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J. P. Hebel und Basel


von Fritz Liebrich

Basel 1926

Verlag Helbing & Lichtenhahn


Der alemannische Pegasus.



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Die Mutter wachte über die Kindheit Hebels, und in ihrem Kreise lebte sich die erste naive Kinderphantasie aus: das Spiel mit den Schmetterlingspuppen, die der Kleine begrub, um ihren Ostertag zu erleben, das Spiel, bei dem er sich aus Stühlen und Bänken eine Kirche herrichtete und als Pfarrer predigte. Mit der Mutter mag er den Mann im Mond entdeckt, zum erstenmal dem Spätzlein Brosamen hingestreut haben. Deshalb konnte Hebel von ihr später in ungetrübter Zuneigung reden. "Der Segen ihrer Frömmigkeit hat mich nie verlassen. Sie hat mich beten gelehrt, an Gott glauben, an seine Allgegenwart denken. Die Liebe vieler Menschen, die an ihrem Grabe weinten und in der Ferne sie ehrten, ist mein bestes Erbteil geworden, und ich bin wohl dabei gefahren." Mit der Mutter zog er jeweilen nach Basel verbrachte so die "Hälfte der Kindheit bald in einem einsamen Dorfe, bald in den vornehmen Häusern einer berühmten Stadt". "Da habe ich frühe gelernt arm sein und reich sein. Wiewohl ich bin nie reich gewesen, ich habe gelernt nichts haben und alles haben, mit den Fröhlichen froh sein und mit den Weinenden traurig." "Wenn ich mit meiner Mutter nach Schopfheim, Lörrach oder Basel ging, und es kam ein Schreiber an uns vorüber, so mahnte sie. "Peter, zieh's Chäppli ab, 's chunnt e Her." Wenn uns



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aber der Herr Landvogt oder der Herr Hofrat begegnete, so rief sie mir zu, ehe wir ihnen auf zwanzig Schritte näher kamen: "Peter, blib doch sto, zieh gschwind di Chäppli ab, der Her Landvogt chunnt."

Als er diesem Kreise langsam entwuchs, wachte die Bubenschalkheit auf. Der Bammert und die Obstbäume lernten ihn kennen. Da hat er, "wenn's noch so dunkel war, den Weg doch gefunden auf die Zwetschgenbäume im Pfarrgarten zu Schopfen und Äpfel und Nüsse eingetragen auf den Winter". Schließlich riß ihn die Notwendigkeit einer gründlichen Schulung von der Mutter weg, er wohnte vom zwölften Jahre an in Schopfheim. Von dort wurde er im Oktober 1773 nach Basel gerufen, weil die Mutter im Iselinschen Hause schwer erkrankt war. Sie wünschte heimzukehren. Ein Bürger von Hausen fuhr mit dem Wagen in die Stadt, um sie abzuholen, Aber das Schicksal des Vaters wiederholte sich: die Fahrt nach Hausen wurde zur Todesfahrt. Zwischen Lörrach und Steinen, unterhalb des Rötteler Schlosses, ist die Kranke gestorben. Das war am 16. Oktober "abends um 4 Uhr ohngefehr". Ein Bote wurde nach Basel gesandt, um dort den Tod zu melden.

Nun trat der Begriff "Fremde" ins Leben des Dreizehnjährigen. Alle Fahrhabe der Eltern wurde versteigert, Gönner übernahmen die Führung, vor allem Hofdiakonus August Gottlieb Preuschen. Er war 1765-69 Pfarrer in Hausen und Lehrer in Schopfheim gewesen und hatte damals die Begabung des Knaben erkannt. Gewiß war er einer von denen, "die in der



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Ferne die Mutter ehrten". Zur Zeit ihres Todes lebte er in Karlsruhe.

Rasch wurde die Schule in Schopfheim beendigt. Dann nahm Preuschen Hebel zu sich nach Karlsruhe. Dort wurde das Gymnasium illustre mit gutem Erfolg in vierjährigem Kurse durchlaufen. Nur einmal, so wird erzählt, hätte beinahe ein törichter Streich, den Hanspeter einem Mitschüler spielte, das gute Einvernehmen mit dem Pflegevater gestört. Doch ging dies gnädig vorüber, und nach Absolvierung des Gymnasiums bezog der junge Mann die Universität Erlangen und bestand 1780 die theologische Prüfung. "Es ist ein sehr angenehmes, verlassenes Gärtchen im Hardwald, eine Viertelstunde von hier [Karlsruhe], mein ehemaliger Lieblingsort, wo ich die letzten Träume meiner Kindheit verträumt, so manches Vogelnest gewußt, so manche Erdbeere gepflückt und späterhin so manches Buch gelesen habe und noch 1780, als ich von Erlangen zurückkam, mich größtenteils aufs Examen vorbereitet habe." Das ist das Nachwort zum ersten Schritt in die Welt. Er endigte damit, daß Hebel nach Hertingen zu Pfarrer Schlotterbeck kam und dort Pfarrkinder und einige Bauernjungen unterrichtete. Als er 1782 ordiniert wurde, half er in der Gemeinde als Vikar aus. Damals begann er, von seiner Heimat Besitz zu nehmen. Die Namen, denen er später Bedeutung gab, wurden mit seinem Leben verknüpft: Kandern, Schliengen, Bürgeln, Müllheim waren nicht weit. Der Blauen ragte in den Alltag hinein, Belchen und Feldberg enthüllten ihm ihre Geheimnisse, die sie vorher noch unentdeckt gehütet hatten.



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Als Hebel 1783 Präzeptoratsvikar in Lörrach wurde, befreundete er sich rasch mit dem damaligen Prorektor des Gymnasiums, dem spätern Pfarrer in Weil, Tobias Günttert und namentlich mit dem nachmaligen Pfarrer von Rötteln, Friedrich Wilhelm Hitzig. Die Freunde schlossen einen Geheimbund, und das Wiesental, das ohnehin von der Sonne hell erleuchtete und von der Natur verschwenderisch begabte, fing an, eigenartigen Glanz zu verschenken. Der Belchen wurde heiliger Sitz der erhabenen Gottheit Proteus. Auf dem Feldberg trieb sein Gegner, der böse Dengelegeist, sein Wesen. Eine eigene Sprache und ein eigener Kalender wurde geschaffen. In den Geheimsitzungen war Hitzig Oberpriester mit dem Namen Zenoides, Günttert der Vogt, Hebel, genannt Parmenides, war Stabhalter und ein Ungenannter der Bammert. Auf dem Tüllinger Hügel und in Rötteln waren Altäre des Proteus. Lörrach wurde zu "Proteopolis". Basel war mit eingeschlossen in dieses geheimnisvolle Treiben; der schon genannte Almanach des Proteus erwähnt außer dem Cyniculus Basiliensis auch die Zeit, wann die Post mit Briefen von Basel her anlangen und wann sie zurückgehen soll. Und Hebel spricht davon, daß er in der Stadt mit Hitzig "so manches proteusische Stündlein" verbracht habe. Die Heimat wurde voll von Mären, Geistern und Geheimnissen. So wurde sie erlebt und beseelt. Noch im späten Alter schrieb Hitzig an einen Freund, der den Feldberg als Hebelsches Heiligtum besuchen wollte und vom schlechten Wetter verhindert wurde: "Solange Sie bei uns waren, hatte der Dengelegeist, der auf dem Feldberg haust, keine Gewalt über uns. Des



