Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM FROMMEN NEGERSKLAVEN

Mâlik ibn Dinâr - Allah habe ihn selig! —berichtete: Einst blieb uns in Basra der Regen aus, und viele Male zogen wir auf den Bittgang um Regen; aber wir sahen kein Zeichen, daß



1000-und-1_Vol-03-716 Flip arpa

unser Gebet erhört werden sollte. Da gingen ich und 'Ata es- Sulami und Thâbit el-Banâni, ferner Nudschaij el-Bakkâ, Mohammed ibn Wâsi', Aijûb es-Sachtijâni, Habîb el-Fârisi, Hassan ibn Abî Sinân, 'Utba el-Ghulâm und Sâlih el-Muzani' dahin, bis wir zur Gebetskapelle gelangten, als gerade die Kinder aus den Schulen kamen; und wir beteten um Regen, aber wir entdeckten kein Zeichen der Erhörung. Um Mittag gingen die Menschen fort; doch ich blieb mit Thâbit el-Banâni in dem Bethause. Und als der Abend dunkelte, sahen wir einen Schwarzen auf uns zukommen; der hatte ein schönes Gesicht, dürre Beine und einen dicken Bauch, und er trug einen wollenen Mantel. Wenn man alles, was er auf dem Leibe trug, abgeschätzt hätte, so wäre es nicht zwei Dirhems wert gewesen. Er trug auch Wasser mit sich und nahm die religiöse Waschung vor. Dann trat er zur Gebetsnische und betete rasch zwei Rak'as, und beide Male war seine Haltung beim Stehen, beim Verneigen und beim Niederwerfen genau die gleiche. Darauf hob er seinen Blick zum Himmel auf und sprach: ,Mein Gott, mein Herr und Meister, wie lange noch willst du deinen Knechten das versagen, was deiner Herrlichkeit keinen Abbruch tut? Ist das, was bei dir ist, erschöpft, oder sind die Schätze deiner Herrlichkeit geschwunden? Ich beschwöre dich bei deiner Liebe zu mir, gieß deinen Regen zur Stunde auf uns hernieder!' Kaum hatte er noch sein Gebet beendet, da überzog sich schon der Himmel mit Wolken, und ein Regen strömte herab wie aus offenen Wasserschläuchen. Wir beiden konnten das Bethaus nur so verlassen, daß wir bis zu den Knien im Wasser wateten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 486.



1000-und-1_Vol-03-717 Flip arpa

Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Mâlik ibn Dinâr des weiteren erzählte: Kaum hatte der Sklave sein Gebet beendet, da überzog sich schon der Himmel mit Wolken, und ein Regen strömte herab wie aus offenen Wasserschläuchen. Wir beiden konnten das Bethaus nur so verlassen, daß wir bis zu den Knien im Wasser wateten, und wir konnten uns über den Mohr nicht genug wundern. Da trat ich - so sagte Mâlik —auf ihn zu und rief: ,Weh dir, du Schwarzer, schämst du dich nicht dessen, was du gesagt hast?' Er wandte sich nach mir um und fragte: ,Was habe ich denn gesagt?' Ich antwortete: ,Du sagst: Bei deiner Liebe zu mir! Woher weißt du denn, daß Allah dich liebt?' Doch er entgegnete mir: ,Wende dich hinweg von mir, o du, dem sein Seelenheil nichts gilt! Wo war ich etwa, als Er mir die Kraft gab, Seine Einheit zu bekennen, und mich mit der Kenntnis Seines Wesens begnadete? Meinst du vielleicht, Er hätte mir die Kraft dazu verliehen, wenn Er mich nicht liebte?' Und er fügte noch hinzu: ,Seine Liebe zu mir richtet sich nach dem Maße meiner Liebe zu Ihm.' Da sagte ich zu ihm: ,Bleib ein wenig bei mir -Allah soll sich deiner erbarmen!' Er aber gab zur Antwort: ,Ich bin ein Sklave, und so habe ich die Pflicht, meinem geringeren Herrn zu gehorchen.' Nun folgten wir ihm aus der Ferne, bis er in das Haus eines Sklavenhändlers eintrat. Damals war die Hälfte der Nacht bereits verstrichen, und weil uns die zweite Hälfte zu lang war, so gingen wir davon. Wie es jedoch Morgen ward, gingen wir zu dem Sklavenhändler und sprachen zu ihm: ,Hast du einen Sklaven, den du uns verkaufen kannst, auf daß er uns diene?' ,Jawohl,' erwiderte er, ,ich habe gegen hundert Sklaven, die alle verkäuflich sind.' Und er begann uns die Sklaven vorzuführen, einen nach dem anderen, bis er bereits



