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Die Götter und Göttersagen der Germanen


von Friedrich von der Leyen

Dritte Auflage München 1924

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck


3. Donar

Eine altenglische Glosse sagt: Latona Jovis mater, Thunres moder, sie setzt also den Donar dem römischen Jupiter gleich. Dasselbe sagt später der ausgezeichnet unterrichtete und charakterisierende Geschichtsschreiber Adam von Bremen: Thor cum sceptro Jovem simulara videtur (Thor mit seinem Szepter scheint dem Jupiter zu gleichen). Dementsprechend heißt der römische Dies Jovis donarestac, im niederdeutschen donresdach, friesisch thuneresdag, , altenglisch thunaresdaeg, altnordisch thorsdagr. Im Bayrischen heißt es pfinztac, das ist der fünfte Tag, bis zu den Bayern ist der Kult des Donar wohl nicht gedrungen?

Wir sahen, daß Tiuz im Namen dem alten indogermanischen Himmelsgott entsprach und damit auch etwas vom Wesen des römischen Jupiter in sich schloß. Ein anderes Gebiet im Herrschaftsbereich des Jupiter besetzt Donar. Der Name klärt uns darüber auf, welches: Donar heißt der Donnerer und Donar ist der Gott des Wetters und Gewitters. Thor, der stärkste der Götter, sagt wieder Adam von Bremen, herrscht in der Luft und waltet über Donner und Blitz, Wind und Regen, Sonnenschein und Fruchtbarkeit. Ebenso ist Jupiter der Herr über Blitz und Donner, der Donner ist das Rollen seines Wagens, und wie Jupiters, so ist auch Donars Waffe, die Art oder der Hammer, das Abbild des Blitzes. Site wurden dem germanischen Donnergott schon in der Bronzezeit (1500 bis 500 v. Chr.) geopfert. Donar schlägt zu mit seiner feurigen Art" , sagt das altenglische Gedicht von Salomo und Saturn. Jupiter scheint reicher als Donar, insofern er zugleich der Gott des ruhigen und des bewegten , des heiteren und des dunklen Himmels ist, während bei den Germanen Donar als Gott des bewegten und dunklen Himmels , Tiu als Gott des ruhigen und heiteren Himmels verehrt wird. Aber Donar hat, wie wir noch sehen werden, Kräfte, die Jupiter nicht besitzt.



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Wir müssen uns zunächst den Zeugnissen zuwenden, die vom germanischen Jupiter sprechen. Das älteste stammt aus dem s. Jahrhundert ; es ist eine gotische Runenschrift auf einem in Pietroassa in Rumänien gefundenen Ring, und sie lautet: Gutaniowihailag, das ist Gutane Jowi hailag, dem Jupiter der Goten geweiht. Sie bezeugt den Donar als den Jupiter; wir dürfen vielleicht sagen, als den Gott der Goten. Denn im Norden, sogar in der Edda, ist Thor der Ase, der Gott schlechthin. In unsrer gotisch-germanischen Runenreihe wird auch für A As (der Ase) genannt. Wir übersetzen As mit Donar und die umliegenden Stäbe verstärken uns den Mut zu unsrer Interpretation. Voran geht nämlich für Th Thuris (der Riese). Dem ist, sagt die Runenreihe, der Ase überlegen . Die nordischen Sagen über Thor erwachsen nun alle aus den Siegen des Gottes über die Niesen. — Es folgen in der Reihe dem Asen die Stäbe für R Rat (das Wagenrad) und für R cen, chaon (die Fackel): also auf dem Wagen, Blitze schleudernd, fährt Donar. Dann schließen sich an für H Hagal (Hagel), für N Naut (Not), für J Is (Eis), für A Ar (Jahr), für S Sol (Sonne). Über das Unwetter, erklären wir, über Kälte, über den Jahreslauf und über den Sonnenschein waltet wieder der Wettergott. Diese Erklärung gleicht fast wörtlich der Aussage des Adam von Bremen über Thor. Sie wird also das Rechte treffen. Zuerst den Gott von Sturm und Blitz, dann den Gott des heiteren Himmels führt die alte Runenreihe an uns vorüber, ihr danken wir das erste, mächtige, in wenigen großen Eindrücken festgehaltene Bild des germanischen Jupiter tonans.