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Wiesentals liebliche Sonne durfte freundlich in unsern Kreis blicken. Aber, ich dachte es gleich, sobald Sie der Dengelegeist vom Feldberg herab in seiner Nähe witterte, daß es nicht ohne Spuk abgehen dürfte. Hat dieser Gesell doch auch einst Freund Hebel und mich auf vielfache Weise geneckt, uns manchen Stein in den Weg geworfen und mit seinem nassen und rauhen Atem angehaucht, als wir den Taufschein der Wiese in seinem Kirchspiel verlangten." Und Hebel selbst erzählt vom Dengelegeist: "Er erscheint mir bald als russischer General, als Fliegenschwarm, als Regimentstambour, der mich fast zu Tode trommelt, und wieder als Trägheit, Zaghaftigkeit usw." Wir Außenstehende mögen über die Proteuserei lächeln, wir sehen ja nur oberflächlich einige ulkige, kindische Äußerungen. In diesem Treiben aber entwickelte sich bei Hebel die innere Einstellung zur Heimat. Denn es war Trunkenheit einer naiven, frischen Kraft, eine frühe Blüte, die freilich erst reifen konnte, nachdem der dichterische Genius sie besucht hatte. Da mag der Philister den Kopf schütteln über Verrücktheiten, weil sich seine Einstellung zum Leben in bedeutend gewöhnlicheren Formen vollzieht. Doch damals begann der alemannische Pegasus seinen Flug. Hebels Auge sättigte sich vorerst an der Natur der Heimat. Seine Streifzüge gingen auch über Basel in die Schweiz hinein. Er wanderte von Lörrach über den Hauenstein nach Solothurn, Bern bis nach Lausanne, ein andermal den Rhein hinauf über Schaffhausen nach Konstanz. Dann wiederum führten ihn Ausflüge nach Arlesheim, ins Münstertal, durch Baselland nach Rheinfelden. Jedesmal besuchte er in Basel das Grab der Frau



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Major Iselin. Alle diese Reisen trug er, dem Beispiel seines Erzeugers folgend, in das ererbte väterliche Notizbuch ein.

Zur Heimat gehört aber auch die menschliche Sprache, und auf sie achtete Hebel als Ausdruck der Seele. Er bat seine Freunde in Straßburg: "Für Ihre Kinder will ich eine Fürbitte einlegen. Lehren Sie sie zuerst die angeborene Muttersprache und am liebsten im häuslichen heimischen Dialekt sprechen, mit der fremden ist's noch lange Zeit. Mit dem Sprechen empfangen wir in der zarten Kindheit die erste Anregung und Richtung der menschlichen Gefühle in uns und das erste verständige Anschauen der Dinge außer uns, was den Charakter auf immer bestimmen hilft, und es ist nicht gleichgültig, in welcher Sprache es geschieht. Der Charakter jedes Volkes, wie gediegen und kernig, oder wie abgeschliffen er sein mag, und sein Geist wie ruhig und wie windig er sei, drückt sich lebendig in seiner Sprache aus, die sich nach ihm gebildet hat, und teilt sich unfehlbar in ihr mit." Und in der "Epistel" wehrte er sich gegen die Einführung schriftdeutscher Ausdrücke in die Mundart wie Mutter, statt Muetter und Müetterli, Pate statt Götti usw.:

's het mi kei Mutter gebohre und keini christlige Pathe
hen mi an Taufstei treit. In mine dämmrige Tage
het mi kei Brei erquickt. In d'Kirche bini nit gange
bis ins fufzeht Jahr. Mi Müetterli het mi gebohre,
d 'Götti hen ins ghebt, und Peter het mi der Her tauft,
Pappe hani gschleckt und mit em sturzene Löffel
het mer d'Muetter ußem Pfännli d'Schareten uschratzt:
"Se Hans Peterli iß!" In alli Chilche vo Basel
und im Wiesethal vo Rieche ane bis Schönau



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bini gwandlet us und i, au mengmol ins Wirtshus
mit mim Vogtma. Tröst en Gott im ewige Lebe.
Was wohl will fangt zitli a ...

Das Herumstreifen in der Natur, zu schauen und in sich aufzunehmen, war sein innerster Trieb. "Es ist gar herrlich, so ein Vagabundisches ins Leben zu mischen. Es ist wie der Fluß im Tal. Man fühlt, daß man ein freier Mensch ist, wenn man wie der Spatz alle Abend auf einem andern Ast sitzt." "Sie werden [im Oberland] nicht leicht über ein Brücklein fahren, auf dem ich nicht schon gesessen bin und etwas Dummes gedacht habe." "Zwischen Zell und St. Blasien dürfen Sie wohl bisweilen an mich denken. Es kennen mich dort alle Buchen und Bächlein, auch etliche Wirtshäuser." Er lebte mit der Natur, er wuchs mit ihr, sein Innerstes hob sich mit ihr: "Meine heilige Zeit, mein schöner großer Feiertag, wo ich näher als sonst bei Gott bin, dauert von Ostern bis Pfingsten." "Ich zähle wie die Kinder. In wenig Wochen legen schon die Hühner, in wenig Wochen später kommen schon die Maßliebchen und die Storken, hernach Mittefasten und Veilchen genug." Das ist das innere Leben, das sich damals zu Lörrach in der Proteuserei entwickelte.

Auch das Erleben der Frauenliebe trat zu jener Zeit in seine Kreise ein. Als Günttert Pfarrer in Weil wurde, lernte Hebel dort Gustave Fecht kennen, die schöne Schwägerin des Pfarrers. Es beginnen sich die Fäden eines tieferen Verständnisses zwischen den beiden zu knüpfen. Ein reizvoller Briefwechsel läßt sie bis ins hohe Alter nicht abreißen. Darin zeigt sich liebevolle Anteilnahme



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Hebels an allen täglichen Ereignissen, neckischer Humor und herzliche Zuneigung. Aber Hitzig charakterisiert den Dichter: "Manche seiner früheren und späteren Verhältnisse pflegte er beinahe vor sich selbst wie ein Geheimnis zu decken und zu bewahren." Und so hat sich Hebel auch nie über seine Stellung zu Gustave Fecht ausgesprochen. Die Bekanntschaft endigt nicht mit einer Heirat, wiewohl Hebel durchaus kein Weiberfeind war. Er äußerte sich Haufe gegenüber: "Wenn wenigstens ich eine Frau hätte, so sollte mein erstes und zuträglichstes sein, mich unter ihre weise Vormundschaft und Leitung zu begeben und die Leute dazu lachen lassen." An Frau Weiler in Straßburg schrieb er: "Ich bin heute katholisch, meine Freundin, und halte einen Feyertag, nemlich einen Liebfrauentag... Ich schreibe heute lauter Liebfrauenbriefe an Sie, an Mad. Schneegans, an Mad. Haufe. Wie alles Ding in der Welt zwey Seiten hat; entweder eine rechte oder eine linke, eine gute oder eine schlimme, also hat auch der ledige Stand das Schöne, daß man ungeniert und mit unbeschwertem Gewissen allen guten Frauen bis ins Herz hinein und ganz vorzüglich gut seyn kann. Im Ehestand muß doch ex officio jeder seine eigene Frau für die beste halten und alle und noch so gute um etwas weniger lieben als die Beste." Und wiederum: "Da gibt sich der Stoff zum Schreiben von selbst, wenn man an liebe Frauen schreibt, wie wirklich der Fall ist. Man kann mit ihnen ab einer kleinen Kunkel einen langen, feinen Faden spinnen. Männer unter sich müssen schon viel Werg aufzustecken haben, weil sie untereinander nur Bindfaden trillen."



