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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DSCHAN SCHAH

Wisse, mein Bruder, mein Vater war ein König, und er hieß König Tighmûs. Er herrschte über das Land Kabul und über den Stamm der Schahiân, zehntausend Helden, von denen ein jeder über hundert feste Städte und Burgen gebot. Auch herrschte er über sieben Sultane, und ihm ward vom Osten bis zum Westen Tribut gebracht. Er war gerecht in seinem Walten; darum hatte Allah der Erhabene ihm all das gegeben und



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ihm ein so großes Reich geschenkt. Aber er besaß keinen Sohn, obgleich es der Wunsch seines Lebens war, daß Allah ihm einen Sohn gewähren möchte, der ihm nach seinem Tode in der Herrschaft nachfolgen könnte. Da begab es sich eines Tages, daß er die Gottesgelehrten, die Sterndeuter, die Männer der Wissenschaft und die Kalenderberechner zu sich berief und zu ihnen sprach: ,Berechnet mein Horoskop und schaut nach, ob Allah mir in meinem Leben einen Sohn gewähren wird, der mir in der Herrschaft folge!' Da schlugen die Sternkundigen die Bücher auf, berechneten sein Horoskop und die Aspekte seines Gestirnes und sprachen zu ihm: ,Wisse, o König, dir wird ein Sohn beschert werden, doch nur von der Tochter des Königs von Chorasân.' Als Tighmûs das von ihnen hörte, war er hoch erfreut, und er gab den Sternkundigen und Weisen unermeßlich und unberechenbar große Schätze; darauf gingen sie ihrer Wege. Nun hatte König Tighmûs einen Großwesir, das war ein gewaltiger Held, der für tausend Ritter einstand; der hieß 'Am Zâr. Zu dem sprach er: ,O Wesir, ich wünsche, daß du dich zur Reise nach dem Lande Chorasân rüstest und für mich um die Tochter des Königs Bahrawân, des Herrschers von Chorasân, werbest.' Und König Tighmûs erzählte seinem Wesir 'Am Zâr, was die Sterndeuter ihm prophezeit hatten. Als der Wesir die Worte seines Königs vernommen hatte, ging er zur selbigen Stunde hin und rüstete sich zur Reise. Dann zog er mit seinen Mannen, seinen Helden und seinen Heerscharen, vor die Stadt hinaus.

Solches tat der Wesir. König Tighmûs aber rüstete derweilen eintausendundfünfhundert Lasten von Seide, Edelsteinen, Perlen und Rubinen, Gold und Silber und anderen kostbaren Metallen; und ferner ließ er eine große Menge von Dingen, die zur Hochzeit gehören, herbeischaffen. Das alles ließ er auf



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Kamele und Maultiere laden und übergab es dem Wesir 'Am Zâr. Auch schrieb er einen Brief. der nach der Überschrift also lautete: ,Friede sei mit dem König Bahrawân! Wisse, wir haben die Sterndeuter und die Weisen und die Kalenderberechner versammelt, und sie haben uns kundgetan, daß uns ein Sohn beschert werden soll, doch nur von Deiner Tochter. Siehe. nun habe ich den Wesir 'Am Zâr zu Dir entsandt mit vielen Dingen, die zur Hochzeit gehören, und ich habe ihn beauftragt, mich in dieser Angelegenheit zu vertreten und in meinem Namen den Ehevertrag zu schließen. Und ich bitte Dich, daß Du in Deiner Güte dem Wesir sein Anliegen, das ja mein Anliegen ist, alsobald und ohne Aufenthalt gewährest. Was Du mir an Freundlichkeit erweisest, ist mir willkommen; doch hüte Dich, mir hierin zuwider zu handeln. Denn wisse, o König Bahrawân, Allah hat mir das Land Kabul verliehen und mich zum Herrscher über den Stamm Schahlân gemacht; ja, er hat mir ein großes Reich gegeben. Wenn ich mich also mit Deiner Tochter vermähle, so werden wir beide, ich und Du. eins sein in der Herrschaft, und ich werde Dir alljährlich so viel Schätze senden, daß Du Dein Genüge daran hast. Dies ist mein Begehr.' Nachdem König Tighmûs diesen Brief versiegelt hatte, übergab er ihn seinem Wesir 'Am Zâr und befahl ihm, nach dem Lande Chorasân aufzubrechen. Jener zog nun dahin, bis er in die Nähe der Stadt des Königs Bahrawân kam. Dem ward die Ankunft des Wesirs des Königs Tighmûs gemeldet; und als er diese Botschaft hörte, hieß er die Emire seines Reiches sich für seinen Empfang rüsten; auch ließ er Speisen und Getränke und andere Gastgeschenke samt dem Futter für die Tiere herbeischaffen, um alles seinen Boten mitzugeben. Dann befahl er ihnen, dem Wesir 'Am Zâr entgegenzuziehen; sie luden also die Lasten auf und zogen dahin, bis sie mit dem



