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J. P. Hebel und Basel


von Fritz Liebrich

Basel 1926

Verlag Helbing & Lichtenhahn


Ausklang.



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Im Frühjahr 1811 schrieb Hebel an Hitzig:

"Den ganzen Tag auf dem Catheder sitzen, ist ein Feiertagsleben, ein Ostermontags-Späßlein, nach dem ich mich zurücksehne. [Er war damals Direktor des Gymnasiums.] Aber daß ich über den heillosen Mechanismus des ganzen wachen muß, daß sich mein Museum, meine Proteuskapelle in eine Canzleistube verwandelt hat, wo ich den ganzen Tag Berichte schreiben, Buch und Rechnung führen, Red und Anworten geben, Akten durchgehen, Süddeutsche Miscellen censiren, statt daran zu arbeiten, examiniren, castigiren, Zeugnisse fertigen, mit allen Vätern aller Kinder des Lyceums correspondieren muß, das lehrt mich den Sinn des Wortes verstehen: "Ich sterbe täglich"... es sind mir fast alle Freuden aus dem Geschäft entflohen und viele sogar aus dem Leben, und so freut mich nur noch der Dank, der mir für mein Märtyr und Martertum wird in der Achtung und dem Wohlwollen des Publikums. Also gute Nacht zweiter Teil der a. Gedichte." Hebel stand doch mitten in der Kalenderzeit und konnte im Blick auf die Gedichte "in gewissen Momenten inwendig in mir unbändig stolz werden und mich bis zur Trunkenheit glücklich fühlen, daß es mir gelungen ist, unsere sonst so verachtete und lächerlich gemachte Sprache classisch zu machen und ihr eine solche Celebrität zu



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erringen. Sie wird auf den ersten Theatern, in Wien, München, Carlsruhe in den Deklamatorien mit Beyfall gehört und wandert mit Mad. Hendel nach Bremen, Hamburg und Petersburg". Aber die Worte Hebels an seinen Freund sind Notschreie des Dichters, der in den Gang des Alltags eingezwängt ist. Seine Tüchtigkeit trug ihn allerdings von Stufe zu Stufe bis zur höchsten Würde: Er wurde 1819 Prälat der evangelischen Kirche, er erhielt die höchsten badischen Orden und wurde 1821 zum Ehrendoktor der Universität Heidelberg ernannt wegen seiner erfolgreichen Bemühungen um die Vereinigung der lutherischen und reformierten Kirche zur evangelisch-protestantischen Kirche in Baden. Dieses Steigen jedoch konnte nur geschehen auf Kosten des Dichters, und es ist vielleicht doch mehr als ein geistreicher Spaß gewesen, daß schon 1805 ein Herr von Liebenstein in Karlsruhe auf die Frage nach Hebels Befinden erwiderte: "Der Kirchenrat hat den Hebel totgeschlagen." Trotzdem konnte der Dichter im Alter noch eine Arbeit vollenden, die gerade ihm am besten liegen mußte. Er schrieb die "Biblischen Geschichten". Schon 1808 hatte er sie begonnen, aber erst zehn Jahre später griff er sie wieder auf, 1824 erschienen sie bei Cotta. Zum Gelingen trug Hebels religiöse Anschauung wesentlich bei. Er kannte keine Intoleranz und hielt sich allen dogmatischen Streitigkeiten fern; denn eine natürliche Frömmigkeit lag in seinem innersten Wesen, und so konnte er Meinungen anderer ruhig bestehen lassen. Über Jung Stilling z. B. schreibt er an Hitzig, der ihm das Gutachten des Basler Antistes Emanuel Merian aus dem Prozeß gegen Jungs "Theorie der