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Trotz alledem hat sich Hebel nie verheiratet. Die Wege eines Menschen, der im Vorstadium dichterischen Schaffens lebt, wie Hebel in Hertingen und Lörrach, laufen oft anders als die anderer. Die äußere Stellung schon hätte gar nicht erlaubt, Gustave heimzuführen. Hebels Freunde waren versorgt, er war verlassen, "gleich einem Baum oben auf einem Berge und einem Panier oben auf einem Hügel". Da riß ihn die Berufung als Subdiakonus am Karlsruher Gymnasium 1791 aus seiner idyllischen Welt fort. Das war entscheidend, für immer war er von der Heimat getrennt. Obwohl er sich in Karlsruhe mit den Jahren sehr wohl fühlte, neue Freunde gewann und in seiner äußeren Stellung von Stufe zu Stufe stieg, ein kleiner Stich blieb immer: Er war nicht daheim. Die wenigen kurzen Besuche im Wiesental waren nur notwendige Erholungskuren. "Ich muß," ruft er 1805 aus, "ich muß ins Oberland reisen, ich muß aus der Wiese trinken und die Geister im Röttler Schloß besuchen, wenn ich nicht in kurzer Zeit zu dem gemeinsten, geistlosesten Hardtbewohner ermatten soll."

Die Fremde ist um ihn und zieht ihn mehr und mehr in ihren Bann. Immer hofft er vergebens, im Oberland eine Pfarrei zu erhalten. Da baut seine Sehnsucht die Heimat neu auf. Aber das ist die Heimat, wie sie in der Seele lebt, und wenn sie heraustritt, wird sie verklärt sein durch dichterisches Schauen und durchglüht von einer großen Liebe. Arbeit über Arbeit häuft der Beruf auf Hebel, stärker und unaufhaltsamer wächst das Gegengewicht des inneren Lebens. Bis es hervorbricht:



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Der Geist, "ein heiliger Geist" schwebt stille über ihm. Er schreibt um 1801 herum seine alemannischen Gedichte.

Der "Winkel des Rheines zwischen dem Fricktal und dem ehemaligen Sundgau" ersteht darin. Die Landschaft, die Menschen, die Verhältnisse, ihr Denken und Fühlen, die Sprache, alles ist in wunderbarer Vollständigkeit dichterisch verwirklicht. Als großer Hintergrund, als Höhepunkt, zu dem man aufschaut, mit dem man seine bescheidenen Umstände vergleicht, erhebt sich darin die "berühmte Stadt" Basel. Kein politischer Begriff haftet an ihr, sie ist einfach "die Stadt", zu der sich Handel und Wandel hin- und zurückzieht. Im "Statthalter von Schopfheim" heißt es ganz selbsverständlich:

's chönnt d'Faktorene sy, sie isch die Nemtig go Basel

Von Vrenelis Vater wird ebendort erzählt: . . .



***
bis no Micheli si Vater
z'Basel uffem Chorn-Mert goht und unter e Rad chunnt.
Schopfe het er nümme gseh, sie hen en z'Elsbethe
ohni Gsang in d'Erde gleit, wie's z'Basel der Bruuch isch.

Was nicht gerade der Krämer im Laden verkauft, holt man in der Stadt, wie in der "Häfnet Jungfrau"berichtet wird:

Bald het eine go Basel müessen oder witers
Salbe hole, das und dies zum Waschen und Strehle.

Auch in dem Gedicht "Der Viertelsvogt" ist der Gang nach der Stadt etwas Gegebenes:



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Sust hani wie ne Burgersma
mi Laubi und mi Lusti gha
und bi mit Holz und anvere Ware
go Basel und ins Rebland gfahre.
Jetz isch's vorbei, sell isch für d'Chnecht,
die Lumpekerli, ehe recht.
Der Viertelsvogt den Gaul besteigt
und drauf hinein nach Basel reit.

Die Tochter des Feldbergs, die Wiese, strebt selber Basel zu, dort will sie ihren Bräutigam finden, obschon auch im Wiesental Gelegenheit zu Stelldichein und Hochzeit gewesen ware:

Jetz am Hörnli aben in schöne, breite Reviere
Basel zue. Dört wird der Hochizt-Zedel gschribe.
Gell, i weiß es! Bisch imstand und läugnisch, was wohr isch!
Hätti z'rothe gha, 's wär z'Wil e schicklige Platz gsi:
's het scho menge Briggem si gattig Brütli go Wil gführt,
us em Züribiet, vo Liestel aben und Basel
und isch jez si Ma, und 's chocht em d'Suppen und pflegt em
ohni Widerred vo mine gnädige Here.
Aber di Vertraue stoht zum Chlei-Hüniger Pfarer.
Wie de meinsch, so göhn mer denn dur d'Riechemer Matte!
Lueg, isch sel nit d'Chlübi, und chunnt er nit dert abe?
Jo er isch's, er isch's, i hör's am freudige Brusche!
Jo er isch's, er isch's, mit sine blauen Auge,
mit de Schwizerhose und mit der sammete Chretze,
mit de christalene Chnöpfen am perlefarbige Brusttuch,
mit der breite Brust und mit de chräftige Stotze,
's Gotthards große Bueb, doch wie ne Rotsher vo Basel
stolz in sine Schritten und schön in sine Giberde.



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Die Charakterisierung der Basler Ratsherren als stolze Leute mit schönen Gebärden zeigt, wie der Städter in den Augen der Hebelschen Menschen in der Glorie eines Höherstehenden wandelt. Schon da, wo die Wiese von Thumringen nach Lörrach kommt, heißt es:



***
Siehsch das ordelig Städtli mit sine Fenster und Gieble, und die Basler Here dört uf de staubige Stroße, wie sie riten und fahre?

Im "Geisterbesuch auf dem Feldberg" ist der junge Basler Herr sich dessen wohl bewußt, er pocht sogar auf seine vornehme Verwandtschaft, um auf die "Todtnauer Chnaben" Eindruck zu machen. Das ist schon deshalb nötig, weil Hebels satirischer Blick natürlich die städtische Ungeschicklichkeit im Umgang mit Bauern sieht; umgekehrt zeigt sich der Wiesentäler in der Stadt unbeholfen: er gerät auf dem Kornmarkt unter einen Wagen.

Der Basler im "Geisterbesuch" also stellt sich vor:

"Hani gmeint, der Dengelegeist, ihr Chnabe vo Todtnau,
seig e böse Geist, jez wüßt i andere Bricht z'ge.
Us der Stadt, das bini, und will's au redli bikenne.
Mengem Chaufher verwandt "vo sibe Suppe ne Tünkli".

So wie der Städter als Bild des reichen Mannes dasteht, so ist der Gegensatz Land — Stadt, der von Stille und Straßengetümmel. Der Basler trumpft wieder damit auf, da, wo er vom Dengeln und Mähen redet, und zeichnet zugleich ein hübsches Bild des Stadtlebens:



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D'Stadtlüt wisse nüt vo dem; mer rechne und schribe,
zähle Geld; sel chönne mer, und messen und wäge,
laden uf und laden ab, und essen und trinke.
Was me bruucht ins Muul, in Chuchi, Cheller und Chammer
strömt zu alle Thoren i, in Zeinen und Chretze,
's lauft in alle Gasse, es rüeft an allen Ecken:
"Chromet Chirsi, chromet Anke, chromet Andivi!
Chromet Zibele, geli Rüebe, Peterliwurze!
Schwebelhölzli, Schwebelhölzli, Bodekolrabe!
Paraplü, wer koof? Reckholderbeeri und Chümmi!
Alles für baar Geld und alles für Zucker und Kaffe...

