung des Adlers Odhin durch den Adler Suttung, endlich stürzt Thiazi blind wie Hrungni in das Heim der Götter.

Diese Menge der Anklänge, als loser Schmuck über das Ganze gestreut, nicht organisch mit ihm verschmolzen, ist ein Zeichen, daß unsre Geschichte ihre letzte Form erst in späterer Zeit — sagen wir spät im 12. Jahrhundert — erhielt. Zum gleichen Ergebnis führt eine andere Beobachtung: kaum eine andere Sage der Edda ist so reich an Erinnerungen aus dem Märchen. Gleich der Eingang , die Geschichte des unbescheidenen Riesen, ist ein noch heute in Südosteuropa lebendes Märchen. Der Raub der Prinzessin durch den Riesen, ihre Wiedergewinnung durch einen kühnen Helden, ihre Verwandlung in eine Nuß, derlei berichten die Märchen noch immer gern. Das Märchen von der Prinzessin, die nicht lachen wollte, kennen wir ebenfalls alle. Wie oft wird sie zum Lachen gebracht durch die possierlichen Bewegungen von Menschen, die voneinander und die oon einem Tiere nicht loskommen können, z. B. in dem Märchen von der "Goldenen Gans" . Und wie gern versetzt das Märchen am Ende einen oder seine Helden, als Trost oder als Entschädigung unter die Sterne! — Das interessanteste von den Märchen, die wir in der Geschichte von Idhun und Thiazi entdecken, ist aber das vom Raub der Idhun und ihrer Äpfel. In älterer Zeit war sein Hergang wohl so, daß ein Gott die Idhun und ihre Äpfel dem Riesen raubte, wie Odhin den Göttertrank dem Riesen entwendete. Anscheinend stammt das Märchen aus Irland. Dort bemächtigen sich drei Brüder, in Habichte verwandelt , der Äpfel und eine Zauberin verfolgt die Räuber als Greif.



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Die Nordleute kannten nur schlechte, bittere Äpfel. Die Vorstellung von Äpfeln, die ewige Jugend geben, wird darum kaum bei ihnen entstanden sein. Eindrucksvoll, mit wenigen Worten, stellt unser Erzähler sie hin: kaum, daß ihnen Idhun entrissen, werden die Götter alt und grau.

Man täte nun auch unsrer Geschichte unrecht, sähe man in ihr nur eine Häufung von Märchenerinnerungen und von Anklängen an andere Göttersagen. Betrachtet man sie mit den Augen der Volkskunde, so zeigen ihre Züge ein neues Gesicht. Die Forderung, daß jemand seine Füße zeigen soll und daß man nur seine Füße sehen darf, müssen sich, wie wir schon wissen (S. 65), Wesen gefallen lassen, deren Geschlecht nicht zu erkennen ist. Fuß und Schuh erregen, wie wir auch erfuhren, die Begierde und sind Symbole der Liebe, uns bezeugen das schon sehr alte Märchen von dem König, der das Mädchen zur Frau haben will, dessen Schuh er kennt. — Bei der Hochzeit treffen wir noch heute den Brauch, daß dem Bräutigam nur die Füße der Braut gezeigt werben und .daß er dann die nicht erhält, die er sich wünscht. In der nordischen Sage ist der Bräutigam sozusagen versteckt: wiederum ist das Verstecken von Braut und Bräutigam bei vielen volkstümlichen Hochzeiten noch heute unerläßlich. Wenn dann Loki ein Schnurende um seine Hoden und das andere um ben Bart eines Bockes windet, wenn beide voneinander nicht loskommen können und wenn er sich dann in den Schoß der Skadi wirft, so will er die eigene geschlechtliche Kraft mit der des Bockes verbinden und dadurch steigern, die gesteigerte Kraft senkt er in den Schoß der Frau.

Diese Szenen begeben sich im Beisein aller Götter: was können sie anderes bezwecken als eine wiederholte Steigerung der Fruchtbarkeit und der geschlechtlichen Kraft? Das Suchen und Finden, die Erhöhung des geschlechtlichen Vermögens und die Vereinigung wurden mimisch vorgeführt, durch eine oder mehrere Paare. Das



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Wesen des Angeschauten sollte sich den Zuschauern mitteilen. Die Reste eines alten kultischen Fruchtbarkeitsdienstes werden uns nun in der Geschichte von Njördh und Skadi sichtbar. Bei vielen Völkern waren solche Szenen ein Anfang des Dramas, bei den Germanen schoß gerade um sie und gerade aus ihnen spielerische, übermütige und überreiche Erzählung auf. —

