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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM SCHMIED, DER DAS FEUER ANFASSEN KONNTE

Einem frommen Manne ward berichtet, daß in der und der Stadt ein Schmied lebe, der seine Hand in das Feuer stecken und mit ihr das glühende Eisen daraus hervorholen könne, ohne daß ihn das Feuer verletze. Da begab der Mann sich nach jener Stadt, um den Schmied zu suchen, und er ward zu ihm geführt. Wie er ihn erblickte und ihm zuschaute, sah er, daß er in Wirklichkeit das tun konnte, was man ihm erzählt hatte. Er wartete nun, bis der Schmied seine Arbeit getan hatte; dann trat er auf ihn zu, begrüßte ihn und sprach zu ihm: ,Ich möchte heut abend dein Gast sein.' ,Herzlich gern!' erwiderte der Schmied und führte ihn zu seiner Wohnung; dort aß er mit ihm zu Abend, und dann legten die beiden sich zum Schlafe



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nieder. Da aber der Gast den Wirt nicht zum Gebete aufstehen sah, noch irgendein Zeichen besonderer Frömmigkeit an ihm bemerkte, so sagte er sich: ,Vielleicht verbirgt er sich vor mir.' Dann blieb er noch eine zweite und dritte Nacht bei ihm; doch er bemerkte, daß der Schmied über die Pflichten hinaus nur die verdienstlichen Handlungen verrichtete und nur kurze Zeit in der Nacht zum Gebete aufstand. Schließlich sprach er zu ihm: ,Lieber Bruder, ich habe gehört, welche Gnade Allah dir verliehen hat, und ich habe sie auch mit eigenen Augen an dir gesehen. Dann habe ich auch auf deinen Eifer im Gottesdienst geachtet; doch ich habe bei dir nichts von dem Tun derer bemerkt, die durch Wunderkräfte ausgezeichnet sind. Woher hast du diese Gabe?' Jener gab ihm zur Antwort: ,Ich will dir erzählen, wie es gekommen ist. Es geschah also: Ich war einst von leidenschaftlicher Liebe zu einer Frau ergriffen, und ich suchte sie oftmals zu verführen; aber ich vermochte nichts über sie, da sie an ihrer Keuschheit festhielt. Nun kam ein Jahr der Dürre und des Hungers und der Not; es fehlte an Nahrung, und der Hunger drückte schwer. Während ich damals zu Hause saß, klopfte es einmal an meine Tür. Ich ging hinaus und sah jene Frau dort stehen, und sie sprach: ,Bruder, mich hungert sehr, und ich hebe meine Augen zu dir empor, auf daß du mir zu essen gebest, um Allahs willen.' Ich sagte zu ihr: ,Weißt du nicht, wie sehr ich dich liebe und was ich um deinetwillen erduldet habe? Ich werde dir nicht eher etwas zu essen reichen, als bis du dich mir hingibst.' Doch sie antwortete: ,Lieber tot als ungehorsam gegen Allah!' und kehrte heim. Nach zwei Tagen kam sie wieder zu mir und sprach zu mir wie das erste Mal. Ich gab ihr dieselbe Antwort wie zuvor; sie trat ein und setzte sich nieder, dem Tode nahe. Als ich das Essen vor sie hinsetzte, rannen ihr die Tränen aus den Augen,



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und sie sprach: ,Gib mir zu essen um Allahs willen, des Allgewaltigen und Glorreichen!' Aber ich sagte: ,Nein, bei Allah, nur wenn du dich mir hingibst.' Sie erwiderte: ,Der Tod ist besser für mich als die Strafe Allahs des Erhabenen.' Dann erhob sie sich und ließ die Speisen unberührt. — -«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 472. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Frau zu dem Manne sprach, als er ihr das Essen brachte: ,Gib mir zu essen um Allahs willen, des Allgewaltigen und Glorreichen!' Doch ich - so erzählte der Schmied -sagte: ,Nein, nur wenn du dich mir hingibst.' Sie erwiderte: ,Lieber den Tod als die Strafe Allahs!' Dann erhob sie sich und ließ die Speisen unberührt. Sie ging fort, ohne etwas gegessen zu haben, indem sie diese Verse sprach:

Oder du einzig bist, des Huld die Welt umfasset,
Du hörest, was ich klage, du schaust mein Leid zumal.
Jetzt haben bittre Not und Elend mich betroffen,
Kein Wort genügt für einen Teil von meiner Qual.
Ich bin wie der, den dürstet, des Aug das Wasser schauet;
Kein Trank wird ihm gereicht, der seinen Durst vertreibt.
Mich reizet mein Begehr, die Speise zu genieße, ;:
Die Lust daran vergeht; die Sunde aber bleibt.

