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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM KAUFMANNE 'ALt AUS KAIRO

Einst lebte in der Stadt Kairo ein Kaufherr, der viel Geld und Gut, Edelsteine, Goldbarren und unzählbare Ländereien besaß; der hieß Hasan, der Juwelier aus Baghdad. Ferner hatte Allah ihm einen Sohn geschenkt, der von schönem Antlitz und ebenmäßigem Wuchse war; rosig leuchtete seiner Wangen Paar; ja, er war von wunderbarer Vollkommenheit und von strahlender Lieblichkeit. Dem hatte er den Namen 'All aus Kairo gegeben; und er hatte ihn im Koran, in den Wissenschaften, in der Beredsamkeit und aller feinen Bildung unterrichten lassen. So war er zu einem Jüngling herangewachsen, der sich in allen Wissenschaften auszeichnete; im Kaufmannsberufe aber stand er unter seines Vaters Hand. Nun begab es sich, daß sein Vater von einer Krankheit befallen ward, die ihn immer schwerer bedrängte; wie er aber des Todes gewiß war, rief er seinen Sohn zu sich. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 425. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufherr, der Juwelier aus Baghdad, als er in seiner Krankheit des Todes gewiß war, seinen Sohn 'All aus Kairo zu sich rief und zu ihm sprach: ,Mein Sohn, diese Welt vergeht, und nur das Jenseits besteht, und jede Seele muß den Tod kosten. Nunmehr, mein Sohn, ist die Zeit meines Scheidens nahe gekommen; darum will ich dir eine Ermahnung ans Herz legen. Wenn du nach



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ihr handelst, so wirst du immerdar in Glück und Frieden leben, bis du vor Allah den Erhabenen trittst; befolgst du sie aber nicht, so wirst du viel Mühsal erdulden müssen, und dann wirst du es bereuen, meine Mahnung mißachtet zu haben.' Sein Sohn erwiderte ihm: ,Väterchen, wie könnte ich auf deine Ermahnung nicht hören und nicht nach ihr handeln? Es ist doch meine Pflicht, dir zu gehorchen, und es liegt mir ob, auf deine Worte zu hören!' Dann fuhr der Vater fort: ,Mein Sohn, ich hinterlasse dir Ländereien, Häuser und Waren und so unermeßlich großen Reichtum, daß all dies, wenn du auch jeden Tag fünfhundert Dinare davon ausgeben würdest, sich dir doch in keiner Weise vermindern würde. Doch, mein Sohn, achte darauf, daß du Allah fürchtest und daß du dem auserwählten Propheten -Gott segne ilm und gebe ihm Heil! — in allem, was von ihm überliefert ist und was er in seiner Satzung geboten und verboten hat, nachfolgest. Sei beständig im Wohltun und im Almosengeben und pflege stets den Umgang mit den guten, rechtschaffenen und weisen Männern! Sorge für die Armen und Bedürftigen, meide den Geiz und die Habgier und den Umgang mit schlechten und verdächtigen Menschen! Schau mit Güte auf deine Diener und die Deinen, und auch auf deine Frau; denn sie gehört zu den Töchtern der Vornehmen, und sie trägt ein Kind von dir unter dem Herzen; möge Allah dir durch sie rechtschaffene Nachkommen gewähren!' So gab er ihm unablässig viele Ermahnungen; und dabei weinte er und sagte: ,Mein Sohn, ich flehe zu Allah, dem allgütig Waltenden, dem Herrn des Thrones, dem allmächtig Schaltenden, daß er dich aus allen Nöten, die dich betreffen könnten, befreie und dir seine rasche Hilfe gewähre.' Da weinte der Sohn bitterlich und sprach: ,Lieber Vater, bei Allah, diese Worte zerreißen meine Seele; denn du sprichst, als nähmest du Abschied.' ,Ja,



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mein Sohn,' erwiderte der Vater, ,ich weiß, wie es um mich steht. Vergiß du meine Mahnung nicht!' Darauf begann der Kaufmann das Glaubensbekenntnis zu sprechen und Koranverse zu sagen, bis die bestimmte Stunde da war; dann sprach er zu seinem Sohne: ,Tritt nahe zu mir, mein Sohn!' Nun trat 'All nahe zu ihm: der Vater küßte den Sohn und tat den letzten Seufzer. Seine Seele entfloh seinem Körper, und er ging ein zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen. Da ward der Sohn von tiefer Trauer ergriffen, und in seinem Hause erschollen die Klagerufe. Alsbald kamen auch die Freunde seines Vaters zu ihm, und er begann alles zur Bestattung herzurichten; dann führte er die Leiche in stattlichem Zuge hinaus. Sie ward zum Gebetsplatze getragen, und nachdem das Gebet über ihr gesprochen war, ward sie zum Friedhof geleitet. Dort ward sie zur Erde bestattet, und über dem Grabe wurden die geziemenden Sprüche des hochherrlichen Korans gesprochen. Darauf kehrten alle zum Sterbehause zurück; die Freunde sprachen dem Sohn ihre Teilnahme aus, und ein jeder ging seiner Wege. 'All aber ließ die Freitagsgebete und die Koranlesungen für den Verstorbenen abhalten, vierzig Tage lang, während er im Hause blieb und es nur verließ, wenn er zum Betplatze ging; und jeden Freitag besuchte er das Grab seines Vaters. Lange Zeit hindurch ließ er nicht ab, zu beten und Koranverse zu sprechen und sich der Andacht hinzugeben, bis schließlich seine Freunde von den Söhnen der Kaufleute zu ihm kamen, ilm grüßten und sprachen: ,Wie lange soll diese Trauer, die du hältst, noch dauern? Wie lange willst du deinen Geschäften, deinem Kaufmannsberuf und dem Verkehr mit deinen Freunden entsagen? Fürwahr, dies ist ein Tun, das dich ermüden und aus dem deinem Leibe großer Schaden erwachsen wird.' Doch wie sie so bei ihm waren, war auch der verfluchte Teufel unter ihnen.



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der ihnen einflüsterte; und während sie ihn zu überreden suchten, mit ihnen zum Basar zu gehen, versuchte der Teufel ihn so lange, ihnen nachzugeben, bis er einwilligte, mit ihnen das Haus zu verlassen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 426 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Söhne der Kaufleute. als sie zudem Kaufmann 'All aus Kairo, dem Sohn des Kaufmannes Hasan, des Juweliers, eingetreten waren, ihn zu überreden suchten, mit ihnen zum Basar zu gehen, bis er ihnen nachgab, wie es nach dem Willen Allahs, des Hochgepriesenen und Erhabenen, geschah, und mit ihnen das Haus verließ. Da sprachen sie zu ihm: ,Besteig dein Maultier und begib dich mit uns in den Garten dort, auf daß wir uns in ihm ergehen und dein Kummer und Gram von dir weiche!' So bestieg er denn sein Maultier, nahm seinen Sklaven mit sich und begab sich mit ihnen zu dem Garten, den sie im Sinne hatten. Als sie dort ankamen, ging einer von ihnen hin, bereitete ihnen das Mahl und brachte es ihnen in den Garten. Sie aßen und waren guter Dinge und saßen plaudernd zusammen, bis der Tag zu Ende war; darauf bestiegen sie ihre Reittiere und kehrten heim. Ein jeder von ihnen begab sich in sein Haus und blieb dort über Nacht. Doch als es Morgen ward, kamen sie wieder zu 'All und sprachen: ,Komm mit uns!' ,Wohin denn?' fragte er. Sie erwiderten: ,In den und den Garten; der ist noch schöner und lieblicher als der erste.' Da saß er auf und begab sich mit ihnen zu dem Garten, den sie im Sinne hatten; und als sie dort waren, ging einer von ihnen hin, bereitete ihnen das Mahl und brachte es ihnen in den Garten; zugleich aber brachte er auch berauschenden Wein. Als sie dann gegessen hatten, holten sie den



