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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM FROMMEN ISRAELITEN UND DER WOLKE

Einst lebte unter den Kindern Israel ein frommer Mann, ob seines Gottesdienstes bekannt, makellos und ob seiner Weltentsagung vielgenannt. Wenn der zu seinem Herrn betete, so erhörte er ihn; und wenn er ihn um etwas bat, so gewährte Er es ihm und erfüllte seinen Wunsch. Und er pflegte in den Bergen umherzuziehen und die Nächte im Gebet zu verbringen. Nun hatte Allah, der Gepriesene und Erhabene, ihm eine Wolke untertan gemacht, die mit ihm reiste, wohin er nur ging, und die ihm reichlich Wasser spendete, so daß er seine Waschungen verrichten und trinken konnte. Lange Zeit lebte er



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in dieser Weise; da war er einmal in seinem Eifer nachlässig, und Allah hieß die Wolke von ihm enteilen und ließ ab, ihm Gehör zu erteilen. Darüber war er tiefbetrübt und lange Zeit bekümmert, und immer wieder sehnte er sich nach der Zeit der Gnade, die ihn einst beglückt hatte; und er seufzte und klagte und trauerte um den Verlust. Eines Nachts aber hörte er im Schlafe eine Stimme, die zu ihm sprach: ,Wenn du willst, daß Allah dir deine Wolke wiedergibt, so begib dich zu dem und dem König in der Stadt Soundso und bitte ihn, daß er für dich bete. Dann wird Allah, der Gepriesene und Erhabene, dir deine Wolke wiedergeben; Er wird sie durch den Segen seiner frommen Gebete wieder über dich breiten.' Und nun begann jene Stimme ihre Worte mit diesen Versen zu begleiten:

Begib dich zu dem frommen Fürsten hin
In deiner schweren Not, die dich betroffen;
Und betet er zu Gott. so kannst du bald
Auf die ersehnte Regenwolke hoffen.
Ob allen Herrschern steht er hoch an Macht:
Er hat an Majestät nicht seinesgleichen.
Was du begehrst, das findest du bei ihm;
Er lässet Glück und Freude bald erreichen.
Drum eil zu ihm durch öde Wüstenein
Und laß die Fahrt ununterbrochen sein!

Alsbald machte der Mann sich auf den Weg und wanderte über die Erde dahin, bis er zu der Stadt kam, die ihm im Traume genannt war. Dort erkundigte er sich nach dem König; und als man ihm den Weg zu ihm gewiesen hatte, begab er sich zu seinem Schlosse. An dessen Tor aber saß ein Sklave auf einem großen Sessel, und der trug ein ehrfurchtgebietendes Kleid. Der Fromme blieb stehen und sprach den Gruß. Nachdem der Wächter den Gruß erwidert hatte, fragte er: ,Was ist dein Begehrt' ,Ich bin ein Mann, dem Unrecht geschehen ist,'



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antwortete der Israelit, ,und ich komme zum König, um ihm meine Sache vorzutragen.' Doch der Sklave sprach: ,Heute hast du keinen Zutritt zu ihm. Denn er hat für die Bittsteller nur einen Tag in der Woche bestimmt, an dem sie zu ihm kommen dürfen, und das ist der und der Tag. Also zieh in Frieden deiner Wege, bis der Tag kommt!' Den Mann verdroß es, daß der König sich so von den Menschen fernhielt, und er sagte sich: ,Wie kann dieser einer von den Heiligen Allahs, des Allgewaltigen und Glorreichen, sein, wenn er in solcher Weise handelte' Und er ging davon, des Tages harrend, der ihm genannt worden war. Als nun - so erzählte er selber -der Tag, den der Türhüter genannt hatte, gekommen war, ging ich hin, und ich fand am Tore eine große Volksmenge, die auf Erlaubnis zum Eintritt wartete; ich blieb bei den Leuten stehen, bis ein Wesir heraustrat, der ehrfurchtgebietende Kleider trug und von Dienern und Sklaven begleitet war; und der rief: ,Die Bittsteller sollen eintreten!' Nun traten die Leute ein, und auch ich ging mit der Menge hinein; da sah ich den König sitzen, umgeben von den Großen seines Reiches, die nach Rang und Würden ihre Plätze hatten. Auch der Wesir trat an seine Stelle und ließ einen nach dem andern vortreten, bis die Reihe an mich kam. Wie der Wesir mich herankommen hieß, blickte der König mich an und sprach: ,Willkommen, Wolkenmann! Setze dich, bis ich Zeit für dich habe!' Da ward ich durch seine Worte verwirrt, und ich erkannte seine Würde und Überlegenheit an. Als er aber allen Bittstellern Bescheid gegeben hatte und mit ihnen fertig geworden war, erhob er sich, und der Wesir und die Großen des Reiches gingen fort; darauf nahm der König mich bei der Hand und führte mich ins Innere des Palastes. Am inneren Tore erblickte ich wieder einen schwarzen Sklaven mit ehrfurchtgebietender Kleidung; über