Selbst dem Engel gegenüber bleibt der Basler Jüngling der vornehme Herr, indem er ihn herablassend einlädt. Und wiederum lächelt der Humor Hebels dabei

. . . Her Engel!

Bhüt di Gott der Her, und zürn nüt! Wenn de in d'Stadt chunnsch in der heilige Zit, se bsuech mi, 's soll mer en Ehr sy. 's stöhn der Rosinli z'Dienst und Hypokras, wenn er di animmt. D'Sterneluft isch rau, absunderlig nebe der Birsig.

Wer sich noch an den offenen Lauf des Birsigs an der heutigen Falknerstraße erinnert, wird bei den letzten Worten die treffende Satire erkennen und zugeben, daß sie aus guter Basler Schule stammen könnte.

Wenn aber Hebel den Reichtum der Stadt derart unterstreicht, so muß in der Gedankenwelt der alemannischen Gedichte an irgend einem Punkt die Auseinandersetzung mit dem sozialen Unterschied kommen. Der Dichter sucht sie nicht,



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sie stellt sich ihm entgegen. Und so geschieht es, daß "die Marktweiber in der Stadt" den Baslern ernstlich den Text lesen, "zu ernstlich" sogar, wie Goethe beim Besprechen der Gedichte in der "Jenaer allgemeinen Literaturzeitung" meinte. Aber seltsam: Die Stadt fühlt den Stich gar nicht, der den Dichterfürsten so schmerzte, daß er von Hebel eine Umarbeitung des Stoffes verlangte. Der Basler sieht die heimatlichen Bilder, die vor ihm ausgebreitet sind. Da ist der hoheitsvolle Ratsherr, der wie gewöhnliche Sterbliche Mühen und Not und allerlei schwere Gedanken hat, da ist die Tafel der Vornehmen voll von "Pastetli, Strübli, Fleisch und Fisch, Törtli und Makrone". Es stolzieren durch die Straßen die lustigen Herren, "wedeln" die kostbaren Junten, während doch das "Kreuz durane" ist. Und nach den Herzen der Städter ist es, daß sich am Sonntag die Tore weit öffnen, damit sich jeder im "Adler" und im "Schwanen" frischen Mut hole und selber sehe, wie es "z 'send ane glitzeret", daß man meint, der liebe Gott wolle selber kommen und von St. Chrischona her in das liebliche, festtägliche Tal herniedersteigen. Das Leben in der herrlichen Natur trägt auch in den Augen des Bürgers den Sieg davon über das Dasein, das rechnet und schreibt, Geld zählt und dabei nie das Morgenrot sieht. Was der Dichter dem Basler mit seinen "Marktweibern" geschenkt hat, überwiegt weit das Schmollen über die ungerechte Verteilung des irdischen Besitzes. Der, welcher scheinbar "den Text liest", ist ja Hebel, der selber von sich aussagte: "Ich kann mir sogar in meiner Armut darin gefallen, daß ich nichts niet- und



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nagelfestes auf der Erde habe, nur ein Hintersaß, oder wie wir's jetzt nennen, Schutzbürger auf ihr bin und fast einem Vöglein gleiche, das sich jeden Abend auf einen andern Ast setzt." Es ist Hebel, der sich in allen Dingen auf die Vorsehung verließ, "die immer gut leitet, wenn ihr nicht die Begierde das Konzept verrückt". Er bleibt nicht stehen bei den irdischen Mühsalen. Seine Marktweiber halten daran fest, daß es nicht auf die äußeren Umstände, sondern auf das innere Leben ankommt. Gott hat im Himmel "Kronen", die allein erstrebenswert sind. Das weiß auch Hebels "Stadt". Und darum hat sie gerade die "Marktweiber" besonders lieb gewonnen. Wo Kinder im Familienkreis ländliche Szenen aufführen, bei denen es festlich zugehen soll, ziehen sie dieses Gedicht allen vor. So lebt überall, bei hoch und niedrig, wo der Geist Hebels sein gutes Licht ausbreitet.

Die Ungerechtigkeit irdischen Glückes wird ausgeglichen durch das Wirken einer höheren Macht in dem gewaltigen Sang von der "Vergänglichkeit".

Basel, das Wahrzeichen der Größe und Herrlichkeit, ist verflochten in das letzte Weltgeschehen.

Isch Basel nit e schöni, tolli Stadt?
's sind Hüser drin, 's isch mengi Chilche nit
so groß, und Chilche, 's sin in mengem Dorf
nit so viel Hüser. 's isch e Volchspiel, 's wohnt
e Richtum drin, und menge brave Her,
und menge, woni gchennt ha, lit scho lang
im Chrützgang hinterm Münsterplatz und schloft.
's isch eithue, Chind, es schlacht emol e Stund,



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goht Basel au ins Grab und streckt no do und dört e Glied zum Boden us, e Joch, en alte Thurn, e Giebelwand; es wachst do Holder druf, do Büechli, Tanne dört, und Moos und Farn, und Reiger sitze druf. — 's isch schad derfür. — Und sin bis dörthi d 'Lüt so närsch wie jez, se göhn au Gspenster um. d'Frau Faste, 's isch mer jez, sie fang scho a — me seit's emol — der Lippi Läppeli, und was weiß i, wer meh. Was stoßisch mi?
Der Bueb seit:
Schwetz lisli, Ätti, bis mer über d 'Bruck
do sin, und do an Berg und Wald verbey!
Dört obe jagt e wilde Jäger, weisch?
Und lueg, do niden in de Hürste seig
gwiß 's Eiermeidli glege, halber ful,
's isch Johr und Tag. Hörsch, wie der Laubi schnuft?
Der Ätti seit:
Er het der Pfnüsel! Seig doch nit so närsch!
Hüst Laubi, Merz! — und loß die Todte go,
's sind Nare-Posse. — Je, was hani gseit?
Vo Basel, aß es au emol verfallt —
Und goht in langer Zit e Wanders-Ma
ne halbi Stund, e Stund wit dra verbey,
se luegt er dure, lit ke Nebel druf,
und seit sim Kamerad, wo mittem goht:
"Lueg, dört isch Basel gstande! Selle Thurn
isch d'Peterschilche gsi, 's isch schad derfürl"

In diesem Gedicht ist Basel nicht nur höchster Maßstab irdischen Daseins, in hübscher Widerspiegelung des Heimatlandes erscheint es wiederum im Jenseits:



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's isch jede Stern verglichlige ne Dorf,
und witer oben isch e schöni Stadt.

Das ist für den Menschen, der von Dorf zu Dorf nach der Stadt fährt, eine faßbare Vorstellung. Allein das äußere Leben spielt hier keine Rolle mehr. Wie eine Ergänzung zu den "Marktweibern" spinnt sich der Gedanke weiter. Auf das innere Leben kommt es an:



***
"Und haltsch di guet,

se chunnsch in so ne Stern..."

