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Die Götter und Göttersagen der Germanen


von Friedrich von der Leyen

Dritte Auflage München 1924

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck


7. Die Göttinnen

Von Göttinnen sind uns bisher entgegengetreten: Beda, Fimilena , Haewa, Nerthus, die Göttinnen der Erde, Nehalennia, Frija, Bolla, Sunna, Sinthgunt, die Idise, Beyla, Röskwa, also eine stattliche Anzahl, nun schon stattlicher als die Zahl der Götter.

Von ihnen bleibt die deutsche Frija die höchste. Sie ist auch die einzige Göttin, nach der ein Wochentag, der Freitag heißt, wie eine Reihe altenglischer Gewährsmänner übereinstimmend bekunden Der Name Freitag findet sich bei allen germanischen Stämmen (althochdeutsch frîadag, frîjetag, frîgetag, frîtach; altenglisch frîgedaeg; altfriesisch frîgendei; altniederländisch vrîdach; altnordisch aus dem Deutschen entlehnt frjädagr), während den Tiestag und Donarstag die Bayern, den Wodanstag die Oberdeutschen nicht kannten. Bei den Römern heißt der Freitag dies Veneris und *frijo, idg prija, bedeutet die Geliebte, die Liebreiche. Wie Venus war also Frija eine Göttin der Liebe. Gleich ihr war sie auch eine Göttin des Himmels und des himmlischen Glanzes, wir haben schon vermutet, daß die Germanen sie ursprünglich als Göttin des Himmels verehrten (S. 49f.). 9

Die longobardische Sage gibt uns von Frija das hübscheste Bild. Anmut und Schalkheit, der Mutterwitz der Frau und die liebevolle Sorge für ihre Schützlinge sind die Kennzeichen dieser Frau der Frauen. Bei den Longobarden tritt uns Frija als Gattin Wodans entgegen, das ist sie im Altenglischen und Altnordischen geblieben. Sie gebührt dem Wodan aber, wie wir erfuhren, nicht als dem Zauber- und Ahnengott, sondern sie gebührt ihm als dem Nachfolger des Himmelsgottes. Der zweite Merseburger Zauberspruch zeigt sie denn auch in der Umgebung anderer himmlischen Gottheiten und lebhaft besorgt um das Los des Himmelsgottes Balder, aber nicht als Wodans Gemahlin. Die Zauberkraft Wodans bleibt in dem Spruch der ihren ebenso überlegen wie der der anderen Göttinnen; wie jene muß sie von ihm lernen.



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Wir zitieren nun, damit sich uns die Namen der auftretenden Göttinnen noch einmal fest einprägen, die Eingangsverse des zweiten Merseburger Zauberspruches: "Vol und Wodan fuhren ins Holz. Da wurde dem Fohlen des Balder der Fuß verrenkt. Da besprach ihn Sinthgunt und Sunna, ihre Schwester, da besprach ihn Frija und Bolla, ihre Schwester." — Die Bolla entspricht der nordischen Göttin Fulla. Der Name fulla bedeutet Fülle, Reichtum. Snorri nennt Fulla die Vertraute Friggs, sie hat leuchtendes Haar, sagt er (wir verweisen auch hier auf die magische Bedeutung des Haares) und ein goldenes Band um das Haupt, sie trägt die Truhe Friggs und hat ihre Schuhe in Obhut und sie weiß auch ihre Heimlichkeiten. Aus der Hel (der Unterwelt weit) schickt Nanna, Balders Gemahlin, der Frigg und der Fulla ein Kopftuch und einen goldenen Ring und als Vertraute Friggs wird Fulla in den Grimnismal zu König Geirrödh gesandt. So nahe stehen sich noch im Nordischen beide Göttinnen. Bolla war gewiß eine Göttin der Fruchtbarkeit und des Himmels. Wir halten den Vol für den männlichen ihr entsprechenden Gott und für einen Beinamen Balders. Es mögen Vol und Bolla sich ähnlich entsprochen haben wie Frey und Freyja im Nordischen, und ihr Wesen ist ja im Grunde das gleiche. Frey und Freyja gelten im Nordischen als Gatten und zugleich als Geschwister, und Snorri fügt hinzu, daß die Sitte der Geschwisterehe nicht bei den Asen, sondern bei den Wanen, bei Nerthus und den ihr verwandten Gottheiten, bekannt war. Tiu und Frija, Balder als Vol und Bolla, Frey und Freyja, diese Paare der Himmelsgötter stehen nun, sei es als Geschwister, sei es als Gatten verbunden vor uns.

