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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE ABENTEUER BULÛKIJAS

'Wisse, o Hâsib, einst lebte in der Stadt Kairo ein König der Kinder Israel; und der hatte einen Sohn des Namens Bulükija. Dieser König war ein weiser und frommer Mann, der immer über die Bücher der Wissenschaft gebeugt dasaß. Als er nun von Alter schwach geworden und dem Tode nahe war, traten die Großen seines Reiches zu ihm, um ihm ihre Ehrfurcht zu bezeigen. Und nachdem sie sich vor ihm niedergesetzt und ihn begrüßt hatten, sprach er zu ihnen: ,Ihr Leute, wisset, die Stunde ist nahe, daß ich aus dieser Welt in das Jenseits wandere. Ich habe euch kein Vermächnis zu hinterlassen als meinen Sohn Bulûkija.' Nachdem sie dies Vermächtnis entgegengenommen



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hatten, fuhr er fort: ,Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah!' Dann seufzte er auf und schied aus dieser Welt -die Gnade Allahs sei mit ihm! Da ward er aufgebahrt, gewaschen und in einem großen Prunkzuge zur Bestattung hinausgetragen. Sein Sohn Bulûkija aber ward zum Sultan über das Volk gewählt; und der war ein gerechter Herrscher über die Untertanen, und die Menschen hatten Frieden zu seiner Zeit. Nun begab es sich eines Tages, daß er die Schatzkammern seines Vaters öffnete, um sich darin umzusehen. Und in einer der Kammern, die er öffnete, fand er etwas, das wie eine Tür aussah; er machte auf, trat ein, und siehe, da war es ein kleines Gemach, in dem eine Säule aus weißem Marmor stand; und auf ihr lag ein Kästchen aus Ebenholz. Bulûkija nahm das Kästchen, schloß es auf und fand in ihm ein anderes Kästchen; das war aus Gold. Auch dies öffnete er, und da fand er in ihm ein Buch. Er schlug das Buch auf und las es, und er fand darin einen Bericht über Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! Da stand geschrieben, daß er am Ende der Zeiten gesandt werden würde und daß er der Herr der Ersten und der Letzten sei. Wie Bulûkija dies Buch gelesen und in ihm die Schilderung unseres Herrn Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —kennen gelernt hatte, ward sein Herz von Liebe zu ihm ergriffen. Und alsbald versammelte er die Vornehmen unter den Kindern Israel, die Priester und die Schriftgelehrten und die Eremiten, machte sie mit jenem Buch bekannt und las es ihnen vor. Dann sprach er: ,Ihr Leute, ich muß meinen Vater aus seinem Grabe hervorholen und ihn verbrennen.' Das Volk fragte: ,Weshalb willst du ihn verbrennen?' Da antwortete Bulûkija ihnen: ,Weil er dies Buch vor mir verborgen und es mir nicht gezeigt hat.' Der alte König hatte es nämlich aus den Büchern Mosis und den Schriften



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Abrahams zusammengestellt und dies Werk in einer seiner Schatzkammern verborgen und es keinem einzigen Menschen gezeigt. Das Volk aber sprach: ,O König, dein Vater ist tot; jetzt ruht er in der Erde, und seine Sache ist seinem Herrn anheimgestellt. Hole ihn nicht aus seinem Grabe hervor!' Als Bulûkija diese Worte von den Vornehmen der Kinder Israel vernahm, wußte er, daß sie ihm nicht gestatten würden, also an seinem Vater zu tun. So verließ er sie denn und begab sich zu seiner Mutter; zu der sprach er: ,Liebe Mutter, wisse, ich habe in den Schatzkammern meines Vaters ein Buch entdeckt. in dem Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! - beschrieben ist; dort steht, daß er ein Prophet ist, der am Ende der Zeiten gesandt werden soll. Schon ist mein Herz von Liebe zu ihm ergriffen, und ich will ins Land hinausziehen, bis ich mit ihm vereint werde; wenn ich ihn nicht finde, so muß ich durch die Sehnsucht der Liebe zu ihm sterben.' Darauf zog er seine Gewänder aus, legte einen härenen Mantel und Knechtesschuhe an und sprach: ,Vergiß mich nicht im Gebet, liebe Mutter!' Seine Mutter aber weinte um ihn und sprach zu ihm: ,'Was soll aus uns werden, wenn du fort bist?' Dennoch erwiderte Bulûkija: ,Ich kann es schier nicht mehr ertragen; darum stelle ich meine und deine Sache Allah dem Erhabenen anheim.' Dann brach er auf und pilgerte gen Syrien, ohne daß irgendeiner aus seinem Volk darum wußte. Er zog dahin, bis er zum Meeresufer kam, und dort traf er ein Schiff In das stieg er hinein mit den Reisenden, und das Schiff fuhr mit ihnen dahin, bis sie zu einer Insel gelangten. Die Seefahrer gingen an Land, und er mit ihnen; doch auf der Insel trennte er sich von den anderen und setzte sich unter einen Baum. Die Müdigkeit übermannte ihn, und er schlief ein; als er aber wieder aufwachte und sich zum Schiff hin begab, um an Bord zu gehen, sah



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er, daß es bereits abgesegelt war. Und nun erblickte er auf jener Insel Schlangen, die so groß waren wie Kamele und wie Palmen, die den Namen Allahs, des Allgewaltigen und Glorreichen, anriefen und über Mohammed - Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —den Segenswunsch sprachen und laut Gottes Einheit und Lobpreis verkündeten. Als Bulûkija das sah, erstaunte er über die Maßen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 487. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Bulûkija, als er die Schlangen Gott lobpreisen und seine Einheit verkünden hörte, über die Maßen darob erstaunte. Wie aber die Schlangen seiner gewahr wurden, versammelten sie sich um ihn, und eine von ihnen fragte ihn: ,Wer bist du? Woher kommst du? Wie heißt du? Und wohin gehst du?' Er antwortete: ,Ich heiße Bulûkija, und ich bin von den Kindern Israel. Ich bin ausgezogen, erfüllt von der Liebe zu Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, und ich suche ihn. Was aber seid ihr, edle Geschöpfe?' Die Schlangen erwiderten ihm: ,Wir gehören zu den Bewohnern der Hölle; uns hat Allah der Erhabene zur Strafe für die Ungläubigen erschaffen.' ,Und was hat euch an diese Stätte gebracht?' fragte Bulûkija weiter; die Schlangen antworteten: ,Wisse, Bulûkija, die Hölle atmet in ihrer heißen Siedeglut zweimal im Jahre, einmal im Winter und einmal im Sommer. Und wenn sie in ihrer gewaltigen Siedehitze ausatmet, so speit sie uns aus ihrem Bauch aus; wenn sie aber ihren Atem einzieht, so holt sie uns wieder zu sich zurück.' Wiederum fragte Bulûkija: ,Sind in der Hölle noch größere Schlangen als ihr?' Da erwiderten die Schlangen: ,Wir können nur deshalb bei ihrem Atmen herauskommen, weil wir so



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klein sind; in der Hölle ist jede andere Schlange so groß, daß sie es nicht spüren würde, wenn eine von uns ihr über die Nase kröche.' Darauf sagte Bulûkija: ,Ihr rufet den Namen Allahs an, und ihr sprechet den Segenswunsch über Mohammed. Woher kennt ihr Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil --' Sie erwiderten: ,O Bulükija, der Name Mohammeds steht am Tore des Paradieses geschrieben; und wäre er nicht, so hätte Allah weder die Geschöpfe noch das Paradies noch die Hölle, weder Himmel noch Erde geschaffen. Allah hat alle Dinge, die da sind, nur um seinetwillen geschaffen, und Er hat seinen Namen mit Seinem Namen allerorten verbunden; und darum lieben wir Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' Als Bulûkija diese Worte von den Schlangen hörte, wuchs seine Sehnsucht in der Liebe zu Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, und heißes Verlangen nach ihm erfüllte ihn. So nahm er denn Abschied von ihnen und ging wieder zum Ufer des Meeres. Wie er dort am Strande der Insel ein Schiff vor Anker liegen sah, ging er mit den Seefahrern an Bord; und dann fuhr das Schiff mit ihnen dahin, immer weiter, bis sie zu einer anderen Insel kamen. Dort ging er wieder an Land und schritt eine Weile dahin; und wiederum fand er Schlangen, große und kleine, so viele, daß nur Allah der Erhabene ihre Zahl kannte. Unter ihnen aber war eine weiße Schlange, heller als Kristall, die lag auf einer goldenen Platte, und jene Platte lag auf einer Schlange, die so groß war wie ein Elefant. Das war die Königin der Schlangen, und keine andere als ich, o Hâsib!' Da unterbrach Hâsib sie mit den Worten: ,Was hast du mit Bulûkija gesprochene' ,O Hâsib,' erwiderte sie, ,wisse, als ich Bulûkija erblickte, grüßte ich ihn, und er gab mir den Gruß zurück, und dann fragte ich ihn: ,Wer bist dw Was treibst du? Woher kommst du, und wohin



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gehst du? Und wie heißest du?' Er antwortete: ,Ich bin von den Kindern Israel; ich heiße Bulûkija, und ich ziehe umher, von Liebe ergriffen zu Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, und ich suche ihn; denn ich habe seine Schilderung in den offenbarten Schriften gesehen.' Dann aber fragte er mich, indem er sprach: ,Was für ein Wesen bist du? Was ist es mit dir und diesen Schlangen, die dich umgeben?' Ich erwiderte ihm: ,O Bulûkija, ich bin die Königin der Schlangen; und wenn du mit Mohammed - Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —zusammen triffst, so sage ihm meinen Gruß!' Darauf nahm Bulûkija Abschied von mir und ging wieder an Bord und reiste weiter, bis er zur heiligen Stadt Jerusalem kam. Nun lebte in Jerusalem ein Mann, der war mit allen Wissenschaften vertraut; er war bewandert in der Geometrie, der Astronomie und der Mathematik, in der natürlichen Magie und in der Geisterkunde. Und er hatte das Alte und das Neue Testament gelesen, die Psalmen und die Schriften Abrahams. Er war 'Affân geheißen, und er hatte in einem seiner Bücher gefunden, daß dem, der den Siegelring unseres Herrn Salomo trüge, alle Menschen und Geister, Vögel und wilden Tiere, ja alle erschaffenen Wesen untertan würden. Ferner hatte er in einem seiner Bücher gelesen, daß unser Herr Salomo, als er gestorben war, in einen Sarg gelegt und über sieben Meere dahingetragen wurde, mit dem Siegelring an seinem Finger, und daß kein Mensch und kein Geist den Ring von ihm fortnehmen könne, und daß auch kein Seefahrer imstande sei, mit seinem Schiffe an jene Stätte zu gelangen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 488. Nacht anbrach, fahr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Affân in einem



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seiner Bücher gefunden hatte, kein Mensch und kein Geist könne den Siegelring von dem Finger unseres Herrn Salomo nehmen, und kein Seefahrer sei imstande, mit seinem Schiffe die sieben Meere zu durchqueren, über die der Sarg getragen worden war. Ferner hatte er in noch einem anderen Buche gelesen, daß es unter den Kräutern ein besonderes gebe; wenn man etwas davon nehme und auspresse und mit dem Safte die Füße salbe, so könne man über alle Meere in der Welt Allahs des Erhabenen schreiten, ohne die Füße zu netzen; doch könne man dies Kraut nur gewinnen, wenn man die Schlangenkönigin bei sich habe.