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Wesir zusammentrafen. Da luden sie die Lasten ab, die Krieger und Mannen stiegen von ihren Tieren, und alle begrüßten einander. Dort, vor der Stadt, blieben sie zehn Tage lang und aßen und tranken. Danach saßen sie wieder auf und ritten nach der Stadt; König Bahrawân zog ihnen entgegen, um den Wesir des Königs Tighmûs zu empfangen, und er umarmte ihn, begrüßte ihn und führte ihn in seine Burg. Dann ließ der Wesir die Lasten herbeibringen, all die reichen Geschenke für den König Bahrawân, und übergab ihm den Brief. Jener nahm ihn entgegen und las ihn; nachdem er seinen Inhalt begriffen hatte, ward er hoch erfreut, hieß den Wesir noch einmal willkommen und sprach zu ihm: ,Freue dich, dein Wunsch ist erfüllt! Wenn König Tighmûs auch mein Leben verlangt hätte, so würde ich es ihm geben.' Sogleich begab König Bahrawân sich zu seiner Tochter und ihrer Mutter und den Seinen, tat ihnen die Botschaft kund und beriet sich darüber mit ihnen. ,Tu, was du willst!', sprachen sie zu ihm. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 500. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Bahrawân sich mit seiner Tochter und ihrer Mutter und den Seinen beriet und daß sie zu ihm sprachen: ,Tu, was du willst.' Da kehrte er zu dem Wesir 'Am Zâr zurück und ließ ihn wissen, daß sein Wunsch erfüllt sei. Der Wesir blieb noch zwei Monate lang bei König Bahrawân; dann aber sprach er zu ihm: ,Wir bitten dich, daß du uns das gewährest, um dessentwillen wir zu dir gekommen sind, auf daß wir in unsere Heimat zurückkehren können.' ,Ich höre und willfahre!' erwiderte der König. Und nun befahl er, die Hochzeit zu rüsten und alle Vorkehrungen zu treffen. Als sein Befehl ausgeführt war, gebot er, alle Wesire und