Sunna ist die Sonne, hier als Göttin gedacht, früher war sie von den Germanen, wie uns der Fund von Thrundholm zeigt und wie wir noch aus dem Zeugnis des Caesar schließen dürfen, einfach als Sonne verehrt, ihr Bild wurde als eine goldene runde Scheibe durch die Länder gefahren. Noch Tacitus sagt: die Suionen (die



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Schweden) glaubten bei der aufgehenden Sonne Pferde und Räder zu sehen und einen Ton zu hören, eben solche Pferde und Räder bildete der Wagen von Thrundholn ja nach.

Sinthgunt, die Schwester der Sonne, kann wohl nur der Mond sein. Die Wöluspa nennt die Sonne die Gefährtin des Mondes. Der Name sinthgunt heißt die den Weg sich Erkämpfende. Nach altem Glauben irrten die Gestirne am Anfang der Dinge ziellos am Himmel hin und her, erst der Schöpfer wies ihnen gewaltsam ihre Bahn, die sie heute noch ziehen. Sie fanden ihren Weg also erst nach Unruhe und Kampf. Diesen Glauben dürfen wir auch bei den Germanen voraussetzen und er erklärt uns den Namen Des Mondes in .unsrem Spruch. Der Dichter der nordischen Wöluspa sagt wieder; Am Anfang der Dinge wußte Sonne nicht, wo sie Sitz hatte, Mond nicht, welche Macht er hatte, Sterne nicht, wo sie Stätte hatten.

Wie im zweiten Merseburger Spruch, so umgibt auch im Nordischen die Frigg ein großes weibliches Gefolge. Die Fulla gehört dazu und Eir, die Ärztin, also eine zauberkräftige Göttin, außerdem Göttinnen, die Liebe und Ehe beschützen. Die Germanen haben ein Wort für Ehe und Gesetz, ihnen gilt die Ehe als das Gesetz . — Die Göttinnen des Rechtes sind War: sie bewacht die Eide und hütet die Ehe, schon in dem alten Lied von Thrym; Syn: sie schützt alle, die etwas leugnen müssen; Hlin: sie warnt im Auftrag Friggs alle, denen eine Gefahr bevorsteht; Snotra: sie ist klug; Gna: sie ist eine Botin der Frigg. — Die Göttinnen der Ehe und Liebe sind Sjöfn: sie entflammt gern die Menschen zur Liebe; Lofn: wenn einer Ehe sich Hinderungen entgegenstellen, so gewährt sie ihre Hilfe, die Erlaubnis dazu geben ihr Odhin und Frigg.

Auch die der Frigg verwandte Menglöd (die Halsbandfrohe), umgeben in einem späten Eddalied eine Reihe von Göttinnen, ganz ähnlich wie Frigg und als eine Nachbildung ihres Götterstaates.



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Huf und Hlifthrasa (Beschützerin), Thjodwara (Volksbewahrerin Bjart (Glänzende), Bleik (Blinkende), Bild (Holde), Frid (Schöne), Aurboda (Goldspenderin), Eir (Ärztin).

Frigg ist im Nordischen also eine Himmelsgöttin, die über Gesetz und Ehe wacht und die nordischen Göttinnen können sich aus ihren Beinamen entwickelt haben. Zug für Zug entspricht das Wesen der nordischen Himmelsgöttin dem Wesen des germanischen Himmelsgottes, das sich vor uns entfaltete. Auch er leuchtet über die Welten, auch er bewacht das Recht, auch ihn umgeben die Göttinnen des Rechts, auch er ist als Schöpfer der natürliche Hüter der Ehe; schließlich offenbart auch er sich in vielen Kräften und trägt den reichen Schmuck der Beinamen. Nur das Kriegerische des Himmelsgottes fehlt der Himmelsgöttin, das bleibt dem Mann vorbehalten. Und diesem fehlt die Anmut der Frau.