1000-und-1_Vol-03-718 Flip arpa

siebenzig von ihnen gezeigt hatte, ohne daß ich meinen Freund unter ihnen entdeckt hätte; dann sagte er: ,Außer diesen habe ich jetzt keine mehr.' Als wir uns darauf zum Gehen anschickten. traten wir noch in eine verfallene Hütte hinter dem Hause ein, und siehe, dort stand der Schwarze. Ich rief: ,Er ist es, beim Herrn der Kaaba!' und wandte mich alsbald an den Sklavenhändler mit den Worten: ,Verkauf mir den Sklaven dort.' Er antwortete: ,Abu Jahja, der da ist ein unseliger, unbrauchbarer Bursche, der die ganze Nacht hindurch nichts anderes tut als weinen und bei Tage nichts als bereuen.' Doch ich fuhr fort: ,Eben deswegen will ich ihn haben.' Da rief der Mann ihn, und der Mohr kam schläfrig heraus. Der Händler sprach zu mir: ,Nimm ihn um den Preis, den du selber bestimmst; aber sprich mich zuvor von der Verantwortung für alle seine Fehler frei!' Ich kaufte ihn also -so sagte Mâlik -für zwanzig Dinare und fragte dann: ,Wie heißt er?' Der Händler erwiderte: ,Maimûn."Darauf nahm ich ihn bei der Hand, und wir machten uns auf, um mit ihm nach Hause zu gehen; er aber wandte sich zu mir mit den Worten: ,O du mein geringerer Herr, warum hast du mich gekaufte Ich bin, bei Allah, für den Dienst bei den Menschen nicht tauglich.' Ich erwiderte ihm: ,Nur deshalb habe ich dich gekauft, damit ich selber dir diene; und das will ich gern tun.' Als er dann fragte: ,Wie kann das sein?' fuhr ich fort: ,Warst du nicht gestern bei uns im Bethause?' Und wiederum fragte er: ,Hast du mich denn beobachtet?' Da sagte ich: ,Ich bin es, der dich gestern angeredet hat.' Nun ging er schweigend weiter, trat in eine Moschee ein und betete zwei Rak'as. Darauf sprach er: ,O mein Gott, mein Herr und



1000-und-1_Vol-03-719 Flip arpa

Meister, ein Geheimnis, das nur dir und mir kund war, hast du deinen Geschöpfen offenbart, und vor den Menschen dieser Welt hast du mich dadurch bloßgestellt. Wie kann mir jetzt das Leben noch lieb sein, seit ein anderer als du erfahren hat, was zwischen mir und dir besteht? Ich beschwöre dich, nimm zur Stunde meine Seele zu dir!' Dann warf er sich anbetend nieder; und ich beobachtete ihn eine Weile, aber er hob sein Haupt nicht wieder empor. Ich rüttelte ihn; doch siehe, er war tot -die Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen sei mit ihm! So legte ich ihm denn Arme und Beine gerade, und als ich ihm ins Antlitz schaute, lächelte er. Da war auch die schwarze Farbe der weißen gewichen, und sein Antlitz erstrahlte und leuchtete hell. Während wir voll Staunen über dies Geschehnis dastanden, trat plötzlich ein Jüngling durch die Tür ein und sprach: ,Friede sei mit euch! Möge Allah uns und euch reichen Lohn verleihen um unseres Bruders Maimûn willen! Hier ist das Totenlaken; hüllt ilm darin ein!' Mit diesen Worten reichte er mir zwei Tücher, derengleichen ich noch nie gesehen hatte, und wir hüllten ihn darin ein.

Mâlik schloß seine Erzählung mit den Worten: Jetzt ist sein Grab ein Wallfahrtsort, bei dem man um Regen betet und wo man Allah, dem Allgewaltigen und Glorreichen, alle Bitten vorträgt. Und wie schön lauten die Dichterworte darüber:

Das Herz des, der erkennt, verweilt im Himmelsgarten,
An dessen Tor die Wächter des Herren hütend warten.
Und wenn es dort den Wein, den edlen, reinen, trinkt,
Vermischt mit Himmelstrank, den Gottes Näh ihm bringt,
Dann ist der Myste einig mit dem Freunde sein,
Und keines andren Herz dringt ins Geheimnis ein.

Ferner wird erzählt


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt