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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VOM ENGEL DES TODES VOR DEM REICHEN KÖNIG

Ein König hatte einst unendlich und unermeßlich großes Gut aufgehäuft und von allen Dingen, die Allah der Erhabene in dieser Welt geschaffen hat, eine große Menge gesammelt, auf daß er seine Seele dadurch erquickte. Und schließlich hatte er, um sich ganz dem hinzugeben, was er an reichen Gütern des Glückes besaß, sich ein hohes, gen Himmel ragendes Schloß gebaut, wie es Königen geziemt und für sie angemessen ist. Das hatte er mit zwei festen Toren versehen; auch hatte er Diener und Krieger und Türhüter für sich ausgewählt, soviel wie er wollte. Eines Tages nun befahl er dem Koche, ihm ein Mahl von den feinsten Speisen zu bereiten; und er versammelte die Seinen, sein Gefolge, seine Diener und seine Freunde, auf daß sie mit ihm aßen und sich seiner Huld erfreuten. Da saß er nun auf dem Throne seiner Herrscherherrlichkeit, lehnte sich in die



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Kissen zurück und redete zu seiner Seele, indem er sprach: ,O Seele, du hast dir jetzt alle Güter dieser Welt aufgehäuft; nun gib dich ihnen hin und iß von diesen guten Dingen, dir zur Gesundheit; denn dir ist ein langes Leben voll reichen Glücks gegeben!'

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 463. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jener König die Worte an seine Seele: ,Iß von diesen guten Dingen, dir zur Gesundheit; denn dir ist ein langes Leben voll reichen Glücks gegeben!' kaum beendet hatte, als draußen vor dem Schlosse ein Mann erschien, der zerrissene Kleider trug und über der Schulter einen Sack hatte wie ein Bettler, der Essen erbittet. Der kam heran und tat mit dem Türring einen gewaltigen und furchtbaren Schlag auf das Schloßtor, der den Palast erbeben und den Thron wanken machte. Erschrocken eilten die Diener zum Tore und schrien den Pocher mit den Worten an: ,Weh dir, was tust du da? Was soll diese Frechheit? Warte, bis der König gegessen hat; dann werden wir dir von dem geben, was übrig bleibt!' Aber er herrschte die Diener an: ,Sagt eurem Herrn, er solle zu mir herauskommen, um mit mir zu reden; ich habe ein Anliegen an ihn, ein Geschäft, das wichtig ist, eine Sache, die dringlich ist!' Doch sie erwiderten: ,Hinweg, du Tropf! Wer bist du, daß du unserem Herrn zu befehlen wagst, er solle zu dir herauskommen?' ,Tut es ihm kund!' sprach er. Sie gingen hinein und taten es dem König kund; der aber fragte sie: ,Habt ihr ihn nicht zurückgetrieben, das Schwert wider ihn gezückt und ihn fortgejagt?' Da klopfte er wieder an die Tür, noch lauter als das erste Mal; die Diener stürmten auf ihn los mit Stäben und Waffen und wollten über ihn herfallen, um



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ihn zu schlagen. Doch er erhob seine Stimme wider sie: ,Stehet still, wo ihr seid! Ich bin der Engel des Todes!' Da erbebten ihre Herzen, und sie waren wie von Sinnen; ihr Geist geriet in Verwirrung, ihr Leib erzitterte, und ihre Glieder konnten sich nicht mehr rühren. Der König rief ihnen zu: ,Sagt ihm, er solle jemand anders als Ersatz für mich holen!' Aber der Todesengel sprach: ,Ich nehme keinen Ersatz, ich bin nur deinetwegen gekommen, um dich zu trennen von den Gütern, die du aufgehäuft hast, und von den Schätzen, die du gesammelt und aufgespeichert hast!' Nun begann der König zu seufzen und zu weinen, und er rief: ,Allah verfluche den Reichtum, der mir nur Täuschung gebracht und mich elend gemacht und von dem Dienste meines Herrn ferngehalten hat! Ich glaubte, er würde mir nützen, aber jetzt ist er mir nur eine Qual und ein Unglück zumal; siehe da, ich muß ihn mit leeren Händen verlassen, und er verbleibt meinen Feinden!' Darauf ließ Allah den Reichtum reden, und der sprach: ,Warum verfluchest du mich? Verfluche dich selber! Allah der Erhabene hat mich und dich aus dem Staube geschaffen, und er gab mich in deine Hand, auf daß du dir durch mich eine Wegzehrung schüfest für dein Leben im Jenseits und von mir den Armen und Bedürftigen und Elenden Almosen gäbest; auf daß du von mir Herbergen und Moscheen, Brücken und Wasserleitungen bautest und ich dir so ein Helfer wäre in der künftigen Welt. Du aber hast mich aufgehäuft und aufgespeichert und mich für dein eigenes Gelüst verwandt, du hast mir nicht einmal den schuldigen Dank gesagt, sondern mir mit Undank gelohnt. Darum mußt du mich jetzt deinen Feinden lassen, in deinem Leid und deiner Reue. Was für eine Schuld trifft mich denn, daß du mich verwünschest?' Dann nahm der Engel des Todes die Seele des Königs, während er auf seinem Throne saß, ehe er noch von den Speisen gekostet



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hatte, sodaß er tot hinsank und von seinem Herrscher sitze herunterfiel. Allah der Erhabene sagt: Während sie sich dessen freuten, was ihnen zuteil geworden war, nahmen wir sie plötzlich fort, und siehe, da waren sie voller Verzweiflung.'

Ferner wird erzählt


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