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Emire, die Großen seines Reiches, sollten sich bei ihm versammeln. Und nachdem sie alle gekommen waren, befahl er, die Mönche und Priester' sollten erscheinen. Als auch die sich versammelt hatten, ward der Bund zwischen der Prinzessin und dem König Tighmûs geschlossen. Nun traf König Bahrawân die Vorkehrungen für die Reise, und er gab seiner Tochter so viel Geschenke, Kostbarkeiten und Edelmetalle, wie niemand sie schildern kann. Auch ließ er die Straßen der Stadt mit Teppichen auslegen und schmückte sie aufs schönste. Darauf zog der Wesir 'Am Zâr mit der Tochter des Königs Bahrawân in seine Heimat. Und als die Kunde von ihrem Nahen dem König Tighmûs überbracht wurde, gab er Befehl, das Hochzeitsfest zu rüsten und die Stadt zu schmücken. Dann ging er zu der Prinzessin ein und nahm ihr das Mädchentum. Und nach wenigen Tagen zeigte es sich, daß sie von ihm empfangen hatte. Nachdem aber ihre Monate vollendet waren, genas sie eines Knäbleins, dem Monde gleich in der Nacht seiner Fülle. Wie König Tighmûs erfuhr, daß seine Gemahlin einen schönen Knaben geboren hatte, freute er sich sehr, und er berief die Weisen, die Sternkundigen und die Kalenderberechner und sprach zu ihnen: ,Ich wünsche, daß ihr diesem Neugeborenen das Horoskop stellet und die Aspekte seines Gestirnes berechnet und mir kündet, was ihm in seinem Leben widerfahren wird.' Da berechneten die Gelehrten und die Sterndeuter sein Horoskop und seine Aspekte und sahen, daß der Knabe Glück haben werde; doch drohe ihm zu Anfang seines Lebens eine Gefahr, und zwar wenn er fünfzehn Jahre alt sein werde; überstehe er die, so werde er viel Gutes erleben und ein großer Kö—



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mg sein, noch größer als sein Vater, ja, er werde Glück in Hülle und Fülle sehen, seine Feinde würden zugrunde gehen, ein herrliches Leben stehe ihm bevor, und wenn er sterbe, nun, so könne eben kein Mensch zurückgewinnen, was er verlor - doch Gott wisse es am besten. Als der König diese Weissagung hörte, war er hoch erfreut; er nannte den Knaben Dschanschâh, übergab ihn den Ammen und Pflegerinnen und ließ ihm die schönste Erziehung angedeihen. Wie der Knabe das Alter von fünf Jahren erreicht hatte, ließ sein Vater ihn im Lesen unterrichten, und er begann das Evangelium zu lesen. Dann ließ er ihn in weniger als sieben Jahren das Kriegshandwerk lernen, das Lanzenschwingen und den Hieb der Klingen. Und nun begann der Knabe zu Jagd und Hatz auszureiten, und er ward ein großer Held, vollendet in allen ritterlichen Künsten. Sooft aber der Vater von seiner Tapferkeit im Ritterhandwerk hörte, freute er sich sehr. Nun begab es sich eines Tages, daß König Tighmûs seinen Mannen befahl, zu Jagd und Hatz auszureiten; da zogen die Krieger aus, und der König Tighmûs und sein Sohn Dschanschâh waren bei ihnen. Sie ritten durch Wüsten und Steppen dahin und jagten Großwild und Kleinwild bis zum Nachmittag des dritten Tages. Da erspähte Dschanschâh eine Gazelle von wunderschöner Farbe, die vor ihm flüchtete. Er folgte ihr und setzte ihr eilig nach, während sie von dannen floh. Sieben Mamluken des Königs Tighmûs trennten sich von den anderen und folgten der Spur des Prinzen. Als sie sahen, daß ihr Herr hinter der Gazelle herjagte, eilten sie ihm auf schnellen Rennern nach. Und dann stürmten sie alle dahin, bis sie ans Meeresufer kamen. Dort stürzten sie sich auf die Gazelle. um sie einzufangen; aber sie entschlüpfte ihnen und warf sich ins Meer. — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 501. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Gazelle, als Dschanschâh und seine Mamluken sich auf sie stürzten, um sie einzufangen, ihnen entschlüpfte und sich ins Meer warf. Nun befand sich auf dein Wasser dort ein Fischerboot; in das sprang die Gazelle. Da saßen Dschanschâh und seine Begleiter ab, sprangen ihr nach in das Boot und fingen sie. Doch als sie an Land zurückkehren wollten, entdeckte Dschanschâh plötzlich eine große Insel, und er sprach zu den Mamluken, die bei ihm waren: ,Ich möchte, daß wir zu jener Insel fahren.' ,Wir hören und gehorchen!' erwiderten sie und fuhren mit dem Boot auf die Insel zu, bis sie ihren Strand erreichten. Dann gingen sie an Land und sahen sich dort um; schließlich kehrten sie zu dem Boot zurück, gingen wieder an Bord und fuhren mit der Gazelle in der Richtung des Festlandes, von dem sie gekommen waren. Aber die Dunkelheit überraschte sie, und sie verloren den Kurs auf dem Meere. Zugleich erhob sich der Wind wider sie und trieb das Bott mitten ins Meer hinaus. Als sie dann am anderen Morgen aus dem Schlafe erwachten, kannten sie den Weg nicht mehr und trieben immer weiter ins Meer hinaus.