Unser Recht, neben dem germanischen Himmelsgott eine selbständige und wohl ältere Himmelsgöttin anzunehmen, bestätigt sich durch die weitgreifenden und überraschenden Übereinstimmungen von nordischer Himmelsgöttin und germanischem Himmelsgott von neuem. Die Übereinstimmung ist uns auch eine Gewähr, daß wir seinerzeit das Bild des germanischen Himmelsgottes richtig zeichneten. Endlich zeigt uns ein Vergleich der altdeutschen Frija und ihrer Umgebung im Merseburger Zauberspruch mit der altnordischen Frigg und ihrer Umgebung in Snorris Edda noch einmal, daß die Gottheiten jenes Merseburger Zauberspruchs alle Kennzeichen germanischer Gottheiten tragen; welche seltsame gelehrte Torheit bleit es doch, den germanischen Charakter dieses Spruches zu bestreiten!

In den Annalen teilt uns Tacitus mit, daß Germanicus zu den Marsen, die zwischen Sieg und Ruhr wohnen, gekommen sei, zur Zeit des Herbstes, als sie nach dem Opfer berauscht dalagen und unbewaffnet waren. Er überfiel und vernichtete sie und machte ihr Heiligtum, das der Tamfana galt, dem Erdboden gleich.



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In Tamf-ana findet sich das Formans -ana, das wir bei Wodan in seiner männlichen Form feststellten. Tamf bringt man am besten mit isländisch thömb, Fülle, zusammen, daß Tamfana Herrin der Fülle, Herrin des Reichtums bedeuten würde. Das wäre ein ähnlicher Name wie althochdeutsch Bolla, nordisch Fulla. Wir halten demgemäß die Tamfana wieder für eine Göttin des Fruchtbarkeit und Fülle verleihenden Himmels. Sie spendete den Trank, und die Germanen, die von dem Trank genossen, wollten wohl die Kraft der Göttin in sich aufnehmen; dieser Gottesdienst wurde ihr Verderben. Wir erinnern an das Trankopfer, das die Sueben dem Wodan darbrachten (oben S. 46).

Am Rhein, in Geldern und in Friesland wurden einer dea Hludana Steine gesetzt. Sie stammen aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts, vier von Soldaten, einer von frisischen Fischereipächtern . karl Helm deutete sehr verlockend die Hludana als Huldana. Die Hulden (nordisch die huldre, althochdeutsch die holden) sind die Geister der Verstorbenen, die Huldana sei ihre Führerin. Huldana sei der weibliche Wodan und wie Wodan zu Wode verhalte sich Huldana zu Holle, zu der Frau Holle, die unser Märchen noch rennt, und die unsre deutsche Sage als Führerin der Verstorbenen und namentlich der verstorbenen Kinder, als gütige und auch als strenge Frau noch immer liebt und fürchtet. Wir hätten dann nicht nur neben dem Himmelsgott eine eigene und ältere Himmelsgöttin, wir hätten neben dem Seelen- und Ahnengott der Germanen eine eigene und ältere Seelen- und Ahnengöttin.

Leider darf das philologische Gewissen dieser Deutung, die so viel innere überzeugungskraft hat, nicht ohne weiteres folgen. Denn diese Hludana ist kaum eine andere als die Latona, die uns jene altenglische Glosse als die Mutter Donars nannte (oben S .27), und als die Hlodhyn, die uns die Wöluspa wieder als Mutter Thors nennt, Donar aber ist nie Seelenführer gewesen. Die Behauptung,



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Hlodhyn, Hludana seien eine Mutter Erde — man erinnert an isländisch hlodh: Erdhaufen — muß als Möglichkeit bestehen bleiben.

