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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM ENGEL DES TODES VOR DEM REICHEN KÖNIG UND VOR DEM FROMMEN MANNE

Einst wollte, o glücklicher König, einer von den Herrschern der Vorzeit im Prunkzuge ausreiten inmitten einer Schar von seinen Hofleuten und den Großen seines Reiches, um seinen Untertanen die Wunder seiner Herrlichkeit zu zeigen. So befahl er denn seinen Mannen und Emiren und den Vornehmen seines Reiches, sich zum Auszug mit ihm zu rüsten; und er gebot seinem Kleidermeister, ihm die prächtigsten Gewänder zu bringen, wie sie einem König bei seinem Staatszug geziemen; und ferner gab er Befehl, seine Rosse herbeizuführen, eine herrliche Schar, die von edelster Abstammung war. Als man all das getan hatte, wählte er von den Gewändern aus, was ihm gefiel, und von den Rossen das, an dem sein Herz Freude hatte. Darauf legte er die Gewänder an, bestieg das edle Tier und ritt nun dahin im Prunkzuge und trug eine Halskette, die mit Edelsteinen und mancherlei Perlen und Rubinen besetzt war; dabei ließ er den Renner inmitten seines Gefolges tänzeln, selbstgefällig in seinem Stolze und seinem Kraftgefühl. Aber da kam der Böse zu ihm, legte ihm die Hand auf die Nase und blies ihm den Odem des Übermuts und der Hoffart in die Nasenlöcher, sodaß er in seiner Verblendung bei sich selber sprach: ,Wer in aller Welt ist mir gleiche' Und er begann von Stolz und Übermut zu schwellen, er ließ der Hoffart freien Lauf und ging ganz in den Gedanken an seine eigene Herrlichkeit auf, sodaß er in seinem verblendeten Dünkel und in seiner selbstgefälligen Anmaßung keinen Menschen mehr anblickte. Plötzlich stand ein Mann vor ihm, der zerrissene Kleider trug; der Mann grüßte



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ihn, doch er gab ihm den Gruß nicht zurück. Da ergriff der Fremde die Zügel seines Rosses. ,Hebe deine Hand hinweg,' schrie der König ihn an, ,du weißt nicht, wessen Zügel du festhältst!' Ruhig sprach der Mann: ,Ich habe ein Anliegen an dich.' Der König erwiderte: ,Warte, bis ich absteige; dann nenne mir dein Anliegen!' Aber der Fremde sagte darauf: ,Es ist ein Geheimnis; ich kann es dir nur ins Ohr flüstern.' Darauf neigte der König sein Ohr zu ihm herab, und der Mann sprach: ,Ich bin der Engel des Todes; ich will deine Seele holen!' Nun bat der König: ,Laß mir nur so viel Zeit, daß ich nach Hause zurückkehren und von den Meinen, meinen Kindern, meiner Gattin und meinen Nachbarn Abschied nehmen kann!' ,Nein, wahrlich,' entgegnete der Engel, ,du wirst nicht mehr zurückkehren. und du wirst sie niemals wiedersehen! Denn deines Lebens Frist ist abgelaufen.' Dann nahm er die Seele des Königs, während er noch auf dem Rosse saß. Tot sank der Leib zu Boden; und der Engel des Todes flog davon. Danach aber kam der Engel zu einem frommen Manne, dem Allah der Erhabene sein Wohlgefallen zugewandt hatte, und grüßte ihn. Als der Fromme seinen Gruß erwidert hatte, fuhr der Todesengel fort: ,O du frommer Mann, ich habe ein Anliegen an dich; doch es ist ein Geheimnis.' Der Mann antwortete: ,Flüstre mir dein Anliegen ins Ohr!' Da flüsterte der Engel: ,Ich bin der Engel des Todes!' ,Willkommen!' rief der Fromme; ,Allah sei Dank, daß du genaht bist! Denn ich habe schon oft nach deiner Ankunft gespäht; lange bist du dem ferngeblieben, der sich nach deinem Erscheinen sehnt.' Der Engel sagte darauf: ,Wenn du noch irgendein Geschäft hast, so erledige es! 'Aber der Fromme entgegnete: ,Ich habe kein wichtigeres Geschäft, als vor das Antlitz meines Herrn, des Allgewaltigen und Glorreichen, zu treten.' Weiter sagte der Engel: ,Wie wünschest du, daß ich



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deine Seele nehme? Denn mir ist befohlen worden, sie nur so zu holen, wie du es willst und wünschest.' ,Nun, so warte, bis ich die religiöse Waschung vollzogen und gebetet habe,' erwiderte der Fromme; ,wenn ich mich dann im Gebet niedergeworfen habe, so nimm meine Seele, während ich anbetend am Boden liege!' Der Engel sprach: ,Mein Herr, der Allgewaltige und Glorreiche, hat mir befohlen, deine Seele nur mit deiner Einwilligung so zu holen, wie du wünschest; drum will ich tun, was du gesagt hast.' Darauf vollzog der Mann die religiöse Waschung und betete; und der Engel des Todes nahm seine Seele, während er anbetend am Boden lag, und trug sie zu Allah dem Erhabenen an den Ort des Erbarmens und des Wohlgefallens und der Vergebung.

Man erzählt aber auch


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