Zu diesem Ziele führt Hebels Gedankenwelt über Basel, wo Isaak Iselin lebte und lehrte: "Die edelste Beschäftigung des Menschen ist der Feldbau. Dieser ist die demselben von Gott bestimmte Arbeit", wo Iselin dem jungen Peter Ochs zurief: "Faites-vous agriculteur!" Dieser echte Städter suchte nach dem Leben, das dem kultivierten Bürger die Natur und den einfachen Stand des Naturlebens nahe bringe und ihn dadurch noch mehr veredle. So ahnte er ein Leben der Reinheit und war der Sucher. Dieses Dasein in Einfachheit ist bei Hebel Wirklichkeit und durch dichterisches Schauen verklärt worden.

Die Bilder baslerischer Heimat werden uns noch näher gebracht durch die Vorliebe des Dichters, da und dort bekannte Gestalten einzuflechten. Wie er den Buchbinder Scholer im Lied aufnahm, ist schon erwähnt worden. Eine andere Basler Persönlichkeit nennt er im "Geisterbesuch". Die erste Fassung läßt den jungen Basler anstatt er sei "mengem Chaufherr verwandt" viel deutlicher sagen "mit em Ritter verwandt". Dieser Mann war der Kaufherr Lucas Ritter, wegen seiner Vorliebe



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für das Schießwesen "Pulverrauch" genannt. Auch das Eiermeitli in der "Vergänglichkeit" ist eine durchaus bekannte Person gewesen. Sein Name allerdings wurde vergessen. Es war aus Wisleth gebürtig, und da es sehr arm war, mußte es mit Eierverkaufen in Basel sein Brot verdienen. Als steinaltes Weiblein kam es eines Tages von der Stadt her, setzte sich bei der Brombacher Brücke nieder und starb. Niemand bemerkte sein Ausbleiben, bis man es schließlich "halber ful" im Gebüsch aufgefunden hat. Selbst das Gespenst "Frau Faste" gehört unserer Heimat an. Es ging im Wiesental um. In Hausen warf es an der Fastnacht den faulen Spinnerinnen Kunkeln zum Abspinnen in die Stuben; es ist aber auch in der Schweiz bekannt Als "Fronfastenwibli" spukte es im Kanton Bern, und wehe der Hausfrau, die an den Fronfasten Hauswäsche hielt. Das Wibli duldete keine derartige Arbeit an den ihm gewidmeten Tagen.

Eine wunderbare Gestalt aber aus den Jugendjahren steht Hebel unverrückt vor Augen. Es ist die Mutter. In Predigt und Briefen redete er von ihr, in Träumen, über die er zeitsweise Buch führte, erschien sie ihm, und als er in späteren Jahren Prälat wurde, entfuhr ihm der Ausruf: "Was würde meine Mutter sagen!" Als "die Mutter" steht sie in den alemannischen Gedichten. Sie ist die lebenstüchtige Frau, die im "Habermues", im "Mann im Mond", im "Spätzli im Winter" mit weiser Kunst den Knaben lenkt und erzieht. Sie ist, ohne auf Dank zu rechnen, das Christkind, das in der Nacht dem schlafenden Buben den Weihnachtsbaum rüstet, wohl wissend,



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daß zur Süßigkeit auch die Rute gehört. Doch ihr sanfter Sinn mildert das Harte, sie bindet "roti Bändeli'' darum. Es ist, als habe der Dichter alle Liebe in den Namen "Mutter" gelegt. Sie ist der Engel, der für das Kind lebt, und die schönste Aufgabe behält ihr Hebel vor: Sie stirbt den Ihrigen voran und richtet auf einem schönen Stern die neue Heimat für sie ein. Und wenn der Sohn sich gut hält, so kommt er "uf so ne Stern" und findet "dört d'Muetter". So groß ist die mütterliche Fürsorge, daß sie selbst am jüngsten Tag ihre Lieben weckt. Wenn der Glast dieser letzten Zeit bis in die tiefen Gräber dringt, heißt im "Wächter in der Mitternacht wacht sie zuerst auf und ruft den Kindern "'s isch Tag".

Das ist die Frau, die starken Geistes den Kampf mit dem Leben aufgenommen hat und jährlich von Hausen nach Basel gewandert ist mit ihrem Knaben, die zustande gebracht hat, daß ihre Herrschaft, Hofdiakonus Preuschen und andere Menschen einer einfachen Dienstmagd über den Tod hinaus aufrichtige Hochachtung zollten, welche auch dem Sohn zugute kam. So ist es gar nicht verwunderlich, daß in verschiedenen Basler Familien noch heute die Tradition lebt, die Urgroßeltern hätten mit den Hebelleuten verkehrt. Und das will viel heißen. Denn dieser Verkehr kam nicht erst durch die Berühmtheit des Sohnes in Gang.

Ungemein stark verrät sich in den Gedichten der Eindruck der Basler Totentanzbilder. Der Tod, welcher Kaiser und Bettler unvorbereitet anfaßt, steht den Hebelschen Menschen immer vor Augen. Bedeutungsvoll ist es, daß sich die "Vergänglichkeit"



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dort abspielt, wo die Mutter auf der letzten Fahrt nach Hausen gestorben ist, wo auch der Todesgang des Vaters vorbeiführte, nämlich unterhalb des Röttler Schlosses. Da steht der Tod mitten in nächtlicher Landschaft:



***
Stoht's denn nit dört, so schuderig, wie der Tod im Basler Todtetanz ?

Selbst in einem Brief erscheint dieser Tanz. Hebel weiß die Adresse seiner Freunde nicht und so ist er "übler dran, als der Blinde im Basler Totentanz, dem das Hündlein abgeschnitten ist". Auf dem angedeuteten Bilde nämlich wird der Blinde von einem Hündlein geführt. Zwischen ihm und seinem Herrn klafft das Grab. Da erscheint der Tod, zerschneidet die Schnur, und der arme Mensch muß mit dem nächsten Schritt in die Grube fallen. Und wiederum beim Aufenthalt in Baden-Baden kommt Hebel bei der Mittagstafel plötzlich der Tod vor Augen. Da "hab ich mir vorgestellt, ein krankes Mädchen an der Tafel, das nicht aß, nicht trank, nicht redete, nur theilnehmungslos herumschaute, sey der Tod, der mit uns zu Mittag esse, und ich habe viel Phantasien aus ihr heraus und an sie gesponnen".

Ist es daher nicht selbstverständlich, daß der "Chilchhof" als Ende jedes Lebensweges in den alemannischen Gedichten immer wieder genannt wird? Da belehrt der Vater den Sohn in der "Vergänglichkeit":

Und woni gang, go Gresgen oder Wies,
in Feld und Wald, go Basel oder heim,
's isch einerley, i gang im Chilchhof zue.