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Wein herbei und sprachen zu 'All: ,Dies ist das, was die Trauer verscheucht und die Freude bringt.' Und sie redeten ihm so lange zu, bis sie ihn in ihre Gewalt gebracht hatten; da trank er mit ihnen, und sie blieben plaudernd und zechend zusammen, bis der Tag zu Ende war. Dann begaben sich alle nach Hause. Doch 'All aus Kairo war vom Weine berauscht. und als er in diesem Zustand zu seiner Frau eintrat, sprach sie zu ihm: ,Was ist es mit dir, daß du so anders aussiehst?' Er gab ihr zur Antwort: ,Wir waren heute fröhlich und guter Dinge; und da brachte uns einer von unseren Freunden ein Wasser. Meine Freunde tranken davon, und ich trank mit ihnen, und nun bin ich so berauscht geworden.' Sein Weib aber sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, hast du schon deines Vaters Ermahnung vergessen und das getan, was er dir verboten hat, indem du dich zu verdächtigen Menschen geselltest?' Er entgegnete ihr: ,Die sind doch Söhne der Kaufleute, keine verdächtigen Menschen; sie sind nur Freunde der Heiterkeit und des Frohsinns!' So führte er denn dies Leben mit seinen Kumpanen weiter, Tag für Tag, indem sie von Stätte zu Stätte zogen, schmausend und zechend, bis sie zu ihm sprachen: ,Jetzt sind wir alle an der Reihe gewesen, und nun kommst du an die Reihe.' Er antwortete ihnen: ,Willkommen, herzlich willkommen!' Und am nächsten Morgen rüstete er alles, was an Speise und Trank fur das Gelage nötig war, doppelt soviel, als sie hergerichtet hatten; er nahm Köche und Haus diener und Kaffeebereiter mit sich, und sie begaben sich zur Nilinsel er-Rôda und zum Nilmesser.' Dort blieben sie einen ganzen Monat bei Speise und Trank und Saitenklang und Fröhlichkeit. Als aber der Monat verflossen war, bemerkte 'All, daß er eine beträchtliche Summe Geldes ausgegeben hatte; doch der verfluchte Teufel verblendete



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ihn, indem er ihm einflüsterte: ,Wenn du auch jeden Tag ebensoviel ausgäbest, wie du ausgegeben hast, dann würde deines Besitzes doch nicht weniger werden.' So achtete er denn nicht auf die Ausgaben und führte das gleiche Leben drei Jahre lang, obwohl seine Frau ihm guten Rat gab und ihn an das Vermächtnis seines Vaters erinnerte; doch er hörte nicht auf ihre Worte, bis schließlich alles bare Geld, das ihm gehörte, aufgebraucht war. Da nahm er von den Juwelen, verkaufte sie und gab den Erlös aus, bis er alles verschwendet hatte; darauf begann er die Häuser und die Grundstücke zu verkaufen, bis ihm keins mehr verblieb. Und als die zu Ende waren, fing er an, die Landhöfe und die Gärten zu verkaufen, einen nach dem anderen, bis auch sie alle dahingeschwunden waren und ihm nichts mehr übrig geblieben war als das Haus, in dem er wohnte. Da riß er die Marmorplatten und da Holzwerk aus dem Hause heraus und verschwendete den Erlös dafür, bis er alles dahingegeben hatte. Als er nun über sich nachdachte und fand, daß er nichts mehr besaß, das er ausgeben konnte, verkaufte er das Haus und verschwendete den Erlös dafür. Da aber kam zu ihm der Mann, der das Haus von ihm gekauft hatte, und sprach zu ihm: ,Suche dir eine andere Stätte; denn ich habe mein Haus nötig!' Wiederum dachte 'All über sich nach und fand, daß er nichts besaß, was ein Haus erforderte, sondern nur seine Frau und seinen Sohn und seine Tochter, die sie ihm geboren hatte; denn Diener hatte er nicht mehr, er war mit den Seinen allein. So nahm er sich denn einen Raum an einem der Höfe und wohnte dort, er, dem einst große Dienerscharen, Ehre, Wohlleben und Reichtum zu eigen gewesen waren; und bald hatte er nicht einmal mehr Brot für einen Tag. Da sprach sein Weib zu ihm: ,Ich habe dich hiervor gewarnt, ich habe dir immer gesagt, du sollest deines Vaters Ermahnung beachten; aber du



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wolltest nicht auf meine Worte hören. Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah dem Erhabenen und Allmächtigen! Wovon sollen nun die Kindlein essen? Mache dich auf und gehe umher bei deinen Freunden, den Söhnen der Kaufleute; vielleicht werden sie dir etwas geben, von dem wir uns heute ernähren können!' Er machte sich auf und besuchte seine Freunde, einen nach dem andern. Aber ein jeder von ihnen, zu dem er kam, verbarg sein Angesicht vor ihm und ließ ihn kränkende und schmerzliche Worte hören: kein einziger von ihnen gab ihm etwas. Da kehrte er zu seiner Frau zurück und sprach zu ihr: ,Sie haben mir nichts gegeben.' Nun begab sie sich zu ihren Nachbarn, um von ihnen etwas zu erbitten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 427. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Frau 'Alls aus Kairo, des Sohnes des Kaufherrn Hasan, des Juweliers, als ihr Mann mit leeren Händen zu ihr heimkam, sich zu ihren Nachbarn begab, um von ihnen etwas zu erbitten, mit dem sie an jenem Tage ihr Leben fristen könnten. Sie ging zu einer Frau, die sie in früheren Tagen gekannt hatte; und als sie zu ihr eintrat und jene sah, wie es um sie stand, erhob sie sich, empfing sie freundlich und fragte sie unter Tränen: ,Was ist euch widerfahren?' Nun erzählte die Arme ihr alles, was ihr Mann getan hatte; da sprach die Nachbarin zu ihr: ,Willkommen, herzlich willkommen! Alles, was du brauchst, das verlange von mir unentgeltlich!' ,Allah lohne es dir mit Gutem!' erwiderte die Frau 'Alls. Und die Nachbarin gab ihr so viel Vorrat, daß sie mit den Ihren einen ganzen Monat davon leben konnte; sie nahm es hin und begab sich zu ihrer Wohnstätte. Als ihr Gatte



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sie sah, weinte er und fragte sie: ,Woher hast du das?' Sie antwortete ihm: ,Von der und der Frau; als ich ihr erzählte, was über uns gekommen ist, hielt sie mit nichts zurück, sondern sie sprach zu mir: ,Verlange von mir alles, was du brauchst!' Da sagte ihr Gatte zu ihr: ,Weil du nun dies hast, so will ich mich fortbegeben und mir eine Stätte suchen; vielleicht wird Allah der Erhabene dann die Not von uns nehmen.' Dann nahm er Abschied von ihr, küßte seine Kinder und ging fort, ohne zu wissen, wohin er sich wenden sollte. Er schritt immer weiter dahin, bis er nach Bulak kam; und dort sah er ein Schiff, das nach Damiette fahren wollte. Dort traf ihn ein Mann, der mit seinem Vater befreundet gewesen war; der grüßte ihn und sprach zu ihm: ,Wohin des Wegs?' 'All erwiderte: ,Nach Damiette: dort habe ich Freunde, die ich besuchen will, um mich nach ihrem Wohlsein zu erkundigen. Dann will ich wieder heimkehren.' Jener Mann nahm ihn mit nach Hause und bewirtete ihn gastlich; auch versah er ihn mit Wegzehrung, gab ihm ein paar Goldstücke und brachte ihn auf das Schiff, das nach Damiette fuhr. Als sie dort ankamen, ging 'All an Land; doch er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte. Während er so dahinschritt, erblickte ihn ein und der hatte Mitleid mit ihm und nahm ihn mit nach Hause. Bei ihm blieb 'All eine Weile; aber schließlich sagte er sich: ,Wie lange soll ich in fremder Leute Häusern wohnen?' Darum verließ er das Haus jenes Kaufmanns und suchte sich ein Schiff, das nach Syrien fuhr. Der Mann, beidem er zu Gaste war, versah ihn mit Wegzehrung und brachte ihn auf jenes Schiff. So reiste er denn weiter, bis er nach Damaskus kam. Als er dort in den Straßen umherging, erblickte ihn ein gütiger Mann, und der nahm ilm mit in sein Haus. Nachdem er bei ihm eine Weile verblieben war. ging er eines Tages aus und sah zufällig eine Karawane, die



