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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VOM NEIDER UND VOM BENEIDETEN

Man erzählt, o Ifrît, daß in einer Stadt zwei Menschen lebten, die benachbarte Häuser mit einer gemeinsamen Mauer bewohnten; einer von den beiden beneidete den anderen und traf ihn mit bösem Blick und tat sein Äußerstes, um ihm zu schaden. Immerdar beneidete er ihn, und sein Neid nahm so zu, daß er wenig Speise nahm und der süße Schlaf kaum mehr zu ihm kam. Aber dem Beneideten ward das Glück immer holder; und je mehr der andere ihm zu schaden strebte, um so mehr gewann er, wuchs und gedieh. Doch er erfuhr von der Bosheit seines Nachbarn gegen ihn und von seinem Streben, ihm Schaden zu tun; so ging er fort aus dessen Nähe und verließ sein Land, indem er sprach: ,Bei Allah, ich muß seinetwegen der Welt entsagen!' Er ließ sich in einer anderen Stadt nieder und kaufte sich dort ein Stück Landes, auf dem ein alter Ziehbrunnen stand. Dann baute er sich ein Bethaus, kaufte sich alles Notwendige und widmete sich in seiner Klause nur dem Gebet und dem Dienste Allahs des Erhabenen. Bald kamen Fakire und Arme zu ihm aus allen Ländern; und sein Ruhm verbreitete sich in jenem Lande. Auch seinen früheren Nachbar, den Neider, erreichte die Nachricht, welches Glück ihm zuteil geworden und wie die Großen des Landes zu ihm wallfahrteten. So ging er hin und trat in das Kloster ein; jener, der Beneidete, empfing ihn mit Willkommensgruß und mit Freundlichkeit und erwies ihm alle Ehren. Da sprach der Neider: ,Ich habe dir ein Wort zu sagen, und das ist der Grund meiner Reise hierher; denn ich möchte dir gute Nachricht bringen, also komm und geh mit mir in dein Kloster.' Der Beneidete nun nahm den Neider bei der Hand, und sie gingen



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hinein in das Innerste des Klosters; aber der Neider sagte: ,Sage deinen Fakiren, daß sie sich in ihre Zellen zurückziehen; denn ich möchte nur im geheimen mit dir sprechen, wo niemand uns hören kann.' Da sprach der Beneidete zu seinen Fakiren: ,Zieht euch in eure Zellen zurück!' Und als alle getan, was er ihnen befohlen hatte, ging er mit seinem Gaste noch ein wenig weiter, bis sie zu dem alten Brunnen kamen. Dort stieß der Neider den Beneideten, von niemandem gesehen, in den Brunnen hinab; dann ging er hinaus und zog seiner Wege und glaubte, er habe ihn getötet. Nun aber war der Brunnen bewohnt von guten Geistern; die ließen ihn ganz allmählich niedergleiten und lagerten ihn auf dem Felsboden. Und die einen von ihnen fragten die anderen: ,Wißt ihr, wer er ist?', und die erwiderten: ,Nein. 'Da sprach einer von ihnen: ,Dieser Mensch ist der Beneidete, der vor seinem Neider floh, sich in unserer Stadt ansiedelte und dies Kloster begründete; und er erfreute uns durch seine Litaneien und durch sein Vorlesen aus dem Koran. Aber der Neider machte sich auf den Weg zu ihm, bis er bei ihm war; da überlistete er ihn und warf ihn zu euch hinab. Doch sein Ruhm ist heute abend zum Sultan dieser Stadt gedrungen, der beschlossen hat, ihn morgen um seiner Tochter willen zu besuchen.' ,Was fehlt seiner Tochter denn?' fragte einer von ihnen, und ein anderer versetzte: ,Sie ist besessen von einem Geist; denn der Dämon Maimûn, der Sohn des Damdam, ist in sie verliebt. Wenn aber dieser Fromme das Mittel wüßte, so wäre es das Allerleichteste, sie zu befreien und zu heilen.' ,Was istdas für ein Mittel?' fragte einer von ihnen, und jener erwiderte: ,Der schwarze Kater, der bei ihm in seinem Bethaus ist, hat am Ende seines Schwanzes einen weißen Fleck von der Größe eines Dirhems; daraus muß er sieben weiße Haare reißen, und die muß er über der Kranken verbrennen.



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Dann wird der Mârid von ihr weichen und nie wieder zu ihr zurückkehren; sie wird zur selbigen Zeit gesund werden. 'Diese ganze Unterhaltung, o Dämon, wurde geführt, während der Beneidete zuhörte. Als es nun Morgen ward und die Dämmerung emporstieg und heller ward, da kamen die Fakire, um den Scheich zu suchen, und trafen ihn, wie er aus dem Brunnen heraufstieg; und er wurde noch größer in ihren Augen. Weil nun allein der schwarze Kater das Heilmittel hatte, so zog er ihm die sieben Haare aus dem weißen Fleck am Schwanz und nahm sie mit sich. Und kaum war die Sonne aufgegangen, da kam der König mit seinem Gefolge; er selbst und die Großen seines Reiches gingen hinein, aber dem übrigen Gefolge befahl er, draußen stehenzubleiben. Und als der König zu dem Beneideten eintrat, bot dieser ihm den Willkommensgruß und bat ihn, an seiner Seite Platz zu nehmen, und fragte: ,Soll ich dir sagen, weshalb du kommst?' Jener erwiderte: ,Ja.' Da fuhr er fort: ,Du kommst mit dem Vorwand, mich zu besuchen; aber es ist der Wunsch deines Herzens, mich über deine Tochter zu befragen.' Der König antwortete: ,So ist es, heiliger Scheich'; und der Beneidete fuhr fort: ,Schicke jemanden, sie zu holen; und ich hoffe, so Gott der Erhabene will, wird sie noch in dieser Stunde gesund werden.' Da freute sich der König und sandte nach seiner Tochter; und man brachte sie gebunden und gefesselt. Der Beneidete aber ließ sie sich niedersetzen, zog einen Vorhang vor sie, nahm die Haare und verbrannte sie über ihr; und der, so in ihr war, schrie auf und wich von ihr. Da war das Mädchen sofort bei Sinnen, verschleierte sich das Gesicht und sagte: ,Was bedeutet dies alles, und wer hat mich hierher gebracht?' Da überkam den König eine Freude, wie es keine höhere geben kann, und er küßte der Tochter die Augen und dem heiligen Mann die Hände. Dann wandte er sich zu



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den Großen seines Reiches und sprach: ,Was meint ihr? Was verdienet der, der meine Tochter heilte?', und die erwiderten: ,Er verdient sie zum Weibe.' Der König sagte darauf: ,Ihr habt recht!' Dann vermählte er sie mit ihm, und so wurde der Beneidete der Eidam des Königs. Nach einer Weile starb der Wesir; da fragte der König: ,Wen soll ich an seiner Stelle zum Wesir machen?' ,Deinen Eidam', antworteten die Großen. Nun ward der Beneidete zum Wesir. Und wieder nach einer Weile starb der König; da fragten die Großen: ,Wen sollen wir zum König machen?', und alle riefen: ,Den Wesir.' So wurde der Wesir zum Sultan und zum herrschenden König. Eines Tages nun bestieg der König sein Roß, gerade als der Neider auf dem Wege vorbeikam. Wie der Beneidete so in der Herrlichkeit seiner Königswürde einherritt inmitten seiner Emire und Wesire und der Großen seines Reiches, da fiel sein Blick auf seinen Neider. Und er wandte sich zu einem der Minister und sagte: ,Bringe jenen Mann herbei; doch ängstige ihn nicht.' Der ging hin und brachte den neidischen Nachbarn. Da sprach der König: ,Gebt ihm tausend Goldstücke aus meinem Schatz, beladet ihm zwanzig Kamele mit Waren zum Handel und schickt einen Wächter mit ihm, der ihn bis zu seiner Stadt geleite.' Darauf bot er dem Neider Lebewohl und wandte sich ab von ihm, ohne ihn zu bestrafen für alles, was er ihm angetan hatte. Siehe, o Dämon, wie der Beneidete dein Neider verzieh, der ihn von Anfang an beneidet hatte! Der hatte ihm doch viel Schaden getan, war zu ihm gereist und vollendete sein Werk an ihm, indem er ihn in den Brunnen warf und töten wollte. Und doch vergalt jener ihm sein schlimmes Handeln nicht, sondern vergab und verzieh ihm.' Danach, o Herrin, hub ich so bitterlich zu weinen an, wie ein Mensch überhaupt nur weinen kann, und ich sprach die Verse:



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Vergib den Schuldigen; denn die Weisen pflegen
Für Schuld der Schuldigen stets Vergebung zu hegen.
Ich habe zwar der Fehler viele begangen:
Mögest du die edle Kunst des Verzeihens ru]augen!
Wer wünscht, der über ihm möge Vergebung ihm leihen,
Muß Fehler dessen, der unter ihm ist, verzeihen.

Doch der Dämon rief: ,Ich will dich weder töten noch dir verzeihen. Aber sicherlich werde ich dich verzaubern.' Dann riß er mich vom Boden und flog mit mir in die Luft, bis ich die Erde nur noch wie eine Schüssel inmitten des Wassers sah. Darauf setzte er mich nieder auf einem Berge, nahm etwas Staub in die Hand und murmelte Zauberworte darüber, bewarf mich damit und sprach: ,Verlasse diese Gestalt und geh in die Gestalt eines Affen ein!' Und im selben Augenblick wurde ich zu einem Affen, der hundert Jahre alt war. Als ich mich in dieser häßlichen Gestalt sah, da weinte ich um mich; doch ich schickte mich in die Grausamkeit des Schicksals, da ich ja wußte, daß das Geschick niemandem treu bleibt. So stieg ich hernieder vom Gipfel des Berges bis zu seinem Fuße; dort fand ich eine weite Wüste. Die durchzog ich inder Zeit eines Monats, bis ich zum Rande des Salzmeers kam. Nachdem ich dort eine Weile gestanden hatte, sah ich mitten im Meere ein Schiff, das vor einem günstigen Winde lief und auf die Küste steuerte; und ich verbarg mich hinter einem Felsen am Strande und wartete, bis das Schiff näher kam, und dann sprang ich hinauf. Da rief einer von den Reisenden: ,Werft das Unglücksvieh über Bord!', und der Kapitän: ,Wir wollen es töten!', und ein anderer: ,Ich will es mit diesem Schwerte umbringen.' Ich aber ergriff den Saum der Kleidung des Kapitäns und weinte, und meine Tränen flossen. Da hatte der Kapitän Mitleid mit mir und sagte: ,Ihr Kaufleute, dieser Affe hat um meinen



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Schutz gebeten, und ich werde ihn schützen. Er steht unter meiner Obhut; und darum soll ihm keiner ein Leid antun noch ihn kränken!' Darauf behandelte er mich freundlich; und was er auch redete, verstand ich, und ich sorgte für all seine Bedürfnisse und war sein Diener auf dem Schiffe; so begann er mich zu lieben. Das Schiff hatte nun fünfzig Tage lang günstigen Wind; dann warfen wir Anker bei einer großen Stadt, darin so viele Menschen waren, daß nur Allah allein ihre Zahl zu zählen vermöchte. Als wir aber ankamen und unser Schiff festlag, siehe, da kamen zu uns Mamluken, gesandt von dem Könige der Stadt. Die stiegen auf unser Schiff hinauf, beglückwünschten die Kaufleute zur guten Ankunft und sagten: ,Unser König heißt euch willkommen und sendet euch diese Rolle Papier, daß ein jeder von euch eine Zeile darauf schreibe. Der König hat nämlich einen Wesir gehabt, der ein Kalligraph war, und der ist gestorben; da hat der König einen feierlichen Eid geschworen, daß er nur jemanden zum Wesir machen wolle, der so schön schreibe wie jener.' Daraufhin reichten sie den Kaufleuten die Rolle Papier, die zehn Ellen lang war und eine breit, und alle Kaufleute, die schreiben konnten, bis zum letzten, schrieben jeder eine Zeile darauf. Da sprang ich auf, ich, der ich in Gestalt eines Affen war, und riß die Rolle aus ihren Händen. Sie aber fürchteten, ich würde sie zerreißen, und so wollten sie mich davon wegjagen. Doch ich gab ihnen durch Zeichen zu verstehen, daß ich schreiben könnte. Da bedeutete ihnen der Kapitän: ,Laßt ihn schreiben; wenn er schlecht kritzelt, so jagen wir ihn davon; aber wenn er schön schreibt, so will ich ihn als Sohn annehmen; denn wahrlich, nie sah ich einen verständigeren Affen als ilm.' Dann nahm ich das Rohr, tauchte es in die Tinte im Tintenfäßchen und schrieb mit Kursivschrift:



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Schon hat die Zeit verzeichnet die Güte aller Edlen;
Während nur deine Güte noch nicht verzeichnet ist;
Gott lasse die Menschen nicht durch deinen Verlust verwaisen,
Da du doc für die Güte Mutter und Vater bist.

Und dann schrieb ich in Schlankschrift:

Er hat ein Rohr, des Nutzen die Länder erfüllet
Und dessen Gaben alle Welt erreichen;
Nie ward ein Land beschenkt wie mit deinen Gaben,
Die deine Hände allen Ländern reichen.

Darauf schrieb ich in Steilschrift:

Es gibt keinen einzigen Schreiber, der nicht dereinst vergeht;
Doch was seine Hand geschrieben, besteht in Ewigkeit.
Drum schreibe mit deiner Hand nie etwas anderes als
Was dich am Jüngsten Tage, wenn du es siehst, erfreut.

Darauf in runder Monumentalschrift:

Als wir von Trennung hörten und als uns beiden
Solch Los bestimmten die Wechselfälle der Zeit,
Da ließen wir die Tinte wohl für uns klagen
Mit Zungen des Rohres über der Trennung Leid.

Darauf in großer Dokumentenschrift:

Die Herrschaft bleibt doch niemandem getreu;
Wenn du's nicht zugibst, sag, wo sind die Alten?
Von guten Taten pflanze Bäume dir;
Gehst du dahin, die bleiben doch erhalten.

Darauf in großer Zierschrift:

Öffnest du das Faß des Reichtums und der Gnaden,
Nimm Tinte dir von Hochsinn und von Edelmut;
Solange du es vermagst, schreib gute Dinge,
Dann bleibet dir dein Ruf und der deiner Feder gut.

Darauf gab ich den überbringern die Rolle; die nahmen sie und gingen mit ihr zum König. Und als der König die Rolle



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sah, gefiel ihm keine Schrift so gut wie meine; und er sagte zu den versammelten Großen: ,Geht zu dem Schreiber dieser Zeilen, kleidet ihn in ein Ehrengewand, setzet ihn auf eine Mauleselin, geleitet ihn mit einer Musikkapelle hierher und führt ihn vor mich.' Als sie nun die Worte des Königs hörten, lächelten sie; aber der König ward zornig über sie und rief: ,Ihr Elenden! Uh spreche mit euch von einem Befehle, und ihr lacht über mich?' ,O König', erwiderten sie, ,unser Lachen hat einen Grund.' ,Und was ist das für ein Grunde' fragte er; sie antworteten: ,O König, du befiehlst uns, den vor dich zu führen, der diese Zeilen schrieb; nun ist aber der, der sie schrieb, ein Affe und kein menschliches Wesen; und er gehört dem Kapitän des Schiffes.' Da sprach er: ,Ist das wahr, was ihr mir sagt?' Sie antworteten: ,Ja, bei deiner Hoheit!' Und der König staunte über ihre Worte, schüttelte sich vor Vergnügen und sprach: ,Ich möchte diesen Affen von dem Kapitän erwerben.' Dann schickte er seinen Boten auf das Schiff, mit der Mauleselin, dem Ehrengewand und der Musikkapelle; und er sagte: ,Kleidet ihn trotzdem ein in dies Ehrengewand und setzet ihn auf das Maultier; holt ihn vom Schiffe ab und bringt ihn her!' So gingen sie zum Schiff und nahmen mich dem Kapitän, kleideten mich in das Ehrengewand und setzten mich auf das Maultier. Und das Volk war verblüfft, und die Stadt war in Aufruhr um meinetwillen; denn alle wollten mich sehen. Als sie mich aber zum König brachten und er mich empfing, küßte ich dreimal den Boden vor ihm; dann hieß er mich sitzen, und ich ließ mich nieder auf Knie und Schienbein; und das Volk, das anwesend war, staunte ob meiner Höflichkeit, und am meisten von allen wunderte sich der König. Darauf befahl er dem Volk, sich zurückzuziehen; als sich alle zurückgezogen hatten und niemand mehr da war außer der Majestät des Königs, dem