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Der "Wegweiser" fragt auch:



***
Wo mag der Weg zuem Chilchhof sy? Und die Antwort lautet:
Was frogsch no lang? Gang, wo de witt!

Immer wieder in "Agatha", im "Geisterbesuch" überall selbst in dem satirischen "Auf den Tod eines Zechers" erscheint der Hinweis auf den Gottesacker. Und doch ist der Kirchhof nur eine Station auf der Reise in die Ewigkeit. Es gibt keine Trennung der Welten. In faßlicher Form hat Hebel dies dargestellt in einer Epistel an seine Oberländer Freunde. Er bemerkte dazu: "Der Pfarrer Greiner z 'Basel chönnt's gseit ha, der Spezial z'Augge [Hitzig] chönnt's o gseit ha." Es heißt: "Der Himmel sey frili wit obe, aber wie länger aß me leb, se chömmer allewil nöcher abe, wemme gottesfürchtig glebt heig; und er leng eim z'letzt bis an Chopf abe und wemme recht treu seig und Gott und d'Mensche lieb heig: so chömmer no witer abe, und me seig mit dem Gsicht und mit dem Herze scho völlig im Himmel drin, wemme mit de Fieß dur d'Neßle watt und in Dörn und Glasscherbe tret uf Erde. Und e fromme Mensch heig guet in Himmel cho, wenn er sterb; d'Seel darf numme gar use schlüpfe us Fleisch und Bluet, so seyg si scho im Himmel. Und d'Hell seyg frili mit deniede, aber wie länger aß me lasterhaftig leb, wie witer chömm si eim uffe bis an d'Füeß; me gang wie uf Chole, und si chömm eim bis übers Herz uffe; und menge eß no Brotis mit em Mul, während aß ems Herz scho unter siedige Wässer stand; und wenn



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e gottlose Mensch sterb, hätt er au kei Müeih in d'Hell z'cho, er dörf numme gar abe dunke..."

Auch der "Wächter in der Mitternacht" spricht es aus, daß die Heimat nicht weit sei, "e Stündli öbben oder nit emol". Bei oberflächlicher Betrachtung müßte der Gedanke an den Tod wie ein Albdruck auf den Menschen liegen. Doch der "Wächter" weiß das besser. Mögen die Totentanzbilder Schrecken in ihrer Art verbreiten, die Umsetzung in die Hebelsche Welt wirkt beruhigend. Die Toten "schlofe wohl! Gott gunnene's". Das Jenseits wird zur wahren Heimat, in welcher die Menschen in ihrem irdischen Kreise leben:

Öbbe fahrsch
au d'Milchstroß uf in die verborgeni Stadt,
und wenn de sitwärts abe luegsch, was siehsch?
Die ganze Erde ist ein Röttlerschloß, eine Ruine und nur
die Erinnerung bleibt:
dört hani au scho glebt
und Stiere gwettet, Holz go Basel gfüehrt...
und möcht jez nümme hi.

Dem Basler Tod aber, der mitleidlos durchs Leben tanzt, setzt Hebel die lieblichen Gestalten der Engel entgegen, die tröstend und helfend im menschlichen Dasein wirken. Das städtische Sonntagskind im "Geisterbesuch auf dem Feldberg" kann sie sehen und belauschen, dem Knaben im Erdbeerschlag erscheint das Engelwunder. Auf dem Felde wandeln diese guten Geister zwischen den Furchen auf und ab und arbeiten. Denn alles Gute und Liebliche gedeiht unter ihren Händen. Selbst dem



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sterbenden Kinde zu Todtnau neigen sie den Todeskelch, damit sein Leiden schneller vergehe. Denn das ist das Eigenartige bei Hebel, daß sein Geist alles verklärt und alles Harte mildert, nicht nur in seinen Gedichten, sondern auch in seinen oft prosaischen Lebensumständen. Da hat für ihn auch der jüngste Tag keinen Schrecken, und er liebt es, ihn auszudenken. "Ich glaube, daß am jüngsten Tag die Morgenröte lauter Blitz sein und der Donner Schlag auf Schlag die Morgenwache antrommeln werde. Wie es dann an ein Betglockenläuten gehen wird von Hauingen an um den Berg herum bis nach Efringen hinab! Wie die Leute sich die Augen reiben werden, daß es schon tagt! Wie es an ein Schneiden und Garbenbinden gehen wird, denn man will behaupten, daß der jüngste Tag in die Erntezeit fallen werde! Und wie die Leute sich wundern werden, daß es nimmer Nacht werden will! Das alles könnte ich von dort oben herab [vom Tüllinger Hügel] ansehen und nach Weil herabschauen und denken: nun werden sie da unten auch aus den Federn sein und in ihrem Stark oder Schmolk den Morgensegen am jüngsten Tag aufsuchen. Und wer weiß, was ich täte, ob ich nicht in der blitzigen Morgendämmerung durch die Reben hinab stolperte und Ihnen zusammen Ihre schweren Garben binden hülfe. Denn mein eigenes bischen Halmen, Gott erbarm's, würde alle Wege bald unter Dach sein."

Das schrieb er an Gustave Fecht, und weil in seiner Gedankenwelt alles in der Heimat sich abwickelt, alles zur Heimat wird, hat auch das Wort des Wächters um Mitternacht beruhigende Wirkung und tiefere Bedeutung:



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Und us der Heimet chunnt e Schi,
's mueß lieblig in der Heimet sy!

Ein rascher, kurzer Aufflug des alemannischen Pegasus ist es gewesen, und als die Heimat dichterisch in der Welt stand, hat er sich niedergesetzt.

Im Februar 1801 berichtet Hebel an Zenoides. "Meine Liebhaberei in den Nebenstunden zur Schadloshaltung für Ungenuß mancher Geschäftskunden hat sich in ein eigenes Fach geworfen. Ich studiere unsere oberländische Sprache grammatikalisch, ich versificiere sie herculeum opus! in allen metris, ich suche in dieser zerfallenden Ruine der altdeutschen Ursprache noch die Spuren des Umrisses und Gefüges auf und denke bald eine kleine Sammlung solcher Gedichte mit einer kleinen Grammatik und einem auf die Derivation weisenden Register der Idiotismen in die Welt fliegen zu lassen."

Der Dengelegeist gab ihm zu schaffen, wie er im April 1801 schreibt: "Der Dengelegeist geratet ins Stocken. Ich mag aus Liebe zur Gegend, die mir durch das Andenken an unsere Wallfahrt und durch die Quelle der Wiese fast heilig ist, keinen bösen und schauerlichen Geist aus ihm machen, und meine plumpe Phantasie bietet mir trotz aller Folter keine liebliche Idee zur Einkleidung. Um nicht ganz genarrt zu haben, theile ich dir die Einleitung, so weit ich kann, hier mit. [Es liegt die Einleitung zum "Dengelegeist" bei] . . . Aber vielleicht leiht mir deine reichere Phantasie noch einen glücklichen Einfall."

Im Juni 1801 kann er melden: "Ich bin fleißig an den alemannischen Liedern und werde bald ein Schifflein voll auf



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die hohe See schicken. Ist dir denn noch keine Idee zur Fortsetzung des Dengelegeistes, den du doch wirst bekommen haben, durch die Seele gegangen? Um ihn nicht ganz zu verlieren, hab ich ihn einstweilen einem langen Gedicht an die Wiese vorgewebt. [Es folgt der Anfang der Wiese.] Aber am 11. Februar 1802 muß er schon bekennen: "Der alemannische Pegasus will nimmer fliegen, er prätendiert, er sey nicht schuldig, so etwas zu thun bei der unterländischen Stallfütterung, wenn er nicht droben an den sonnigen Hügeln weiden dürfe. Aber es ist nur eine Ausrede, das Vieh ist unzufriedener mit der Tränke als mit dem Futter. Indessen hat's doch noch einen kleinen Zuwachs gegeben — Freude mit gutem Gewissen — das Habermus — der Storch — Sonntagsfrühe. Das Idiotikon, 300 Artikel stark, ist fertig."