So stand es um sie. Inzwischen hatte König Tighmûs, der Vater des Prinzen Dschanschâh, als er seinen Sohn vermißte und ilm nirgends sah, seinen Truppen befohlen, in getrennten Abteilungen nach allen Richtungen hin seinen Sohn zu suchen. Nachdem sie ausgeritten waren, kam eine Schar von ihnen zum Meere und fand dort einen Mamluken, der bei den Pferden zurückgeblieben war. Den fragten sie nach seinem Herrn und nach den sechs anderen Mamluken; und er berichtete ihnen, was mit jenen geschehen war. Da nahmen sie den Mamluken



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und die Pferde mit und kehrten zum König zurück und meldeten ihm, was sie erfahren hatten. Als er diese Botschaft vernahm, weinte er bitterlich; er warf die Krone von seinem Haupte und biß sich in die Hände vor Gram. Und sofort schrieb er Briefe und sandte sie zu allen Inseln des Meeres: auch ließ er hundert Schiffe zusammenbringen, bemannte sie mit Truppen und befahl ihnen, auf dem Meer umherzufahren und nach seinem Sohne Dschanschâh zu suchen. Dann kehrte der König mit den übrigen Mannen und Kriegern nach der Hauptstadt zurück und versank in tiefen Kummer. Als aber die Mutter des Prinzen die Kunde vernahm, zerschlug sie sich das Antlitz und hub die Totenklage um ihn an.

Überlassen wir die Eltern ihrem Kummer und sehen wir nun. wie es Dschanschâh und seinen Mamluken erging! Die irrten immer weiter auf dem Meere umher, während die Leute. die nach ihnen ausgesandt waren, sie zehn Tage lang auf dem Meere suchten, ohne sie zu finden, und dann zum König heimkehrten und ihm die Nachricht brachten. Wider den Prinzen und seine Begleiter aber erhob sich ein heftiger Sturm, und der trieb ihr Fahrzeug dahin, bis er sie an eine Insel warf. Dort verließen sie das Boot und schritten auf jener Insel dahin, bis sie mitten im Lande einen Quell fließenden Wassers entdeckten. Neben ihm aber hatten sie schon von weitem einen Mann sitzen sehen. An den traten sie heran und grüßten ihn; er erwiderte ihren Gruß und begann mit ihnen in einer Sprache zu reden, die dem Zwitschern der Vögel glich. Verwundert hörte Dschanschâh dieser Sprache zu; doch da blickte jener Mann nach rechts und nach links, und während die anderen noch alle



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staunend dastanden, teilte er sich plötzlich in zwei Hälften, und jede Hälfte ging nach einer anderen Richtung davon. Unterdessen kamen auf einmal Männer aller Art, unendlich und unzählbar viele, von dem Berge herab auf die Fremdlinge zu und eilten heran, bis sie bei der Quelle waren; dort spalteten sie sich alle in zwei Hälften. Dann stürzten sie sich auf Dschanschâh und die Mamluken, um sie aufzufressen. Als Dschanschâh erkannte, daß jene Männer sie fressen wollten, eilte er mit den Seinen davon; doch jene folgten ihnen und aßen drei von den Mamluken auf, während Dschanschâh mit den drei anderen sich rettete und mit ihnen das Boot erreichte. Sofort stießen sie ab in der Richtung auf die hohe See und fuhren Tag und Nacht dahin, ohne zu wissen, wohin das Schiff sie führte. Sie schlachteten nun die Gazelle und nährten sich von ihrem Fleische. Und die Winde trieben sie weiter und warfen sie an eine andere Insel. Sie schauten sie an und sahen auf ihr Bächlein fließen und Bäume sprießen, die ihre Frucht herabhängen ließen; sie entdeckten auch Gärten, die mit eßbaren Früchten aller Art angefüllt waren, und die Bäche murmelten im Schatten der Bäume, ja, es war dort wie im Paradiese. Als Dschanschâh die Insel betrachtete, gefiel sie ihm, und er sprach zu den Mamluken: ,Wer von euch will auf dieser Insel landen und sie für uns auskundschaften?' Da sprach einer von ihnen: ,Ich will landen und sie für euch erforschen und dann zu euch zurückkehren.' Aber Dschanschâh erwiderte: ,Das ist ein Ding der Unmöglichkeit; ihr müßt alle drei an Land gehen und die Insel erforschen. Ich will hier im Boot auf euch warten, bis ihr zurückkehrt.' Darauf ließ er die Mamluken aussteigen, um die Insel zu erforschen. Die Mamluken gingen also an Land. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 502.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Mamluken, nachdem sie an Land gegangen waren, überall auf der Insel umherstreiften, gen Osten und Westen, aber niemanden auf ihr fanden. Darauf drangen sie landeinwärts bis zur Mitte vor, und dort sahen sie schon von ferne eine Burg aus weißem Marmor. Auf ihr standen Häuser aus klarem Kristall, und mitten darin lag ein Garten, der alle Arten von Früchten, trockene und saftige, die niemand beschreiben kann, und vielerlei duftige Blumen enthielt. Auch sahen sie auf jener Burg Bäume mit Früchten sprießen und hörten die Vögel, die auf den Zweigen ihre Lieder erschallen ließen. Und in der Mitte befand sich ein großer Teich neben einer geräumigen offenen Halle; in dieser Halle waren Stühle aufgereiht, zu beiden Seiten eines Thrones aus rotem Golde, der mit vielerlei Edelsteinen und Rubinen besetzt war. Als die Mamluken sahen, wie schön jene Burg mit ihrem Garten war, gingen sie dort umher, nach rechts und nach links, aber sie fanden niemanden; darauf verließen sie die Burg, kehrten zu Dschanschâh zurück und berichteten ihm, was sie gesehen hatten. Nachdem er diese Kunde von ihnen vernommen hatte, rief er: ,Ich muß mir diese Burg ansehen!' Alsbald stieg er aus dem Boote, und nun ging er mit den Mamluken zur Burg hinauf. Als sie eingetreten waren, war Dschanschâh von der Schönheit der Stätte bezaubert. Dann wandelten sie in dem Garten umher, erfreuten sich seines Anblicks und aßen von seinen Früchten; das taten sie bis zur Abendzeit. Doch als das nächtliche Dunkel sie umfing, gingen sie zu den Stühlen, die dort aufgestellt waren; Dschanschâh setzte sich auf den Thron, der in der Mitte stand, mit Stühlen zur Rechten und zur Linken. Und nachdem er sich auf ihm niedergelassen hatte, begann er nachzudenken und zu weinen, weil er nun dem



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Throne seines Vaters und seiner Heimat so fern und von den Seinen und allen, die ihm nahestanden, getrennt war; auch die drei Mamluken weinten mit ihm. Während sie so trauerten, erhob sich plötzlich ein gewaltiges Geschrei vom Meere her; sie blickten nach der Richtung, aus der jener Lärm kam, und sahen nun, daß dort Affen waren, die wimmelnden Heuschrecken glichen. Jene Burg und die ganze Insel gehörten nämlich den Affen. Als jene Affen das Boot, in dem Dschanschâh gekommen war, entdeckt hatten. da hatten sie es am Ufer versenkt, und jetzt eilten sie auf Dschanschâh zu, wie er dort in der Burg saß.

Da hielt die Schlangenkönigin inne, und dann sprach sie: ,All dies, o Hâsib, erzählte der Jüngling, der zwischen den Gräbern saß, dem Bulûkija.' Und als Hâsib sie fragte: ,Was tat aber Dschanschâh mit den Affen?' fuhr sie also fort:

Als Dschanschâh sich auf den Thron gesetzt hatte und die Mamluken rechts und links neben ihm saßen, eilten die Affen auf sie zu und flößten ihnen Schrecken und große Furcht ein. Aber dann kamen einige von ihnen herein, traten heran, bis sie vor dem Thron standen, auf dem Dschanschâh saß, und küßten den Boden vor ihm; und danach kreuzten sie ihre Arme auf der Brust und blieben eine Weile vor ihm stehen. Nun brachten andere von ihnen Gazellen herbei, schlachteten sie in der Burg und häuteten sie ab; darauf schnitten sie das Fleisch in Stücke, brieten die, bis sie gar waren, und legten sie auf Schüsseln aus Gold und aus Silber. Zuletzt breiteten sieden Tisch aus und gaben Dschanschâh und seinen Begleitern durch Zeichen zu verstehen, sie möchten essen. Da kam Dschanschâh von dem Thron herunter und aß, zusammen mit den Affen und den Mamluken, bis sie alle gesättigt waren; darauf trugen die Affen den Tisch ab und brachten Früchte, und alle aßen davon und dankten Allah dem Erhabenen. Dschanschâh aber fragte



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die Großen der Affen durch Zeichen: ,Was ist es mit euch, und wem gehört diese Stätte?' Jene antworteten ihm, gleichfalls durch Zeichen: ,Wisse, diese Stätte gehörte unserem Herrn Salomo, dem Sohne Davids -Friede sei mit ihnen beiden! —. und er pflegte alljährlich einmal hierher zu kommen, um sich zu ergötzen; darauf pflegte er wieder von uns zugehen.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 503. dritte Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Affen dem Prinzen Dschanschâh über die Burg Auskunft gaben, indem sie ihm vermeldeten: ,Diese Stätte gehörte unserem Herrn Salomo, dem Sohne Davids, und er pflegte alljährlich einmal hierher zu kommen, um sich zu ergötzen; darauf pflegte er wieder von uns zu gehen.' Dann aber fuhren die Affen fort: ,Wisse, o König, du bist jetzt Sultan über uns geworden, und wir sind deine Diener. lß und trink, und wir werden alles tun, was du uns befiehlst!' Und sie küßten den Boden vor ihm und gingen fort, ein jeder seines Weges. Der Prinz schlief in jener Nacht auf dem Thron. während die Mamluken zu seinen Seiten auf den Stühlen schliefen. Am nächsten Morgen jedoch kamen vier Wesire, die Hauptleute der Affen, mit ihren Truppen zu ihm herein und erfüllten den ganzen Raum, indem sie sich Reihe auf Reihe ringsum aufstellten. Nun traten die Wesire heran und gaben ihm durch Zeichen zu verstehen, er sollte über sie in Gerechtigkeit richten. Plötzlich aber schrien die Affen einander zu und liefen fort; nur ein Teil von ihnen blieb vor dem König Dschanschâh, um ihn zu bedienen. Nach einer Weile kamen einige Affen zurück mit Hunden, die so groß waren wie Pferde und die um den Hals Ketten trugen. Über diese Hunde und ihre große Gestalt war er sehr erstaunt. Nun gaben die



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Wesire der Affen dem Prinzen durch Zeichen zu verstehen, er solle aufsitzen und mit ihnen kommen. Da ritten Dschanschâh und die drei Mamluken mit dem Heere der Affen, das einem wimmelnden Heuschreckenschwarme glich, und von denen ein Teil beritten war, während die anderen zu Fuß liefen. Und es wuchs seine Verwunderung über all das, was er sah. Sie zogen dahin bis zur Meeresküste, und als er dort entdeckte, daß das Boot, das ihn gebracht hatte, verschwunden war, wandte er sich an seine Affenwesire und fragte sie: ,Wo ist das Boot, das hier war?' Jene erwiderten ihm: ,Vernimm, o König, als ihr zu unserer Insel kamt, da wußten wir, daß du über uns Sultan werden solltest, und wir befürchteten, ihr könntet uns verlassen, wenn wir nicht bei euch wären, und wieder in das Boot gehen. Deshalb haben wir es versenkt.' Als Dschanschâh diese Kunde vernahm, wandte er sich zu den Mamluken und sprach zu ihnen: ,Wir haben nun kein Mittel mehr, diesen Affen zu entrinnen, sondern wir müssen uns geduldig in das fügen, was Allah der Erhabene uns bestimmt hat.' Darauf zogen sie alle landeinwärts, bis sie zum Ufer eines Flusses gelangten, auf dessen anderer Seite sich ein hoher Berg erhob. Als Dschanschâh zu dem hinblickte, sah er auf ihm eine Menge dämonischer Wesen von der Art der Ghûle.' Zu den Affen sich wendend, fragte er: ,Was ist es mit jenen Ghûlen?' ,Wisse, o König,' erwiderten die Affen, ,jene Ghûle sind unsere Feinde, und wir sind ausgezogen, um wider sie zu streiten.' Voll Staunen schaute Dschanschâh auf jene Ghûle, die von so gewaltiger Größe waren und auf Pferden ritten und von denen die einen Köpfe hatten wie Stiere, während die Köpfe der anderen denen von Kamelen glichen. Doch kaum hatten die Ghûle das Heer der Affen erblickt, so stürzten sie sich ihnen entgegen,



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stellten sich am Ufer des Flusses auf und begannen sie mit Steinen zu bewerfen, die so groß wie Keulen waren; und es entbrannte ein wilder Kampf zwischen ihnen. Als aber Dschanschâh erkannte, daß die Ghûle über die Affen die Oberhand gewannen, rief er den Mamluken zu: ,Bogen und Pfeile heraus! Schießt sie mit Pfeilen tot, auf daß ihr sie von uns abwehret!' Die Mamluken taten, wie ihr Herr ihnen befohlen hatte, bis daß ein großer Schrecken über die Ghûle kam; viele von ihnen wurden getötet, und die anderen wurden geschlagen und wandten sich zur Flucht. Wie die nun sahen, was durch Dschanschâh geschehen war, eilten sie zum Flusse hinab und überschritten ihn, begleitet von ihrem Sultan; dann jagten sie hinter ihnen her, bis sie ihren Augen entschwunden waren, doch wurden noch viele von den Feinden auf der Flucht getötet. Dschanschâh und die Affen waren auf der Verfolgung bis zu dem hohen Berge gekommen, und als der Prinz jene Bergwand anschaute, erblickte er an ihr eine Marmortafel, auf der geschrieben stand: ,O du, der du in dies Land gekommen bist, wisse, du wirst zum Sultan über diese Affen werden, und es wird dir nicht möglich sein, ihnen zu entrinnen, es sei denn über die Pässe des Gebirges. Wenn du über den östlichen Paß gehst, der drei Monate lang ist, so wirst du zwischen wilden Tieren, Ghûlen, Marids und Ifriten wandern müssen und wirst dann den Ozean erreichen, der die Erde umgibt. Doch wenn du über den westlichen Paß gehest, der vier Monate lang ist, so findest du an seinem Ende das Ameisental. Und bist du dann bis zu jenem Tale gelangt und ziehst in ihm weiter, so nimm dich vor den Ameisen in acht. Schließlich wirst du einen hohen Berg erreichen, der wie Feuer brennt und der eine Reise von zehn Tagen lang ist.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.


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