Neckarsweben im britannischen Heer setzten in Lancaster zur Zeit des Gordian (238-244) der dea Garmangabis einen Weihstein. Gabis heißt die Spendende, die Gebende, garman ist noch nicht zweifelsfrei erklärt, wird aber die Bedeutung des Gebens verstärken, so daß wir Garmangabis als die reichlich, die gütig Spendende deuten und als eine Göttin der Fruchtbarkeit wieder erklären wollen. Ähnliche Namen sind gabiae, alagabiae (S. 83) und die nordische Gefjon. Ursprünglich mag die Garmangabis ein Beiname einer höheren der Nerthus verwandten Gottheit gewesen sein.

Im Gebiet der Nemeter (bei Zweibrücken und Bertrich) sind zwei Steine der Vercana Vere-ana) gesetzt, d. h. wohl: der werkfrohen (beachte wieder das Formans -ana). Man hat an die Athena ergane erinnert. Die gallische Minerva heißt nun Idennica, der Name ist vielleicht verwandt mit der nordischen Idhern (Idhun), der späte Mythus über diese zeigt manche keltische Züge. So mag die Vercana der Idhun entsprochen haben, als eine rührige Göttin der Künste und Fertigkeiten, der Verjüngung und des Wachstums.

Im friesischen Gebiet, bei dem Hain, den sie den der Baduhenna nennen, sind, sagt Tacitus, neunhundert Römer gefallen. Baduhenna ist eine Kampfgöttin, Badu heißt Kampf. Ob henna ein Suffixe ist oder ein Wort mit eigener Bedeutung, und welche Bedeutung es besaß, das ist noch ungeklärt.

Auf sechs Inschriften aus niederrheinischem Gebiet aus dem 2. und 3. Jahrhundert wird eine Göttin Vagdavercustis genannt und abgebildet. Die letzte dieser Inschriften wurde 1909 in Köln gefunden, auf einem Altar, den ein höherer römischer Offizier der germanischen Göttin widmete und 1908 wurde außerdem in Plumpton Wall bei Old Penrith ein Altar ausgeackert, auf dem ein Schatzmeister der Vagdavercustis verzeichnet war. Vercustis



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— wir beziehen uns auf einen schönen Aufsatz von Rudolf Much — heißt Vortrefflichkeit, Tugend, Vagda wahrscheinlich Bewegung, Kampf. Vagdavercustis wäre demnach eine Gottheit der kriegerischen Tugend, wie auch die Römer sie verehren. Wir fügen noch hinzu, daß auf altsächsischen Stammtafeln als Söhne Wodans , des Kriegsgottes, Wegda und Wegdeg genannt werden.

In Nordbrabant erscheint die Göttin Sandraudiga. Wir übersetzen Sandraudiga als die wahrhaft (san, Partizipium von sein: seiend, wahrhaft) Furchtbare (draudiga, vgl. englisch dread) und deuten den Namen als Schlachtgöttin, die den furchtbaren Schrecken der Schlacht in die Feinde jagt, von dem uns longobardische und viele nordische Sagen voller Grauen berichten. Wir erinnern auch an die Namen Fosite und Yggr (der Schreckliche, nordischer Beiname Odhins). Wiederum Schlachtgöttinnen sind drei Gottheiten, die auf niederrheinischem Gebiet im 2. und 3. Jahrhundert um Schutz angerufen werden: die Vihansa, die Kampfgöttin, die Hariansa, die Heergöttin, die Harimella die im Heer Wirkende.

Wenn bei diesen Deutungen auch manche ungelösten Reste bleiben, die Verehrung kriegerischer, zaubermächtiger Göttinnen, die an die nordischen Walküren erinnern, bezeugen sie, und zwar gerade am Niederrhein auf dem engeren Gebiet des Kriegszauberers Wodan. Den Ursprung des nordischen Glaubens an die Walküren dürfen wir daher im Germanischen suchen. Wir denken dabei auch an die Berichte der römischen Schriftsteller. Wie bei andern kriegerischen Völkern spornten bei den Germanen die Frauen die Krieger durch wilde Worte an, stürzten sich auch selbst in die feindlichen Reihen und entschieden bisweilen den guten Ausgang der Schlacht. Neben und unter diesen Heldenfrauen werden Kriegszauberinnen gewirkt haben, die über die Waffen der Ihren schützende Zaubersprüche murmelten oder heilkräftige Runenzeichen in sie einritzten und die gegen die Gegner lähmende und verwirrende Sprüche und Künste wußten. Die Verehrung dieser Kriegerinnen



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und Zauberinnen steigerte sich nach unsrer Auffassung durch den Ahnenkult zum Walkürenglauben. Wuchs doch die Macht des Zauberers, sobald er das Leben verlassen hatte!

Der Walkürenglauben tritt uns im Altdeutschen noch einmal lebhaft und dramatisch entgegen im ersten Merseburger Zauberspruch . Die in ihm genannten Gottheiten heißen die idise, im Nordischen heißen die Walküren disir. Sachlich decken sich beide Worte, lautlich ist das überschießende, im Althochdeutsche anlautende i noch nicht erklärt. Die Jdisen kennt schon Tacitus, eine berühmte Schlacht zwischen Römern und Germanen wurde auf Jdisjawiso geliefert. Wahrscheinlich war das eine Kultstätte der Idise, der Name idisiaviso entspricht dem nordischen disin und bedeutet Wiese der Ideen.

Der erste Merseburger Zauberspruch lautet: Einst setzten sich die Idise, setzten sich hierhin und dorthin, die einen hefteten die Hafte, die einen lähmten das Heer der Feinde, die einen klaubten (loderten) an den heiligen Todesfesseln, entspringe den Haftbanden , entfahre den Feinden! Wir stellen uns die Hergänge so vor: Die Idise kommen angeflogen in drei Haufen, der eine setzt sich über die Gefangenen, die das Heer der Freunde erbeutete, ihnen knüpft es die Fesseln fester. Die andern lähmen und verwirren das Heer der Feinde durch ihren Zauber, die dritten lockern die heiligen, aus Eichenzweigen geflochtenen Fesseln der Gefangenen, die das Heer der Freunde an die Feinde verlor und die dem Kriegsgott als Opfer bestimmt waren. Die Erinnerung an diese kriegerischen Hergänge wird heraufbeschworen, um einem Gefangenen die Fesseln zu lösen.

Das Lockern und Anziehen der Fesseln ist ein auch bei den alten Engländern und bei den Nordleuten bezeugter germanischer Kriegszauber , ebenso das Lähmen des feindlichen Ansturms. Der Spruch führt uns mitten in Krieg und Kriegszauber hinein, mitten in das Walten der Walküren.



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Wir wollen auch hier auf die große künstlerische Vollendung des Werkchens hinweisen, auf den reichen Wechsel der scharfen und dumpfen, der hellen und dunklen Laute, auf den Wechsel zwischen lebhafter Bewegung und ängstlich anhaltender Spannung, auf die ausgezeichnete dramatische Anlage, die zu dem Spruch selber, zu der Lösung der Fesseln gewaltsam hindrängt.

Die Walküren als Kampf- und Zaubergöttinnen kennt auch das Altenglische und im Altenglischen erscheint zum erstenmal der Name waelkyrge, d. h. die Frau, die aus den Kämpfern die zum Tode bestimmten Helden wählt (wal, nordisch valr, vgl. unser Wahlstatt, , Schlachtfeld, ist die Gesamtheit der Gefallenen). Die Walküren weben das Kampfglück, sagt ein alter englischer Dichter. Das grausame, blutgierige, unersättliche und heimtückische Walten der Walküren betonen altenglische und altnordische Berichte. Es entspricht der Auffassung des Krieges und auch der Auffassung des Kriegsgottes bei den Germanen und Nordleuten. Noch im Altnordischen erscheinen die Walküren wie in unserm Zauberspruch, in drei Haufen fliegend, und als selbständige Gottheiten, sonst hat Odhin sie in sein Gefolge aufgenommen, im Germanischen wirkten sie bereits in seiner Nachbarschaft. —