Als Bulûkija nun in Jerusalem ankam, setzte er sich sofort an einer Stätte nieder, um seine Andacht vor Allah dem Erhabenen zu verrichten. Und während er so, in die Anbetung Gottes versunken, dasaß, kam plötzlich 'Affân auf ihn zu und bot ihm den Friedensgruß; und der Jüngling erwiderte seinen Gruß. Danach blickte 'Affân auf Bulükija und sah, daß er in den Büchern Mosis las und dort saß, um Allah den Erhabenen zu verehren; deshalb trat er nahe an ihn heran und fragte ihn: ,Sag, Mann, wie heißest du? Woher kommst du, und wohin gehst du?' ,Ich heiße Bulükija,' erwiderte jener, ,und ich bin von der Stadt Kairo; ich bin auf die Wanderschaft gegangen, um Mohammed zu suchen -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' Da sprach 'Affân zu ihm: ,Komm mit mir in mein Haus, auf daß ich dich bewirte!' ,Ich höre und gehorche!' antwortete Bulûkija. Und nun nahm 'Affân ihn bei der Hand und führte ihn in sein Haus; dort bewirtete er ilm aufs ehrenvollste. Danach hub er an: ,Erzähle mir, Bruder, deine Geschichte, und laß mich wissen, wie du von Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —Kenntnis erhalten hast, sodaß dein Herz von Liebe zu ihm erfüllt wurde und du auszogst, um ihn



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zu suchen! Und wer hat dich diesen Weg geführte' Da erzählte Bulûkija ihm seine Geschichte von Anfang bis zu Ende, und als 'Affân seine Worte vernahm, erstaunte er darüber so gewaltig, daß er fast den Verstand verlor. Dann aber sprach er zu ihm: ,Führe du mich zu der Schlangenkönigin, so will ich dich mit Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! — zusammenbringen, obgleich die Zeit seiner Sendung noch fern ist. Wenn wir uns dann der Schlangenkönigin bemächtigt haben, so wollen wir sie in einen Käfig tun und mit ihr zu den Kräutern im Gebirge gehen; dann wird, solange sie bei uns ist, jedes Kraut, an dem wir vorbeigehen, reden und seine Kräfte kundtun, durch die Macht Allahs des Erhabenen. Denn ich habe in den Büchern, die ich besitze, gefunden, daß es unter den Kräutern ein besonderes gibt; wenn man das nimmt und auspreßt und mit seinem Safte die Füße salbt, so kann man über alle Meere in der Welt Allahs des Erhabenen schreiten. ohne den Fuß zu netzen. Wenn wir also die Schlangenkönigin fangen, so wird sie uns zu jenem. Kraute führen; und wenn wir es finden, so wollen wir es nehmen und auspressen und den Saft sammeln. Dann wollen wir die Schlange ihrer Wege ziehen lassen; wir selbst aber wollen mit dem Safte unsere Füße salben und über die sieben Meere schreiten, bis wir zum Grabe unseres Herrn Salomo kommen. Dort wollen wir den Ring von seinem Finger ziehen und dann herrschen, wie unser Herr Salomo geherrscht hat, und zum Ziel unserer Wünsche gelangen. Danach wollen wir aber auch noch in das Meer der Finsternisse eindringen und von dem Wasser des Lebens trinken; so wird Allah uns bis zum Ende der Zeiten leben lassen, und wir werden mit Mohammed zusammentreffen -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' Als Bulûkija diese Worte von 'Affân vernommen hatte, sprach er zu ihm: ,'Affân, ich werde dich



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zu der Schlangenkönigin führen und dir ihre Stätte zeigen.' Darauf bereitete 'Affân einen eisernen Käfig und nahm zwei Schalen mit sich, eine voll Wein und die andere von Milch. Dann fuhr er mit Bulükija übers Meer dahin, Tag und Nacht, bis sie zu der Insel kamen, auf der die Schlangenkönigin wohnte. Dort gingen die beiden an Land, und nachdem sie auf der Insel eine Strecke weitergeschritten waren, stellte 'Affân den Käfig auf, tat eine Schlinge hinein und setzte in ihn auch die beiden Schalen, von denen die eine mit Wein, die andere mit Milch gefüllt war. Darauf entfernten sich die beiden von dem Käfig und verbargen sich. Nach einer Weile kam auch schon die Schlangenkönigin auf den Käfig zu und näherte sich den beiden Schalen. Eine Weile sah sie sich die an; dann aber, als sie den Duft der Milch roch, glitt sie von dem Rücken der Schlange, die sie trug, herunter, indem sie die Platte verließ, und sie drang in den Käfig ein. Sie kam jedoch zu der Schale, die mit Wein gefüllt war, und trank davon; als sie das getan hatte, ward sie trunken und schlief ein. Sobald 'Affân dessen gewahr geworden war, eilte er zu dem Käfig und schloß die Schlangenkönigin in ihm ein; dann nahm er sie und ging mit Bulûkija fort. Als sie aus ihrem Schlaf erwachte, sah sie sich in einem eisernen Käfig auf dem Kopf eines Mannes, neben dem Bulûkija einherschritt. Bei seinem Anblick rief sie aus: ,Ist das der Lohn derer, die den Menschenkindern kein Leid antun?' Bulûkija antwortete ihr, indem er sprach: ,Fürchte dich nicht vor uns, o Königin der Schlangen! Wir tun dir gewiß nichts zuleide. Wir wünschen von dir nur, daß du uns den Weg weisest zu einem Kraute, dessen Saft, wenn man es nimmt und preßt, dem, der seine Füße mit ihm salbt, die Kraft verleiht,



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über alle Meere in der Welt Allahs des Erhabenen dahin zuschreiten, ohne die Füße zu netzen. Wenn wir das Kraut gefunden und an uns genommen haben, so wollen wir dich an deine Stätte zurückbringen und dich deiner Wege gehen lassen.' Darauf zogen 'Affin und Bulûkija mit der Schlangenkönigin weiter bis zu den Bergen, auf denen die Zauberkräuter wuchsen. Dort gingen sie mit ihr bei allen Kräutern umher, und ein jedes Kraut begann zureden und seine Kraft kundzutun. mit Erlaubnis Allahs des Erhabenen. Während sie so dahin wanderten und die Kräuter rechts und links von ihnen ihre Kräfte kundtaten, hub auf einmal ein Kraut an und sprach: ,Ich bin das Kraut, das einem jeden, der mich nimmt und preßt und mit meinem Safte seine Füße salbt, die Kraft verleiht, über alle Meere in der Welt Allahs des Erhabenen dahin zuschreiten, ohne die Füße zu netzen.' Als 'Affân das Kraut so reden hörte, setzte er den Käfig von seinem Kopfherunter, und beide pflückten von jenem Kraut so viel, wie sie nötig hatten; dann zerdrückten und preßten sie es und füllten den Saft in zwei Flaschen, die sie aufbewahrten. Mit dem, was noch übrig war, salbten sie ihre Füße. Darauf nahmen Bulûkija und 'Affân die Schlangenkönigin und zogen mit ihr Tag und Nacht weiter, bis sic wieder zu der Insel kamen, auf der sie wohnte; dort öffnete 'Affân den Käfig, und die Schlangenkönigin schlüpfte hinaus. Als sie nun in Freiheit war, sprach sie zu den beiden: ,Was wollt ihr mit diesem Safte tun?' Sie antworteten ihr: ,Wir wollen damit unsere Füße salben, auf daß wir die sieben Meere durchqueren können und zum Grabe unseres Herrn Salomo gelangen und den Siegelring von seinem Finger ziehen.' Doch die Schlangenkönigin rief: ,Ihr seid weit davon entfernt, daß ihr den Siegelring gewinnen könntet!' ,Weshalb?' fragten die beiden; und sie antwortete ihnen: ,Weil Allah der



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Erhabene jenen Ring dem König Salomo als Geschenk verliehen und ihn allein dadurch ausgezeichnet hat, da er zu Ihm sprach: ,O Herr, gib mir ein Königreich, wie es keiner nach mir besitzen soll; denn du bist der Alispender!" Wie sollte jener Ring an euch kommen?' Dann fuhr sie jedoch fort: ,Wenn ihr das Kraut genommen hättet, das jeden, der von ihm ißt, leben läßt bis zum ersten Posaunenstoße, und das unter jenen Kräutern steht, so wäre es besser für euch gewesen als das, was ihr erhalten habt; denn dadurch werdet ihr euer Ziel nicht erreichen.' Als sie diese Worte von ihr vernommen hatten, kam bittere Reue über sie, und sie gingen ihrer Wege. ---«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 489. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß über Bulûkija und 'Affân, als sie die Worte der Schlangenkönigin vernommen hatten, bittere Reue kam und daß sie dann ihrer Wege gingen. So stand es damals um die beiden. Die Schlangenkönigin aber kam wieder zu ihren Scharen und sah, daß es sehr schlecht um sie stand; denn die Starken unter ihnen waren schwach geworden, und die Schwachen waren gestorben. Doch als die Schlangen ihre Königin wieder bei sich sahen, waren sie erfreut und drängten sich um sie und fragten sie: ,Was ist dir geschehen? Wo bist du gewesen?' Da erzählte sie ihnen alles, was sie mit Bulûkija und Affân erlebt hatte; und darauf sammelte sie ihre Heere und begab sich mit ihnen zum Berge Kâf wo sie zu überwintern pflegte, während sie den Sommer an der Stätte verbrachte, an der Hâsib Karîm ed-Dîn sie getroffen hatte. Darauf schloß die Schlange ihre Erzählung mit den Worten: ,Dies, o Hâsib, ist meine Geschichte; dies ist es, was mir widerfahren ist.'