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nach Baghdad zog. Da kam ihm der Gedanke, sich jener Karawane anzuschließen; er kehrte also zudem Kaufmanne zurück. in dessen Hause er zu Gaste war, nahm Abschied von ihm und zog mit der Karawane fort. Nun machte Allah, der Hochgepriesene und Erhabene, ihm das Herz eines der Kaufleute geneigt, und der nahm ihn zu sich; so konnte 'All mit ihm essen und trinken, bis sie nur noch eine Tagereise von Baghdad entfernt waren. Da plötzlich fiel eine Bande von Wegelagerern über die Karawane her, und die nahmen den Kaufleuten all ihre Habe ab. Nur wenige von ihnen konnten entrinnen, und von denen flüchtete ein jeder an eine andere Stätte. 'All aus Kairo aber begab sich nach Baghdad, und dort kam er bei Sonnenuntergang an. Kaum hatte er das Stadttor erreicht, da sah er, wie die Torwächter gerade das Tor schließen wollten; darum rief er ihnen zu: ,Laßt mich zu euch hinein!' Nachdem die ihn zu sich eingelassen hatten, fragten sie ihn: ,Woher kommst du, und wohin gehst du?' Er gab ihnen zur Antwort: ,Ich bin ein Mann aus der Stadt Kairo; ich habe bei mir Waren, Maultiere mit Lasten, Sklaven und Diener. Ich bin ihnen voraufgeeilt, um mir eine Stätte zu suchen, an der ich meine Waren lagern könnte; aber wie ich so auf meinem Maultiere voraufritt, begegnete mir eine Schar von Wegelagerern; die nahmen mir mein Maultier und alle meine Sachen, und ich bin ihnen nur mit genauer Not entkommen.' Die Torwächter nahmen ihn gastlich auf, indem sie sprachen: ,Sei uns willkommen; übernachte bei uns bis zum Morgen! Dann wollen wir uns nach einer geziemenden Stätte für dich umsehen.' Da suchte er in seiner Tasche nach und entdeckte einen Dinar, der ihm noch übrig geblieben war von jenen, die ihm der Kaufmann in Bulak gegeben hatte; diesen Dinar gab er einem von den Torwächtern mit den Worten: ,Nimm den, laß ihn wechseln und



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bring uns etwas zu essen!' Der Mann nahm ihn, ging zum Basar, ließ ilm wechseln und brachte Brot und gekochtes Fleisch; dann aß 'All mit den Wächtern und schlief bei ihnen bis zum Morgen. Darauf nahm einer von den Torwächtern ihn mit sich und ging mit ihm zu einem der Kaufherren von Baghdad; dem erzählte 'All die gleiche Geschichte, und jener Mann glaubte ihm und war der Meinung, er sei ein Kaufmann und habe Lasten von Waren. So führte er ihn denn in seinen Laden. nahm ihn gastlich auf, sandte nach seinem Hause und ließ ihm ein prächtiges Gewand von seinen eigenen Kleidern bringen; dann führte er ihn ins Badehaus. ,Ich ging nun', so erzählte 'All aus Kairo, der Sohn des Kaufmannes Hasan, des Juweliers, ,mit ihm ins Badehaus; und als wir wieder herauskamen, nahm er mich mit sich und ging mit mir zu seinem Wohnhause. Dort ließ er uns das Morgenmahl bringen, und wir aßen und waren guter Dinge. Dann rief er einen seiner Sklaven: ,Mas'ûd, führe diesen deinen Herrn und zeig ihm die beiden Häuser, die da und da stehen; gib ihm die Schlüssel desjenigen der beiden Häuser, das ihm gefällt, und dann komm zurück!' Ich ging also mit dem Sklaven, bis wir zu einer Straße kamen, in der drei Häuser nebeneinander standen, die neuerbaut und noch geschlossen waren. Er öffnete das erste Haus, und ich sah es mir an. Dann gingen wir wieder hinaus und begaben uns zum zweiten Hause; nachdem er auch das aufgemacht hatte, schaute ich mich in ihm um. Als er mich nun fragte: ,Zu welchem von den beiden soll ich dir die Schlüssel geben?' sagte ich jedoch: ,Wem gehört das große Haus dort?' Er antwortete: ,Uns.' Ich fuhr fort: ,Öffne es, damit wir es uns ansehen können!' Er entgegnete: ,Das kannst du nicht brauchen.' ,Warum denn nicht?' fragte ich weiter, und da erzählte er: ,Weil es dort spukt. Jeder, der dort nächtigt, ist am andern Morgen tot. Wir öffnen auch



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nicht einmal die Tür, um den Toten hinauszuschaffen, sondern wir steigen auf das Dach eines der beiden anderen Häuser und holen ihn von dort aus herauf. Darum hat mein Herr es verlassen und gesagt, er wolle es keinem mehr geben.' ,Öffne es doch,' erwiderte ich ihm. ,damit ich es mir ansehen kann!' Denn ich sagte mir in meinem Herzen: ,Das ist es, was ich suche! Ich will dort nächtigen, und dann bin ich morgen früh tot und kann von all dieser Not, die ich leide, ausruhen.' Der Sklave öffnete das Haus. ich trat hinein und sah, daß es ein prächtiges Haus war, das nicht seinesgleichen hatte. Darauf sprach ich zu dem Sklaven: ,Ich wähle nur dies Haus; gib mir die Schlüssel dazu!' Aber er entgegnete mir: ,Ich kann dir die Schlüssel nicht eher geben, als bis ich meinen Herrn um Rat gefragt habe.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 428. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Sklave entgegnete: ,Ich kann dir die Schlüssel nicht eher geben, als bis ich meinen Herrn um Rat gefragt habe.' Dann ging er zu seinem Herrn und sprach zu ihm: ,Der ägyptische Kaufmann sagt, er wolle nur in dem großen Hause wohnen.' Da macht eder Kaufherr sich auf, ging zu 'All aus Kairo und hub an: ,Lieber Herr, du kannst dies Haus nicht brauchen.' Doch 'All aus Kairo beharrte darauf: ,Ich will nur darin wohnen; aus diesem Gerede mache ich mir nichts.' Nun sprach der Kaufmann: ,Stelle mir eine Urkunde aus, daß ich nicht für dich verantwortlich bin, wenn dir etwas zustößt!' ,So sei es!' erwiderte 'All. Darauf ward ein Zeuge vom Gericht geholt, und 'All stellte dein Kaufmann die Urkunde aus; der nahm sie in Empfang und gab dem Ägypter die Schlüssel. Als dieser sie erhalten hatte, ging er in



