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Kapitel 

DICHTKUNST DER KASSAIDEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1928

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT ZWEI KARTEN UND ZEHN ABBILDUNGEN

Der König der Vögel (Bena Lulua; Bena Koschi; Bena Kassasse?) Ninabitaboa (eine Frau, die nur Knaben und nie Mädchen gebar) rief alle Tiere in ihrem Dorfe zusammen. Es sollten alle Tiere kommen. Die Vögel hatten keinen Mukelenge (Häuptling), und es sollte ein Mukelenge gefunden werden. Es kamen alle Tiere. Es kamen die Menschen. Die Vögel setzten sich dahin (auf eine Seite), die großen Tiere dahin, die Ameisen, Mücken usw. dahin, die Frösche, Kröten dahin, die Schlangen dahin (der Erzähler zeigt im Kreise herum). Die Menschen schlugen die Trommel. Die Tiere wußten nicht anzufangen mit Tanzen. Ninabitaboa sagte: "Die Vögel sollen nun tanzen." Die Vögel wußten nicht anzufangen. Die Vögel sagten zu den Nsoa (eine kleine Mückenart, die zuweilen in Scharen zu Tausenden aus einem inwendig durchbohrten und zerfressenen Hauspfahl ausbricht, Flügellänge drei Millimeter): "Fangt ihr an !"Tschilundu, der Mukelenge der Nsoa, sagte: "Wir wollen tanzen 1" Die Nsoa stiegen in großen Scharen auf um zu tanzen. Die Vögel erhoben sich vom Boden, fielen über sie her, fraßen viele, viele, viele. Tschilundu sagte: "Was soll das nun? Ihr könnt nicht tanzen. Wir sollen tanzen. Die Nsoa begannen. Die Vögel fielen über sie her und fressen die Nsoa." Milongi (ein Nsoa) sagte: "Ich will allein tanzen!" Er stieg allein empor und tanzte. (Aber) ein Vogel stürzte sich auf ihn und fraß ihn. Tschilundu sagte zu Ninabitaboa: "Wir sind eingeladen zum Tanzen. Die Vögel sollen tanzen. Die Vögel können nicht. Wir sollen tanzen. Wir tanzen; die Vögel fressen uns. Wir sind eingeladen, aber es geht uns schlecht. Bleibt da, Nsoa, und tanzt nicht mehr. Wir wollen bei Nacht tanzen. Wir wollen tanzen, wenn die Vögel schlafen."



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Milengi (ein anderer Nsoa) ging hin, als die Vögel schliefen. Er tanzte. Er ward nicht gefressen.

Am (andern) Tage tanzten alle Vögel, und die Nsoa sahen zu. Sie tanzten nicht mit. Der Ndubba begann zu tanzen (ein Vogel von Papageigröße). Alle sagten: "Der Ndubba kann nicht Mukelenge sein. Er kann nicht tanzen." Der Ndubba hörte auf zu tanzen. Fiondo (Nashornvogel) begann zu tanzen. Alle sagten: "Der Fiondo kann nicht Mukelenge sein. Er kann nicht tanzen." Der Fiondo hörte auf zu tanzen.

Die Nkussu (Papageien) gaben nun einem Nkussu ein sehr schönes Kleid. Nkussu war sehr schön. Die Vögel sagten (nochmals): "Wer sehr schön tanzt, soll unser Mukelenge sein." Nkussu tanzte. Nkussu tanzte sehr schön. Die Männer trommelten. Nkussu tanzte. Er setzte sich (eine kurze Weile) auf einen Baum (um auszuruhen). Er tanzte (dann wieder). Er setzte sich auf den Boden. Er tanzte. Die Männer trommelten. Die Vögel riefen: "Tanzt der Nkussu schön!" Die Menschen riefen: "Tanzt der Nkussu schön!" Die Tiere riefen: "Tanzt der Nkussu schön!" Die Vögel riefen: "Tanzt der Nkussu schön! Der ist unser Mukelenge." Sie brachten Ziegen und Hühner als Geschenk für den Nkussu.

Kabemba (eine Art Weihe) sagte: "Der Nkussu ist gut zu essen !" Kabemba stieg in die Höhe. Nkussu tanzte. Kabemba ergriff Nkussu und schleppte ihn in sein Dorf. Die Vögel weinten. Sie waren sehr traurig; sie weinten. Die Vögel sagten: "Der Nkussu tanzte so schön, so schön. Der Nkussu war unser Mukelenge!" Die Vögel sagten zu Ninabitaboa: "Wir hatten keinen Mukelenge. Du hast uns zum Tanzen eingeladen. Die Vögel tanzten. Der Nkussu tanzte sehr schön. Der Nkussu ward Mukelenge. Kabemba hat unsern Mukelenge in sein Dorf getragen !"

Ninabitaboa sagte zu Kapulukussu (eine kleine Fledermaus): "Gehe zu Kabemba. Sage Kabemba, er solle den Nkussu zurücksenden; er würde Ziegen, Hunde, Hühner erhalten." Der Kapulukussu sagte: "Es ist gut." Der Kapulukussu flog hin und schlüpfte (ehe der Kabemba noch etwas gewahr wurde) unter Kabembas Flügel. (Der Erzähler fügt erklärend hinzu, Kabemba hätte jeden größeren Vogel, der gekommen wäre, sogleich verschlungen, ehe er noch Zeit zum Reden gehabt hätte. Kapulukussu sei aber so schnell gewesen, daß Kabemba ihn nicht bemerkte, bis er unter seinen Flügeln hervorredete.) Kapulukussu saß unter Kabembas Flügel und sagte: "Ninabitaboa sendet dir Ziegen, Hunde, Hühner, wenn du Nkussu freiläßt." Kabemba sagte: "Ich will Nkussu geben." Kapulukussu kam zu Ninabitaboa zurück und sagte: "Kabemba will Nkussu geben." Ninabitaboa sagte: "Bring Kabemba zehn Ziegen, zehn Hunde, zehn Hühner." Kapulukussu sagte: "Es ist gut." Kapulukussu



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brachte Kabemba zehn Ziegen, zehn Hunde, zehn Hühner. Kabemba nahm die zehn Hühner, zehn Hunde, zehn Ziegen. (Der Erzähler fügt hinzu: "Kabemba ist ein großer Räuber; er frißt alles.")

Kabemba kam mit Nkussu zu Ninabitaboas Dorf (zurück). Kabemba begann zu tanzen. Die Männer trommelten. Die Leute riefen: "Kabemba tanzt schön." Die Leute riefen: "Nkussu tanzt schöner !" Die Männer trommelten. Kabemba tanzte. Die Leute riefen: "Kabemba tanzt sehr schön!" Nkussu tanzte. Die Leute riefen: "Der Häuptling tanzt. Das ist der wahre Häuptling!" Die Leute riefen: "Kabemba tanzt sehr schön !" Die Leute riefen: "Nkussu tanzt sehr schön !" Die Männer trommelten. Kabemba tanzte, Nkussu tanzte. Die Vögel riefen: "Nkussu tanzt schön, Nkussu tanzt schön! Nkussu ist unser Mukelenge." Kabemba stürzte sich auf Nkussu. Kabemba ergriff Nkussu. Kabemba schleppte Nkussu mit in das Dorf. Kabemba riß Nkussu alle (roten) Schwanzfedern aus. Nkussu kehrte ohne Schwanz zurück. Alle Vögel sagten: "Kabemba hat jetzt genug gestohlen. Kabemba ist anders wie wir. Wir essen Fliegen, Mücken, Ameisen. Kabemba ißt Ratten, Hühner, Vögel. Wir werden mit Kabemba nicht mehr das Dach teilen."

Gande Mussenga (ein Mann; Mussenga scheint die abgekratzte Rinde eines Baumes zu sein) sagte zu Ninabitaboa: "Du bist kein guter Mukelenge. Du lädst alle Tiere zum Tanzen ein. Am (ersten) Tage tanzen die Nsoa, und die Vögel essen die Nsoa auf. Dann (am zweiten Tage) tanzen die Vögel, und der Kabemba raubt den Nkussu. Du bist (aber) eine Frau. Nun will ich als Mann die Sache leiten." Ninabitaboa sagte: "Nein, ich allein bin Mukelenge. Wenn du so fortfährst, gehe ich zu Fidi Mukullu." Gande Mussenga sagte: "Du bist eine Frau und ein schlechter Mukelenge."

Ninabitaboa nahm ein Huhn mit ganz weißen Federn und ging zu Fidi Mukullu. Sie kam in ein kleines Haus, da wohnte Babatwinammi, die Wache Fidi Mukullus. Babatwinamini sagte: "Was willst du?" Ninabitaboa sagte: "Ich will mit Fidi Mukullu über meine Sache reden !" Babatwinamini sagte: "Das kannst du morgen früh! Für die Nacht schlaf in meinem Hause hier." Babatwinamini machte ein großes Feuer in der Mitte des Hauses. Sie legten sich beide in der Weise auf das Lager, daß Ninabitaboa am Feuer und Babatminamini weiter ab an der Wand lag. Um Mitternacht brach ein schweres Gewitter los. Twaaaaaaa! krachte ein schwerer Donner. Ninabitaboa sprang auf und drückte sich angstvoll an die Wand (also im Dunkeln und da wo Babatwinamini gelegen hatte). Babatwinamini legte sich an den (freigewordenen, besseren) Platz am Feuer. So schliefen sie bis zum Morgen.

Am Morgen rief Fidi Mukullu Babatwinamini und sagte: "Wer



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kam?" Babatwinamini sagte: Ninabitaboa kam um zu fragen, ob sie oder Gande Mussenga, der Mann, Mukelenge sei. Ninabitaboa schlief nachts in meinem Haus am Feuer. Es kam ein großes Gewitter und Ninabitaboa floh an die Wand. Ninabitaboa schläft noch dort. Ich lag (nachher) am Feuer." Fidi Mukullu sagte: "Rufe Ninabitaboa." Babatwinamini rief Ninabitaboa. Fidi Mukullu sagte: "Du hast aus Furcht vor dem Gewitter den guten Platz am Feuer verlassen. Du bist nicht mehr Mukelenge. Der Mann hat den (guten) Platz am Feuer."

Ninabitaboa kam zurück. Gande Mussenge sagte: "Was hat Fidi Mukullu gesagt?" Ninabitaboa sagte: "Die Männer sollen den Platz am Feuer haben. Sie schlafen als Herren am Feuer und die Frauen dahinter." So schlafen die Baluba in ihren Hütten noch heute.

Nkussu blieb Mukelenge der Vögel, weil alle Männer in das Haar rote Nkussufedern stecken und die Mütze mit Nkussufedern schmücken und in die Buanga (Zaubermittel) Nkussufedern legen. Kabemba bleibt ein Räuber.


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