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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ABU EL-HASAN ED-DARRÂDSCH UND ABU DSCHA'FAR DEM AUSSÄTZIGEN

Abu el-Hasan ed-Darrâdsch berichtete: Ich pflegte oftmals nach Mekka zu kommen -Allah mehre seinen Ruhm! —. und dann pflegten die Leute mir zu folgen, weil ich den Weg kannte und mich der Wasserplätze entsann. Nun begab es sich in einem der Jahre, daß ich wiederum zum heiligen Hause Allahs pilgern und das Grab seines Propheten -über ihm sei Segen und Heil! —besuchen wollte, und da sagte ich mir: ,Ich kenne ja den Weg, und so will ich einmal allein hinziehen!' Ich wanderte also fort, bis ich nach el-Kadisîja' kam; und als ich dort eingezogen und in die Moschee gekommen war, sah ich einen 1 Ein Ort westlich vorn Unterlauf des Euphrat.



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Mann, der am Aussatz litt, in der Gebetsnische sitzen. Wie er mich erblickte, sprach er zu mir: ,Abu el-Hasan, ich bitte dich um deine Begleitung nach Mekka.' Ich aber sagte mir: ,Ich bin den Gefährten entronnen: warum soll ich nun mit Aussätzigen zusammen seine' Deshalb erwiderte ich ihm: ,Ich will mit niemand zusammen reisen.' Da ließ er von mir ab. und ich zog am nächsten Morgen allein meines Weges; und ich wanderte einsam immer weiter, bis ich nach el-'Akaba' kam: dort ging ich wieder in die Moschee, und in ihr fand ich wiederum den aussätzigen Mann in der Gebetsnische. Da sagte ich mir: ,Allah sei gepriesen! Wie hat der Kerl vor mir hierher kommen können?' Doch er hob den Kopf zu mir empor und sprach lächelnd: ,Abu el-Hasan, Er tut an dem Schwachen, was den Starken verwundert.' Erstaunt über das, was ich erlebt hatte, brachte ich die Nacht dort zu; und als es Morgen ward, machte ich mich von neuem allein auf den Weg. Als ich dann nach 'Arafât' kam und die Moschee betrat, da saß wirklich der Mann wieder in der Gebetsnische. Nun warf ich mich vor ihm hin und sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, ich bitte um deine Begleitung', und begann seine Füße zu küssen. Und wie er antwortete: ,Das ist mir nicht möglich', hub ich an zu weinen und zu klagen, daß seine Begleitung mir verwehrt sein sollte. Aber er sprach zu mir: ,Nimm es leicht; denn es nützt dir nicht, zu weinen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 482. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Abu el-Hasan erzählte: Als ich den aussätzigen Mann in der Gebetsnische sitzen sah, warf ich mich vor ihm hin und sprach zu ihm: ,Mein



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Gebieter, ich bitte um deine Begleitung', und begann seine Füße zu küssen. Und wie er antwortete: ,Das ist mir nicht möglich', hub ich an zu weinen und zu klagen, daß seine Begleitung mir verwehrt sein sollte. Aber er sprach zu mir: ,Nimm es leicht; denn es nützt dir nicht, zu weinen und in Tränen auszubrechen!' Und er hub an diese Verse zusprechen:

Du weinest, daß ich geh, und wolltest selber gehn!
Du willst zurückgewinnen - das kann nicht geschehn.
Du sahst die Schwäche mein, des Leibes Krankheit, an
Und sprachst: Ein Siecher, der nicht gehn noch kommen kann!
Siehst du denn nicht, daß Gott in seiner Herrlichkeit
Dem Knechte voller Huld, was er sich wünscht, verleiht?
Wenn ich dem Augenschein auch bin, wie du mich schaust,
Und wenn in meinem Leib auch schweres Siechtum haust,
Und hab ich Zehrung nicht, die mich zur Stätte bringt,
An der die Pilgerschar zu meinem Herren dringt,
So hab ich einen Herrn, des Huld ich in mir trag,
Der ohnegleichen ist, dem ich mich nie versag.
Drum geh in Frieden, laß mich meiner Pilgerschaft;
Der Eine gibt dem einen auf seiner Wallfahrt Kraft.