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Hâsib Karîm ed-Dîn war über die Worte der Schlange sehr erstaunt. Und dann sprach er zu ihr: ,Ich wünschte, du möchtest in deiner Güte einem deiner Trabanten befehlen, mich wieder an die Oberfläche der Erde zu bringen, auf daß ich zu den Meinen gehen kann!' Doch die Schlangenkönigin erwiderte ihm: ,O Hâsib, du sollst uns nicht eher verlassen, als bis es Winter wird; denn du sollst noch mit uns zum Berge Kâf gehen und dort alles sehen, Hügel und Dünen, die Bäume, die grünen, und die Vögel all, die den Einen, Allmächtigen, lobpreisen mit lautem Schall; dort sollst du auch all die Dämonen, Teufel und Geister schauen, deren Zahl nur Allah der Erhabene kennt.' Als Hâsib Karîm ed-Dîn die Worte der Schlangenkönigin vernommen hatte, erfüllten Schmerz und Kummer sein Herz; und er sprach zu ihr: ,Erzähle mir weiter von 'Affân und Bulûkija! Als sie dich verlassen hatten und ihrer Wege gezogen waren, haben sie dann die sieben Meere durchquert und das Grab unseres Herrn Salomo erreicht oder nicht? Und wenn sie zu dem Grabe gekommen sind, haben sie den Siegelring zu gewinnen vermocht oder nicht?'

Da erzählte sie weiter: ,Wisse, als 'Affân und Bulûkija mich verlassen hatten und von dannen gingen, salbten sie ihre Füße mit jenem Saft und schritten auf der Oberfläche des Wassers dahin, und auf ihrer Wanderung schauten sie die Wunder der Meerestiefe. Sie zogen von Meer zu Meer unaufhörlich weiter, bis sie die sieben Meere durchquert hatten; und als sie am Ende waren, erblickten sie einen hohen Berg, der gen Himmel emporragte. Der war von grünem Smaragd, sein Erdreich bestand aus lauter Moschus, und ein sprudelte auf ihm. Als sie zu jener Stätte gekommen waren, freuten sie sich und sprachen: ,Jetzt haben wir unser Ziel erreicht!' Darauf zogen sie weiter, bis sie zu einem anderen hohen Berge kamen, und auf dem



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kletterten sie empor; da erblickten sie in der Ferne eine Höhle, über der sich eine große Kuppel wölbte, strahlend von Licht. Wie sie diese Höhle erblickten, gingen sie auf sie zu, und als sie dort ankamen, traten sie ein. Da sahen sie in ihr ein goldenes Thronlager stehen, das mit Edelsteinen aller Art besetzt war, und rings darum standen Stühle, deren Zahl nur Allah der Erhabene allein berechnen kann. Auf jenem Thronlager sahen sie unseren Herrn Salomo liegen, angetan mit einem Prachtgewande aus grüner Seide, das mit Gold durchwirkt und mit den kostbarsten Edelsteinen besetzt war; seine rechte Hand lag auf seiner Brust, und der Siegelring war an seinem Finger, und der Stein des Ringes hatte einen so strahlenden Glanz, daß er das Licht aller Juwelen verdunkelte, die in jenem Raume waren. Nun lehrte 'Affân den Jüngling Bulûkija Beschwörungsformeln und Zaubersprüche und sprach zu ihm: ,Sprich diese Formeln und hör nicht eher auf zu beschwören, als bis ich den Ring genommen habe.' Dann trat 'Affân nahe an das Thronlager heran; aber da, plötzlich, schoß eine riesenhafte Schlange unter dem Lager hervor und stieß einen so gewaltigen Schrei aus, daß jener ganze Raum davon erbebte, und Funken sprühten aus ihrem Rachen. Darauf sprach die Schlange zu 'Affân: ,Hinweg, oder du bist des Todes!' 'Affân aber beharrte dabei, Beschwörungsformeln zu murmeln, und ließ sich nicht durch jene Schlange abschrecken. Da blies sie ihn mit einem so furchtbaren Hauche an, daß es war, als müsse die ganze Stätte in Flammen aufgehen, und sie rief: ,Weh dir, zurück, oder ich verbrenne dich!' Als Bulûkija diese Worte von der Schlange hörte, lief er aus der Höhle hinaus; doch 'Affân ließ sich auch dadurch nicht abschrecken, sondern er wagte es, an unseren Herrn Salomo heranzutreten und seine Hand auszustrecken und den Ring zu berühren. Allein wie er ihn von dem Finger



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des Königs herunterziehen wollte, blies die Schlange ihren Odem wider ihn und verbrannte ihn, und er ward zu einem Häuflein Asche.

So erging es 'Affân. Sehen wir nun, was mit Bulûkija geschah! Der fiel ohnmächtig nieder, als er so Furchtbares erleben mußte.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 490. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Bulûkija, als er sah, daß 'Affân verbrannt und zu einem Häuflein Asche geworden war, ohnmächtig niederfiel. Des Herrn glorreiche Majestät aber befahl dem Engel Gabriel, zur Erde hinabzusteigen, ehe die Schlange ihren Odem wider Bulûkija blasen konnte. Und eilends schwebte der Engel zur Erde hinab; dort sah er, wie Bulûkija ohnmächtig am Boden lag und 'Affân durch den Odem der Schlange verbrannt war. Er trat an Bulûkija heran und erweckte ihn aus seiner Ohnmacht; und als der Jüngling wieder zu sich gekommen war, grüßte Gabriel ihn und fragte ihn: ,Wie seid ihr zu dieser Stätte gekommen?' Bulûkija erzählte ihm seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende und schloß mit den Worten: ,So wisse denn, ich bin nur um Mohammeds willen -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! zu diesem Orte gekommen. Denn 'Affân tat mir kund, der Prophet werde am Ende der Zeiten gesandt werden, und nur wer bis zu jener Zeit lebe, würde mit ihm zusammen sein; aber keiner werde bis zu jener Zeit leben, es sei denn, er habe von dem Wasser des Lebens getrunken; und das könne nur durch den Siegelring Salomos - Friede sei mit ihm! — gewonnen werden. Darum geleitete ich ihn an diese Stätte, und hier widerfuhr ihm, was geschehen ist; da liegt er nun verbrannt, ich



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aber entging dem Feuer, und jetzt ist es mein höchster Wunsch, daß du mir kundtuest, wo Mohammed ist.' ,O Bulûkija,' erwiderte Gabriel ihm, ,geh deiner Wege, denn die Zeit Mohammeds liegt noch in weiter Ferne!' Und zur selbigen Stunde schwebte Gabriel gen Himmel empor. Bulûkija aber begann bitterlich zu weinen und bereute, was er getan hatte, indem er der Worte der Schlangenkönigin gedachte, die ihm gesagt hatte: ,Es liegt in keines Menschen Hand, daß er den Siegelring gewinnen könnte!' So stand Bulûkija da in ratloser Verwirrung und weinte. Danach stieg er von dem Berge hinab und ging immer weiter, bis er zum Ufer des Meeres kam. Dort setzte er sich eine Weile nieder und betrachtete voll Verwunderung die Berge und Meere und Inseln ringsum. Die Nacht über blieb er an jener Stätte. Doch als es Morgen ward, salbte er seine Füße mit dem Safte, den sie von jenem Kraute gewonnen hatten, stieg auf das Wasser hinab und wanderte dahin, Tag und Nacht, staunend ob der Schrecken und der seltsamen Wunder der Tiefe. Immer weiter schritt er auf der Oberfläche des Meeres dahin, bis er zu einer Insel gelangte, die dem Paradiese glich. Auf jener Insel ging Bulûkija an Land, verwundert über ihre Schönheit. Dann schritt er landeinwärts und sah, daß es ein großes Eiland war: die Erde dort war Safran, die Kiesel waren Rubine und kostbare Edelsteine, die Hecken waren Jasminsträucher, und was dort wuchs, waren die schönsten Bäume und die lieblichsten und duftigsten Pflanzen. Dort rieselten Quellen, das Brennholz war Aloe aus Komorin und Sumatra, und das Schilf war Zuckerrohr. Ringsum blühten Rosen. Narzissen, Amaranten, Nelken, Kamillen, Lilien und Veilchen von allen Arten und Farben; und die Vögelein sangen auf den Bäumen. Ja, die Insel war ein herrliches Land, ihre Grenzen waren weit gespannt, und viel war des Schönen, das