Im 7. Jahrhundert warnt der hl. Eligius, man solle weder im Mai noch zu anderen Zeiten den Tag des Donar müßig verbringen, fern von den heiligen Festen der Kirche. Das berühmte Verzeichnis der Aberglauben des Burchard von Worms aus dem 9. Jahrhundert warnt vor den Opfern und heiligen Tagen, die dem Jupiter und Merkur bestimmt sind. In einem Lobgesang



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auf den hl. Gallus im 10. Jahrhundert werden die Bekehrer gepriesen, sie hätten den Heiden das Wort Gottes gelehrt und den Donar brennend verlassen, d. h. wahrscheinlich sein aus Holz geschnitztes Bild. Bonifatius, der Apostel der Deutschen, erwähnt in seinen Briefen einen Priester, der dem Jupiter opfert. Spärlich genug sind diese deutschen Angaben, immerhin bezeugen sie einen Gott, dem ein lebhafter, von der Kirche besonders eifrig bekämpfter Kult gehörte.

Sehr eindrucksvoll verstärkt wird diese Kunde durch den berühmten Bericht über die Fällung der Donareiche im Hain von Geismar, die dem Bonifatius gelang. "Auf ihr eifriges Zureden", heißt es in seiner Lebensbeschreibung, "versuchte er einen Baum von erstaunlicher Größe, der die alte heidnische Bezeichnung die Eiche des Donar trug, im Ort, der Geismar heißt, zu fällen. Während er, gestärkt durck) die Beharrlichkeit seines Vorsatzes, den Baum fällen wollte, versammelte sich eine große Menge der Heiden, die unter sich den Feind ihrer Götter heftig verwünschten. Aber sehr bald, nachdem die ersten Hiebe ihn trafen, stürzte die ungeheure Masse des Baumes, von einem durch Gott gesandten Wind außerdem geschüttelt, vom Wipfel an sich spaltend und brach wie durch tröstliche Hilfe der himmlischen Macht in vier Teile. Vier Stämme von ungeheurer Größe und von gleicher Länge lagen nun, fern von den Mönchen, die der Arbeit beigewohnt, am Boden. Als die Heiden das sahen, die den Bonifatius zuerst verwünscht, schworen sie den alten Göttern ab, tauschten gegen den Fluch den Segen und wurden gläubig."

Diese lebhafte Erzählung führt uns mitten in das Werk der Bekehrung unserer Vorfahren. Natürlich sammelt sie alles Licht auf den Apostel der Deutschen, dessen kühne Entschlossenheit Gott durch Wunder und Zeichen und durch einen von ihm selbst kaum erwarteten Erfolg belohnt. In Wirklichkeit wird der Vorgang sich kaum so spannend und so wunderreich abgespielt haben. Der Bio



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graph deutet das hohe Alter der Donareiche ja an. Der überalte Baum wäre wohl auch ohne Zutun eines christlichen Eiferers über kurz oder lang in sich zusammengebrochen. Hätte Bonifatius, ein kluger Angelsachse, sich auch an einem Baum versucht, der, in voller Kraft vor ihm grünend, jeder An trotzte? Doch gerade, weil sie Jahrhunderte überdauerte, hielten die alten Deutschen die Eiche für unzerstörbar und sahen nun mit seinem heiligen Baum den Gott stürzen. — Es war ein besonderer Mut von Bonifatius, daß er gerade nach Geismar ins Hessische drang. Nach dem Zeugnis von heute noch bestehenden Ortsnamen hatten die heidnischen Götter dort mehr als ein Heiligtum. Das Heidentum war, wie es scheint, dort noch fester verwurzelt, als in anderen deutschen Ländern.

Die Germanen verehrten, wie wir schon wissen, ihre Götter im heiligen Hain. Durch die Tat des Bonifatius erfahren wir nun, daß ein bestimmter Baum einem bestimmten germanischen Gott, dem Gott des Blitzes und Donners, heilig war. Ein uralter Baum mußte das freilich sein. Warum aber gerade die Eiche: Darauf gibt uns die Meinung primitiver Völker die Antwort: weil die Eiche den Blitz anzieht und weil deshalb sich der Glaube entwickelt, daß sie in geheimnisvollem Zusammenhang mit dem Blitz steht und mit dem Gott, der dem Blitz gebietet. Im Norden ist dem Thor die Eberesche heilig, auch ein Blitzbaum.

Die Nachrichten über Donar, die wir bisher auflasen, zeigen uns einen übermächtigen Wetter- und Himmelsgott. Als Herrn über das Wetter gebührt ihm eine besondere Verehrung und ihm galt namentlich die gläubige Ehrfurcht der Goten. Alte mächtige Eichenhaine verstärkten die Andacht vor seiner Majestät, die in Wipfeln und Zweigen, in Stamm und Wurzel der Eiche geheimnisvoll verborgen und offenbar schien.

Nach der Angabe der Germania des Tacitus ist auch Herkules bei den Germanen gewesen, und wenn sie in den Kampf gingen,



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priesen sie ihn als den ersten aller tapferen Männer. Ihm galt der Barditus; wahrscheinlich Zauberlieder und Beschwörungen, die von den Trägern in die vorgehaltenen Schilde gemurmelt wurden, und die, um ihn selbst und seine Gewalt herbeizurufen, die Stimme des Gottes nachahmten und sie durch den Widerhall aus den Schilden verstärkten. An einem andern, von uns schon angeführten Ort, sagt Tacitus: dem Herkules hätte man Tiere geopfert. In den Annalen teilt er die Meldung eines überläufers mit, das Schlachtfeld sei von Arminius ausgewählt und auch andere Stämme seien in einem dem Herkules heiligen Wald zusammengekommen .

Dieser Herkules, den Tacitus an der einen Stelle neben Mars und Merkur, d. h. neben Tiu und Wodan nennt, neben den beiden großen germanischen Göttern, kann kaum ein anderer als Donar sein, nach dem uns schon bekannten altsächsischen Zeugnis des 8. Jahrhunderts und nach anderen Zeugnissen der dritte große germanische Gott. Als den Stärksten, d. h. wohl auch als den Tapfersten aller Menschen und Götter charakterisiert noch Snorri in seiner jüngeren Edda den Thor, und seinen Bartruf, den Barditus, erwähnt eine späte isländische Saga. Das Gemeinsame von Donar und Herkules ist die Kraft. Herkules trägt eine Keule, Donar schwingt seinen Hammer. Schließlich war kein Gott und kein Heros der Griechen an kühnen Fahrten und Taten so reich wie Herkules, er bezwang die Unholde und drang in das Jenseits. Dasselbe gilt vom nordischen Thor. Ob die Germanen auch solche Sagen von Donar erzählten, der die Riesen bezwang, das müssen wir noch zu erkunden suchen, die gotische Runenreihe nennt den Donar ja als den Gott, der stärker ist als die Riesen.

Auf römischen in Deutschland gefundenen Inschriften des 2. und 3. Jahrhunderts taucht öfter der Name Herkules auf. Trägt dieser Beinamen, die weniger ihn selbst als den germanischen Donar zu charakterisieren scheinen, so dürfen wir vermuten, daß



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die römischen Germanen, die diese Weihsteine setzten, sie ihrem Douai weihen wollten. Im 2. Jahrhundert nach Christus wird Herkules auf einer solchen Inschrift barbatus genannt; das übersetzen wir: Donar mit dem starken Bart, und wir weisen darauf hin, daß im Norden und gerade wieder in seinen alten und schönen Sagen Thor einen wallenden, rötlich-blonden Bart trägt als Zeichen seiner männlichen Schönheit und Kraft. Seine Gattin Sif schmückt leuchtendes langes Haar; darin ruht ihre Macht. Loki schneidet es ihr ab, um ihr die Macht zu rauben. Das ist ein Glaube alt und weit wie die Welt und uns aus der Bibel aus der Geschichte von Simson seit unsrer Kindheit vertraut, daß der Mensch im Haar seine Kraft trägt.

Aus dem Gebiet der Batawer am Niederrhein nennen uns acht Inschriften aus der ersten und zweiten Hälfte des J. Jahrhunderts n. Chr. und eine Münze den Hercules magusanus, sechsmal allein, einmal mit andern Göttern, einmal mit einer germanischen Göttin, immer ihn an erster Stelle. Im Norden heißt ein besonders starker Sohn des Thor Magni; magusanus deutet man wohl darum mit Recht als der Starke, der Kräftige.

Die neben Herkules auf einigen Inschriften genannte germanische Göttin heißt Haewa, das ist die Ehefrau (vgl. althochdeutsch hîwiski, die Familie, und hîrât, die Heirat). Die Gattin Thors im Norden heißt Sif, das ist die Sippe, sie waltet eben über der Sippe, den Eltern und ihren Kindern.

Die Batawer riefen also den starken Donar und seine Ehefrau für sich und ihre Kinder an. Damit stellten sie ihre Sippe unter den Schutz des göttlichen Ehepaares. Der nordische Thor weiht die ganze Zeit des nordischen Heidentums hindurch von Geburt zum Tod das ganze Leben des nordischen Bauern und beschützt Ehe, Zeugung und Nachkommenschaft. Aus unsren Inschriften schließen wir, daß er Wiege, Bett und Grab auch unsrer deutschen Vorfahren weihte. Er war zugleich der starke Gewittergott und



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von Geschlecht zu Geschlecht der treueste und mächtigste Beschützer des Hauses und der Familie. Allmählich wird er vor unsern Augen ein Gott, in dem sich in echt deutscher Art Kraft, Treue und Güte verschmelzen.

Im Gräberfeld von Nordendorf, zwischen Donauwörth und Augsburg, wurde in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, 1843, eine Spange aus dem 7. Jahrhundert gefunden, die eine Frau dem gestorbenen Freund ins Grab gab, mit einer Runeninschrift, deren letzter Sah lautet: wigi Thonar: es möge weihen Donar. Dieselben Worte (Thor weihe diese Runen) beschließen viele dänische Runeninschriften auf Grabsteinen aus manchem Jahrhundert . Noch über den Tod hinaus behütet Donar die Seinen. Die Macht der bösen Geister, die dem Toten die Ruhe stören, soll durch die Macht des stärksten und treuesten Gottes gebrochen werden.

Die Nordendorfer Spange ist zugleich das älteste Zeugnis, das den deutschen Namen des Gottes nennt. Ein zweites aus dem 8. Jahrhundert ist jenes sächsische Taufgelöbnis, in dem der Täufling dem Wodan, dem Donar und dem Sahsnot abschwören soll. Ein drittes findet sich in einem Segen gegen die Fallsucht, den zwei Handschriften des 10. Jahrhunderts überliefern und durch dessen verworrene, verstümmelte, christlich gefärbte Worte und Sätze noch eine mächtige heidnische Dichtung, ein Zauberspruch, hindurchzubrechen scheint. Wir deuten uns den Tert folgendermaßen: Donar, der im Volk Mächtige oder, wie es in der anderen Handschrift heißt, der im Volk Ewige — beides sind für unseren volkstümlichen Gott sehr bezeichnende Beinamen — wird zuerst angerufen. Nun verwirrt sich die Überlieferung und es taucht ein riesisches Wesen auf, das einen Stein zu Holz scheitet. Da die folgenden Sätze eine Brücke nennen, ist damit wohl gemeint, daß es durch seinen Blitz eine steinerne Brücke zersplittert, als sei sie von Holz. Da kam, fährt der Segen fort, des Adams Sohn zur Brücke und schlug des Teufels Sohn in eine Staude, d. h. er



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warf den Blitz in die Staude zurück, in der er verborgen gelegen hatte. Denn ebenso wie Eiche und Eberesche ist die Staude ein Baum des Blitzes. Setzt man nun an Stelle von Adams Sohn, dem Heiland, den Donar, an Stelle von des Teufels Sohn einen Riesen, so erkennen wir den folgenden Vorgang: Ein Riese zer-schleudert mit seinem Blitz eine Brücke, über die der mächtige Donar in sein Reich dringen will. Der Gott packt den Blitz, wirft ihn in die Staude zurück und beraubt den Riesen seiner Waffe. Nun wird er weiterschreiten und den Riesen ganz überwältigen.

Zu den großen Taten Thors in der Edda gehört sein Kampf mit dem Riesen Geirrödh. Dieser haust in der Unterwelt und Thor muß durch reißende Ströme zu ihm waten. Als er in die Halle vor Geirrödh trat, so berichtet nach einer Dichtung des 10. Jahrhunderts Snorri, packt dieser ein glühendes Eisenstück und wirft es nach dem Gott. Der aber fängt es mit den Eisenhandschuhen auf und schwingt es in der Luft. Geirrödh läuft hinter eine Eisensäule , um sich zu schützen. Da wirft Thor das Eisen und schleudert es durch die Säule und durch den Riesen und durch die Wand hindurch und noch weiter in die Erde.

Das glühende Eisen kann nur der Blitz sein, die Verwandtschaft des nordischen und des von uns erschlossenen germanischen Berichtes ist kaum abzustreiten. Eine Fahrt des stärksten Gottes in die Welt der zerstörerischen Riefen, der Triumph der blitzeschleudernden göttlichen über die blitzeschleudernde riesische Kraft, das scheint der Gehalt der heidnischen Dichtung, die das Christentum verwirrte und abriß, deren packende und pittoreske Gewalt der nordische Skalde in seiner Art noch steigerte.

Bis in die germanische Urzeit führt unsere Dichtung kaum zurück . Sie ist kein Mythus und keine alte, ungefüge Schöpfung, wie die Geschichte vom Himmelsgott, dem der Wolf den Arm abbeißt sie ist die Anschauung eines Poeten, wie die Bilder der germanischen Runenreihe. Im dunklen Gewitter und im grellen Hin und



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Her der Blitze sieht der Dichter den Kampf vom Gewittergott und Gewitterriesen. Vielleicht war dieser Dichter ein Gote. Gehört die steinerne Brücke der Urform der Dichtung an, so muß eine Römerbrücke vor seinen Augen gestanden haben, die Germanen kannte, bis in die Karolingerzeit hinein, keine Steinbrücken.

Unsre Dichtung steht nun im Deutschen nicht für sich selbst da. Ihre Sätze sind nur der Auftakt zur Beschwörung einer Krankheit , der Fallsucht. Krankheiten halten viele Völker für das böse Geschoß eines Gottes. Bei Homer schießt Apollo seine Pestpfeile auf die Griechen. In einem altenglischen Segen schießen die Walküren ihre gellenden Gere als Krankheiten auf die Menschen. Man denke noch an die Bezeichnung der Krankheit Hexenschuß. Der Beschwörer in unserem Spruch wird versucht haben, indem er sich, wie es in der Anweisung heißt, mit gespreizten Beinen über den Kranken stellte und ihn so unter seinen Schutz nahm, das Geschoß, das ein tückischer Unhold in den Kranken schoß, wieder auf den Absender zurückzuschießen. Als ein Beispiel für den zurückgesandten Schuß, das hier vor allem helfen sollte und helfen konnte, sagte er in feierlichen Versen unsere Geschichte vom Gott und vom Riesen auf. Daran schloß sich wahrscheinlich die beschwörende uns verlorene Zauberformel. Im zweiten Merseburger Zauberspruch, der die Verrenkung. eines Fußes heilen soll, wird als Auftakt ebenfalls eine Götterfabel erzählt: dem Fohlen des Himmelsgottes Balder verrenkt ein tückischer Waldgeist den Fuß, erst der Gott, der des stärksten Zaubers waltet, heilt durch seine Kunst und seinen Spruch die Verrenkung.

Noch der nordische Bericht über Thors Fahrt zu Geirrödh betont Thors zauberische und beschwörende Kraft öfter als irgendeine andere Thorsage. Das bestärkt unsren Glauben an die Urverwandtschaft der Geirrödhgeschichte mit dem altdeutschen Segen.

Von den Nordgermanen und Ostgermanen gingen vielleicht schon in der Bronzezeit, sicherlich aber in den ersten Jahrhunderten unsrer Zeitrechnung und dann das ganze Mittelalter hindurch



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Kultureinflüsse nach dem Osten und Nordosten, zu den Lappen, Finnen und Esthen, vielleicht sogar zu den Littauern. Auch religiöse Vorstellungen und Bräuche, Sagen und Götter wanderten hinüber, stellten sich neben die einheimischen und einige davon blieben durch die Jahrhunderte ziemlich unverändert. In diesen östlichen Literaturen finden wir darum Märchen und Mythen, älter als die ältesten der Edda, Gold aus dem Schatz der Germanen. Die merkwürdigsten gelten dem Donar, dem nordischen Thor und seinem Kreise.

Der Thor der Lappen Hora Galles, das ist Thor karl, empfängt als Opfer lange und große Hämmer und besitzt selbst zwei Hämmer. Der eine soll den Donner von ihren Renntieren zurückhalten , der andere mit dem Blitz ihre Feinde erschlagen. Vor langer Zeit, erzählen die Lappen weiter, habe einer von ihren in Berghöhlen wohnenden Riesen den Donnergott gefangen und versteckt , ein verwegener Bursche habe ihn endlich befreit. Da fiel. unter Blitz und Donner wieder Regen auf die Erde, die lange in Trockenheit schmachten mußte.

In dem Märchen der Esthen entwendet der unbedachte Sohn des Donnergottes, vom Teufel beschwatzt, dem schlafenden Vater den Dudelsack, das Donnerwerkzeug. Der Teufel verbirgt es tief im Meer. Als der Gott den Diebstahl bemerkt und der Sohn ihm seine unbesonnene Tat gebeichtet, verkleidet er sich als Fischer, fischt den Teufel, der Fische stiehlt, aus dem Meer, zerbläut ihn, läßt sich von ihm zur Hochzeit einladen und während des Festes den Dudelsack zurückgeben. Er bläst ihn, die ganze Hochzeitsgesellschaft fällt vor Schrecken in Ohnmacht und es regnet wieder.

Mit diesen Berichten vergleichen wir den Inhalt eines berühmten und wohl auch sehr alten Eddaliedes, den Inhalt der Thrymskvidha.

Thrym, der Lärmer, ein Riese — man beachte den lautmalenden namen — hat dem schlafenden Thor den Hammer gestohlen und ihn tief unter der Erde versteckt. Das gesteht er dem Loki und



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fügt hinzu, gebe man ihm Freyja zur Frau, so solle Thor seinen Hammer zurückhaben. Thor als Freyja und Loki als Magd verkleidet fahren nun beide zum Riesen. Dieser rüstet das Brautmahl, bringt den Hammer, die Ehe zu weihen, da werden er und die Seinen vom Gott erschlagen und dieser reißt seine Waffe rasch an sich.

Die drei Berichte, der lappische, der esthnische, der nordische, zeigen uns sehr anschaulich die Verwandlung einer mythischen Vorstellung in eine mythische Dichtung, die Vermischung der Motive dieser Dichtung mit Motiven anderer Herkunft und endlich den übergang aus dem Göttermythus in den Götterschwank. Eine lange trockene Zeit mit nachfolgendem Gewitter und Regen schafft die Vorstellung, zuerst — das berichten die Lappen — der Donnergott selbst ist gefangen und wird wieder befreit, alsdann der Hammer des Donnergottes oder sein Donnerwerkzeug ist gestohlen und wird wieder zurückgebracht. Diese alte Fabel kommt nun in Bewegung, das Spiel der Motive treibt sie hin und her. Der Räuber ist bald ein verwegener Bursche, bald ein Riese — der esthnische Teufel war früher gewiß ein Riese — und bald holt der listige Gott sich seinen Hammer selbst zurück, bald holt ihn der verwegene Bursche, bald ein listenreicher und gewandter, kleiner Gott. Wir glauben, daß ein Riese, nach dem Blitz des Gottes lüstern, in der ältesten Form der Sage der Dieb war, er raubte dem Schlafenden die Waffe. Wir glauben ferner, daß der Gott selbst, sei es durch Klugheit, sei es durch Kraft, seine Waffe zurückgewann und den Riesen empfindlich strafte. Dann stoßen wir auf eine Dichtung verwandten Gehaltes mit dem altdeutschen Segen, den wir eben aus dem Durcheinander der überlieferung herausholten. Unsre Dichtung wäre dann eine Variation des gleichen Themas, des Kampfes von Riese und Gott um den Blitz.

Der Räuber oder der Zurückbringer des gestohlenen Schatzes ist eine mythische Gestalt für sich, ein Wesen, mit dem Donnergott nicht unverwandt, wir werden später versuchen, ihn zu enträtseln.



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Dieser verwegene Bursche ist aber nicht die einzige Bereicherung unserer Fabel, sowohl die nordische wie die esthnische Version steigern die List. In beiden verkleidet sich der Donnergott, erscheint verkleidet und enthüllt seine Majestät auf der Hochzeit. Das ist nach unsrer Auffassung ein Motiv nicht aus dem Mythus, sondern aus dem Kultus, der Nachklang einer alten, mimisch dargestellten Begattungsszene, eins der ganz wenigen, uns erhaltenen Fragmente des ältesten germanischen Dramas. Gerade die Herübernahme dieses Motivs verwandelt unsre Dichtung in einen derben und mächtigen Götterschwank. — Da der esthnische und der nordische Bericht die Verkleidung kennen und da auch viele primitive Völker, wie die indogermanischen, im Anfang ihres Daseins mimische Ehedramen gern darstellen, dürfen wir annehmen, daß die Zusammensetzung von Verkleidungsszene und Gewitterfabel das Wert eines germanischen Poeten war. Vom dichterischen Standpunkt aus betrachtet, ist die Fabel vom gestohlenen und zurückgeholten Hammer unbeholfener und primitiver und darum wohl auch älter a die Dichtung vom Kampf des blitzeschleudernden Riesen mit dem blitzeschleudernden Gott.

Der Reichtum von. Motiven in unsrer Fabel ist aber noch immer nicht erschöpft. Im Esthnischen fischt der Gott den Teufel aus dem Meer, diese Tat gehört wieder in Donars germanische Zeit. Denn das gleiche unternimmt Thor im Nordischen — keine seiner Taten war berühmter —: seine Erzfeindin, die Midgardschlange , holt er aus den Wogen und will sie zerschlagen. Die Schlange aber ist ein alter Unhold des Meeres, wie die Phantasie der Germanen sie nicht nur im Norden sich erfabelte. Der Unhold Grendel und seine grause Mutter, die der altenglische Heros Beowulf bewältigt und die auf dem Grunde des Meeres hausen, sind der Midgardschlange verwandt.

Von der germanischen Luft der lappischen und esthnischen Berichte wenden wir uns nun mit einem etwas jähen Ruck in das



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Fabelwesen des ausgehenden Mittelalters und zwar in das südliche Tirol, dessen Dichter allerlei ritterliches Zierwerk mit dem berühmten König der Goten, mit Dietrich von Bern verflochten, mit dem Theoderich der Geschichte. Die Kämpfe Dietrichs waren recht nach dem Geschmack der höfischen Epigonenzeit, bunt, abwechselnd, abenteuerlich, einige anmutend und reizvoll vorgetragen nach den besten Mustern der höfischen Kunst, andere voll frischen und derben Humors, wieder andere stellten jugendlichen übermut und gefaßte Männlichkeit in ihrem Kontrast echt und ergreifend dar, alle schwelgten in der seltsamen und erhabenen Welt dieser Felsen und Berge.