Damit sind die alemannischen Gedichte in der Hauptsache abgeschlossen, obschon immer wieder da und dort ein neues entstand So erfährt Hitzig 1803: "Ich habe unterdessen ein einziges neues Liedlein gemacht "Der Abendstern"... Ich getraue mir kein zweites Bändlein zustande zu bringen. Der erste heilige Anflug des Genius ist schnell an mir vorüber gegangen." Ähnlich äußert er sich im März 1804 Gustave Fecht gegenüber: "Ich habe nach und nach ein zweites Bändchen der A. G. zusammenstoppeln wollen. Aber dieser heilige Geist, der mich damals umschwebte, will nimmer über mich kommen und jetzt kommt der unglückselige Katechismus" [den Hebel zu bearbeiten hatte]. Dies kennzeichnet deutlich die Lage des Dichters. Die äußere Arbeit des Berufes überschwemmt das für den Augenblick



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gesättigte Innenleben, und dieses bleibt in der Hauptsache unterdrückt. Er wagte zeitweise gar nicht mehr an eine Fortsetzung zu denken, wie er es 1805 seinem Freunde Nüßlin gegenüber klar ausspricht: "Wo hätte ich träumen können, daß die anspruchslosen alemannischen Gedichte, die nun bald die dritte Auflage erleben, solche Aufmerksamkeit der Gebildeten und selbst den Beifall von Männern wie Jacobi, Jean Paul und Voß erhalten würden... Aber lieber Freund, dieser Beifall hat mich zur Fortsetzung nicht aufgemuntert, sondern verzagt gemacht. Ich mag ihn nicht selber wieder wegsingen. Der Geist, der damals so stille über mir schwebte, ist beschrien und, ich fürchte, verschwunden. Es ist ein heiliger Geist von eigener Laune, der mit keinen Christ- noch Pfingstglocken herbeizuläuten ist, wenn er nicht selber kommen will, wiewohl ich ihm Dank sagen muß, daß er sich auch schon manchmal durch Glockengeläute hat wecken lassen."

Nachdem so die dichterische Arbeit abgeschlossen war, kam die minder heilige, die geschäftliche. Hebel suchte für sein "Wälderbüblein", wie er die Gedichte nannte, einen Verleger, und er muß das Gefühl gehabt haben, daß ein Büchlein, das derart lokalisiert schien, auch innerhalb des von ihm besungenen Landes verlegt werden sollte. An eine große Verbreitung dachte er nicht. Er wunderte sich vielmehr oft darüber, daß ihn seine Gedichte in aller Welt bekannt gemacht hätten. Seine Freunde übernahmen es, in Basel einen Verlag zu suchen. Hitzig verhandelte mit dem Buchhändler Samuel Flick, Günttert mit dem Drucker Haas. Da aber Haas "überall nur druckt", blieb Flick



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übrig, und es ist äußerst belustigend zu sehen, wie sich in den Briefen an Zenoides die Verhandlungen wiederspiegeln. "Hast du dem Flick den Angel noch nicht vorgeworfen?"fragt der Dichter am 11. Februar 1802. Hitzig aber warf den Angel vor; denn im nächsten, undatierten Brief schreibt Hebel: "Ich danke dir für die vorläufige Verwendung bei Flick... und meinst du wir wollen eine Subscr[iption] eröffnen? und magst du gern eintragen helfen, ein fleißiges Immlein?" Um die Osterzeit 1802 wird sodann der Angriff auf Flick vorbereitet. "Ich rathe dir daher," schreibt Hebel, "in der Osterwoche post actos labores dir eine kleine Zerstreuung zu machen und an einem lieblichen Tage einen kleinen Gang nach Basel zu thun, nämlich ohnehin, nicht mir zu lieb. Und dann bitte ich dich aber recht schön und kosig, ja koseselig, daß du es noch einmal versuchen wollest, dem Felicek [Flick proteusisch] einen Strick um den Hals zu werfen..." Hitzig möge dem Buchhändler die Papiere vorlegen, die schon Günttert bei Haas benützt habe. "Man seye alsdann so gut und stelle dem Buchhändler die Lockfalle. D. h. du übergibst ihm denselben Bogen und beobachtest ihn, während er liest, besonders die Bewegung der Muskeln um Mund und Nase. Bezeugt er Lust zur Sache, so gibst du ihm die Proben... Dann kommt's auf die Hauptsache an, nämlich darauf, was Flick biete mit, was ohne Subscription, und wie teuer er das Buch verkaufen wolle."

"Bietet er in einem oder andern Falle weniger als 1 Louisd. auf den Bogen, so brichst du ab und sagst ihm, daß ich's eher umsonst werde drucken lassen, aber nicht bei ihm,



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denn ich sey gar nicht aufs Geld erpicht, und arbeite bloß aus Liebhaberei. Bietet er aber 1 Louisd. oder drüber so viel er will, so sagst du ihm, daß ich's, so wie du mich kennest, schwerlich drum tun werde, denn ich sey verteufelt interessiert, und ich will es, wenn du gerne magst, ohne es dir gerade zuzumuthen, deinem eigenen Augenmees überlassen, ihm ein höheres Gebot nach der Stimmung, die du an ihm bemerkst, zu proponieren. Kann nach diesen Präliminarien etwas aus der Sache werden, so werde ich mich über das weitere selbst mit ihm in Korresp. setzen... Sey so gut, mein Bester, und nimm dich der armen Närrlein in Freundschaft und Liebe an."

Flick ging bei der Besprechung mit Hitzig auf die Sache ein und hat sich mit Hebel selbst in Verbindung gesetzt; doch stellte er einige Bedingungen anders, als Hitzig sie dem Dichter mitgeteilt hatte. Denn Hebel schreibt am 4. Juli 1802: "Ich habe nun den Bürger Flick, der mir unterdessen vom 26sten Jul. schrieb, meine Entschließung in Rückantwort kundgemacht. Eine Handhabe dazu, die ich jedoch sehr höflich angriff, gab mir ein Brief, in dem er a statt 150 Subskribenten, die er gegen dich zur Bedingung macht, nun 300 anbedingt, b sich direkte auf keine Erklärung wegen des Honorarii einläßt, ob ich ihn gleich ersuchte, mir so zu antworten, daß ich seine Erklärung als die erste und letzte ansehen könne . . ."

Flick war also ein sehr vorsichtiger Kaufmann und wollte mit dem unbekannten Dichter nichts wagen. Da hat Hebel die Verhandlungen "kurz", wie er selber sagt, abgebrochen, und so kam es, daß die alemannischen Gedichte nicht in Basel



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verlegt wurden. Der Dichter scheint darüber verstimmt gewesen zu sein; denn auch für die Sammlung von Subskribenten in Basel konnte er niemand finden, ebenso nicht in Bern. Dies zeigt wiederum der Brief an Hitzig, der die Unterschriftensammlung einleiten soll: "Der nächste Postwagen bringt dir, mein lieber Zenoides, eine Parthie Anzeigen auf das Wälderbüblein, nimm dich also dessen nunmehr, wie du versprochen hast und deine Freundschaft mir verbürgt, an und zieh ins Netz, wer dir nahe kommt, Augen zum lesen im Kopf und noch einen Thaler im Sack zum bezahlen hat! Lege Fußangeln, wo du kannst und weißt, fahe sie mit schädlichen Hamen, sey wie die Pest, die im Finstern schleichet, und wie die Seuche, die im Mittag verderbet! Laß tausend fallen zu deiner Seiten und zehntausend zu deiner Rechten." Hitzig möge auch Kandern in Betracht ziehen. "Es wird dir befremdlich erscheinen, daß Basel nicht in der Anzeige steht. Ich habe an Decker geschrieben [wahrscheinlich Buchhandlung Jakob Decker, Blumenplatz], aber dieser einzige Flegel außer Heinzmann in Bern hat mir auf 2 Br. nie geantwortet und mich bisher zwischen Thür und Angel stecken lassen. Hab ichs etwa an seinem Kollegen Flick verdient? Vielleicht indessen trümmelt dir da und dort auch ein Böppi ins Netz."