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auf ihr sich befand. Es war, als ob der Inbegriff aller Schönheit sie umschlang; und das Singen ihrer Vögel war lieblicher als der Laute zarter Klang. Die Bäume ragten empor, die Vögelein zwitscherten im Chor, die Bäche sprudelten hervor; und es rannen aus jedem Quell die Wasser, süß und silberhell. Die Gazellen sprangen auf den Auen, und zierliche Wildkälber waren dort zu schauen. Der Schall der Vogelstimmen auf den Zweigen war so süß, daß er den Liebeskranken all sein Leid vergessen ließ. Bulûkija wunderte sich über dies Eiland und erkannte, daß er von dem Wege abgewichen war, den er zuvor, als 'Affân ihn begleitete, durchmessen hatte. Er schritt nun auf jener Insel umher und schaute sie sich an, bis es Abend ward. Doch als die Nacht über ihn hereinhrach, stieg er auf einen hohen Baum. um dort oben zu schlafen. Während er so auf dem Baume saß und über die Schönheit der Insel nachdachte. geriet die See plötzlich in Aufruhr, und ein Ungeheuer stieg aus ihr empor. Das stieß einen so furchtbaren Schrei aus, daß alle Tiere auf jenem Eiland erschraken. Bulûkija schaute von seinem Baum hinab und erkannte, daß es ein gewaltiges Untier war; darüber war er sehr erstaunt. Aber ehe er sich dessen versah, stiegen plötzlich hinter jenem vielerlei andere Ungeheuer aus dem Meere auf, und ein jedes von ihnen hielt in der Vorderpfote einen Edelstein, der hell wie eine Leuchte glänzte, so daß die Insel von dem Glanze all der Juwelen wie vom Tageslicht übergossen ward. Nach einer kurzen Weile kamen auch von der Insel her viele wilde Tiere, deren Zahl nur Allah der Erhabene kannte. Bulûkija schaute auf sie hinab und sah, daß es Tiere der Wildnis waren, Löwen, Panther, Geparden und anderes Getier des Feldes. Diese Tiere des Landes nun zogen immer weiter dahin, bis sie mit den Tieren des Meeres am Ufer der Insel zusammentrafen, und alle unterhielten sich



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miteinander bis zum Morgen. Als aber der nächste Tag anbrach, trennten sie sich, und ein jedes von ihnen ging seiner Wege. Voll Furcht vor alledem, was er gesehen hatte, stieg Bulûkija von dem Baume und begab sich zum Strande. Dort salbte er wiederum seine Füße mit dem Safte, den er bei sich trug, und ging zum zweiten Meere hinab. Tag und Nacht wanderte er über die Oberfläche des Wassers dahin, bis er zu einem großen Gebirge gelangte, an dessen Fuß sich ein endloser Wadi hinzog; in jenem Wadi waren die Steine aus Magneteisen, und es war bewohnt von Löwen, Hasen und Panthern. Bulûkija ging bei dem Gebirge an Land und wanderte an ihm entlang von Ort zu Ort, bis es Nacht um ihn ward. Da setzte er sich am Fuße eines der Bergesgipfel nieder, in der Nähe der See, und begann von den getrockneten Fischen zu essen, die das Meer an den Strand geworfen hatte. Während er nun dort saß und sich von den Fischen nährte, schlich plötzlich ein großer Panther auf ihn zu und wollte ihn zerreißen. Bulûkija aber gewahrte ihn, wie er auf ihn zukam, um ihn zu fressen; darum salbte er rasch seine Füße mit dem Saft, den er bei sich hatte, und eilte zum dritten Meere hinunter, um sich vor jenem Raubtier zu retten. Und dann wanderte er auf der Oberfläche des Wassers durch das Dunkel dahin; schwarz war die Nacht, und es tobte der Sturm. Immer weiter zog er dahin, bis er wieder zu einer Insel kam; dort ging er an Land, und er fand auf ihr allerlei Bäume, grüne und trockene. Von ihren Früchten pflückte Bulûkija, und er aß und dankte Allah dem Erhabenen. Und dann ging er auf der Insel bis zum Abend umher und schaute sie sich an. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 491. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß Bulûkija auf jener Insel umherging und sie sich anschaute. Bis zur Abendzeit wanderte er schauend umher, dann legte er sich dort schlafen. Als es wieder Morgen ward, forschte er weiter nach allen Seiten; und er war zehn Tage damit beschäftigt, sie zu erkunden. Danach aber kam er wieder zum Meeresufer, salbte seine Füße. stieg zum vierten Meere hinab und wanderte Tag und Nacht auf der Oberfläche des Wassers weiter, bis er von neuem zu einer Insel gelangte. Er sah, daß ihr Boden aus feinem, weißem Sande bestand und daß es auf ihr weder Bäume noch irgendwelche Pflanzen gab; eine Weile schritt er auf ihr umher, und da entdeckte er, daß sie keine anderen Bewohner hatte als Sakerfalken, die im Sande nisteten. So salbte er denn wiederum seine Füße und stieg zum fünften Meere hinab und wanderte auf dem Wasser dahin und zog immer weiter, Tag und Nacht, bis er zu einer kleinen Insel kam, deren Boden und Berge wie Kristall leuchteten. Dort waren auch die Adern, aus denen das Gold gewonnen wird, und seltsame Bäume, wie er sie auf seiner Reise noch nie gesehen hatte, und Blumen, deren Farben wie Gold waren. Nachdem Bulûkija auf jener Insel an Land gegangen war, schaute er sich auf ihr um bis zur Abendzeit. Als aber das Dunkel ihn umgab, leuchteten die Blumen auf der Insel plötzlich wie Sterne. Er staunte über den Anblick, und er sprach: ,Die Blumen dieser Insel sind sicherlich solche, die trocken von der Sonne auf die Erde fallen, wo der Wind sie dahintreibt, so daß sie sich unter den Felsen sammeln und zum Stein der Weisen werden, aus dem die Menschen, wenn sie ilan finden, Gold machen.' Nun schlief Bulükija auf der Insel bis zum Morgen. Doch als die Sonne aufging, salbte er seine Füße mit dem Saft, den er bei sich trug, stieg zum sechsten Meere hinab und wanderte Tag und Nacht dahin, bis er wieder zu



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einer Insel kam. Dort ging er an Land und schritt eine Weile landeinwärts. Da entdeckte er auf ihr zwei Berge, die mit vielen Bäumen bewachsen waren; und die Früchte jener Bäume sahen aus wie Menschenköpfe, die an den Haaren aufgehängt waren. Weiter sah er dort andere Bäume, deren Früchte wie grüne Vögel, an den Füßen aufgehängt, aussahen. Eine dritte Art von Bäumen aber schien wie Feuer zu glühen; die hatten Früchte wie die Abc, und wenn ein Tropfen von ihnen auf einen Menschen fiel, so wurde er von ihm verbrannt. Ja, Bulûkija entdeckte auch Früchte, die lachten, und andere, die weinten. Und so sah er der Wunder viele auf jener Insel. Dann aber begab er sich zum Ufer des Meeres und setzte sich unter einen großen Baum, den er dort fand, bis zur Abendzeit. Und als das Dunkel hereinbrach, stieg er auf jenen Baum hinauf und begann über die wunderbaren Werke Allahs nachzusinnen. Während er nun dort saß, geriet plötzlich das Meer in Wallung, und es stiegen die Seejungfrauen aus ihm empor; eine jede von ihnen trug ein Juwel in der Hand, das da leuchtete wie der junge Morgen. Sie kamen an Land und gerade auf jenen Baum zu, setzten sich, spielten und tanzten in lauter Fröhlichkeit, während Bulûkija ihnen zuschaute; und das taten sie bis zum Morgen. Als es aber Tag ward, verschwanden sie wieder im Meere. Staunend über das, was er gesehen, kletterte Bulûkija von dem Baume herunter, salbte seine Füße mit seinem Zaubersaft und stieg in das siebente Meer hinab. Zwei volle Monate wanderte er ohne Aufenthalt dahin, ohne einen Berg oder eine Insel, ein Land oder eine Flußmündung oder einen Strand zu erblicken, bis er jenes ganze Meer durchquert hatte. Er litt aber dort unter nagendem Hunger, so daß er gar die Fische aus dem Meere aufgriff und roh verschlang, weil ihn der Hunger so sehr quälte. In dieser Weise war er dahingezogen,



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bis seine Fahrt bei einer Insel ihr Ende fand, wo viele Bäume sprossen und zahlreiche Bäche flossen. Dort ging er an Land und schritt weiter, indem er nach rechts und links Ausschau hielt. Das war an einem frühen Vormittage. Auf seinem Wege kam er auch zu einem Apfelbaum; da streckte er seine Hand aus, um von der Frucht des Baumes zu essen. Doch plötzlich schrie eine Gestalt aus dem Baum ihn an mit den Worten: ,Wenn du dich diesem Baum nahst und etwas von seiner Frucht issest, so spalte ich dich in zwei Stücke!' Und als Bulûkija jene Gestalt anblickte, erkannte er, daß es ein Riese war, der vierzig Ellen maß, nach der Elle der Menschen jener Zeit. Bei seinem Anblicke geriet der Jüngling in große Furcht, und er wich von dem Baum zurück. Dann aber fragte er den Riesen: ,Weshalb verbietest du mir, von diesem Baum zu essen?' Jener erwiderte: ,Weil du ein Sohn Adams bist, und weil dein Vater Adam den Bund Allahs vergessen und sich wider Gott empört hat, als er von dem Baum aß.' Weiter fragte Bulûkija: ,Was für ein Wesen bist du denn? Wem gehören diese Insel und diese Bäume? Und wie heißest du?' Der Riese antwortete ihm: ,Ich heiße Scharâhija', und diese Bäume und die Insel gehören dem König Sachr'; ich bin einer von seinen Wächtern, und er hat mich mit der Obhut dieser Insel betraut.' Dann aber fragte Scharâhija den Jüngling: ,Wer bist du? Und wie bist du in dies Land gekommen?' Da erzählte Bulûkija ihm seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende, und der Riese sprach zu