Wiederum blieb sie zwei Tage fern; dann kam sie und klopfte von neuem an die Tür. Als ich hinausging, erkannte ich, daß ihr vor Hunger die Stimme versagte. Dann aber sprach sie zu mir: ,Meine Kraft ist dahin; ich kann mein Antlitz keinem Menschen mehr zeigen als dir allein. Willst du mir nicht zu essen geben um Allahs des Erhabenen ,Nein,' erwiderte ich, ,nur wenn du dich mir hingibst.' Und sie trat ein und setzte sich in meinem Hause nieder; aber ich hatte keine Speisen



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bereit. Doch als das Essen gerichtet war und ich es in die Schüssel tat, ließ Allah der Erhabene seine Güte in mich eindringen, und ich sprach zu mir selber: ,Wehe dir! Diese Frau da. schwach an Verstand und an Glauben, enthält sich der Nahrung, obgleich sie kaum noch die Kraft hat, ohne sie zu leben, da der Hunger sie überwältigt. Dennoch weist sie dich ein Mal über das andere ab, du aber lässest nicht ab vom Ungehorsam gegen Allah den Erhabenen!' Dann betete ich: ,O mein Gott, ich bereue vor dir das Gelöst meiner Seele.' Und alsbald nahm ich die Speise, brachte sie der Frau und sprach zu ihr: .Iß! Dir soll kein Leid widerfahren. Es ist um Allahs willen, des Allgewaltigen und Glorreichen.' Da hob sie ihre Augen gen Himmel und sprach: ,O mein Gott, wenn dieser die Wahrheit spricht, so lasse das Feuer in dieser Welt und im Jenseits ihm nichts anhaben. Denn du hast über alle Dinge Macht; und wenn du erhören willst, so ist es vollbracht!' Da verließ ich sie - so erzählte der Schmied weiter - und ging hin, um das Feuer von dem Kohlenbecken zu nehmen; denn es war Winterszeit und kalt. Nun fiel eine Kohle auf meinen Leib; aber durch die Allmacht Allahs, des Allgewaltigen und Glorreichen, fühlte ich keinen Schmerz, und so kam es mir zum Bewußtsein, daß ihr Gebet erhört war. Darauf nahm ich die Kohle in die Hand, doch sie verbrannte mich nicht; und ich ging zu der Frau zurück und sprach: ,Freue dich! Allah hat dein Gebet erhört.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 473. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Schmied seine Erzählung mit diesen Worten schloß: ,Ich ging zu der Frau zurück und sprach zu ihr: ,Freue dich! Allah hat dein Gebet



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erhört.' Da legte sie den Bissen aus der Hand und sprach: ,O mein Gott, wie du jetzt meinen Wunsch an ihm erfüllt und mein Gebet für ihn erhört hast, so bitte ich dich, nimm meine Seele zu dir, denn du bist mächtig über alle Dinge.' Da nahm Allah zur Stunde ihre Seele zu sich - Seine Barmherzigkeit sei mit ihr!' Und diesem Gedanken hat die Zunge der Zeit einst diese Verse geweiht:

Sie bat; ihr Herr erhörte ihr Gebet.
Verzieh dem Sunder, der ihr so gedroht;
Voll Huld erfüllt' Er ihren Wunsch an ihm
Und brachte ihr, wie sie's gewollt, den Tod.
Sie nahte, Brot erbittend, seiner Tür:
Sie kam zu ihm in Qual, die sie befiel.
Allein erfolgte seiner Lust und gab
Der Gier sich hin und hoffte auf sein Ziel.
Er wußte nicht, was Gott für ihn bestimmt;
Und über ihn kam Reue mit Gewalt.
Doch Gottes Ratschluß steht in Seiner Hand;
Wer dem Geschick entflieht, erliegt ihm bald.

Ferner erzählt man


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