Ähnliche Beobachtungen legten uns auch andere Geschichten nah. Wir erinnern an die Spielmannsfabel vom Sieg und dem Namen der Longobarden: wie war schon hier der alte kultische und geschlechtliche Boden oon froher Fabelei überwuchert (S. 50). Und wir erinnern an die Geschichte von Thor und Thrym, die sich nun in neuem, früher verheißenem Licht vor uns stellt (S. 38): auch hier eine Hochzeitfeier, auch hier Verkleidung, auch hier ein lebhafter, mimisch dargestellter Vorgang im Beisein vieler Gäste. War das Ziel von Thors ungeheuren Ess- und Trinkleistungen, kultisch gesehen, eigentlich die Erhöhung seiner Kraft? Was wäre die Bauernhochzeit der Gegenwart ohne das viele und lange Essen? Und war der Hammer, den der Riese in den Schoß der Braut legte, eigentlich ein Abbild der Fruchtbarkeit, ein Abbild eines Phallus?

Vereinzelt steht also die Geschichte von Njördh und Skadi im Nordischen und Germanischen nicht da. Nun ist der Hinweis am Platz, daß in der Ehe des Mannweibes Njördh und des Weibmannes Skadi die Geschlechter und ihre Kraft sich sozusagen verdoppelten, und daß der Gott, nach dem Skadis Sinn eigentlich stand, Balder, auch ein weicher Gott und ein Gott der Fruchtbarkeit war. Wir denken an die ähnlichen Ehen bei den Wanen. Auch Lokis Wesen deutet nicht nur in unsrer Geschichte und nicht nur in der Fabel von Thor und Thrym, es deutet auch in der Fabel vom Riesenbaumeister und in den Scheltszenen der Lokasenna auf Zeugung und auf geschlechtliche Kraft.

Wie ist es nun gekommen, daß gerade die Märchen, die wir



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vorher nannten, sich an die Geschichte von Njördh und Skadi hängten? Das Märchen von der goldenen Gans hatte, wie wir glauben, den gleichen Ursprung. Es entstand aus einer mimisch vorgeführten Begattungsszene. Die Äpfel der Idhun waren einmal nicht nur Früchte der Jugend, sondern auch Früchte der Fruchtbarkeit, wie der Apfel seit alten Zeiten und überall. Sie gehören einer liebreizenden Göttin des Wachstums, gerade diese begehren ja die Riesen; ihre plumpe Gier im Kontrast zu der Anmut der Frau sollte das Einleitungsmärchen zur Geltung bringen. Der Märchenschmuck verhüllt also in unsrer Geschichte nicht den alten Sinn der Vorgänge, sondern er legt sich wie ein schmiegsames Gewand, gefällig und leuchtend, um ihre Glieder. Der letzte Erzähler hat dann noch seinen Geist hinzugetan: am Anfang wird Loki festgehert, am Ende heit er sich selbst fest; das kriegerische Auftreten der Skadi, die blinde Wut und die plumpe Anmaßung der Riesen stehen in wirkungsvollem Gegensatz zu der überlegenen Staatskunst, dem lachenden übermut der Götter, der Schönheit und der Jugend der Göttinnen. Wie es scheint, wird Skadi überreich entschädigt, im Grund ist sie doch die Betrogene, auch der den Göttern als Wane nicht ganz bequeme Njördh wird mit seiner Frau hinters Licht geführt. Mit echt isländischem geistreichen Spott ist besonders die Ehe von Skadi und Njördh geschildert . Hier der reiche Njördh, der sich nicht anstrengen mag und sich höchstens einmal zum beschaulichen Fischfang aufrafft, der Wolf und Wald nicht ausstehen kann, dort Skadi, die auf ihren Schneeschuhen in den rauhen Bergen unablässig jagt, die das Meer langweilt und die das Gekreisch der Seevögel gräßlich findet. Die Verse, die diese Gegensätze so frisch, mit solchem anschaulichen Witz vortragen, hat Sato sogar ins Lateinische übersetzt: sie müssen doch dem Norden sehr gefallen haben.