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ihm: ,Fürchte dich nicht!' und brachte ihm zu essen. Bulûkija aß, bis er gesättigt war, nahm Abschied von Scharâhija und ging von dannen. Zehn Tage lang wanderte er nun wieder weiter. Und während er so über Berg und Tal dahinzog, erblickte er plötzlich eine Staubwolke, die sich in der Luft zusammenballte. Als er auf jene Wolke zuschritt, hörte er ein Schreien und Schlagen und gewaltiges Tosen. Und weiter ging er der Wolke nach, und da kam er in ein großes Wadi, das wohl eine Reise von zwei Monaten lang war. Nun schaute er dorthin, von wo jener Lärm kam, und er erblickte viel Volks, das auf Pferden beritten war und miteinander kämpfte; und das Blut floß um sie, bis es einem Strome gleich ward. Ihre Stimmen waren wie Donner, und sie waren bewaffnet mit Lanzen und Schwertern, eisernen Keulen, Bogen und Pfeilen, und waren in wildem Kampfe begriffen. Bulûkija aber ward von großer Furcht gepackt. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 492. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Bulûkija, als er jenes Volk mit Waffen in den Händen in wildem Kampfe begriffen sah, von großer Furcht gepackt ward und in ratloser Verwirrung stehen blieb. Doch wie er so dastand, wurden sie seiner gewahr. Und bei seinem Anblick ließen sie voneinander ab und hörten auf zu kämpfen. Dann ritt eine Schar von ihnen auf ihn zu. und als die Reiter ihn aus der Nähe sahen, wunderten sie sich über seine Gestalt. Einer von ihnen aber ritt an ihn heran und fragte ihn: ,Was für ein Wesen bist du? Woher kommst du, und wohin gehst du? Und wer hat dich diesen Weg geführt, so daß du in unser Land gelangt bist?' Bulûkija gab ihm zur Antwort: ,Ich bin ein Menschenkind, und ich bin



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ausgezogen, von Liebe ergriffen zu Mohammed -Allah segne ilm und gebe ihm Heil! Doch ich bin vom Wege abgeirrt.' Da sprach der Reiter zu ihm: ,Wir haben noch nie ein Menschenkind gesehen; keines ist je in dies Land gekommen.' Und alle wunderten sich über seine Gestalt und seine Worte. Nun fragte Bulükija sie, indem er sprach: ,Was für Geschöpfe seid denn ihr?' ,Wir gehören zu den Geistern', erwiderte der Reiter; und Bulükija fragte wiederum: ,O Reitersmann, was war die Ursache des Kampfes, der zwischen euch tobte? Wo ist eure Wohnstätte? Und wie heißt dies Wadi und diese Gegend?' Da antwortete der Reiter: ,Unsere Wohnstätte ist das Weiße Land; und in jedem Jahre befiehlt uns Allah der Erhabene, in dies Land zu ziehen und gegen die ungläubigen Geister Krieg zu führen.' ,Wo ist denn das Weiße Land?' fragte Bulükija, und der Reiter antwortete: ,Einen Weg von fünfundsiebenzig Jahren hinter dem Berge Kâf; und dies Land hier heißt das Land des Schaddâd ibn 'Âd.' Wir sind jetzt hierher gekommen, um Krieg zu führen; sonst haben wir nichts anderes zu tun, als Gott zu preisen und zu heiligen. Wir haben auch einen König, der heißt König Sachr; und du mußt mit uns zu ihm gehen, auf daß er dich sieht und sich an deinem Anblick erfreut.' Darauf zogen sie mit Bulûkija fort, bis sie zu ihrer Wohnstätte kamen. Dort erblickte er große Prunkzelte aus grüner Seide, so viele, daß nur Allah der Erhabene ihre Zahl kannte; und in ihrer Mitte sah er ein Zelt aus roter Seide stehen, das wohl tausend Ellen lang war; es hatte Stricke aus blauer Seide und Pflöcke aus Gold und Silber. Verwundert betrachtete Bulûkija jenes Zelt. Die Leute aber führten ihn gerade zu dem Zelte; und siehe, es war das Zelt des Königs Sachr. Sie traten mit ihm dort ein und brachten ihn vor ihren



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Herrscher. Da schaute Bulükija auf den König und sah, daß er auf einem großen Thron aus rotem Golde saß, der mit Perlen und Edelsteinen besetzt war; zu seiner Rechten standen die Geisterkönige, und zu seiner Linken waren die Weisen und die Emire und die Großen des Reiches und andere Vornehme aufgereiht. Als nun König Sachr den Jüngling sah, gebot er, ihn herbeizuführen; als das geschehen war, trat Bulûkija vor, sprach den Gruß und küßte den Boden vor ihm. König Sachr erwiderte seinen Gruß und sprach dann zu ihm: ,Tritt näher zu mir, o Mann!' Darauf trat Bulûkija heran, bis er nahe vor dem König stand; der befahl nunmehr, man solle für ihn einen Stuhl zu seiner Seite aufstellen. Und als die Diener für ihn einen Stuhl neben dem König hingesetzt hatten, befahl dieser, Bulûkija solle sich auf ihn niederlassen. Der Jüngling tat es, und dann fragte König Sachr ihn, indem er sprach: ,Was für ein Wesen bist du?' Jener gab zur Antwort: ,Ich bin ein Menschenkind von den Kindern Israel.' ,Erzähle mir deine Geschichte,' befahl der König, ,und tu mir alles kund, was du erlebt hast, und wie du in dies Land gekommen bist!' So erzählte Bulûkija ihm denn alles, was ihm auf seiner Reise widerfahren war, von Anfang bis zu Ende. Über seine Rede war König Sachr höchlichst verwundert. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 493. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König Sachr, als Bulûkija ihm alles, was ihm auf seiner Reise widerfahren war, von Anfang bis zu Ende erzählt hatte, darüber höchlichst verwundert war. Darauf befahl er den Dienern, den Speisetisch zu bringen, und sie brachten den Tisch und breiteten ihn aus. Dann brachten sie Schüsseln aus rotem Golde. andere aus



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Silber und noch andere aus Kupfer; einige von ihnen enthielten fünfzig gesottene Kamele, andere zwanzig Kamele, und wieder andere fünfzig Schafe; die Zahl der Schüsseln aber betrug eintausend und fünfhundert. Über diesen Anblick erstaunte Bulûkija gewaltig. Dann aßen sie, und er aß mit ihnen, bis er gesättigt war und Allah dem Erhabenen dankte. Darauf räumte man die Tische ab und brachte Früchte. Nachdem sie auch davon gegessen hatten, priesen sie Allah den Erhabenen und seinen Propheten Mohammed - Er segne ihn und gebe ihm Heil! Wie aber Bulûkija hörte, daß sie Mohammed nannten, sprach er verwundert zum König Sachr: ,Ich möchte eine Frage an dich richten.' ,Frage, was du willst', erwiderte der König; und Bulûkija fuhr fort: ,O König, was für Wesen seid ihr? Woher stammt ihr? Und woher kennt ihr Mohammed - Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, so daß ihr ihn segnet und liebt?' Darauf sagte der König: ,O Bulûkija, Allah der Erhabene hat die Hölle in sieben Schichten geschaffen, eine über der anderen, und zwischen je zwei Schichten liegt ein Weg von tausend Jahren. Die erste Schicht hat er Dschahannam genannt, und die hat er für die Sünder unter den Gläubigen bestimmt, die ohne Reue sterben. Die zweite Schicht heißt Laza. und die hat er für die Ungläubigen bestimmt. Die dritte Schicht heißt al-Dschahîm, und die hat er Gog und Magog' zugewiesen. Die vierte heißt es-Sa'îr, und die ist für das Volk des Teufels. Die fünfte heißt Sakar, und die ist für die, so das Gebet versäumten. Die sechste heißt el-Hatama, und die ist für die Juden und Nazarener bestimmt. Die siebente aber heißt el-Hâwija, und die hat er für die Heuchler bestimmt. Dies sind



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die sieben Höllenschichten." Nun fragte Bulûkija: ,Hat vielleicht Dschahannam die geringsten Qualen, da sie ja die oberste ist?' ,Ja,' sprach König Sachr, ,sie birgt weniger Qualen als alle anderen; dennoch sind in ihr tausend Feuerberge, und bei jedem Berge sind siebenzigtausend Feuerströme, und an jedem Strome sind siebenzigtausend Feuerstädte, und in jeder Stadt siebenzigtausend Feuerburgen und siebenzigtausend Feuerhäuser, und in jedem Hause sind siebenzigtausend Feuerlager, und auf jedem Lager gibt es siebenzigtausend Arten von Qualen. Nun gibt es also in all den Feuerschichten, o Bulûkija, keine leichteren Qualen als die in Dschahannam, da sie die erste Schicht ist. Aber wie viele Arten von Qualen es in den anderen gibt, das weiß nur Allah der Erhabene.' Als Bulûkija diese Worte aus dem Munde des Königs Sachr vernommen hatte, sank er ohnmächtig zu Boden. Doch wie er aus seiner Ohnmacht erwachte, hub er an zu weinen, und er sprach: ,O König, wie wird es mir ergehen?' König Sachr gab ihm zur Antwort: ,Fürchte dich nicht, Bulûkija! Wisse, wer Mohammed liebt, den verbrennt das Feuer nicht; denn er ist um seinetwillen davon befreit, und wer seinem Glauben angehört, den rührt das Feuer nicht an. Uns aber erschuf Allah der Erhabene aus dem Feuer; und die ersten Wesen, die Er in Dschahannam erschuf, waren zwei Geschöpfe aus seinen Heerscharen, eins namens Chaît und ein anderes namens Malît. Den Chalât erschuf er nach dem Bilde eines Löwen, den Malît aber nach der Gestalt eines Wolfes. Der Schweif des Malît war von scheckiger Farbe und hatte das Aussehen einer weiblichen Schildkröte, während Chalîts Schweif einer männlichen Schlange glich, die eine Reise von zwanzig Jahren lang war. Dann befahl Allah der Erhabene den beiden Schweifen, sich zu paaren;