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das Haus hinein. Der Kaufmann schickte ihm Bettzeug durch einen Sklaven, und der breitete ein Bett auf der Bank hinter der Tür aus' und kehrte heim. Nun ging 'All aus Kairo alsbald hinein und fand zuerst im Hofe des Hauses einen Brunnen, an dem ein Eimer aus Binsen hing; den ließ er in den Brunnen hinab, und nach dem er ihn gefüllt wieder heraufgezogen hatte, vollzog er die religiöse Waschung und sprach die ihm obliegenden Gebete. Dann setzte er sich eine Weile nieder; da kam auch schon der Sklave mit der Abendmahlzeit aus dem Hause seines Herrn und brachte auch eine Lampe, eine Kerze, einen Leuchter, ein Becken, eine Kanne und einen irdenen Krug; danach ging er fort und begab sich zum Hause seines Herrn. 'All aber zündete die Kerze an, speiste, war guter Dinge und sprach das Abendgebet. Dann sagte er sich: ,Komm, geh doch nach oben, nimm das Bettzeug mit und schlaf dort; da ist es besser als hier.' Also machte er sich auf, nahm das Bett und brachte es nach oben; dort entdeckte er eine prächtige Halle, deren Decke vergoldet und deren Boden und Wände mit buntem Marmor bedeckt waren. Er breitete sein Lager aus und setzte sich nieder, indem er Sprüche aus dem hochherrlichen Koran sprach. Doch ehe er sich dessen versah, rief plötzlich ein Wesen die Worte: ,O 'All, o Sohn des Hasan, soll ich dir das Gold hinabsenden?' Da rief er: ,Wo ist denn das Gold, das du herabsenden willst?' Kaum hatte er diese Worte gesprochen, da fiel auch schon ein Goldregen auf ihn herab gleich Steinen aus einer Wurfmaschine, und das Gold strömte unablässig, bis die Halle voll war. Als der Goldstrom aufhörte, rief das Wesen wieder: ,Laß mich frei, auf daß ich meiner Wege gehen kann! Ich habe meinen Auftrag erfüllt, ich habe dir überliefert, was mir für dich anvertraut war.' Doch 'All aus Kairo erwiderte:



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,Ich beschwöre dich bei Allah dem Allmächtigen, tu mir kund, was dieser Gold regen bedeutet!' Da rief die Stimme: ,Wisse, dies Gold ist ein Schatz, der von alters her auf deinen Namen verzaubert war. Zu jedem, der in dies Haus eintrat, pflegten wir zu kommen und zu sagen: ,O 'All, o Sohn des Hasan, sollen wir das Gold hinabsenden?' Dann waren die Menschen über unsere Worte erschrocken und schrien, wir aber stürzten auf sie, brachen ihnen das Genick und gingen wieder fort. Doch als du kamst und wir dich bei deinem und deines Vaters Namen riefen und dich fragten: ,Sollen wir das Gold hinabsenden?' da riefst du uns zu: ,Wo ist denn das Gold?' Nun wußten wir, daß es dir gehört, und wir sandten es hinab. Für dich liegt aber auch noch ein Schatz im Lande Jemen, und wenn du dorthin reisest, ihn hebst und hierher bringst, so tätest du gut daran. Jetzt wünsche ich von dir, daß du mich freilässest, auf daß ich meiner Wege gehen kann.' 'Ali jedoch entgegnete: ,Bei Allah, ich lasse dich nicht eher frei, als bis du mir den Schatz aus dem Lande Jemen hierher gebracht hast!' Da fragte die Stimme: ,Wenn ich ihn dir bringe, willst du dann mich und den Diener jenes Schatzes freilassen?' ,Ja', erwiderte 'Alî. ,Schwöre es mir!' rief der Geist. Kaum hatte 'All es ihm geschworen, da wollte der Geist forteilen; aber 'All aus Kairo sprach zu ihm: ,Ich habe noch ein Anliegen an dich.' ,Was ist das?' fragte der Geist, und 'All fuhr fort: ,Ich habe ein Weib und Kinder in Kairo an dem und dem Orte; die mußt du mir bringen, in Ruhe und Sicherheit.' Der Geist antwortete: ,Ich will sie dir in einem Prunkzuge bringen, in einer Sänfte, mit Dienerschaft und Gefolge, zugleich mit dem Schatze, den ich dir aus dem Lande Jemen hole, so Gott der Erhabene will.' Dann nahm er Urlaub von ihm auf drei Tage, innerhalb deren all dies bei ihm sein sollte, und eilte fort.



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Am nächsten Morgen begann 'All in der Halle nach einer Stätte zu suchen, an der er das Gold bergen konnte; und er fand am Rande der Estrade eine Marmorplatte mit einem Wirbel. Den drehte er; da wich die Platte, und eine Tür kam zum Vorschein. Nachdem er die geöffnet hatte und hineingegangen war, erblickte er eine große Kammer, in der sich Säcke aus genähter Leinwand befanden. Er nahm die Säcke, füllte sie mit dem Golde und brachte sie in die Kammer, bis er alles Gold dorthin geschafft hatte; dann schloß er die Tür und drehte den Wirbel, und die Marmorplatte kehrte an ihre Stelle zurück. Nun ging er wieder nach unten und setzte sich auf die Bank hinter der Tür. Während er dort saß, pochte plötzlich jemand an die Tür; er ging hin und machte auf, und da erblickte er den Sklaven des Hausherrn. Allein wie der ihn dort ruhig sitzen sah, lief er eilends zu seinem Herrn zurück. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 429. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Sklave des Hausherrn, als er gekommen war und an die Tür geklopft hatte, und als ihm dann von 'All aus Kairo, dem Sohne des Kaufmannes Hasan, geöffnet war, und wie er jenen dort ruhig sitzen sah, eilends zu seinem Herrn zurücklief. Als er bei seinem Herrn war, sprach er zu ihm: ,Mein Gebieter, der Kaufmann, der in dem Hause wohnt, wo die Geister spuken, ist wohl und munter und sitzt ruhig auf der Bank hinter der Tür!' Da erhob sich der Kaufmann voll Freude und begab sich zu jenem Hause, indem er das Frühmahl mitnahm. Und als er 'All erblickte, küßte er ihn auf die Stirn und fragte ihn: ,Was hat Allah mit dir getane' ,Gutes,' antwortete er, ,ich habe oben im Marmorsaale geschlafen.' Der Kaufmann fragte weiter: ,Ist etwas zu dir gekommen?



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Hast du irgend etwas gesehen?' ,Nein,' erwiderte 'All, ,ich habe nur einige geziemende Sprüche aus dem hochherrlichen Koran gesprochen; dann habe ich bis zum Morgen geschlafen. Nachdem ich mich dann erhoben, die religiöse Waschung vollzogen und gebetet hatte, ging ich wieder nach unten und setzte mich auf diese Bank.' Mit den Worten: ,Preis sei Allah für deine Rettung!' ging der Kaufmann von ihm fort und sandte ihm alsbald Sklaven, Mamluken und Dienerinnen mit allem Hausgerät. Die fegten das Haus von oben bis unten und richteten es für ihn prächtig her. Drei Mamluken, drei schwarze Sklaven und vier Sklavinnen blieben bei ihm, um ihm aufzuwarten, während die übrigen zum Hause ihres Herrn zurückkehrten. Als nun die Kaufleute von ihm hörten, schickten sie ihm Geschenke, allerlei köstliche Dinge, auch Speise und Trank und Gewänder. Dann nahmen sie ihn mit in den Basar: und als er gefragt ward: ,Wann kommen deine Waren?' erwiderte er: ,Nach drei Tagen werden sie eintreffen.' Und richtig, als die drei Tage verstrichen waren, kam der Diener des ersten Schatzes, der das Gold auf ihn in dem Hause herabgesandt hatte, wieder zu ihm und sprach: ,Auf geh dem Schatz entgegen, den ich dir aus Jemen gebracht habe, zugleich mit den Deinen; bei ihnen ist ein Teil des Schatzes in Gestalt von kostbaren Waren, aber alle Maultiere, Pferde, Kamele, Eunuchen und Mamluken, die bei ihnen sind, gehören zur Geisterwelt.' Als nämlich jener Geist nach Kairo gekommen war, hatte er die Gattin und die Kinder 'Alls in großer Not, nackt und hungernd, angetroffen; darum hatte er sie von ihrer Stätte in einer Sänfte fortgetragen, aus Kairo hinaus, und sie mit kostbaren Prachtgewändern bekleidet, die sich in dem Schatz aus Jemen befanden. Wie er nun zu 'Alt kam und ihm jene Kunde brachte, begab dieser sich alsbald zu den Kaufleuten und sprach