Welche merkwürdigen, religiösen und kultischen Fundamente, und welchen reichen, phantastischen und geistvollen Aufbau zeigen



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doch manche Göttersagen der Edda, wenn man sie bis in ihre Anfänge verfolgt! - Wohin Nerthus zu kommen würdigt, sagte Tacitus, ist froher Tag und Hochzeit, nur Friede und Ruhe ist dann bekannt und gewünscht. Frey, sagt Adam von Bremen, schenkt den Menschen Friede und Freude. Der Umzug des Frey, den eine spätere nordische Sage uns schildert, und der Umzug der Nerthus, den wir durch Tacitus kennen, gleichen sich in allen wesentlichen Zügen (S. 60). Nach Snorri ist Frey der berühmteste der Asen, er waltet über Regen, Sonnenschein und das Wachstum der Erde, man soll ihn um Ernte und Frieden anrufen und er ist auch der Mehrer des Besitzes.

Nerthus, Njördh und Frey sind sich, wie wir wieder sehen, zum Verwechseln ähnlich, wir möchten sogar behaupten, Frey, im Norden Njördhs Sohn, ist eigentlich Njördh selbst. Im Norden hob man vor allem die Macht des Gottes über Zeugung und Fruchtbarkeit hervor. Sein Bild trug ein ungeheures Geschlechtsglied, man rief den Gott bei der Hochzeit an; als seine Diener nannte die Lokasenna ja Byggwi und Beyla, Gottheiten des Feldbaues , auch der Gott Fjölnir, ein Gott des Feldbaues, war ihm verwandt (S. 73). Wo immer wir von Frey etwas vernehmen, überall wird sofort auch gesagt, daß unter seiner Herrschaft der Friede blühte, daß gutes Wetter und gesegnete Ernten, Wohlstand und Gedeihen die Menschen erquickten. Man brachte ihm gern und dankbar Opfer auf Opfer, denn man vertraute fest darauf, daß er alles vergelten werde. Eine große Anzahl Geschichten, die den entsprechenden Sagen von Thor gleichen, bezeugen uns die Liebe, die man auf diesen Gott gehäuft hat, man trennte sich von ihm so widerstrebend und so schweren Herzens, wie man sich von Thor trennte; besonders gilt das für Schweden.

Als Opfer empfing Frey Pferde und Ochsen und auch den stattlichsten und stärksten Eber der Herde, also wieder das Tier der Fruchtbarkeit. Beim Julfest wurden, bevor man ihn opferte, auf seine Borsten die Hände gelegt und Gelübde beschworen.



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In der Edda gilt ein Lied dem Frey; ein Liebeslied. Die schöne Gerd hat es dem Gott angetan, er schickt zu ihr seinen Boten Skirni. Die Schätze, die dieser verheißt, verschmäht die Jungfrau, seine Drohungen weist sie zurück, da spricht er über sie Zauberworte und Verwünschungen, nun fleht sie, er möge einhalten, , in neun Nächten wolle sie dem Gott ihre Gunst gewähren. Das Lied haben wir mit der Geschichte von Odhins Werbung um Rind schon verglichen (S. 218), eigentlich besingt es die Macht und den Zauber der männlichen, befruchtenden Liebe über die spröde Jungfrau, es ist ein Thema gerade für einen manischen Gott. Uns wird es auch dadurch bemerkenswert, daß es die Motive der Zeugung, der Fruchtbarkeit und der Zauberei zugleich anschlägt.

Einige Strophen der Skirnismal haben einen seltsam weichen, träumerischen Klang. Frey klagt dem Vertrauten seine Sehnsucht, noch nie habe ein Mann ein Mädchen so geliebt wie er die Gerd, sie sei so schön, daß vom Glanze ihrer Arme Himmel und Erde aufleuchteten. Und als die Jungfrau sich ihm verspricht, klagt er wieder "Lang ist eine Nacht, lang sind zwei, wie durchsehne ich dreimaldrei"?

Die schwärmerische Liebe des Frey zur Gerd erinnert uns nun auch noch an die Liebe des Balder zur Nanna, die Saro so verspottet (S. 139). Wenn man genauer hinsieht, erkennt man in dem Bild, das die Edda von Frey entwirft —nicht in den schwedischen und volkstümlichen überlieferungen —, auch andere Züge, die eigentlich dem Balder gehören. Frey ist ein kühner Reiter wie Balder, er besitzt ein kostbares Schwert wie Balder, um einer Jungfrau willen büßt der Gott das Schwert ein — es heißt, daß er es dem Skirni gab, als dieser um Gerd warb —, am Ende der Tage steht der leuchtende Gott waffenlos seinem Feinde gegenüber , dem dunklen Surt, der die Dämonen der Finsternis gegen die Götter führt und gegen Frey dessen Schwert schwingt. Das ist doch (S. 140) nur eine, und wohl eine alte Variante des vor