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und da entstanden aus ihnen Schlangen und Skorpione, deren Wohnstätte im Höllenfeuer ist, auf daß Allah durch sie alle foltert, die dorthin kommen. Jene Schlangen und Skorpione waren fruchtbar und mehrten sich. Darauf befahl Allah der Erhabene den Schweifen von Chalît und Malît, sich zum zweiten Male zu paaren, und sie taten es. Da empfing Malîts Schweif von dem Schweife Chalîts, und als er Wesen zur Welt brachte, waren es sieben männliche und sieben weibliche. Die wuchsen heran, und als sie groß geworden waren, vermählten sich die weiblichen Wesen mit den männlichen. Und alle waren ihrem Schöpfer gehorsam, nur einer von ihnen nicht; der empörte sich wider seinen Erzeuger und ward zu einem Wurme. Und jener Wurm, das ist Iblis, der Teufel, den Allah der Erhabene verfluchen möge. Nun war freilich Iblis einer der Erzengel gewesen; denn er hatte Gott dem Erhabenen gedient, bis er in den Himmel erhoben und zu einem Vertrauten des Erbarmers geworden war, und er war sogar zum Oberhaupte der Erzengel geworden.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 494. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Iblis früher Gott dem Erhabenen gedient hatte und zum Oberhaupte der Erzengel geworden war. Als nun Gott der Erhabene den Adam - Friede sei mit ihm! —erschaffen hatte, befahl er dem Iblis, er solle sich vor ihm niederwerfen. Aber er weigerte sich dessen; und Gott der Erhabene vertrieb ihn und verfluchte ihn. Die Nachkommen des Iblis aber sind die Satane. Die sechs anderen männlichen Kinder, die älter waren als er, sind die Vorfahren der gläubigen Geister, und wir sind von ihrem Stamme. Das ist unser Ursprung, o Bulûkija.' Der Jüngling erstaunte ob der



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Worte des Königs Sachr und bat dann: ,O König, ich habe den Wunsch, du möchtest einem deiner Leibwächter befehlen, daß er mich in mein Heimatland zurückbringt.' ,Dergleichen können wir nicht tun,' erwiderte König Sachr, ,es sei denn, daß Allah der Erhabene es uns befiehlt. Wenn du aber von uns gehen willst, o Bulûkija, so will ich dir von meinen Rossen eine Stute bringen und dich auf ihrem Rücken reiten lassen und ihr befehlen, daß sie dich bis an die äußerste Grenze meines Reiches bringt. Wenn du dort angekommen bist, so wirst du das Heer eines anderen Königs treffen, der Barâchija heißt; und wenn die Leute die Stute sehen und sie erkennen, so werden sie dich von ihr absteigen lassen und sie zu uns zurücksenden; das ist alles, was wir tun können, mehr vermögen wir nicht.' Als Bulûkija diese Worte hörte, weinte er und sprach zum König: ,Tu, was du willst!' Darauf befahl der König, die Stute zu bringen; die Diener führten den Befehl aus und hoben den Jüngling auf ihren Rücken, indem sie sprachen: ,Hüte dich, von ihr abzusteigen, oder sie zu schlagen, oder ihr ins Ohr zu schreien; denn wenn du das tust, so wird sie dir den Tod bringen! Bleib vielmehr immer ruhig auf ihr sitzen, bis sie mit dir halt macht; dann steig ab und geh deiner Wege!' ,Ich höre und gehorche!' antwortete Bulûkija; dann saß er auf und ritt zwischen den Zelten eine lange Strecke dahin, immer weiter, bis er bei der Küche des Königs Sachr vorbeikam; dort sah er Kessel, von denen ein jeder fünfzig Kamele enthielt, über dem lodernden Feuer hängen. Als Bulûkija jene gewaltigen Kessel erblickte, betrachtete er sie mit großer Verwunderung, und er schaute mit immer wachsendem Erstaunen dorthin. Der König aber, der ihm nachblickte und sah, wie er die Küche bewunderte, tat so, als glaube er, Bulûkija sei hungrig, und befahl, ihm zwei geröstete Kamele zu bringen. Da



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brachte man ihm die beiden Tiere und band sie hinter ihm auf dem Rücken der Stute fest. Nun verabschiedete der Jüngling sich von ihnen und ritt weiter, bis er an die äußerste Grenze des Reiches von König Sachr gelangte. Die Stute blieb stehen; Bulûkija saß ab von ihr und schüttelte den Staub der Reise aus seinen Kleidern. Plötzlich kamen Leute zu ihm, erblickten die Stute und erkannten sie, nahmen sie und führten sie dahin, während Bulûkija sie begleitete, bis sie zum König Barâchija kamen. Nachdem der Jüngling bei diesem König eingetreten war, sprach er den Gruß, und jener erwiderte ihn. Dann blickte Bulûkija den König an und sah, daß erin einem großen Prunkzelt saß, rechts und links von seinen Kriegern und Helden und Geisterkönigen umgeben. Nun hieß der König den Jüngling näher treten; da trat er herzu, und der König wies ihm einen Sitz zu seiner Seite an; und alsbald befahl er, den Speisetisch zu bringen. Derweilen betrachtete Bulûkija den König Barâchija und fand, daß er dem König Sachr glich. Nachdem die Speisen aufgetragen waren, aßen alle, auch Bulükija, bis er gesättigt war und Allah dem Erhabenen dankte. Dann trug manche Speisen ab und brachte die Früchte; und als sie davon gegessen hatten, fragte König Barâchija den Jüngling Bulûkija und sprach: ,Wann hast du König Sachr verlassene' ,Vor zwei Tagen', antwortete jener; und der König fuhr fort: ,Weißt du, wieviel Tagereisen du in diesen beiden Tagen zurückgelegt hast?' ,Nein', erwiderte der Jüngling. Der König sagte darauf: ,Eine Reise von siebenzig Monaten.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 495. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Barâchija zu Bulükija sprach: ,Du hast in diesen beiden Tagen eine Reise



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von siebenzig Monaten zurückgelegt. Wisse aber, als du die Stute bestiegen hattest, erschrak sie vor dir, da sie merkte, daß du ein Menschenkind bist, und sie wollte dich abwerfen; darum wurde sie mit diesen beiden Kamelen beschwert.' Als Bulûkija diese Worte von König Barâchija vernahm, war er überrascht und dankte Allah dem Erhabenen für seine Rettung. Dann sprach der König zu dem Jüngling: ,Erzähle mir, was du erlebt hast und wie du in dies Land gekommen bist!' Da erzählte Bulükija ihm alles, was er erlebt hatte und wie er umhergezogen und in jenes Land gekommen war. Der König sprach seine Verwunderung über diese Geschichte aus; und der Jüngling blieb zwei Monate bei ihm. —

Wie nun Hâsib Karîm ed-Dîn diese Erzählung der Schlangenkönigin gehört hatte, war er höchlichst erstaunt. Doch dann bat er sie von neuem: ,Ich möchte, du wollest in deiner Huld und Güte einem deiner Wächter den Befehl geben, mich an die Oberfläche der Erde zu bringen, auf daß ich zu den Meinen heimkehren kann.' Die Schlangenkönigin aber sprach zu ihm: .O Hâsib Karîm ed-Dîn, ich weiß, daß du, wenn du an die Oberfläche der Erde kommst, zu den Deinen heimkehren und dich alsbald in das Badehaus begeben und dich dort waschen wirst; doch in demselben Augenblicke, in dem du deine Waschung beendest, werde ich sterben; denn dies wird die Ursache meines Todes sein.' Hâsib wendete ihr ein: ,Ich schwöre dir, daß ich in meinem ganzen Leben nie wieder ein Badehaus betreten werde; wenn ich mich waschen muß, so will ich es stets in meinem Hause tun.' Da sprach die Schlangenkönigin: ,Wenn du mir auch hundert Eide schwörst, so glaube ich dir doch nicht; dergleichen geschieht in Wirklichkeit nie. Ich weiß, daß du ein Sohn Adams bist, und kein Versprechen gilt bei dir. Dein Vater Adam hatte einen Bund mit



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Allah geschlossen, aber er brach den Bund. Gott der Erhabene hatte vierzig Morgen lang den Lehm geknetet, aus dem Er ilm erschuf, und ließ Seine Engel vor ihm sich niederwerfen; dennoch, nach alledem, vergaß und brach Adam seinen Schwur und handelte dem Gebote seines Herrn zuwider.' Als Hâsib diese Worte vernahm, schwieg er und brach in Tränen aus; und zehn Tage lang weinte er immerfort. Doch dann sprach er zu der Schlangenkönigin: ,Erzähle mir, wie es Bulûkija erging, nachdem er die beiden Monate hindurch bei dem König Barâchija geblieben war!' Da hub sie an:

,Wisse, o Hâsib, nachdem Bulûkija so lange bei dem König Barâchija geblieben war, nahm er von ihm Abschied und wanderte weiter, Tag und Nacht, durch die Wüsten, bis er zu einem hohen Berge kam. Auf jenen Berg stieg er hinauf, und da sah er auf seinem Gipfel einen großen Engel sitzen, der den Namen Allahs des Erhabenen ausrief und auf Mohammed Segen herabflehte. Vor jenem Engel lag eine Tafel, die beschrieben war, teils in weißer und teils in schwarzer Schrift. und er schaute auf diese Tafel; und er hatte zwei Flügel, von denen der eine nach Osten und der andere nach Westen weit ausgebreitet war. Bulûkija ging auf ilm zu und grüßte ihn; nachdem der Engel den Gruß erwidert hatte, fragte er ihn, indem er sprach: ,Wer bist du? Woher kommst du, und wohin gehst du? Und wie heißest du?' Bulükija gab ihm zur Antwort: ,Ich bin ein Menschenkind von den Kindern Israel, und ich wandere umher, erfüllt von Liebe zu Mohammed - Alla segne ihn und gebe ihm Heil! Und ich heiße Bulûkija.' Und weiter fragte der Engel: ,Was hast du auf deinem Wege in dies Land erlebt?' Da erzählte Bulûkija ihm alles, was ihm auf seiner Wanderung widerfahren war und was er auf ihr gesehen hatte. Der Engel hörte seine Worte mit Verwunderung an. Doch



