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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON ISKANDAR DHÛ EL-KARNAIN UND DEM GENÜGSAMEN KÖNIG

Iskandar Dhû el-Karnain' kam auf seinen Reisen einmal bei einem armseligen Volke vorbei, das nichts von den Dingen dieser Welt sein eigen nannte. Jene Leute gruben die Gräber für ihre Toten vor den Toren ihrer Häuser, und jederzeit besuchten sie diese Gräber, fegten den Staub von ihnen ab und hielten sie sauber, und bei solchen Besuchen beteten sie Gott den Erhabenen dort an. Ihre einzige Speise aber waren das Gras und die Kräuter der Erde. Da schickte Iskandar Dhû el-Karnain einen Mann zu ihnen, der ihren König zu ihm berufen sollte; der aber weigerte sich und sprach: ,Ich bedarf seiner nicht.' Und nun begab Dhû el-Karnain sich zu ihm und fragte: ,Wie steht es mit euch? Was treibt ihr? Ich sehe bei euch weder Gold noch Silber, noch auch finde ich bei euch irgend etwas von den Gütern dieser Welt.' König antwortete ihm: ,Von den Gütern dieser Welt wird niemand satt.' Weiter fragte Iskandar: ,Warum grabt ihr die Gräber vor euren Toren?' Der König erwiderte: ,Damit wir sie immer vor Augen haben! So schauen wir auf sie und denken immer aufs neue an den Tod und vergessen nie die künftige Welt; dann schwindet auch die Liebe zur irdischen Welt aus unseren Herzen, und wir werden nicht durch sie von dem Dienste unseres Herrn, des Erhabenen. abgelenkt.' Und wiederum fragte Iskandar: ,Wie kommt es, daß ihr Gras esset?' Jener König gab ihm zur Antwort: ,Weil wir es verabscheuen, unsere Leiber zu Gräbern von Tieren zu



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machen und weil die Lust am Essen nicht über die Kehle hinausreicht.' Darauf reckte er seine Hand aus, holte den Schädel eines Menschen hervor, legte ihn vor Iskandar nieder und sprach zu ihm: ,O Dhû el-Karnain, weißt du, wem dieser Schädel gehört hat?' ,Nein', erwiderte er; und jener fuhr fort: ,Der, dem dieser Schädel gehört hat, war einer von den Königen dieser Welt; der pflegte seine Untertanen grausam zu behandeln und ihnen unrecht zu tun, zumal den Schwachen, und er vergeudete seine Zeit damit, den Tand dieser Welt aufzuhäufen. Da nahm Allah seine Seele fort und machte das Höllenfeuer zu seinem Aufenthaltsort. Und dies ist nun sein Schädel.' Dann reckte er seine Hand von neuem aus, legte einen zweiten Schädel vor Iskandar nieder und sprach zu ihm: ,Kennst du diesen?' ,Nein', erwiderte er; und dann fuhr jener fort: ,Dieser gehörte einem anderen von den Königen der Erde; der war gerecht gegen seine Untertanen und hatte ein Herz für das Volk seines Reiches und seiner Herrschaft. Da nahm Allah seine Seele von ihm fort, ließ ihn im Paradiese wohnen und dort in hohen Ehren thronen.' Darauf legte er seine Hand auf das Haupt des Königs Dho el-Karnain und sprach: ,Welcher von diesen beiden magst du wohl sein?' Da weinte Dhû el-Karnain bitterlich, drückte den fremden König an seine Brust und sprach zu ihm: ,Wenn du Lust hast, dich mir zu gesellen, so will ich dich zu meinem Wesir machen und mit dir mein Reich teilen.' Aber jener Mann rief: ,Das sei ferne! Das sei ferne! Danach trage ich kein Verlangen.' Als Iskandar ihn fragte: ,Weshalb denn nicht?' antwortete er: ,Weil alle Menschen deine Feinde sind um des Reichtumes und des Besitzes willen, der dir verliehen ward; alle aber sind in Wahrheit meine Freunde wegen meiner Genügsamkeit und meiner Armut, dieweil ich keinen Besitz habe und auch nichts Irdisches



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begehre; danach trage ich kein Verlangen, und darum brauche ich nicht zu bangen. Die Genügsamkeit allein ist mir Genüge!' Da drückte Iskandar ihn noch einmal an seine Brust und küßte ihn auf die Stirn; dann zog er weiter.

Ferner wird berichtet


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