Unter dem Gewirr dieser Taten verbirgt sich nun, wie wir glauben, eine germanische Dichtung, die Geschichte vom Kampf Dietrichs gegen eine böse Riesin der Berge, die den Namen Runze trägt, Lawinen schleudert, Zerstörung und Unheil anrichtet und von dem unbesiegbaren Recken bezwungen wird. Der Name ist wieder lautmalend wie der Name von Donar und Thrym und der Stamm der gleiche wie der des nordischen Riesennamen Hrungni. Das ist ein von Thor besiegter Riese, felsenwerfend und ein gewaltiger Verheerer. Wir vermuten demgemäß, die Geschichte von Dietrich von Bern und Runze und die von Thor und Hrungni entwickelten sich aus der gleichen Dichtung und diese Dichtung war gotisch, blieb sie doch im deutschen Süden unter dem Schutz des gotischen Dietrich. Der Kampf Thors wurde in vielen Dichtungen gefeiert, die nordischen Berichte über ihn tragen noch manches Zeichen hohen Alters. In seinem Wagen braust der Donnergott heran, während er sonst zu Fuß bei seinen nordischen Kämpfen schreitet. Er schleudert von weitem dem Riesen seinen Hammer entgegen , während dieser sonst Waffe im Nahkampf ist. Das schwedische Smaland bewahrt uns noch eine Reihe echter alter mythischer Überlieferungen. Dort erzählt man noch immer von dem Riesen Hrungni. Er wollte den Gott mit einem Steinblock erschlagen, aber



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der Gott zerschlug ihn, und von ihm stammen die Steinhaufen, die im Land liegen.

Ein Gewitter, dessen Blitz in die Felsen fährt und dort Steinmassen absprengt, erschien der schöpferischen Phantasie eines Dichters als der Hammerwurf des Blitzgottes, der über den Steinwurf des Felsriesen triumphiert. Wir erkennen eine neue, nun die dritte Variation des Themas vom Kampf der Riesen gegen die Waffe des Blitzgottes. Dasselbe Thema wirkt noch in deutschen Riesensagen nach, die sich in das 19. Jahrhundert erhielten. Die Goten und nach ihnen die Nordleute haben es besonders eindrucksvoll und großartig ausgeführt. —

Wie anders steht der germanische Donar vor uns als der germanische Tiu! Dieser thront im hohen Himmel und hält die oberste Entscheidung über Krieg, Schicksal, Recht in seinen Händen. Donar wirkt stärker, den Menschen viel näher; er ist viel tätiger und wird oft und plötzlich mit jäher Gewalt sichtbar. Tiu verlangt grausame Opfer, Donar nicht. Er waltet über die Fruchtbarkeit der Felder. Immer wollen die Riesen, die Erbfeinde menschlicher Arbeit, die verheerende Macht der Elemente, den Gott besiegen, seine Waffe ihm entwinden, immer bleibt er der Überlegene. Sein Donner und Blitz schafft nicht Zerstörung, sondern beschützt den Menschen, unüberwindlich und immer wachsam ist dieser Gott des Menschen stärkster Freund. Von seiner Macht und seiner Treue konnten die Germanen nicht genug erzählen. Nun, nachdem wir immerhin einige Sagen über den germanischen Donar erschlossen, dürfen wir behaupten, auch in seinen Taten war der germanische Donar dem römischen Herkules gleich. In das Reich der Riesen hat er sich gewagt , aus dem Meer hat er die Unholde geholt, ihre Waffen hat er stumpf und ohnmächtig gemacht. Durch List und Stärke hat er seine Gewalt gegen sie behauptet. Er war der Tatenfroheste und der am liebsten Besungene der germanischen Götter. In seinem Wirken ist etwas Zuversichtliches und Stolzes, der Jubel des



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Überwinders klingt uns immer noch daraus entgegen, aus seinen Sagen erblühten reiche und frohe Dichtungen. Den alten, ungefügen Fabeln über ihn gaben zuerst die Goten ein mächtiges künstlerisches Gesicht. Derselbe Gott des Donners und der Macht wachte über Geburt und Ehe und Tod, über die Sippe und die lange Reihe der Geschlecher ebenso stark und ebenso treu wie über Feld und Flur. Wir werden noch ein reicheres und mächtigeres Bild von Donar gewinnen; doch schon die von uns zusammengestellten und erklärten Zeugnisse zeigen ihn als den volkstümlichsten germanischen Gott. Lieber haben unsre Vorfahren keinen verehrt, treuer haben sie keinem die Treue vergolten.


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