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dann bat Bulûkija den Engel, indem er sprach: ,Tu nun auch du mir kund, was auf dieser Tafel geschrieben steht. Sag mir, was ist es, das du hier treibst? Und wie heißest du?' Der Engel antwortete: ,Ich heiße Michael, und in meiner Obhut steht der Wechsel von Tag und Nacht. Das ist meine Aufgabe bis zum Tage der Auferstehung.' Bulûkija war über die Worte, die er hörte, erstaunt, und er wunderte sich über das Aussehen des Engels, über seine Hoheit und seine riesenhafte Gestalt. Dann nahm er von ihm Abschied und wanderte weiter, Tag und Nacht, bis er zu einer großen Wiese kam. Als er über sie dahinschritt. entdeckte er auf ihr sieben Flüsse und viele Bäume. Der Anblick dieser weiten Flur erfreute Bulûkijas Herz, und als er auf einer ihrer Seiten entlangging, sah er dort einen großen Baum und unter ihm vier Engel. Er trat auf sie zu und blickte auf ihre Gestalten; da erkannte er, daß der eine von ihnen die Gestalt eines Menschen, der zweite die Gestalt eines Raubtieres, der dritte die Gestalt eines Vogels und der vierte die Gestalt eines Stieres hatte.' Die vier riefen den Namen Allahs des Erhabenen an, und jeder von ihnen sprach: ,Mein Gott, mein Herr und Gebieter, bei deiner Wahrheit und bei dem Ruhme deines Propheten Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —, schenke deine Vergebung und Verzeihung einem jeden Wesen, das nach meinem Bilde geschaffen ist; denn du bist über alle Dinge mächtig!' Wundersam klangen diese Worte in Bulûkijas Ohren. Und er wanderte weiter von dort, Tag und Nacht, bis er zum Berge Kâf kam. Als er dessen Gipfel erklommen hatte, erblickte er auf ihm einen großen Engel; der saß dort und pries und heiligte Gott den Erhabenen und flehte Segen herab auf Mohammed -Allah segne ihn und



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gebe ihm Heil! Er sah aber auch, wie jener Engel beständig die Hände öffnete und schloß und seine Finger bog und streckte. Mitten in seiner Andacht und Arbeit kam Bulûkija auf ihn zu und grüßte ihn; nachdem der Engel seinen Gruß erwidert hatte, fuhr er fort: ,Was für ein Wesen bist du? Woher kommst du, und wohin gehst du? Und wie heißest du?' Der Jüngling erwiderte: ,Ich bin von den Kindern Israel, ein Menschenkind. und ich heiße Bulûkija. Ich wandere umher, erfüllt von Liebe zu Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! Doch ich habe mich auf meinem Wege verirrt.' Dann erzählte er ihm alles, was ihm widerfahren war. Und nachdem er seine Erzählung beendet hatte, fragte er den Engel: ,Wer bist du? Und was für ein Berg ist diese Und was für eine Arbeit betreibst du da?' Der Engel antwortete: ,Wisse, Bulûkija, dies ist der Berg Kâf, der die Welt umgibt; und alle Länder, die Gott in der Welt erschaffen hat, halte ich in meiner Hand. Wenn der Hocherhabene will, daß in irgendeinem Lande Erdbeben, Dürre oder Überfluß, Krieg oder Frieden sei, so befiehlt er mir, dies zu schaffen; und ich schaffe es, während ich hier auf dieser Stätte sitze. Denn wisse, meine Hände halten die Wurzeln der Erde.'——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 496. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Engel zu Bulûkija sprach: ,Denn wisse, meine Hände halten die Wurzeln der Erde.' Darauf sagte der jüngling zu dem Engel: ,Hat Allah innerhalb des Berges Kâf noch ein anderes Land geschaffen als dies, in dem du weilst?' ,Ja,' erwiderte der Engel, ,er hat noch ein Land geschaffen, das ist weiß wie Silber, und nur der Hocherhabene allein weiß, wie groß es ist; Er hat es mit Engeln bevölkert,



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deren Speise und Trank darin besteht, daß sie lobsingen und heiligen und reichen Segen herabfiehen auf Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! An jedem Donnerstagabend kommen sie zu diesem Berge und rufen in gemeinsamem Gebet die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen Allah den Erhabenen an. Doch den Lohn für ihr Lobpreisen und Heiligen und ihre Andachten schenken sie den Sündern aus der Gemeinde Mohammeds -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —und allen denen, die am Freitag die religiöse Waschung verrichten. Dies ist ihr Tun bis zum Tage der Auferstehung.' Und weiter fragte Bulükija den Engel, indem er sprach: ,Hat Allah noch andere Berge hinter dem Berge Kâf erschaffen?' ,Ja,' gab der Engel zur Antwort, ,hinter dem Berge Kâf liegt noch ein Gebirge, das einen Weg von fünfhundert Jahren lang ist, und es besteht ganz aus Schnee und Eis. Dies Gebirge ist es, das die Hitze des Höllenfeuers von der Welt abwehrt: denn wenn es nicht wäre, so würde die Welt von der höllischen Glut verbrannt werden. Und ferner liegen hinter dem Berge Kâf noch vierzig Welten, deren jede noch vierzigmal so groß ist wie diese Welt; einige sind aus Gold, andere aus Silber, wieder andere aus Rubin. Jede einzelne von jenen Welten hat ihre besondere Art, und Gott hat sie alle mit Engeln bevölkert, die nichts anderes tun als lobsingen, heiligen, die Einheit Gottes bekennen und seine Größe verkünden, und die zum Hocherhabenen beten für die Gemeinde Mohammeds -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! Sie wissen nichts von Adam und Eva, noch auch von Tag und Nacht. Vernimm weiter, o Bulûkija, die Welten wurden in sieben Schichten geschaffen, eine über der anderen; und Allah schuf einen seiner Engel, dessen Gestalt und Größe nur der Allgewaltige und Glorreiche kennt. Der trägt die sieben Welten auf seinem Nacken. Und unter jenem



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Engel erschuf der Hocherhabene einen Felsen, und unter jenem Felsen einen Stier, und unter jenem Stier einen Fisch, und unter jenem Fisch ein gewaltiges Meer. Einstmals machte der Hocherhabene jesum -Friede sei mit ihm! —mit jenem Fische bekannt, und der sprach: ,O Herr, zeige mir den Fisch, auf daß ich um sehe!' Da befahl der Hocherhabene einem seiner Engel, Jesum zu dem Fische zu führen, auf daß er ihn sehe. Der Engel kam zu Jesus -Friede sei mit ihm! —und führte ihn zu dem Meere, in dem der Fisch war, und sprach zu ihm: ,Schau den Fisch dort, o Jesus!' Jesus schaute nach dem Fisch, aber er sah ihn nicht, bis plötzlich das Tier wie ein Blitz an ihm vorüberschoß. Bei diesem Anblick stürzte Jesus ohnmächtig zu Boden. Und als er wieder zu sich kam, sprach Gott zu ihm durch eine Offenbarung: ,O jesus, hast du den Fisch gesehen, und hast du erkannt, wie lang und wie breit er ist?' Jesus antwortete: ,Bei deiner Allmacht und bei deiner Majestät, o Herr, ich habe ihn nicht gesehen. Ein gewaltiger Stier schoß an mir vorüber, der wohl einen Weg von drei Tagereisen lang war, und ich weiß nicht, was es mit dem Stiere auf sich hat.' ,O jesus,' erwiderte Gott, ,das, was an dir vorüberschoß und einen Weg von drei Tagereisen lang ist, war nur der Kopf des Stieres. Wisse aber, Jesus, ich erschaffe jeden Tag vierzig Fische, die so groß sind wie der Fisch unter dem Stiere.' Als Jesus jene Worte vernahm, erfüllte ihn staunende Ehrfurcht vor der Allmacht des Hocherhabenen.' Danach fragte Bulûkija den Engel, indem er sprach: ,Was hat Allah unter dem Meere erschaffen, in dem der Fisch hauste' Der Engel antwortete ihm: ,Allah hat unter dem Meere einen gewaltigen Luftraum geschaffen, und unter dem Luftraum Feuer, und unter dem Feuer eine gewaltige Schlange, Falak geheißen. Wenn jene Schlange sich nicht vor Allah dem Erhabenen fürchtete, so würde sie alles verschlingen, was über



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ihr ist, Luftraum und Feuer, und auch den Engel mit seiner Last, ohne daß sie etwas von dem Engel verspüren würde.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 479. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Engel, als er die Schlange beschrieb, zu Bulûkija sprach: ,Wenn sie sich nicht vor Allah dem Erhabenen fürchtete, so würde sie alles verschlingen, was über ihr ist, Luftraum und Feuer, und auch den Engel mit seiner Last, ohne daß sie etwas davon verspüren würde. Nachdem der Hocherhabene jene Schlange erschaffen hatte, sprach er zu ihr durch eine Offenbarung: ,Ich will dir ein Pfand anvertrauen; bewahre es gut!' ,Tu, was du willst!', erwiderte die Schlange; und Gott sprach zu ihr: ,Öffne deinen Rachen!' Und als das Ungeheuer seinen Schlund aufgetan hatte, senkte Allah die Hölle in seinen Bauch und sprach: ,Bewahre die Hölle bis zum Tage der Auferstehung!' Wenn aber der Jüngste Tag naht, so wird Allah seinen Engeln befehlen, mit Ketten auszuziehen und die Hölle damit festzubinden, bis zu der Zeit, da alles Fleisch versammelt wird; und dann wird der Hocherhabene der Hölle befehlen, ihre Pforten aufzutun, und daraus werden Funken sprühen, die größer als Berge sind.' Als Bulûkija diese Worte von dem Engel vernommen hatte, weinte er bitterlich: darauf nahm er von ihm Abschied und wanderte weiter gen Westen, bis er zu zwei Geschöpfen kam, die er vor einem großen geschlossenen Tore sitzen sah. Und als er nahe bei ihnen war, bemerkte er, wie das eine einem Löwen glich, während das andere die Gestalt eines Stieres hatte. Bulûkija grüßte die beiden; und nachdem sie seinen Gruß erwidert hatten, fragten sie ihn und sprachen: ,Was für ein Wesen bist du? Woher kommst du, und wohin gehst du?' Der



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Jüngling antwortete ihnen: ,Ich bin ein Menschenkind, und ich ziehe umher, erfüllt von der Liebe zu Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! Aber ich bin von meinem Wege abgeirrt.' Dann fragte er die beiden und sprach zu ihnen: ,Was für Wesen seid ihre Und was für ein Tor ist dies, an dem ihr sitzet?' Sie antworteten ihm: ,Wir sind die Wächter dieses Tores, das du hier siehst, und wir haben kein anderes Amt, als zu lobpreisen und zu heiligen und Segen herabzuflehen auf Mohammed -Allah segne ihn und gebe ihm Heil!' Mit Staunen vernahm Bulûkija diese Worte; dann fragte er weiter: ,Was ist hinter diesem Tore?' ,Wir wissen es nicht', erwiderten sie; und da bat er sie: ,Bei eurem Herrn, dem Glorreichen, öffnet mir dies Tor, auf daß ich sehe, was hinter ihm ist!' Doch sie sprachen: ,Wir können das Tor nicht öffnen, und keines von allen Geschöpfen vermag es aufzutun, sondern nur Gabriel, der Getreue -Friede sei mit ihm!' Wie Bulûkija das hörte, flehte er demütig zu Allah dem Erhabenen: ,O Herr, sende mir Gabriel, den Getreuen, daß er mir dies Tor öffne, damit ich schauen kann, was hinter ihm ist!' Und Allah erhörte sein Gebet und befahl Gabriel, dem Getreuen, hinabzusteigen und das Tor des Zusammenflusses der beiden Meere zu öffnen, auf daß Bulûkija es sehe. Da stieg Gabriel zu Bulûkija hinab, grüßte ihn, trat an jenes Tor und öffnete es, indem er zu dem Jüngling sprach: ,Tritt ein in dies Tor! Allah hat mir befohlen, es dir zu öffnen.' Bulûkija ging hindurch und schritt weiter; Gabriel aber schloß das Tor und fuhr wieder gen Himmel auf. Nun erblickte Bulûkija hinter dem Tore ein gewaltiges Meer; das war zur Hälfte salzig und zur Hälfte süß und war von zwei Bergketten aus rotem Rubin umgeben. Bulûkija schritt dahin, bis er nahe an diese Bergketten herankam, und da sah er auf ihnen Engel sitzen, deren Amt es war, zu lobpreisen und zu heiligen.



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Als er die erblickt hatte, grüßte er sie, und sie erwiderten seinen Gruß. Dann fragte er sie nach dem Meere und jenen beiden Bergen. Die Engel gaben zur Antwort: ,Die Stätte liegt unter dem Himmelsthrone, und dies Meer speist alle Meere der Welt; wir verteilen die Gewässer, die hier sind, und entsenden sie in die Lande, das salzige Wasser zum salzigen Lande und das süße zum süßen Lande. Diese beiden Bergketten aber hat Allah geschaffen, auf daß sie dies Wasser hüten. Solches tun wir bis zum Tage der Auferstehung.' Und dann fragten sie den Jüngling und sprachen zu ihm: ,Woher kommst du, und wohin gehst du?' Da erzählte Bulûkija ihnen seine ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende und fragte sie nach dem Wege. Sie antworteten ihm: ,Wandere von hier über die Oberfläche dieses Meeres!' Bulûkija nahm darauf von dem Safte, den et bei sich trug, salbte seine Füße und nahm Abschied von ihnen. Tag und Nacht wanderte er auf dem Rücken des Meeres dahin; und während er so seines Weges zog, sah er plötzlich einen schönen Jüngling, der auch über das Meer pilgerte. Auf den ging er zu und grüßte ihn; und jener erwiderte seinen Gruß. Doch als Bulûkija an dem Jüngling vorübergegangen war, erblickte er vier Engel, die auf der Oberfläche des Wassers dahinschritten; und ihr Schreiten war gleich dem blendenden Blitze. Bulûkija eilte vor und trat ihnen in den Weg; und als sie ihn erreichten, grüßte er sie und sprach zu ihnen: ,Ich bitte euch bei dem Allgewaltigen und Glorreichen, sagt mir, wie ihr heißet, von wo ihr kommt, und wohin ihr geht!' Da sprach einer von ihnen: ,Ich heiße Gabriel, der zweite von uns heißt Seraphel, der dritte Michael, und der vierte Asrael. Im Osten ist ein gewaltiger Drache erschienen; der hat tausend Städte verwüstet und ihre Bewohner verschlungen. Deshalb hat Allah der Erhabene uns befohlen, zu ihm zu eilen, ihn



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zu ergreifen und in die Hölle zu werfen.' Verwundert über sie und über ihre große Gestalt, wanderte Bulûkija wie zuvor Tag und Nacht dahin, bis er zu einer Insel gelangte. Dort stieg er ans Land und ging am Ufer eine Weile weiter. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 498. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Bulûkija ans Land jener Insel stieg und eine Weile am Ufer weiterging. Dort erblickte er einen schönen Jüngling, dessen Antlitz von hellem Lichte erstrahlte; und als er nahe an ihn herangekommen war, sah er, daß jener zwischen zwei Grabgebäuden saß und klagte und weinte. Bulûkija trat zu ihm und begrüßte ihn; und nachdem der andere den Gruß erwidert hatte, fragte Bulûkija ihn und sprach: ,Was ist es mit dir? Wie heißest dw Was bedeuten diese beiden Grabgebäude, zwischen denen du sitzest? Und weshalb weinst du so?' Da wandte der Jüngling sich nach dem Frager um und weinte bitterlich, bis seine Kleider von Tränen durchnäßt waren. Dann sprach er zu Bulûkija: ,Wisse, mein Bruder, wunderbar ist meine Geschichte, und seltsam ist, was ich berichte! Doch ich möchte, daß du dich zu mir setzest, auf daß du mir zuvor erzählest, was du in deinem Leben erfahren hast und weshalb du hierher gekommen bist, mir auch deinen Namen nennst und sagest, wohin du gehst. Danach will ich dir meine Geschichte erzählen.' Da setzte Bulükija sich zu dem Jüngling und tat ihm alles kund, was ihm auf seiner Wanderung begegnet war, von Anfang bis zu Ende: er berichtete ihm, wie sein Vater gestorben war und ihn hinterlassen hatte; wie er selbst dann die Kammer geöffnet und in ihr das Kästchen entdeckt hatte; wie er das Buch gesehen, indem Mohammed -Allah segne ilm und gebe ihm Heil! —beschrieben



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war ;wie sein Herz sich ihm zugeneigt, und wie er, von der Liebe zu ihm erfüllt, auf die Wanderschaft gezogen sei. Und danach erzählte er ihm alles, was ihm zugestoßen war, bis er ihn getroffen hatte, und schloß mit den Worten: ,Dies istdie ganze Geschichte meines bisherigen Lebens; und Allah weiß am besten, wie es mir in Zukunft noch ergehen mag.' Als der Jüngling seine Worte vernommen hatte, seufzte er auf und rief: ,Du Armer, was hast du denn in deinem Leben erfahren! Wisse, Bulûkija, ich habe unseren Herrn Salomo zu seinen Lebzeiten gesehen, und ich habe unendlich und unzählbar viele Dinge erlebt. Wunderbar ist meine Geschichte, und seltsam ist, was ich berichte. Darum möchte ich, daß du bei mir bleibest, damit ich dir meine Erlebnisse erzählen kann und dir kundtun, warum ich hier sitze.'

Als Hâsib bis hierher der Erzählung zugehört hatte, sprach er seine Verwunderung aus und unterbrach die Rede der Schlange mit den Worten: ,O Königin der Schlangen, um Allahs willen, entlasse mich und befiehl einem deiner Diener. daß er mich an die Oberfläche der Erde geleite. Ich will dir einen Eid schwören, daß ich in meinem ganzen Leben nie wieder in ein Badehaus gehen werde.' Sie erwiderte ihm jedoch: ,Das ist ein Ding der Unmöglichkeit; und ich glaube deinem Eide nicht.' Wie er diese Worte vernahm, weinte er, und alle Schlangen weinten um seinetwillen und begannen für ihn bei der Königin zu bitten, indem sie sprachen: ,Wir erbitten von dir die Gnade, daß du einer von uns befiehlst, ihn an die Oberfläche der Erde zu geleiten; er will dir ja einen Eid schwören, daß er nie wieder in seinem Leben ein Badehaus betreten wird.' Als nun Jamlîcha' —denn also war die Schlangenkönigin gel.



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heißen -diese Bitte von ihnen hörte, wandte sie sich zu Hâsib und ließ ilm schwören. Nachdem er den Eid geschworen hatte, befahl sie einer Schlange, ihn an die Oberfläche der Erde zu bringen. Die kam herbei und wollte ihn geleiten. Aber als sie schon bei ihm war, um ihn hinauszuführen, sprach er doch noch zu der Schlangenkönigin: ,Ich möchte, daß du mir die Geschichte des Jünglings erzählst, bei dem Bulûkija sich niedersetzte, als er ihn zwischen den beiden Gräbern sitzen sah.' Da sprach sie: ,Erinnere dich daran, o Hâsib, daß Bulûkija sich zu dem Jüngling setzte und ihm seine Geschichte von Anfang bis zu Ende erzählte, damit auch jener ihm berichte, was er erlebt hatte, und ihm kundtue, was ihm in seinem Leben begegnet war und weshalb er dort zwischen den Gräbern saß.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 499. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling, als Bulûkija ihm seine Geschichte erzählt hatte, ausrief: ,Was hast du denn von wunderbaren Dingen erfahren, du Armer? Ich habe unseren Herrn Salorno zu seinen Lebzeiten gesehen, und ich habe unendlich und unzählbar viele Dinge erlebt.'

Und nun erzählte er


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