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seinem Haupte hingen Waffen, und rechts und links von ihm befanden sich Panzer und Bögen. Der erhob sich vor dem König, eiligst bereit, dessen Befehle auszuführen und seine Wünsche zu erfüllen. Dann öffnete er die Tür; und nachdem der König mich an der Hand hineingeführt hatte, standen wir plötzlich vor einem kleinen Tore. Der König öffnete die Tür selbst, und dann ging er zu einem verfallenen, öden Gebäude und trat in einen Raum ein, in dem sich weiter nichts befand als ein Gebetsteppich, eine Kanne für die Waschung und einige Matten aus Palmblättern. Darauf legte er die Gewänder, die er trug, ab und kleidete sich in einen groben Rock aus weißer Wolle und setzte auf sein Haupt eine Spitzmütze aus Filz. Dann setzte er sich nieder, hieß auch mich sitzen und rief seine Gemahlin bei Namen. Sie antwortete: ,Zu deinen Diensten!' Als er sie nun fragte: ,Weißt du, wer heute unser Gast ist?' erwiderte sie: ,Ja; es ist der Wolkenmann.' Und er fuhr fort: ,Komm herbei; du brauchst vor ihm keine Scheu zuhaben!' Und siehe — so berichtete der Erzähler -da kam sie, eine Frau schön wie ein Traumbild, und ihr Antlitz leuchtete wie der junge Mond; und sie trug ein Gewand aus Wolle und einen Schleier. — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 474. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Gemahlin des Königs, als er sie gerufen hatte, herbeikam, mit einem Antlitze, das wie der junge Mond leuchtete, und bekleidet mit einem groben Gewand aus Wolle und einem Schleier. Darauf sagte der König: ,Mein Bruder, willst du unsere Geschichte erfahren, oder sollen wir sogleich für dich beten, auf daß du von dannen gehen kannst?' Ich antwortete: ,Nein, ich möchte zuvor eure Geschichte hören, das ist mir lieber.' Da hub der König



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an zu erzählen: ,Wisse, meine Väter und Großväter übernahmen einer nach dem anderen die Herrschaft und vererbten sie von Vater auf Sohn, bis alle dahingeschieden waren und der Thron an mich kam. Zwar hatte mir die Liebe zu Allah das Herrschen verhaßt gemacht, und ich wäre lieber ein Pilger auf Erden geworden und hätte dem Volke selber seine Geschäfte überlassen. Aber ich befürchtete, es könnte Aufruhr und Gesetzlosigkeit unter ihnen ausbrechen und die Einheit des Glaubens könnte gefährdet werden. So ließ ich denn die Dinge, wie sie waren, und setzte jedem Oberhaupte unter ihnen ein angemessenes Gehalt fest. Und ich legte die königlichen Gewänder an und ließ die Sklaven an den Türen sitzen, um die Bösen zu schrecken, die Guten zu schützen und die Gesetze aufrechtzuerhalten. Nachdem ich all das getan hatte, begab ich mich in meine Wohnung hier, legte jene Gewänder ab und kleidete mich so, wie du mich jetzt siehst. Diese meine Base aber hat wie ich der Welt entsagt, und sie steht mir in der Andacht treu zur Seite. Wir flechten tagsüber diese Palmblätter zu Matten und brechen unser Fasten, wenn es Abend wird, mit dem, was wir uns dadurch verdienen; in dieser Weise leben wir nun schon gegen vierzig Jahre. Bleibe bei uns - so wahr sich Allah deiner erbarme! —. bis wir unser Werk aus Palmblättern verkauft haben; dann speise mit uns und verbringe die Nacht bei uns! Morgen, wenn dein Wunsch erfüllt ist, so Gott will, magst du deiner Wege ziehen.' Als der Tag zur Rüste ging, kam ein Bursche, der nur fünf Spannen hoch war, trat in den Raum und nahm die Matten, die jene beiden geflochten hatten; die trug er auf den Markt, verkaufte sie um einen Karat', kaufte dafür Brot und Bohnen und brachte sie zu uns. Ich aß



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mit ihnen und schlief bei ihnen; um Mitternacht aber erhoben sich die beiden und beteten und weinten. Und als der Morgen dämmerte, betete der König: ,O mein Gott, dieser dein Knecht erbittet von dir, daß du ihm seine Wolke zurückgebest; und du hast die Macht, es zu tun. O mein Gott, laß ihn die Erhörung erleben; geruhe, ihm seine Wolke wiederzugeben!' Die Königin - so schloß der fromme Mann seine Erzählung - sprach das Amen dazu, und siehe da, die Wolke zog am Himmel herauf. Da wünschte der König mir Glück, und ich nahm Abschied von den beiden. Als ich nun von dannen ging, begleitete die Wolke mich wie zuvor. Und alles, was ich seitdem im Namen der beiden von Allah dem Erhabenen erbitte, gewährt er mir. Und damals sprach ich diese Verse:

Der Herr hat Auserwählte unter Seinen Knechten,
Und deren Herzen weilen in des Wissens Garten.
Doch ihre Leiber sind nun regungslos geworden,
Da in des Volkes Brust geheime Dinge warten.
Dort sind sie still vor Gott und schweigend immerdar
Und schaun Geheimes im Geheimen hell und klar.

Ferner erzählt man


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