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uns erschlossenen Baldermythus. Der Frey der Edda ist also in vielen Zügen ein alter Himmelsgott und im Ursprung wohl der gleiche wie Balder; er mag sich im Altenglischen, wo Balder und Frey (Frea) das gleiche bedeuten: Herr, vom Himmelsgott abgelöst haben. Im Nordischen verdrängte er den Njördh und nahm dessen Wesen in sich auf. Sein Bild schillert dort bald mehr nach dem alten Himmelsgott, bald mehr nach dem alten Fruchtbarkeitsgott hinüber. Auch die Pferde, die Frey außer dem Eber, gern als Opfer annimmt, kennen wir als Tiere der zeugenden, geschlechtlichen Kraft und als Tiere des Himmelsgottes (S. 69).

Die Geschichte von der Werbung des Gottes um eine spröde Jungfrau ist fast ein Märchen, das Märchen hat den Frey ähnlich wie andere Götter am Ende seiner Geschichte eingesponnen. In einem späten den Skirnismal nachgebildeten Liede wirbt der junge Swipdag — er ist dem Frey ähnlich — um die Menglöd, die Halsbandfrohe, abenteuerlicher und wunderbarer als der alte Gott. Wie in den keltisch französischen Ritterromanen dreht sich ihre Burg auf der Spitze eines Speeres und ist oon lodernden Flammen umgeben. Den Eber Freys, hieß es nun, schmiedeten Zwerge, seine Borsten erhellen die dunkelste Nacht und er kann schneller als ein Pferd durch Luft und Wasser laufen. Schließlich nahm Frey noch das Schiff Skidbladni, eigentlich ein Eigentum des Meergottes, des Njördh, in seinen Besitz: das hat einen guten Fahrwind und immer gerade in der Richtung, in der man fahren will, sobald man nur das Segel hißt. Man kann es auch zusammenfalten und in die Tasche stecken.

Nach unsrer Auffassung ist Frey also nicht ein Gott, sondern die Verschmelzung zweier Götter. Das gleiche glauben wir von Freyja. Denn während sonst die Wanen, z. B. auch Frey, sich mit den Asen wohl verbündeten, ihnen aber doch fremd bleiben, betrachten die Asen Freyja als ihren köstlichen Besitz. Daß die Riesen gerade sie ihnen rauben wollen, empört sie, und als es scheint, daß



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sie die Göttin doch an den riesischen Baumeister verlieren werden, scheint ihnen die Luft, in der sie atmen, auf einmal vergiftet, Freyja macht ihnen das Leben hell und rein. Sollte eine Wanin diese Kraft haben? Wir glauben vielmehr, diese geliebteste Freyja ist die Himmelsgöttin und im Wesen kaum eine andere als Frigg: immer hilfsbereit, sie gibt ihr Faltenhemd dem Gott, der dessen bedarf, sie trägt das Brisingamene, den leuchtenden Halsschmuck — war das der Vergleich eines Dichters, der die Sonne den leuchtenden Halsschmuck der Himmelsgöttin nannte? —, sie steht, wie die Frigg, den Frauen gerne bei, besonders in ihren schweren Stunden.

Die andere Freyja ist die manische Göttin, die Göttin der Fruchtbarkeit und Liebe. Diese Göttin begehren die Riesen, diese wird in der späten Zeit des Heidentums gern geschmäht: ihr Mann sei ihr Bruder, sie schütze die niedere, sich preisgebende Minne. Loki schalt sie als Buhlerin und warf ihr vor, es gäbe keinen Gott, den sie nicht mit ihren weisen Armen umschlungen hätte, und die häßliche Sage entstand, daß sie sich von Zwergen entehren ließ, um ihren kostbaren Schmuck zu erhalten; — dieselbe Freyja, die in fassungslose. Wut geriet, als sie nur hörte, daß ein Riese sie zur Frau haben will: ob sie denn ganz männertoll sei, daß man ihr eine Brautfahrt ins Riesenland zumute?

Diese Freyja galt auch als Zauberin, sie war dieselbe wie Gullweig, die im ganzen Land ihre Umfahrt hielt, der die Liebe der Frauen folgte, deren Macht die Asen nicht brechen konnten, nicht einmal Odhin. — Die gleiche Göttin wie Gullweig war Gefjon, eine Göttin der Fruchtbarkeit wie Nerthus, und wie jene verbunden mit Erde und Meer, die unvermählten Frauen dienen ihr.

