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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM NILFERGEN UND DEM HEILIGEN

Ein frommer Mann berichtete: Ich war einst Fährmann auf dem Nile und pflegte zwischen dem Ostufer und dem Westufer hin und her zu fahren. Während ich damals eines Tages in meinem Boote saß, blieb plötzlich ein alter Mann mit leuchtendem Antlitze bei mir stehen und begrüßte mich. Nachdem ich seinen Gruß erwidert hatte, bat er mich: ,Willst du mich um Allahs des Erhabenen willen übersetzen?' ,Gern!' erwiderte ich. ,Willst du mir auch um Allahs willen zu essen geben ?' fragte er darauf; und wiederum antwortete ich: ,Gern!' Dann trat er in das Boot, und ich ruderte ihn nach dem Ostufer hinüber. Er trug aber ein geflicktes Gewand und hielt eine Lederflasche und einen Stab in der Hand. Als er dann aussteigen wollte, sprach er zu mir: ,Ich möchte dir etwas anvertrauen.'



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,Was ist es?' fragte ich; und er fuhr fort: ,Morgen sollst du, wie mir offenbart worden ist, um die Mittagszeit zu mir kommen; und wenn du dann kommst und mich unter jenem Baume tot liegen siehst, so wasche mich, hülle mich in das Leichentuch, das du unter meinem Haupte finden wirst, und begrabe mich, nachdem du über mir gebetet hast, in dem Sande dort. Darauf nimm mein Gewand, meine Lederflasche und meinen Stab mit dir, und wenn jemand zu dir kommt, um sie von dir zu verlangen, so übergib sie ihm!' Ich war ob seiner Worte erstaunt und legte mich die Nacht über schlafen. Am nächsten Morgen wollte ich bis zu der Zeit warten, die er mir genannt hatte; aber als es Mittag ward, hatte ich seine Worte vergessen. Erst kurz vor der Zeit des Nachmittagsgebetes fielen sie mir wieder ein, und da ging ich eilends hin. Ich sah den Alten tot unter dem Baume liegen und fand auch zu seinen Häupten ein neues Leichentuch, aus dem der Duft von Moschus hervorströmte. So wusch ich ihn denn, hüllte ihn ein, betete über ihm, grub ihm ein Grab und bestattete ihn. Dann fuhr ich über den Nil zurück und kam zur Nachtzeit auf dem Westufer an; das zerfetzte Gewand, die Lederflasche und den Stab hatte ich bei mir. Als dann das Frühlicht leuchtete und das Stadttor geöffnet ward, erblickte ich einen jungen Mann, der mir als ein Schelm bekannt war, mit feinen Gewändern angetan und mit Hennafarbe anden Händen. Der kam auf mich zu und fragte mich: ,Bist du nicht der und der?' ,Jawohl', erwiderte ich; und er fuhr fort: ,So gib mir das anvertraute Gut!' Als ich fragte: ,Was ist denn das?' antwortete er: ,Das Gewand, die Flasche und der Stab.' Dann fragte ich ihn wieder: ,Wer hat dir davon gesagt?' Darauf erzählte er mir: ,Ich weiß nur das eine, daß ich gestern abend auf der Hochzeit eines Freundes war - und er nannte den Namen und -



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die Nacht über mit Gesang verbrachte, bis die Morgenzeit nahte. Dann legte ich mich schlafen, um auszuruhen; da trat plötzlich einer an mich heran und sprach zu mir: ,Wisse, Allah der Erhabene hat die Seele des Heiligen Soundso zu sich genommen und dich ausersehen, an seine Stelle zu treten. Nun geh zu dem Fährmann - und er nannte meinen Namen - und nimm von ihm des Toten Gewand. Lederflasche und Stab entgegen; denn die hat er für dich bei ihm hinterlegt.' Ich holte sie hervor und gab sie ihm; darauf legte er seine Kleider ab, zog jenes Gewand an, ging fort und ließ mich allein. Ich aber weinte, weil ich eines solchen Mannes beraubt war. Und als es dunkle Nacht um mich ward, legte ich mich schlafen, und da sah ich im Traume den Herrn der Herrlichkeit, den Gesegneten und Erhabenen, und er sprach zu mir: ,Mein Knecht, ist es dir schwer, daß ich einem meiner Knechte die Rückkehr zu mir gewährt habet Solches tu ich in meiner Güte, die ich schenke, wem ich will; denn ich bin über alle Dinge mächtig.' Zuletzt sprach ich diese Verse':

Wer liebt, darf beim Geliebten keine Wünsche haben.
Die Wahl ist dir versagt -o, dächtest du nur dran!
Will er dir gütig nahn, dir seine Neigung zeigen,
Will er je von dir gehn, kein Tadel trifft ihn dann.
Wenn du an seiner Abkehr keine Freude findest,
So geh; dann ist dir dort nicht Ehre zuerteilt.
Und kannst du nah und fern bei ihm nicht unterscheiden,
So bist du weit zurück, indes die Lieb enteilt.
Wenn Sehnsucht dir die Herrschaft meines Herzens schenkte,
Und hat mich deine Liebe in den Tod gebracht,
So geh und meide mich; das ist doch all das gleiche.
Getadelt wird nicht, wer das Glück zum Führer macht.
Kein Ziel hat meine Liebe, als was dir gefällt,
Und willst du fern sein, ist's auch damit recht bestellt.



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Und ferner wird erzählt


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