Die Kelten verehrten weibliche Gottheiten, die sie Matres oder Matronae: die Mütter nannten. In den von den Römern besetzten Gebieten wurden diesen keltischen Gottheiten Weihsteine errichtet, von denen bisher über vierhundert gefunden sind. Sie stammen aus der Zeit von 100 bis 240 n. Chr. Auf den meisten sind drei Göttinnen sitzend oder stehend dargestellt. Die Stifter sind Kaufleute, Händler, Freigelassene, Soldaten der unteren Rangklassen. Der Kult der Matres war auf die niederen Schichten beschränkt, wie auch heute noch die Weihgaben und Votivtafeln des katholischen Volkes namentlich von einfachen Bauern und ihren Familien gestiftet werden. Als die germanischen Völker ihre Massen gegen das Rheinufer vorschoben , erlosch langsam auch die keltische Mütterverehrung.



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In den keltischen von Römern besetzten Gebieten übernahmen die Germanen, die im römischen Solde standen, den Mütterkult. Und von da aus verbreitete es sich zu den Germanen, die mit der keltisch-romanischen Bevölkerung in Berührung kamen, zu den Ubiern, Nemetern, Batawern, über diese hinaus drang er nicht.

Man wird sich denken können, daß viele Namen der Matres der Deutung bisher widerstrebten und daß es bei vielen unsicher bleibt, ob sie keltisch oder germanisch sind. Wir reihen nur die Namen aneinander, die wahrscheinlich als germanische gelten können.

Die Ananeptiae (vgl. altdeutsch niftel, Nichte, und unser neffe) beschützen die Sippe, die Blutsverwandtschaft, wir erinnern an die Haewa. Die Afliae verleihen Kraft und Macht (gotisch afls, die Kraft), die Arvagastiae spenden Reichtum, die bereits erwähnten Gabiae, Alagabiae gleichen der griechischen Pandora, der Allgeberin und ebenso die besonders verbreiteten Aufaniae, die Überflußspendenden (vgl. ûf, auf und das Formans -ana), ihrer aller Kult vollzog sich in römischer Form, in römischen Heiligtümern. Die Alaterviae deuten wir als die Allkrästigenden (*terwaz, fest), die Vafthiae (verwandt mit wachen) als die Behütenden, die Suleviae als die gute Gelegenheit Schaffenden, die Hilfreichen (gotisch lêws, Gelegenheit, su, gut, vgl. Sugambri), die Seitchamiae als die Zauberhüllen Annehmenden, die Zauberkräftigen (nordisch seidh, Zauber, nordisch hamr, Zauberhülle), die alaferhviae (gotisch ferhwus, Leben) als die Allbelebenden, die alateiviae als die Allgöttlichen.

Die Suebae, Marsacae, Hamavae, Frisacae sind Gottheiten, die einen bestimmten Stamm beschützen. Die Nersitenae wurden an der Ners, einem Nebenfluß der Maas, verehrt. Dann sind den Matrones vatvins oder vatviabus und den gawadiae Steine gesetzt, d. h. denen, die im Wasser oder in den Furten hausen (wadan, waten, vgl. den Wate der Gudrun). An Brücken und Furten denkt sich das Volk noch heute die Geister wachend und drohend und der Kult der Quellen und Gewässer durch die Germanen, der Glaube an ihre wahrsagende



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Kraft, die Furcht vor ihrer grausamen Unersättlichkeit ist uns seit langem bezeugt, als Kult der Salzquellen bei den Chatten und Hermunduren durch Tacitus, und dann vom s. Jahrhundert bis ins tiefe Mittelalter und durch unsre Volkssagen bis in die Gegenwart . Das Rauschen und Gurgeln, das Brausen und Fließen des Wassers hörte sich an wie geheimnisvolle Stimmen, der Versuch , die räuberischen Götter durch Menschenopfer zu versöhnen, wurde immer von neuem unternommen.