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zu ihnen: ,Auf, laßt uns vor die Stadt hinausziehen, der Karawane entgegen, mit der meine Waren kommen! Beehrt uns auch durch die Anwesenheit der Euren, damit sie die Meinen empfangen!' ,Wir hören und gehorchen!' sprachen die Kaufleute; dann schickten sie fort und ließen die Ihren holen, und nun zogen alle zusammen hinaus und lagerten sich in einem der Gärten der Stadt, setzten sich und plauderten. Doch während sie so miteinander redeten, da stieg plötzlich eine Staubwolke empor, die kam aus dem Herzen der Wüste hervor. Alle standen auf, um zu schauen, was für eine Bewandtnis es mit jener Staubwolke habe; die aber tat sich auf, und es erschienen unter ihr Maultiere, Männer, Packleute, Zeltaufschläger und Fackelträger, die singend und tanzend daherkamen. Nun hielten sie, und der Obmann der Packleute trat an 'All aus Kairo, den Sohn des Kaufmannes Hasan, des Juweliers, heran, küßte ihm die Hand und sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, wir haben uns auf dem Marsch verspätet. Schon früher wollten wir hier ankommen; aber wir waren in Gefahr durch die Wegelagerer. Darum blieben wir vier Tage lang an unserer Haltestelle, bis Allah der Erhabene uns von ihnen befreite.' Darauf bestiegen die Kaufleute ihre Maultiere und ritten mit der Karawane dahin; die Frauen und Kinder aber blieben bei den Angehörigen des Kaufmannes' Alî aus Kairo zurück, saßen mit ihnen auf und zogen in prächtigem Zuge in die Stadt ein. Die Kaufleute staunten über all die Maultiere, die mit den Kisten beladen waren; die Frauen der Kaufleute aber wunderten sich über die Gewänder der Gattin des Kaufmannes 'All und über die ihrer Kinder, und sie riefen aus: ,Wahrlich, der König von Baghdad



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besitzt nicht solche Gewänder, noch auch irgendeiner von den anderen Königen oder von den Vornehmen oder den Kaufleuten!' So zogen sie immer weiter in ihrem Zuge dahin, die Männer mit dem Kaufmanne 'All aus Kairo. die Frauen und Kinder mit den Seinen, bis sie zu dem Hause kamen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 430. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Leute in ihrem Zuge immer weiter dahinzogen, die Männer mit dem Kaufmann, die Frauen mit den Seinen, bis sie zu dem Hause kamen; dort saßen sie ab und führten die Maultiere mit ihren Lasten in den Hof. Darauf luden sie die Lasten ab und stapelten sie in den Magazinen auf, während die Frauen mit den Angehörigen 'Alls in die Halle hinaufstiegen; die kam ihnen vor wie ein üppiger Garten, der mit herrlichem Gerät ausgestattet war. Nun setzten sich alle nieder, fröhlich und erfreut, und blieben bis zur Mittagszeit sitzen. Dann ward ihnen das Mittagsmahl gebracht, die schönsten Arten von Gerichten und Süßigkeiten; so aßen sie denn und tranken köstliche Scherbette. Darauf besprengten sie sich mit Rosenwasser und beräucherten sich mit Weihrauch: und schließlich nahmen sie Abschied von 'All und begaben sich in ihre Wohnungen, Männer und Frauen. Als die Kaufleute dann wieder zu Hause waren, sandten sie ihm Geschenke, jenach ihrem Vermögen, und auch die Frauen schickten Gaben an die Angehörigen, so daß eine große Anzahl von Sklavinnen, Sklaven und Mamluken zu ihnen kam, ferner auch Fruchtgebäck, Zucker und andere gute Dinge in zahllosen Mengen. Der Kaufmann aus Baghdad aber, der Herr des Hauses. in dem 'All wohnte, blieb bei ihm und verließ ihn nicht, sondern er sprach zu ihm: ,Laß die Sklaven und Eunuchen mit



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den Mauleseln und den anderen Tieren in eins der anderen Häuser gehen, damit sie sich dort ausruhen.' Doch 'Alt erwiderte ihm: ,Sie müssen noch heute abend nach dein und dem Orte aufbrechen', und er gab ihnen Erlaubnis, aus der Stadt hinauszuziehen, damit sie bei Anbruch der Nacht aufbrechen könnten. Sic konnten kaum warten, bis er ihnen die Erlaubnis dazu gab, und so nahmen sic alsbald Abschied von ihm, zogen zur Stadt hinaus und flogen durch die Luft zu ihren Stätten davon. Nun saßen der Kaufmann 'Alt und der Herr des Hauses, in dem er wohnte, zusammen, bis ein Drittel der Nacht verstrichen war; dann brachen sic ihr Zusammensein ab, der Hausherr ging zu seiner Wohnung, und der Kaufmann 'Alt stieg zu den Seinen hinauf. Er begrüßte sie und fragte sie: ,Wie ist es euch während all dieser Zeit ergangen, seit ich euch fern war?' Da erzählte seine Gattin ihm alles, was sie erduldet hatten, wie sie hungrig, nackt und in Bedrängnis gewesen waren. Und er rief: ,Preis sei Allah fur eure Errettung! Wie seid ihr denn gekommen?' Sie gab ihm zur Antwort: ,Mein Gebieter, als ich gestern nacht mit meinen Kindern ins Schlafe lag, wurde ich plötzlich, ehe ich mich dessen versah, von der Erde emporgehoben, ich tumult meine Kinder mit mir, und dann flogen wir durch die Luft, ohne daß uns irgendein Schaden geschah, und wir schwebten immer weiter dahin, bis wir zur Erde hinabsanken an einer Stelle, die einer Lagerstätte der Araber glich. Dort sahen wir beladene Maultiere und eine Sänfte auf zwei großen Mauleselinnen und ringsumher Eunuchen, Burschen und erwachsene Männer. Da fragte ich sic: ,Wer seid ihre Was bedeuten diese Lasten? Wo sind wir?' Sie antworteten: ,Wir sind die Diener des Kaufmannes 'Alt aus Kairo, des Sohnes des Kaufmannes Hasan, des Juweliers. Er hat uns gesandt, auf daß wir euch holen und euch zu ihm in die Stadt Baghdad bringen.'



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Dann fragte ich sie von neuem: ,Ist es von hier nach Baghdad weit oder nahe?' ,Es ist nahe,' erwiderten sie, ,zwischen uns und der Stadt liegt nur das Dunkel der Nacht.' Dann ließen sic uns in die Sänfte steigen, und als es kaum Morgen geworden war, waren wir schon bei euch, ohne daß uns irgendein Leid widerfahren wäre.' Und weiter fragte er sie: ,Wer hat euch denn diese Kleider gegeben?' Sie antwortete: ,1 )er Führer der Karawane öffnete eine von den Kisten, die auf den Maultieren waren, und holte aus ihr diese Prachtgewänder heraus; er legte nur ein Gewand an und gab auch jedem deiner Kinder ein K leid. Dann verschloß er die truhe, aus der er die Kleider genommen hatte, und gab mir den Schlüssel dazu mit den Worten: ,Bewahre ihn gut, bis du ihn deinem Hern übergeben kannst!' Und hier habe ich ihn wohlverwahrt bei mir.' Als sie dann den Schlüssel hervorzog, fragte er sie: ,Kennst du die Truhe auch noch?' ,Jawohl, ich kenne sie noch', erwiderte sie; und dann ging er mit ihr zu den Lagerräumen und zeigte ihr die Kisten. Da sprach sie zu ihm: ,Das dort ist die Truhe, aus der er die Kleider genommen hat! 'Alsbald nahm er den Schlüssel, steckte ihn in das Schloß, öffnete die Kiste und fand in ihr viele Prachtgewänder, dazu auch die Schlüssel zu all den anderen Kisten. Die nahm er heraus, und nun begann er alle Kisten, eine nach der andern, zu öffnen; dabei erblickte er die Schätze, die in ihnen waren, kostbare Steine und edle Metalle, wie sie kein König sein eigen nannte. Dann verschloß er sie wieder, nahm die Schlüssel mit sich und ging mit seiner Gattin zu der Halle zurück. Dort sprach er zu ihr: ,Dies alles ward uns durch die Güte Allahs des Erhabenen zuteil!' Darauf führte er sie zu der Marmorplatte, an der sich der Wirbel befand; nachdem er den gedreht und die Tür zu der Kammer geöffnet hatte, ging er mit ihr hinein und zeigte ihr das Gold, das er dort verborgen



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hatte. Und als sie ihn fragte: ,Woher hast du all dies erhalten?' antwortete er ihr: ,Es ist mir durch die Güte des Herrn zuteil geworden. Denn als ich dich in Kairo verlassen hatte' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 431. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Gattin des Kaufmannes 'All aus Kairo, als er ihr das Gold zeigte, ihn fragte: ,Woher hast du all dies erhalten?' und daß er ihr antwortete: ,Es ist mir durch die Güte des Herrn zuteil geworden. Denn als ich dich in Kairo verlassen hatte und hinausgewandert war, ohne zu wissen, wohin ich mich wenden sollte, schritt ich dahin, bis ich nach Bulak kam; dort fand ich ein Schiff, das nach Damiette fahren sollte. Ich bestieg es, und als ich in Damiette ankam, begegnete mir ein Kaufmann, der meinen Vater gekannt hatte. Der nahm mich mit sich und bewirtete mich gastlich. Als er mich fragte, wohin ich reisen wolle, antwortete ich ihm: ,Ich will nach Damaskus in Syrien reisen; denn dort habe ich Freunde.' Und so erzählte er ihr alles, was er inzwischen erlebt hatte, von Anfang bis zu Ende. Da hub sie an: ,Mein Gebieter, dies alles kommt durch den Segen des Gebets, das dein Vater vor seinem Tode über dich sprach, als er sagte: ,Ich flehe zu Allah, daß er dich in keine Not geraten lasse, es sei denn, daß er dir rasche Hilfe gewähre.' Preis sei Allah dem Erhabenen, daß er dir hilfreich genaht ist und dir mehr wiedergegeben hat, als du verloren hast! Doch nun bitte ich dich um Allahs willen. mein Gebieter, kehre nicht zu deinem früheren Verkehr mit verdächtigen Gesellen zurück! Achte darauf, daß du Allah den Erhabenen fürchtest, im geheimen und vor den Menschen!' So ermahnte sie ihn; er aber sprach zu ihr: ,Ich nehme deine Ermahnung an, und ich flehe zu Allah dem Erhabenen, daß er



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die schlechten Gesellen von uns fernhalte und uns stärke im Gehorsam gegen Ihn und im Befolgen der Gebote Seines Propheten -Er segne ihn und gebe ihm Heil!'

Hinfort nun lebte er mit seiner Gattin und seinen Kindern herrlich und in Freuden; er nahm sich einen Laden im Basar der Kaufleute, stattete ihn mit allerlei Juwelen und kostbaren Edelmetallen aus und ließ sich in ihm nieder, umgeben von seinen Kindern und seinen Mamluken. So wurde er bald der berühmteste Kaufmann in der Stadt Baghdad, und auch der König von Baghdad hörte von ihm. Der schickte einen Boten zu ihm, der ihn holen sollte. Und als der Bote zu ihm kam. sprach er: ,Folge dem Rufe des Königs; denn er verlangt nach dir!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte 'All und rüstete alsbald ein Geschenk für den König. Er nahm vier Platten von rotem Golde und füllte sie mit Juwelen und edlen Metallen, dergleichen kein König sein eigen nannte. Mit diesen Platten ging er zum König, und als er zu ihm eintrat, küßte er den Boden vor ihm und wünschte ihm, im schönsten Redegewand, Macht und Glück von langem Bestand. Da sagte der König: ,Kaufmann, du hast unser Land beglückt!' Darauf erwiderte 'Alt: ,O größter König unserer Zeit, dein Knecht hat dir ein Geschenk zu bringen gewagt und bittet, du mögest es huldreich annehmen.' Alsdann stellte er die vier Platten vor den König hin; und als dieser sie aufdeckte und hinschaute und auf ihr solche Edelsteine sah, wie er sie selbst nicht einmal besaß und die viele Schätze Goldes wert waren, sprach er: ,Dein Geschenk ist angenommen, Kaufmann, und so Gott der Erhabene will, werden wir es dir mit Gleichem vergelten.' Da küßte 'All ihm die Hände und ging davon. Der König aber berief die Großen seines Reiches und sprach zu ihnen: ,Wie viele der Könige haben um meine Tochter geworben?' ,Viele!' erwiderten



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sie. Dann fuhr er fort: ,Hat einer von ihnen mir ein solches Geschenk gebracht wie dies?' Und alle antworteten einstimmig: ,Nein! Denn kein einziger von ihnen besitzt dergleichen.' Wieder hub der König an: ,Ich habe Allah den Erhabenen um Rat gefragt, ob ich meine Tochter diesem Kaufmann vermählen soll. Was sagt ihr?' ,Es sei, wie du denkst!', erwiderten sie. Darauf befahl er den Eunuchen, die vier Platten mit dem, was darauf war, in seinen Serail zu tragen, und er selbst begab sich zu seiner Gemahlin und ließ die Platten vor ihr niederlegen. Sie deckte sie auf, und als sie auf ihnen Dinge erblickte, dergleichen sie auch nicht ein einziges Stück besaß, rief sie: ,Von welchem der Könige ist dies? Vielleicht von einem der Herrscher, die um deine Tochter geworben haben?' ,Nein,' gab er zur Antwort, ,dies ist von einem ägyptischen Kaufmann, der zu uns in diese Stadt gekommen ist. Als ich von seiner Ankunft hörte, sandte ich einen Boten zu ihm, der ihn zu uns bringen sollte; denn ich dachte seine Bekanntschaft zu machen und etwa bei ihm einige Juwelen zu finden, die ich für den Brautschatz unserer Tochter von ihm kaufen könnte. Er gehorchte unserem Befehle und brachte uns diese vier Platten als Geschenk dar; ich aber sah, daß er ein schöner Jüngling ist, von würdevollem Aussehen, begabt mit reichem Verstande und von feiner Art, so daß er fast für einen Prinzen gelten könnte. Sobald ich ihn erblickte, neigte mein Herz sich ihm zu, ja, mein ganzes Innere freute sich seiner, und nun möchte ich ihn mit meiner Tochter vermählen. Ich habe auch bereits das Geschenk den Großen meines Reiches gezeigt und sie gefragt, wie viele der Könige um meine Tochter geworben hätten. Als sie antworteten: ,Viele!' fragte ich sie weiter, ob je einer von ihnen mir etwas Ähnliches gebracht habe. Da erwiderten sie alle: ,Nein, bei Allah, o größter König unserer Zeit, keiner von



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ihnen besitzt dergleichen.' Dann sagte ich zu ihnen: ,Ich habe Allah den Erhabenen um Rat gefragt, ob ich ihn meiner Tochter vermählen solle. Was sagt ihre' Jene antworteten: ,Es sei, wie du meinst'; aber was sagt du nun dazu?' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 432. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König der Stadt Baghdad, als er das Geschenk seiner Gemahlin zeigte, ihr von den Eigenschaften des Kaufmannes 'Alt, des Juweliers, erzählte und ihr sagte, er wolle ihn seiner Tochter vermählen, mit den Worten schloß: ,Was sagst du nun dazu?' Sie gab ihm zur Antwort: ,Allah und dir, o größter König unserer Zeit, liegt es ob, zu entscheiden. Und was Allah will, das wird geschehen.' ,So Allah der Erhabene will,' entgegnete der König, ,werde ich sie nur mit diesem Jüngling vermählen. 'Dann ruhte er die Nacht über; und als es Morgen ward, begab er sich zur Regierungshalle und gab Befehl, der Kaufmann 'All aus Kairo und alle Kaufleute Baghdads sollten vor ihm erscheinen. Da kamen sie alle und traten vor ihn. Dann gebot er, sie sollten sich setzen, und als sie das getan hatten, sprach er: ,Bringt mir den Kadi des Diwans!' Nachdem auch der gekommen war, sprach der König zu ihm: ,Kadi, schreib die Urkunde der Ehe meiner Tochter mit dem Kaufmanne 'All aus Kairo!' Doch 'All aus Kairo wandte ein: ,Vergib, o Herr und Sultan; es geziemt sich nicht, daß ein Kaufmann wie ich der Eidam eines Königs werde.' Da sprach der König: ,Ich gewähre dir nicht nur diese Gunst, sondern ich mache dich auch zum Wesir.' Mit diesen Worten ließ er ihn sogleich mit dem Amtskleid des Wesirs bekleiden. Nun setzte 'All sich auf den Stuhl des Ministeramtes und hub von neuem an: ,O größter König unserer



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Zeit, du hast mir diese Gunst bezeigt und mich durch deine Huld hoch geehrt; doch höre auf ein Wort, das ich dir sagen möchte!' ,Sprich und sei ohne Furcht!', erwiderte der König; und 'All fuhr fort: ,Da es dein erhabener Befehl ist, deine Tochter zu vermählen, so gebührt es sich eher, daß sie meinem Sohne vermählt werde.' Der König fragte: ,Hast du denn einen Sohn?' Als 'All die Frage bejahte, befahl der König: ,Schicke sogleich nach ihm!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte 'Alt und sandte einen seiner Mamluken zu seinem Sohn, und der brachte ihn. Wie der Sohn vor dem König erschien, küßte er den Boden vor ihm und blieb ehrfurchtsvoll vor ihm stehen. Der König blickte ihn an und sah, daß er noch schöner und anmutiger war als seine Tochter in seines Wuchses Ebenmäßigkeit und allen Glanzes Vollkommenheit; dann fragte er ihn: ,Wie heißest du. mein Sohn?' ,O Herr und Sultan,' antwortete er, ,mein Name ist Hasan.' Da er zu jener Zeit vierzehn Jahre alt war, so sprach der König zum Kadi: ,Schreib die Urkunde der Ehe meiner Tochter Husn el-Wudschûd mit Hasan. dem Sohne des Kaufmannes 'Alt aus Kairo!' Der also schrieb den Ehevertrag für die beiden, und alles endete im schönsten Einklang. Alle, die in der Regierungshalle waren, gingen nun ihrer Wege; die Kaufleute aber folgten dem Wesir 'All aus Kairo, bis er zu seinem Hause kam, er, der jetzt Wesir geworden war; dazu wünschten sie ihm Glück, und dann gingen auch sie ihrer Wege. Der Minister 'All aus Kairo aber ging zu seiner Gattin, und als sie ihn im Gewande des Wesirs erblickte, rief sie aus: ,Was bedeutet dies?' Da erzählte er ihr alles, von Anfang bis zu Ende, und schloß mit den Worten: ,Der König hat seine Tochter mit meinem Sohne Hasan vermählt.' Darüber war sie hoch erfreut. 'Alt aus Kairo ruhte die Nacht über; und als es Morgen ward, begab er sich zur Regierungshalle. Der König empfing



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ihn mit großer Huld und wies ihm einen Platz dicht an seiner Seite an; dann sprach er zu ihm: ,Wesir, es ist unser Wunsch, die Hochzeitsfeier zu beginnen und deinen Sohn zu meiner Tochter eingehen zu lassen.' ,O Herr und Sultan,' gab 'Alt zur Antwort, ,was du für gut befindest, das ist gut.' Da gab der König Befehl, die Hochzeit zu feiern; die Stadt ward geschmückt, und dreißig Tage lang ward das Hochzeitsfest gefeiert, in Freude und Fröhlichkeit. Am Ende der dreißig Tage ging Hasan, der Sohn des Wesirs, zur Tochter des Königs ein und freute sich ihrer Schönheit und Lieblichkeit. Die Königin aber hatte, sobald sie den Gemahl ihrer Tochter erblickte, ihn sehr lieb gewonnen, und sie freute sich auch herzlich über seine Mutter. Dann befahl der König, für Hasan, den Sohn des Wesirs, in aller Eile einen prächtigen Palast zu erbauen, und dieser nahm darin seine Wohnung. Seine Mutterpflegte immer einige Tage bei ihm zu bleiben und dann wieder in ihr Haus zu gehen; da sagte die Königin zu ihrem Gemahl: ,O größter König unserer Zeit, die Mutter Hasans kann nicht immer bei ihrem Sohne weilen und dann den Wesir verlassen, noch auch kann sie stets bei dem Wesir bleiben und ihrem Sohne fern sein.' ,Du hast recht', erwiderte der König, und er gab sofort Befehl, einen dritten Palast neben dem Hasans, des Sohnes des Wesirs, zu erbauen. Nun wurde in wenigen Tagen ein drittes Schloß erbaut, und der König gab Befehl, daß die Habe des Wesirs dorthin geschafft werden solle. Nachdem dies geschehen war, nahm der Wesir darin seinen Wohnsitz. Die drei Schlösser aber waren miteinander verbunden; und wenn der König mit dem Wesir sich unterhalten wollte, so konnte er auch bei Nacht zu ihm gehen oder ihn kommen lassen; und ebenso war es mit Hasan und seiner Mutter und seinem Vater. So blieben sie beieinander in voller Zufriedenheit und in einem Leben der Glückseligkeit.--«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 433. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der König und der Wesir und sein Sohn beieinander blieben in voller Zufriedenheit und in einem Leben der Glückseligkeit, eine lange Zeit hindurch, bis der König von einem Siechtum befallen wurde und immer schwerer erkrankte. Da berief er die Großen seines Reiches und sprach zu ihnen: ,Sehet, ich bin schwer erkrankt, und vielleicht ist dies ein tödliches Siechtum! Darum habe ich euch zu mir entboten, um mit euch über eine Angelegenheit Rats zu pflegen. Gebt mit den Rat, den ihr für den besten haltet!' Da sprachen sie:, Was ist das für ein Rat, um den du um fragst, o König?' Nun fuhr er fort: ,Ich bin alt, und jetzt bin ich krank, und so fürchte ich denn nach meinem Tode Unheil für das Reich von seiten der Feinde. Mein Wunsch ist der, daß ihr alle euch auf einen Mann einigt, dem ich schon bei meinen Lebzeiten die Herrschaft über das Reich übertragen kann, damit ihr ruhig sein möget.' Da sprachen sie einstimmig: ,Wir alle erwählen den Gemahl deiner Tochter, Hasan. den Sohn des Wesirs 'All! Denn wir wissen, daß er verständig und einsichtig und in allem vollkommen ist, und er kennt den Rang von hoch und gering.' Der König fragte noch einmal: ,Seid ihr euch alle darüber einige' ,Jawohl!' erwiderten sie. Doch er hub wieder an: ,Vielleicht sagt ihr nur so in meiner Gegenwart aus Ehrfurcht vor mir, doch hinter meinem Rücken könntet ihr anders reden.' Allein sie antworteten einmütig: ,Bei Allah, unsere Rede ist offen und insgeheim immer gleich und unverändert. Wir haben ihn erwählt mit frohem Herzen und offenem Sinne.' Nun fuhr der König fort: ,Wenn es sich also verhält, dann bringt den Kadi des hochheiligen Gesetzes und alle Kammerherren



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und Statthalter und Großen des Reiches insgesamt morgen vor mich; so werden wir alles in bester Weise ordnen.' ,Wir hören und gehorchen!' antworteten sie; dann gingen sie davon und ließen den Ruf an alle Rechtsgelehrte und die Vornehmsten unter den Emiren gelangen. Als es wieder Morgen ward, zogen sie zur Regierungshalle und ließen den König um Einlaß bitten. Nachdem er die Erlaubnis gewährt hatte, traten sie ein und sprachen den Gruß vor ihm; dann hüben sie an: ,Hier stehen wir alle vor dir.' Der König fragte sie: ,Ihr Emire von Baghdad, wen wollt ihr zum König über euch nach mir erwählen, damit ich ihm noch zu meinen Lebzeiten vor meinem Tode in eurer aller Gegenwart die Herrschaft übertrage?' Da riefen sie einstimmig: ,Wir haben uns auf Hasan, den Sohn des Wesirs 'Alt, den Gemahl deiner Tochter, geeinigt.' ,Wenn es sich also verhält,' erwiderte der König, ,so gehet alle hin und führet ihn vor mich!' Nun machten sie sich alle auf; begaben sich in den Palast Hasans und sprachen zu ihm: ,Komm mit uns zum König!' ,Weshalb?' fragte er sie, und sie gaben ihm zur Antwort: ,Wegen einer Sache, die uns und dir zum Heile gereichen möge!' Darauf ging er mit ihnen zum König und küßte den Boden vor ihm; der aber sprach zu ihm: ,Setze dich, mein Sohn!' Als er sich gesetzt hatte, fuhr der König fort: ,Hasan, die Emire haben dich einstimmig erwählt, und sie sind übereingekommen, dich nach mir zum Könige über sich zu machen. Nun ist es mein Wunsch, dir zu meinen Lebzeiten die Herrschaft zu übertragen, um so alles zuvor zu bestimmen.' Da erhob sich Hasan, fiel vor dem König nieder und küßte den Boden und sprach: ,O Herr und König, unter den Emiren ist manch einer, der älter an Jahren und höher an Wert ist als ich; darum erlaßt mir dies!' Doch alle Emire riefen: ,Wir erwählen nur dich zum König über uns !'Da hub er von neuem an: ,Mein



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Vater ist älter als ich, und ich und er sind eins; es geziemt sich nicht, daß ich vor ihm den Vorrang habe.' Nun begann sein Vater: ,Ich heiße nur das gut, was meine Brüder gutgeheißen haben; sie haben dich erwählt und sich auf dich geeinigt. Drum widersprich dem Befehle des Königs und deiner Brüder nicht!' Da senkte Hasan sein Haupt aus Ehrfurcht vor dem König und vor seinem Vater. Und noch einmal fragte der König: ,Nehmt ihr ilm an?' ,Wir nehmen ihn an!' riefen sie, und alle sprachen, um ihr Gelöbnis zu bekräftigen, siebenmal die erste Sure. Darauf sagte der König: ,Kadi, schreib eine gesetzliche Urkunde nieder des Inhaltes, daß diese Emire sich einig sind, Hasan, dem Gemahl meiner Tochter, die Herrschaft zu übertragen und ihn über sich zum König zu machen.' Der Kadi nun schrieb die Urkunde des Inhalts und machte sie rechtskräftig, nachdem sie ihm alle als dem Herrscher gehuldigt hatten und nachdem auch der König ihn anerkannt und ihm befohlen hatte, sich auf den Thron der Herrschaft zu setzen. Dann küßten alle dem König Hasan, dem Sohne des Wesirs, die Hände und gelobten ihm Gehorsam. Er aber sprach an jenem Tage Recht in majestätischer Weise und verlieh den Großen des Reiches prächtige Ehrengewänder. Als die Staatsversammlung beendet war, begab Hasan sich zu dem Vater seiner Gemahlin und küßte ihm die Hände. Der sprach zu ihm: ,Hasan, gib acht, daß du über die Untertanen in der Furcht Allahs herrschest!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 443. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Hasan, als er die Staatsversammlung beendigt hatte, zum Vater seiner Gemahlin ging und ihm die Hände küßte. Der sprach zu ihm: ,Mein Sohn, gib acht, daß du über die Untertanen in der Furcht



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Allahs herrschest!' Hasan gab ihm zur Antwort: ,Durch dem Gebet für mich, mein Vater, wird die göttliche Hilfe mir zuteil werden.' Dann ging er in seinen Palast; und seine Gemahlin, ihre Mutter und all ihr Gefolge kamen ihm entgegen, küßten ihm die Hände, riefen: ,Gesegnet sei der Tag!' und wünschten ihm Glück zu seiner Thronbesteigung. Darauf begab er sich von seinem Palast in den seines Vaters; und seine Eltern waren hoch erfreut darüber, daß Allah in Seiner Huld ihn mit der Herrscherwürde bekleidet hatte. Sein Vater aber ermahnte ihn. Allah zu fürchten und gegen die Untertanen Milde zu üben. Fröhlich und in Freuden verbrachte Hasan die Nacht bis zum Morgen. Als er dann die ihm obliegenden Gebete gesprochen und mit den üblichen Koransprüchen beschlossen hatte, begab er sich in die Regierungshalle. Nun kamen auch alle Truppen und Würdenträger zu ihm, und er sprach Recht unter dem Volke; er befahl das Gute, verbot das Schlechte, setzte ein und ab, und erfüllte seine Herrscherpflicht, bis der Tag sich neigte und die Staatsversammlung in schönster Weise beschlossen ward. Die Truppen brachen auf, und ein jeder ging seiner Wege. Hasan aber erhob sich und begab sich in den Palast; dort sah er, daß der Vater seiner Gemahlin noch schwerer erkrankt war, und er sprach zu ihm: ,Möge es dir wohl ergehen!' Da öffnete der alte König die Augen und rief: ,Hasan !' Der erwiderte: ,Zu deinen Diensten, mein Gebieter !'Jener fuhr fort: ,Jetzt ist mein letztes Stündlein genaht. Nimm du dich deiner Gattin und ihrer Mutter an; gib acht, daß du Allah fürchtest, deine Eltern ehrest, lebe in Scheu vor dem allvergeltenden König und denke daran, daß Allah befiehlt, gerecht und gütig zu sein!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte König Hasan. Darauf lebte der alte König noch drei Tage; dann ging er zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen ein. Nun ward er in



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das Leichentuch gehüllt und bestattet, und bis zum Ablauf der vierzig Tage wurden die Sterbegebete und Koransprüche an seinem Grabe gesprochen. Und König Hasan, der Sohn des Wesirs, führte die Herrschaft; die Untertanen freuten sich seiner, und alle seine Tage waren eitel Glück. Sein Vater 'All blieb stets als Großwesir zu seiner Rechten, und er wühlte sich einen zweiten Wesir zu seiner Linken. Das Land gedieh, und er blieb lange Zeit hindurch König von Baghdad; und durch die Tochter ter des alten Königs wurden ihm drei Söhne geschenkt, die nach ihm das Reich erbten und herrlich und in Freuden lebten, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt, und der die Freundesbande zerreißt. Preis sei Ihm, der da bleibet in Ewigkeit, und der durch seine Macht Trennung und Einigung verleiht!

Ferner wird auch erzählt


Copyright: arpa, 2015.

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