Am zweiten Advent 1802 freut er sich am reichlichen Verzeichnis der Angeworbenen, das Hitzig eingeliefert hatte, ebenso im Frühjahr 1803. Er fügt dort die bittere Bemerkung bei: Die Subskription "geht besser als ich zu hoffen wagte, da die Schweitz für mich wie für sich selber scheint verloren zu sein".



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Diese augenblickliche Stimmung war jedoch nicht gerechtfertigt. Eine Anmerkung zum Schreiben über den bösen Decker erklärt wenigstens (sie ist in der Festgabe von 1860 nicht abgedruckt, findet sich aber im Original): "Noch heute bekam ich einen höflichen Brief von Schölli in Basel, der mir Deckers Schweigen erklärt. Also meine Worte zum Fenster hinaus geredt." Decker war demnach nicht einfach der Flegel, wenn er auch nicht Subskribenten sammeln wollte. Aber auch Flick war nicht so schlimm; denn kaum waren die alemannischen Gedichte erschienen, so konnte Hebel seinem Freunde melden, "Flick beißt stark an, wenn nur die Zähne gut sind. Ich hab's ihm, nachdem ich so kurz mit ihm abgebrochen hatte, nicht zugetraut. Ich werde ihm heute schreiben und mit dem Postwagen, wenn nicht bald mein Hans Patron [Macklot in Karlsruhe, der die Gedichte verlegte] eine Fuhr nach Basel schickt, 50 Exemplare zuschicken. Er könnte, wenn er's noch für profitabel genug hält, in die Schweitz hinein einigen Absatz machen, wo soviel ich weiß noch keine Exemplare hingekommen sind. Denn Macklot ist eine träge Seele, und die Auflage ligt bey ihm wie ein Pfund Schnitz und drückt ihm fast den Tisch darnieder." Damit ist also Basel doch gerechtfertigt. Hebel stand immer weiter mit Flick in Beziehung. Dieser hat seine Sache doch gut gemacht, und 1805 bittet der Dichter seinen Freund in Rötteln: "Sollte dir Flick in sein und meinen Namen mit einer kleinen Korrektur zu Berg und Hof reiten, so bitte ich dich, eine Pfeife Tabak und ein paar willige Minuten an uns zu wenden." Ein wenig Mißtrauen gegen den Buchhändler



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blieb zwar immer; als Hebel an Zenoides durch Flick ein Exemplar der alemannischen Gedichte dritter Auflage sandte, bemerkte er in seinem Schreiben: "Die al. Gedichte aber hast du bey Flick, wohin Macklot die Sendung übernahm, zu erheben. Sollte ers leugnen, so laß mich's wissen." Im übrigen war Flick ein sehr rühriger Mann, der vieles unternahm. So gründete er 1803 in Aarau eine Filiale seines Geschäfts und stellte als Geschäftsleiter Heinrich Remigius Sauerländer ein, der dann 1805 die Buchhandlung selbständig übernahm und 1820 die erste schweizerische Ausgabe der alemannischen Gedichte druckte.

Ein anderes Vorkommen machte Hebel inn unserer Stadt unzufrieden. Er beklagt sich über Haas in Basel im April 1807. "Wie ich höre, verkauft mich Haas in Basel für 6 Louisd. in Gyps. Kaufe ihm doch, aber auf meine Rechnung, ein Exemplar für mich ab. Es ist ganz baslerisch, daß er ohne mein Wissen Handel mit mir treibt, und daß ich mich selber bey ihm kaufen muß, wenn ich mich haben will, statt daß er mir mit Ehren und ohne Schaden einige Abgüsse hätte zuschicken wollen." Wie bezeichnend ist es, daß Hebel über die Basler sich ärgerte, aber genau unterschied zwischen Basel und Baslern! Ganz deutlich wird diese Scheidung im Brief an Zenoides, wo Hebel 1815 über das Bombardement der Stadt durch die Franzosen folgendes schreibt: "In Basel mag sich jetzt viel Angststoffgas entwickeln. Etwas davon gönne ich ihnen und möchte an Seiner Seite gern eine Stunde drin sein und die jammervollen kyrie eleisa hören. Aber leid wäre es mir, wenn der Stadt selbst ein Leid geschähe, in der ich geboren bin, und zwar just in der



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Santehans, ni fallor n. 14, das zweite Haus vor dem Schwiebogen und wo ich so viel gutes genossen und wo wir manches proteusische Stündlein verbracht haben." Daß aber ein Dichter, der 1803 zum ersten Male ein Bändchen Gedichte herausgegeben hat, vier Jahre später in Gips verkauft wird, ist ein Beweis dafür, daß er schon sehr bekannt und geschätzt worden ist. Einen andern hübschen Beleg dafür liefert der Kleinbasler Maurermeister Jakob Chr. Pack. Als 1806 der Landammann Andreas Merian von hier wegreiste, um seine Würde niederzulegen, übergab ihm Pack ein Gedicht, dessen Worte er dem Hebelschen Sommerabend entnommen hatte. Er notierte in seiner Chronik:

Gedanken währender Abreis unseres Landammannes.

's isch wohr, Sie hatten übel Zit,
ob scho Napoleon war wit,
denn z'schaffe findt sich überal
in Hus und Feld, in Berg und Tal.
's will alles Liecht und Wärmi ha,
und zwor nur vome Landama usw.

Pack bemerkt noch dazu: "Er war sehr wohl damit zufrieden und gab Abschriften davon, sodaß fast jedermann bekommen hat."

Ein weiteres Zeichen dafür, daß die alemannischen Gedichte in der Schweiz verehrt wurden, ist eine begeisterte berndeutsche Epistel, die sich unter Hebels zurückgelassenen Papieren befindet. Geschrieben ist sie von S. Wyß, "Vikari z'Bürglen bi Nidau vom 26. Heymonet 1807". Im gleichen Jahr schrieb



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Joh. Martin Usteri seine erste Mundartidylle "De Herr Heiri" und war dazu durch die Hebelsche Dichtung angeregt worden. 1813 sodann erschienen in Basel "Leichte Melodien zu Hebels alemannischen Gedichten componiert und dem edlen Verfasser der Gedichte, meinem unvergeßlichen Lehrer, als Beweis unveränderter Hochachtung, Liebe und Dankbarkeit zugeeignet von Christian Haag, Lehrer der Gesangs-Anstalt in Basel." Dafür nannte Hebel den Komponisten in einem Brief an Hitzig "die Nachtigall in Basel". Doch ist es nicht nötig, nach weiteren Beweisen zu suchen. Man weiß, wie kein Basler vom Anfang des 19. Jahrhunderts an bis heute aufgewachsen ist ohne Hebelsche Poesie. Es war ein großer, wiewohl verzeihlicher Irrtum Hebels, zu glauben, die Schweiz sei für ihn verloren.


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