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Geisterkunde" gesandt hatte: "Für das baslerische Gutachten (nach dem Faktum) meinen Dank. Es macht dem alten Antistes Ehre. Dir wird es ein Tröpfchen Balsam gewesen sein auf das Haupt. Ich gestehe, daß ich von der schwarzen Frau im Jung nie viel mehr gefürchtet habe, als von der weißen im Schloß." Er sei mit Jung absolut nicht einverstanden. "Aber geehrt sei er für den Heldenmuth, der lieber gegeißelt und verspottet und mit Fäusten geschlagen und gekreuzigt werden will, eh' er der Wahrheit (sei es auch nur der seinigen) untreu werden kann." Im nämlichen Brief entwickelt Hebel eigene polytheistische Anschauungen und fügt bei im Hinblick auf die Intoleranz unserer Stadt: "Verrate mich dem Stand Basel nicht, wie wohl ich nicht neben Stilling zu stehen hoffe." Als er 1824 seinen Freunden in Straßburg für die freundliche Aufnahme der "Biblischen Geschichten" dankte, mußte er sogar seiner eigenen, frommen Mutter gegenüber eine Einschränkung machen. Er schrieb: "Nach keiner Richtung hin hat mein Ohr nach einem Zeugnis über die biblischen Geschichten mehr und sorglicher gelauscht als über die Rheinbrücke, und fast möchte ich sagen, wenn Sie ein Verdienstliches daran finden, daß ich das Verdienst Ihnen verdanke. Denn immer, wenn ich schrieb, habe ich mir meinen alten Schulmeister Andreas Grether in Hausen und mich und meine Mitschüler unter dem Schatten seines Stabes, oder ich habe mir eine Repräsentantin aller Mütter unter ihren Kindern und immer die nemliche gedacht und uns, mich als Schulbüblein mitgerechnet, um unser Urtheil gefragt. An die eigene Mutter durfte ich nie denken, Hübner war zu sehr ihr unerreichtes



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Höchstes." Denn Hübners "Biblische Historien und Fragen", ein damals weitverbreitetes Buch, schienen ihm zu frömmelnd. So konnte er dem biblischen Stoffe frei gegenübertreten, lange Erfahrung als Volksschriftsteller stand ihm zu Gebote, und als Dichter ging er ans Werk. "Ich fange," meint er im Brief an Haufe 1818, "wie ich sehe, ganz heilig und catholisch an und bin es auch. Denn ich schreibe wirklich eine heilige Geschichte für die Kinder... und lebe am Berg Tabor, unter den Palmen von Jericho, am Brunnen Jacobo, am heiligen Grab... Es ist mir jede Stunde der freien Zeit und frommen Geistesstimmung dazu theuer, absonderlich die heilige Zeit; wenn die Festglocken läuten und nachklingen und die Spätzlein ans Fenster kommen."

Da entstanden denn die biblischen Geschichten als Ausklang einer dichterischen Tätigkeit und gewissermaßen als Rückkehr in die Jugendzeit, die so bestimmend auf das ganze Leben eingewirkt und immer mit verklärtem Schein über aller Mühe und Arbeit gestanden hatte. Denn es sind Oberländer Kinder; denen Hebel erzählt. Wie ein Nachtönen der alemannischen Gedichte ist es, wenn er in der Schöpfungsgeschichte sagt: "Es flogen Vögel in der Luft herum und kamen immer mehr und setzten sich auf die Zweige der Bäume... Der Falter flatterte um die schönen Blumen. Das Lamm hüpfte und weidete auf den Auen." "Adam schaute mit kindlicher Freude in die schöne, neue Schöpfung hinein. Gott führte ihm die Tiere zu, und er gab ihnen Namen und freute sich mit ihnen, aber er konnte nicht mit ihnen reden. Sie verstanden ihn nicht, und als er alle gesehen



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hatte, seufzte er, daß er doch allein sei" Oder: "In welchem Palast oder Kirchlein wird der Sohn der Maria geboren werden? Wer wird ihm von Cedernholz die Wiege verfertigen und mit goldenem Blumenwerk schmücken?" In Oberländer Sprache redet er, wenn er sagt, daß die Philister die Leichname Sauls und seines Sohnes nahmen und "henkten sie außenwendig an eine ihrer Stadtmauern", oder daß Joas, der Königssohn, "sozusagen bei dem lieben Gott in Kost und Pflege" war, und daß Samuel "gleichsam geistlich studiert" hat. Hebel füllte die Lücken der biblischen Begebenheiten durch Einzelheiten aus dem täglichen Leben und machte so die Vorgänge handgreiflich. Doch nicht nur für Kinder gedachte er zu schreiben. Als Gustave Fecht die biblischen Geschichten, die ihr der Dichter gesandt hatte "für ein frommes Patenkind oder lieber für ein recht böses, wenn sie mit solchen versehen sind, damit es daraus lerne fromm werden und ihnen Freude machen", auch an Erwachsene verschenkte, da dankte er ihr dafür: "Sie haben die biblischen Geschichten recht gut ausgeteilt, es war immer mein Wunsch und mein Bestreben, daß sie auch für Erwachsene gut seien und den Kindern nicht nur in der Schule, sondern auch so lange sie leben, wert bleiben möge. Ihre Austeilung an Herrn Stephan [den Pfarrknecht] usw. gibt mir das Zeugnis, daß ich nach Ihrem Urteil meinen Wunsch nicht verfehlt habe."

Die biblischen Geschichten waren ein letzter Gruß an die Heimat. Das Wiesental war durch den Tod zahlreicher Freunde und Bekannter immer weiter von ihm weggeglitten. 1812 hatte er es zum letztenmal gesehen. Aber es blieb für ihn das Paradies



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"voll Schmelen und Chettenblumen, lustigen Bächlein und Sommervögel, wo es immer duftet, wie aus einem unsichtbaren Tempel heraus, und immer tönt, wie letzte Klänge ausgelüttener Festtagsglocken mit beginnenden Praeludien mengeliert und verschmolzen, und wo jeder Vogel oberländisch pfeift, und jeder, selbst der schlechteste Spatz, ein Pfarrer und heiliger Evangelist ist, und jeder Sommervogel ein gemutztes Chorbüblein, und das Weihwasser träufelt unaufhörlich und glitzert an jedem Halm". Und so, wie sich das Oberland immer mehr in seinem Geiste verklärte, trat ihm auch Basel immer näher. In seinen Briefen wandelt sich die Stadt um zur Heimat. Früher war sie für ihn in den Briefen an Hitzig und Gustave einfach "die Stadt" wie in den Gedichten, der natürliche Verkehrsmittelpunkt, wo man einkauft, was eben draußen im Lande nicht zu haben ist. 1792 malt er sich aus, wie sich die Jungfer Gustave überlegt, ob sie "auf der Baseler Messe auch so einen schönen Hut kaufen soll wie die Frau Speziälin einen von Carlsruhe mitgebracht hat". Oder er begleitet sie in Gedanken, "nota bene Sie voraus und ich hinten nach, wenn Sie nach Basel kommen, und trage Ihnen, was Sie einkaufen, zur Jungfer Dienastin [Barbara Dienast an der Schwanengasse] oder bis nach Weil, wenn Sie wollen". Dann wieder erwähnt er Basel, um Gustave die Lage von Bingen klar zu machen: "Bingen liegt wie Basel, nur näher und kleiner, die Nahe ist die Wiese, der Rhein ist der Rhein, da und dort unten am Berg liegt Rüdesheim wie Weil und Tüllingen." Als im Herbst 1796 bei Hüningen die Schiffsbrücke geschlagen wurde, meinte er: "Daß eine Brücke gebaut



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wird, wird vielen Leuten nicht unangenehm sein. Ich hab mich immer über den Umweg über Basel geärgert." Die Verstimmung über die Stadt wegen der Ablehnung der alemannischen Gedichte ist bereits erwähnt worden. Aber doch muß für Hebel der Aufenthalt in Basel einen besonderen Reiz behalten haben. Als er 1805 Straßburg besuchte, schrieb er: "Ich wähnte, wenn ich allein und in Gedanken war, immer in Basel zu sein." Und als ihm einst ein Kätzlein zulief, versprach er ihm: "Wenn du säuberlich bist und nicht viel schreist und schön wirst, so darfst du einmal mit ins Oberland, nach Weil und nach Basel zum Herrn Geymüller am Schlüsselberg." Andreas Geymüller war Stubenverwalter der Schlüsselzunft. Hinweise auf Persönlichkeiten in Basel machte der Dichter auch im Brief an Gyßer:

"Der Heer Erasmus selig, wo au e Rung z'Basel gsi isch, het emol gseit: e Spazierfahrt uff'm Land seig am lieblichste, wemmen au Wasser vor den Auge seh; und uff'm Wasser; wennme 's Land in der Nöchi heig, und so seigs uns au mit der Brosa und mit de Rime... Allmig in der Schuel denk i au so Narreposse, wenn d'Heere meine, i seig gar grüseli flißig bi mine Schülere. Mini gnädige Heere im chleine Roth selig z'Basel henn allmig au gmeint, der Rothschriber Iseli schrib gar sölli flötig am Brotokoll. Nei bi Gott, an sine Ephemeride der Menschheit het er gschribe, und het d'Here lo schwätze."

Der in seiner Zeit wohlbekannte Professor Werner Lachenal in Basel, der Neue Vorstadt 270 im Doktorengarten wohnte, wird in einer poetischen Epistel an Zenoides erwähnt. Es handelt sich darum, ob Zenoides nach Tüllingen versetzt werden könne.



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Hebel belustigt sich über die lange Nase des Pfarrers Friesenegger in Brombach und malt sich aus, was diese täte, wenn Friesenegger nach Tüllingen "auf die Vorpostwache" käme:

Seine lange Nase
hätte Herrn Lachenal über den Rhein
durch eine zerklitterte Scheibe hinein
weg von des Tabaks Vase
den schweren, bleiernen Deckel gelupft
Und 's letzte Stäublein heraus geschnupft.
Mit allgegenwärtiger Nase
hätt er das Birsthal hinauf im Grase
die Veilchen und Primeln aufgeschürft,
ihres jungen, blühenden Lebens
balsamischen Athem weggeschlürft.

Wie man in der Fremde die Spezialitäten der Heimat anpreist und einführt, so bestellte Hebel 1807 Leckerli bei Gustave Fecht. Er bittet "um ein Pfund kleiner Basler Lebkuchen von guter Sorte nebst Rechnung dafür". "Es ist eine Bestellung. Vielleicht verlangt man nicht so viel. Aber wer steht mir dafür, daß ich nicht die halben fresse, ehe ich die übrigen abgebe."

Sein Basel hielt Hebel eben immer hoch. Als ihn Jakob Grimm 1814 besuchte, gab er ihm Empfehlungen nach Basel mit. Grimm wohnte dann bei seinem hiesigen Aufenthalt in der St. Johannvorstadt Nr. 30 bei der Familie Ryhiner-Iselin. Sowie aber Hebel schweizerische Sprache vernahm, war's ihm, er müsse sich heranmachen. Er war auf dem Tobel, einem hohen Berg hinter Frauenalb mit einem württembergischen Pfarrdorf.



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Kaum war er eine Stunde oben, erblickte er einen feinen Herrn mit einem Glas am Auge und hinter ihm eine feine Dame. Franz, was hesch güggelet?" fragte sie. "Numine do no der Amsle hani gluegt," anwortete der Herr. Obgleich der Vogel eine Wachtel war, dachte Hebel: "Landsleute seid ihr nicht, aber Schweizer gewiß und nahezu Berner." Er trat hinzu, und der Fremde war ein Herr von Steiger, Neffe des Schultheißen von Bern, und der Dichter unterhielt sich sehr angenehm mit ihm.

Je älter Hebel wurde, desto mehr machte er sich mit dem Gedanken vertraut, den Rest seiner Tage in einer Stadt zu verbringen. Er dachte sich darunter etwa Straßburg, Mannheim, namentlich jedoch Basel und lachte lange über seine Freunde, wenn sie meinten, er könne sich nimmer an das Leben auf dem Lande gewöhnen. Aber mit der Zeit kam's ihm selber so vor. Darum stand Basel in ganz neuer Beleuchtung wieder vor ihm. Er sehnte sich danach und redete von der Stadt, wo er nur konnte. Schon 1806, als Oberst Kolb von Basel in Karlsruhe weilte, berichtete der Dichter: "Letzterer ist mir ein gar lieber Mann. Wie oft sprechen wir von Basel, von der alten und neuen Zeit, von Weil und vom Wiesenthal."

Die beiden Männer hatten viel "von der alten Zeit" zu reden. Denn "anno sechsenünzgi, wo der Franzos so uding gschosse het", als nämlich die Franzosen unter Moreau sich vor den österreichischen Truppen durch den Schwarzwald an den Rhein zurückziehen mußten, befand sich Hebel gerade in Lörrach und floh mit vielen Wiesentälern nach Riehen. Damals war Kolb, ein Bruder der Frau Miville-Kolb, Kommandant der



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baslerischen Vorposten, welche die Grenze besetzt hielten. Einige Monate später war dann der Oberst von den Franzosen beschuldigt worden, die Österreicher beim Angriff auf Hüningen insgeheim unterstützt zu haben, und ward in einen bösen Prozeß verwickelt. Da gab es jedenfalls viel zu berichten, und Hebel konnte manches aus Basel erfahren, was er noch nicht wußte. Der Wunsch aber, im Oberland zu sein, wurde immer stärker:

"O Zenoides und Taube sein
könnt ich nur immer bey euch seyn,
wenn die Frühlingslüftlein wehen,
alte Freuden auferwecken
aus den Gräbern, die sie decken,
und mit neuen sie umwinden
auf dem Platz mit Duft und Linden,
Öchslein bei der Wiese kaufen,
eines Gangs nach Basel laufen,
Schöpplein trinken, Pfeiflein rauchen
und ins Land des [Proteus] tauchen.

Fast wäre so etwas Wirklichkeit geworden, es fehlte nur am Glück in der Lotterie, in welche Hebel nach eigenem Geständnis jedes Jahr setzte. Der Brief an Gustave Fecht vom 26. August 1812 spricht davon. "Wer dem Glück kein Handgeld gibt, bei dem nimmt's keine Dienste. Bekanntlich wird der Goldbrunnen im Röserental, Kanton Basel, Bezirk Liestal, 24 000 Franken wert, ausgespielt, das Los zu 6 Franken. Ein Los habe ich schon, aber ich möchte auch gerne eins mit Ihnen haben in die Hälfte und lieber das Gut gemeinschaftlich gewinnen als allein. Also wollen wir miteinander dupfen, wenn's Ihnen recht



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ist, nicht wahr? Und Sie kaufen das Los droben auf beiderseitige Rechnung, die J[ungfer] G[ustave] soll das Los ziehen, und die Frau Vögtin soll beten, und der Herr Vogt soll's besieben mit Sympathie. Oder ich will auch nur 1/3 oder 1/4 daran nehmen, wie Sie wollen. Sell isch mer ei tue! Wir setzen alsdann ein[en Lehensmann]drauf und gehen im Sommer aufs Land und auf unsere Güter, sind wie die gnädigen Herren, wie der Landvogt Fäsch und der Herr Gemuseus oder der Herr Kandidat vor dem Riehemer Tor. Es läßt sich nicht spassen — Handumkehr wird's eben doch so sein und nicht anders." Es wurde allerdings doch anders. Aber das Heimweh nach Basel blieb. Es bricht hervor, je näher der Gedanke an die Altersruhe kam. Da schreibt er am 30. Oktober 1823: "Wenn nur das große Los käme, daß ich mir in Hausen ein Häuslein neben dem Jobelli Friderli bauen und alle Wochen einmal mit meinen Schimmeln, die ich aber noch nicht habe, nach Weil fahren könnte. Im Winter wohnte ich in Basel an dem Sanhans [?], damit ich immer hinüber schauen könnte, und käme alle Tage wie der alte Knab im Schaf. Solche Exemplare sollten nicht ausgehen." Und noch einmal sonnt er sich im Gedanken, in Basel zu sein, am 18. Dezember 1824. "In noch 5 Jahren bin ich 70. Alsdann bitte ich um einen Ruhegehalt und komme heim. Ich bin bekanntlich in Basel daheim, vor dem Sandehansemer Schwiebogen das zweite Haus. Selbiges Häuslein kaufe ich alsdann um ein paar Gulden — aber ich bin kein Burger, also miete ich es und gehe alle Morgen, wie es alten Leuten geziemt; in die Kirchen, in die Betstunden



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und schreibe fromme Büchlein, Traktätlein, und nachmittags nach Weil wie der alte Stickelberger im Schaf."

So wurde Basel in Hebels Gedankenwelt die Heimat.

Es ist dabei nicht ohne Bedeutung, zu wissen, wer die Persönlichkeiten sind, die sich der Dichter zum Vorbild einer behäbigen Altersruhe auswählte. Der "Landvogt Fäsch" war Lukas Fäsch, 1772 bis 1792 Landvogt zu Riehen. Er wohnte aber nur während des Sommers im dortigen Landvogteihaus. im Winter zog er sich in sein Haus beim Klingental in Kleinbasel zurück. Der "Herr Gemuseus" mag wohl Hieronymus Gemuseus, der Präsident des Stadtrates gewesen sein. Das Gemuseussche Gut lag an der Hiltalingerstraße, es ist der jetzige Clavelsche Besitz. Der "Kandidat vor dem Riehemer Tor" war der nachmalige Pfarrer zu St. Martin, Theodor Falkeisen. Sein Gut lag unmittelbar vor dem Riehentor; das jetzt noch stehende Wettsteinhäuschen war nebst einem großen, viereckigen Wasserbassin seine besondere Zierde. Falkeisen lud in der schönen Jahreszeit wöchentlich die gesamte Basler Geistlichkeit zu sich in den Garten, um den Genuß des Besitzes mit seinen Amtsbrüdern zu teilen.

Der "alte Knab im Schaf" aber war der wohlhabende Küfer und Besitzer des Ramsach, Johann Rudolf Stickelberger, ein weit über die Stadtgrenze bekanntes Original. Er wohnte in dem stattlichen Haus zum Schaf an der Rebgasse und unternahm jahraus, jahrein jeden Nachmittag präzis ein Uhr eine Wanderung nach Weil, um dort ein Schöpplein Markgräfler zu trinken. Er war es auch, der sich, ohne spaßhaft zu meinen, durch den Maler



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Neustück ein Doppelbildnis seines Leichenbegängnisses malen ließ. Links war das Begräbnis dargestellt, rechts aber der Grabhügel, auf dem die Erben einen Ringelreigen tanzten. Weil Stickelberger als Mann, der alles genau nahm, streng darauf hielt, daß alle Bildnisse bis ins einzelne wohlgetroffen waren, so war's jedesmal ein frohes Ereignis, wenn im Hause eines Anverwandten der Maler vorsprach, um für den Tanz ein Porträt aufzunehmen. Man war dann sicher, von Stickelberger im Testament bedacht worden zu sein.

So wie dieser Mann wollte Hebel in geruhsamer Pünktlichkeit seinen Gang tun ins Wiesental und zurück.

Aber er erreichte das 70. Jahr nicht. Seine Arbeit wurde ihm immer drückender, obschon er langsam entlastet wurde. Er meinte dennoch 1823: "Mit mir geht es immer im alten fort. Nämlich daß es eben nimmer ist wie allmig, wo ich mit leichtem Fuß vom Belchen herabsprang und in Wisleth beim Bläsi Schaffner ein Schöpplein trank. Zwar mit dem Schöpplein trinken geht es noch..., aber das springen habe ich verlernt." Er wurde müde. "Manchmal hätte man es doch gern ein wenig anderst z. B. daß sich nicht erst mit dem zunehmenden Alter die Geschäfte, die Sorgen und die bösen Launen mehren sollten. Mir widerfahren diese Zulagen zu den Jahren reichlich." Er begann sich einsam zu fühlen. "Es ist kein Trost dabei, lange zu leben. Man wandelt gleichsam auf einem Gottesacker." Wie eine Auffrischung wirkte es auf ihn, als er im letzten Lebensjahr den Sohn seiner Straßburger Freunde, Oswald Haufe, zu sich nahm, um ihn "spartanisch zu erziehen". Das Ziel erreichte er



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er nicht. Als er im September 1826 zur Schulprüfung nach Mannheim reiste, fühlte er sich krank. Noch konnte er die Huldigungen entgegennehmen, die ihm die Schüler des dortigen Lyceums auf einer Rheinfahrt darbrachten. Doch es kam ihm vor, als ob er auf dem Styx führe und die Fußgänger am Ufer Schatten wären, die einsteigen wollten, aber von Charon nicht zugelassen würden. Heidelberg, den nächsten Prüfungsort, sah er nicht mehr. In Schwetzingen mußte er sich im Hause des Garteninspektors Johann Michael Zeyher krank niederlegen. 22. September 1826 starb er dort, und es ist eine seltsame Fügung, daß die "Stadt" mit allen Erinnerungen bei seinem Sterbenslager auftauchte. Zeyher nämlich war viele Jahre in Basel gewesen. Er stand 1792 als Gärtner im Kirschgarten an der St. Elisabethenstraße in Diensten, dann wurde er botanischer Gärtner und Hofgärtner im markgräfischen Hof. Viele schöne Anlagen in Basel und in der Schweiz stammten von ihm. 1794 verheiratete er sich mit Magdalena Petersen, der Tochter des Basler Stadtgärtners Nicolaus Petersen. Freude an der Botanik und gemeinsame Basler Erlebnisse haben Zeyher und Hebel verbunden, und der Garteninspektor hat nachher dem Dichter den Grabstein setzen lassen und seine letzte Ruhestätte gepflegt.



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So begleitete Basel Johann Peter Hebel das ganze Leben hindurch. Die Eindrücke der Kinder- und Jünglingsjahre erloschen nicht und wirkten schöpferisch mit bei allem, was der Dichter tat und schrieb. Die eigenartige Fähigkeit der alten Stadtkulter, Fremdes anzuziehen und sich anzugleichen, zeigt sich deutlich. Ist es nicht, als ob von einem Basler gesprochen würde, wenn Frau Sophie Haufe in ihren Erinnerungen erzählt, Trommeln und Pfeifen sei Hebels Lieblingsmusik gewesen, oder wenn sie zu berichten weiß: "Er streifte gern allein in der Stadt [Straßburg] und in den Gäßchen umher, in welchen er den nämlichen Geruch wie in Basel entdeckte und sich darüber freute?" Man denkt unwillkürlich an Dominik Müllers

Ich freue mich, Basel wieder zu sehen,
den Spalenberg auf und abzugehen.

Auch der Zug, die Stadt und ihre Bewohner als zwei gesonderte Dinge zu betrachten, weckt den Vergleich mit Dominik Müller, der diese baslerische Eigentümlichkeit am ausgeprägtesten offenbart: er spottet über seine Mitbürger und fühlt sich mit der Stadt doch so innig verwachsen.

Hebel steht auch, wie der Basler überhaupt, unter dem tiefen Eindruck des Totentanzes, des Kreuzganges hinter dem



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Münster und damit auch unter dem eines kommenden Jenseits. Das ist nicht Frömmelei, es ist ein Stück der Weltanschauung, welche baslerische Geschichte und Umwelt unfehlbar mitteilen müssen. Der Rhein mit der Pfalz und dem Münster, der Geist, der in Gassen und Häusern daheim ist, sammelt mit starken Kräften alles in sich und führt, trotz zeitweiligem Widerstreben, das Innere über die Alltäglichkeit hinaus. Der Wirkung dieser Heimat konnte sich Hebel, der Nichtbasler, nicht entziehen, sie war mit ihm und gab ihm vieles.

Aber Basel empfing auch. Hundert Jahre sind seit Hebels Tod vergangen. Diese Zeit bedeutet für die Stadt ein immer engeres Verwachsen mit dem Dichter. Sie nahm ihn in sich auf, ihn, der nicht der Ihrige war. Daß es ein Hebeldenkmal, eine Hebelstraße, eine Hebelstiftung gibt, ist nur ein äußeres Zeichen dafür. So wie die Stadt in den alemannischen Gedichten der Maßstab für Reichtum und irdische Größe ist, so ist die Poesie Hebels für uns Maßstab der Dialektdichtung geworden. K. R. Hagenbach, Theodor Meyer-Merian, Jakob Probst, Emma Kron, Elisabeth Hetzel und andere bezeichnen die gewichtige Einwirkung auf baslerisches Empfinden. Sie alle bewegen sich ganz in Hebelschen Bahnen. Das aber genügt auf die Dauer nicht. Schon Jakob Burckhardt hat als erster dem Schweizerdeutsch lyrische Töne abgewonnen, die das gebildetste Ohr und den feinsten Geschmack ansprechen. Auch das Werk Dominik Müllers bedeutet einen Schritt in heimatliches Neuland, das Hebels Dichtung vorbereitet hat für die Zukunft. So gilt doch nur bedingt, was



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am Anfang gesagt wurde, in die Dichtungen Hebels sich vertiefen, bedeute einen Rückblick tun. Es bedeutet vielmehr für uns auch in die Gegenwart und weiter vorwärts sehen. Denn Hebel ist ein Anfang, er hat Quellen fließen machen, die Fruchtbarkeit wecken können. Und schon heißt es: Ein bedeutender Dichter müßte imstande sein, unserer Mundart starken, ernsten Vollklang zu entlocken. Aus dem Wiesental heraus tönt er bereits bei Hermann Burte. Was aber Hebel, den Wecker solcher Töne, immer hochhalten wird, ist die Feinheit und Zartheit, mit denen er Sprache und Seele klingen läßt.


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