Da verließ ich ihn; doch nach jener Zeit sa ich bei jeder Haltestätte, zu der ich kam, daß er schon vor mir eingetroffen war. Nur als ich Medina erreichte, war seine Spur meinen Augen verschwunden, und ich konnte nichts mehr von ihm erkunden. Dort traf ich aber Abu Jazîd el-Bistâmi und Abu Bakr esch-Schibli und eine Anzahl anderer Scheiche, und ich erzählte ihnen, was ich gesehen, und klagte ihnen, was mir geschehen. Da sagten sie: ,Nimmermehr wirst du hinfort seine Begleitung gewinnen. Das war Abu Dscha'far, der Aussätzige; in seinem Namen flehen die Menschen um Regen, und das Gebet wird erhört durch seinen Segen!' Als ich diese Worte von ihnen vernommen hatte, wuchs meine Sehnsucht, ihn wiederzutreffen, und ich fichte zu Allah, Er möchte mich mit



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ihm vereinen. Und während ich in 'Arafât stand, zupfte mich plötzlich jemand hinter mir, und als ich mich umwandte, da war es jener Mann. Sowie ich ihn erkannte, stieß ich einen lauten Schrei aus und sank ohnmächtig zu Boden; doch als ich wieder zu mir kam, fand ich ilm nicht mehr. Da ward ich von noch stärkerem Verlangen bedrängt, und die ganze Welt ward mir beengt, und ich fichte zu Allah dem Erhabenen, mir seinen Anblick zu gewähren. Und es dauerte nur wenige Tage, da zupfte er mich wieder von hinten, und als ich mich nach ihm umwandte, sprach er zu mir: ,Ich beschwöre dich, komm und bitte mich, um was du willst!' Da bat ich ihn, um drei Dinge für mich zu beten; erstlich, Allah möge mir die Liebe zur Armut verleihen; zum zweiten, ich möchte mich nie mehr schlafen legen mit dem Bewußtsein, daß für mich gesorgt sei; und zum dritten, Er möge mir den Anblick Seines allgütigen Antlitzes gewähren. Darauf betete er für mich um diese Dinge und entschwand meinem Blicke; Allah aber hat sein Gebet für mich erhört. Was die erste Bitte betrifft, so hat Allah mir die Liebe zur Armut gegeben, und, bei Allah, in der ganzen Welt ist mir nichts lieber als sie. Und zum zweiten, seit jenem Jahre habe ich mich nie mehr schlafen gelegt mit dem Bewußtsein, daß ich mein täglich Brot hätte; und trotzdem läßt Allah es mir nie an etwas fehlen. Und so hoffe ich denn, daß Allah mir auch die dritte Bitte gewähren wird, wie er mir die ersten beiden gewährt hat. Denn Er ist allgütig und groß im Spenden, und Er möge dem, der diese Verse dichtete, sein Erbarmen zuwenden:

Demut übt der Derwisch und EnthaItsamkeit;
Abgetragne Fetzen sind sein einzig Kleid.
Und die Blässe ist es, die ihn würdig macht,
Wie die Monde schön sind in der letzten Nacht.
Nächtlich Beten schuf in ihm der Krankheit Bild



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Und der Strom der Tränen, der dem Aug entquillt.
Sein Genoß im Hause ist sein eigner Sinn;
Gott ist sein Gefährte durch die Nächte hin.
Wer dem Derwisch nahet, findet Schutz fürwahr;
Ja, sogar die Tiere und der Vögel Schar.
Und um seinetwillen strafet Gott die Welt,
Und durch ihn geschieht es, daß der Regen fällt.
Ruft er einmal Gottes Strafgericht heran,
Stirbt der Sünder, wird vernichtet der Tyrann.
Alle Welt ist immer krank, dem Tode nah;
Aber er. der Arzt. ist voll Erbarmen da.
Hell erstrahlt sein Glanz; und siehst du sein Gesicht,
Sind die Herzen heiter durch das klare Licht. Der du jene fliehst und ihren Wert nicht wejßt,
Weh dir, Sünde ist's, die dich sie meiden heißt.
Willst du sie erreichen. bleibst du doch zurück;
Denn die Sünde hält dich fern von deinem Glück.
Sähst du ihren Wert, du trätest für sie ein,
Und es flössen Tränen von den Augen dein.
Was sagt Blumenduft dem, der nicht riechen kann?
Kleiderpreise kennet nur der Handelsmann.
Eil zu deinem Herrn und flehe, ihn zu sehn!
Möge denn die Allmacht dir zur Seite stehn,
Daß du von Entfremdung und von Haß dich kehrst
Und erreichest, was du wünschest und begehrst.
Jedem, der da hofft, steht offen Seine Pracht:
Denn Er ist der eine Gott in seiner Macht!

Und ferner erzählt man


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