Von Gefjon ging die Sage, der König Gylfi habe an ihren Künsten Gefallen gefunden und ihr so viel Land zugestanden, als vier Ochsen in einem Tag und in einer Nacht umpflügen könnten. Sie aber spannte ihre Söhne, die sie von einem Riesen geboren



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hatte, als Ochsen vor den Pflug und der ging so breit und tief, daß er das ganze Land herausriß, und die Tiere schleppten es ins Meer, und es wurde die Insel Seeland. Wo früher aber Land gewesen, entstand nun ein See, der Mälarsee: dessen Buchten liegen ebenso wie die Vorsprünge in Seeland.

Gefjon, hieß es außerdem, war mit einem Riesen vermählt. Das ist ein Gegenstück zu der Ehe von Skadi und Njördh. Die ihr geltende Sage zeigt sie als Herrin des Pflugs: und die alten Engländer rufen ja, wenn sie im Frühjahr den Pflug das erste Mal in die Erde setzten, die Mutter Erde an. Der Umzug, von dem die Gefjonsage spricht, in Anlehnung an alte Sagen wie an die von der Dido, in Anlehnung zu gleicher Zeit an Sagen wie die vom Riesenbaumeister, mag früher einmal von feierlicher Bedeutung gewesen sein, ein altes Frühlingsfest.

Die Asin und die Wanin werden sich bei Freyja verschmolzen haben etwa wie bei Frey. Freyja nahm vom Wesen der Frigg viel in sich auf, und ihre wanischen Züge lebten außerdem in den Mythen von Gullweig und Gefjon weiter, die ihrerseits eigentlich wohl nichts anderes waren als Beinamen der Nerthus.

Die letzte Nachricht über Freyja finden wir bei Snorri: sie vermählte sich mit dem Mann, der Odh hieß, aber der ging auf lange Reisen, und sie ging weinend hinterher, und ihre Tränen sind rotes Gold, und sie suchte ihn bei vielen Völkern. — Das ist ein weiches und rührendes Märchen, denen von der vergessenen Braut ähnlich, die sich noch heute die Niederdeutschen und Dänen erzählen, ergreifender und hübscher als alle anderen Völker. Das Motiv, daß sie gern von Land zu Land wanderte, hat der Göttin diese Geschichte eingetragen; sie verschwand wie Frey schließlich im Zauberkreis des Märchens, und wir sehen es gern, daß sie dorthin schwebt und sich wieder verklärt.

Die Wanen haben sich also im Norden aus ihren germanischen Anfängen entwickelt. Man merkt ihnen noch immer an, besonders



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aus dem Gegensatz, in dem sie zu den Asen stehen, daß eine ältere Periode des Glaubens und der mythischen Anschauung sie geschaffen hat. Außerdem sehen wir aus den nordischen Berichten, daß ihre mythische und religiöse Basis breiter war, als wir auf Grund der germanischen Aussagen annehmen durften. Denn Njördh- Frey, Freyja, Gullweig, Gefjon werden, wie wir wiederholt er; erfuhren, als zauberkräftige Wesen gerühmt und gefürchtet und treten als solche den Men gegenüber, die Zauberei muß von Anfang an in ihr Wesen eingeschlossen gewesen sein. Die Wanen als Götter der Zeugung und Fruchtbarkeit zeigten im Norden auch neue Züge und ebenso war es für uns eine neue Einsicht, daß die Riesen gerade auf die wanischen Götter und Göttinnen so erpicht sind. Der Bund zwischen Asen und Wanen zeigte sich uns einmal in der Verschmelzung wanischer und asischer Elemente, die wir bei Frey und Freyja beobachteten, dann in den Geschichten über den Friedensschluß und die Vorträge beider Götterdynastien: die Wanen werden dabei durch die List der Asen, die die Macht der Gegner nicht brechen konnten, mehr als einmal, ohne daß sie es zu merken scheinen, benachteiligt. Endlich entführt das Märchen auch diese Wesen — es ist ihnen holder gesinnt als dem Thor — in das Reich seines Spiels und seiner Phantasie. Das Christentum hat ihnen alles in allem wenig angehabt. Wohl griff der neue Glaube besonders Frey und Freyja heftig an und hat sie geschmäht und verdächtigt, doch sie wirkten in der alten Weise weiter. Denn sie stammen aus Schichten des Glaubens, in die das Christentum nie eingedrungen ist.


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