Nach Procop töteten die Franken, als sie unter Theudebert in Oberitalien eindrangen, die zurückgebliebenen Goten, Weiber und Kinder und warfen, obgleich sie bereits Christen waren, ihre Körper als Opfer in den Po, um die Zukunft zu erfahren. Nach Agathias verehrten die Alemannen die Wirbel der Flüsse; Eligius, Burchart von Worms und viele andere erließen immer neue Verbote gegen den Kult der Quellen und Gewässer. Mimi, ein alter germanischer Wassergeist, dessen Kult noch deutsche Ortsnamen beweisen (Memleben, Mimigerdaford, alter Name für Münster), in der Edda der klügste der nordischen Geister. Seine Weisheit und prophetische Kraft ist die stärkste, er verlangt von Odhin, der selbst die tiefste Weisheit wollte, das größte Opfer, sein Auge, wie die nordischen Wassergeister noch immer schwere und blutende Opfer fordern von den wenigen Berufenen, die sie die Kunst der Musik und des Gesanges lehren.

Aus dem Ahnenkult scheinen die Mütter erwachsen, der Schutz des Geschlechtes ist ihre erste Aufgabe. Im Märchen gibt noch immer die abgeschiedene Mutter den braven Kindern Hilfe und Segen, der Hausgeist, die Seele des im Haus verstorbenen, der Kobold, schafft den Bauern Wohlstand und Gedeihen. Die Verstorbenen glaubt man überall in der Natur wirksam, die Sippe erweitert sich zum Stamm, so mag es sich erklären, daß die Matres zu Wasser- und Stammgottheiten wurden.

Die Göttinnen der Germanen, die wir nun kennen lernten.



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gleiten in ihrem Wesen die einen immer in das der andern über, ja sie treten oft nicht als einzelne Göttinnen auf, sondern in Gruppen zu dreien und so wurden sie auch abgebildet. Sie müssen einer recht alten Schicht des religiösen Glaubens angehören. Dreiteilung war für die Walküren des Merseburger Zauberspruchs bezeichnend und noch für die nordischen Walküren. Ob aber die Dreiheit der Göttinnen germanischen oder ob sie keltischen Ursprungs ist, bleibt ungewiß. Die germanische Götterdreiheit Tiu, Donar, Wodan erscheint als Dreiheit nur in der bekannten altsächsischen Abschwörungsformel und man bedenke, daß die Götter als Dreiheit eigentlich nicht gelten dürfen, weil sie ja nicht als Dreiheit und nicht bei allen germanischen Stämmen gleichmäßig verehrt wurden, weil sogar in der germanischen Zeit Wodan den Tiu verdrängte. Auch die nordische Trias Odhin, Loki, Hoeni wurde erst spät gebildet, ebensowenig haben Thor, Odhin und Frey, deren Bilder im Tempel von Upsala nebeneinander standen, den Zusammenhang der Dreiheit.

Die Himmelsgöttin und ihre Begleitung, Göttinnen der Fülle und Fruchtbarkeit und der Erde, Göttinnen des Krieges und des kriegerischen Zaubers, Göttinnen wahrscheinlich dem Ahnenkult entwachsen, zum Teil den Kelten entnommen und mit germanischen Göttinnen verschmolzen, germanischen Göttinnen auch vielfach gleichend, das sind die Gruppen, in die sich unsre germanischen Göttinnen gliederten oder aus denen sie erwuchsen. überall standen diese Göttinnen noch im Anfang des Glaubens und das gab ihnen ihre Kraft und ihre Dauer. Für die Germanen — wenigstens weiß ich aus der Religion anderer Völker kein Analogon — ist es charakteristisch, wie sich aus dieser ungestalteten erdennahen Welt langsam und immer festere Formen gewinnend die männlichen Götter erheben. Zwischen den weiblichen und männlichen Gottheiten scheint die mannweibliche Welt der Wanen das religionsgeschichtliche Bindeglied.


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