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Eunuchen und einem kleinen weißen Sklaven, befahl er, den Tisch mit den Speisen herbeizutragen; darauf befand sich, was da hüpft und fliegt und beim Paaren in den Nestern liegt, Flughühner und Wachteln und alle anderen Arten von Vögeln. Nun winkte der König mir, mit ihm zu essen; so stand ich auf, küßte vor ihm den Boden, setzte mich und aß mit ihm. Und als man abtrug, wusch ich mir die Hände siebenmal, nahm die Tintenkapsel und das Schreibrohr und schrieb diese Verse:

Kehr ein bei dem Geflügel an der Stätte der Pfannen
Und klage, daß die Braten und Rebhühner zogen von dannen!
Beweine die Töchter des Flughuhns, wie ich sie immer beweine,
Mit den gebratenen Küken und dem Röstfleisch im Vereine.
Wie traurig ist mein Herz doch über zwei Arten von Fischen,
Die man auf Laiben von Brot in Stufen pflegt aufzutischen.
Ach, wie reichlich war einst der Braten! O, welches Vergnügen,
Wenn das Fett einsank in den Essig aus den Krügen! Nie schüttelte mich der Hunger außer in einer Nacht,
Die ich betend beim Brei im Lichte der Steine verbracht;
Und ich dachte dabei an ein Essen mit seinem Duft,
Der stieg von reichlich gedeckten Tischen aus in die Luft.
O meine Seele, Geduld! Ein wunderlich Ding ist die Zeit:
War sie uns einen Tag gram, am nächsten bringt sie uns Freud. 1

Dann stand ich auf und setzte mich in ehrerbietiger Entfernung nieder; der König blickte auf das, was ich geschrieben hatte, und als er es gelesen hatte, staunte er und rief: ,O Wunder! Ein Affe, begabt mit solcher Beredsamkeit und Kunst des Schreibens! Bei Allah, dies ist das größte aller Wunder!' Darauf brachte man dem König erlesenen Wein in gläserner Flasche,



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und er trank; er reichte auch mir davon, und ich küßte den Boden und trank und schrieb dann:

Sie brannten mich mit Feuer, um mich zum Reden zu bringen;
Doch fanden sie, daß ich im Leiden geduldig bin.
Deshalb wurde ich auch von ihnen auf Händen getragen,
Und ich nahm den Kuß von den Lippen der Schönen hin.

Und weiter:

Der Morgen rief der Nacht zu: Gib ihn mir zu trinken,
Der den Weisen zum Toren ,nacht, den klaren Wein!
Beide sind so zart, so klar, daß ich nicht erkenne:
Ist er's im Glas, oder ist es das Glas in seinem Schein?

Da las der König die Verse und sagte mit einem Seufzer: ,Wäre diese feine Bildung in einem Menschen, so überträfe er alles Volk seiner Zeit und seines Jahrhunderts.' Dann ließ er ein Schachbrett bringen und fragte: ,Willst du mit mir spielen?' Und ich nickte mit dem Kopf ein Ja, trat vor, ordnete die Figuren und spielte mit ihm zwei Spiele, die ich beide gewann. Da war der König sprachlos vor Staunen. Aber ich nahm die Tintenkapsel und das Schreibrohr und schrieb auf das Brett diese Verse:

Zwei Heere bekämpfen einander den ganzen Tag;
Und heftiger wird ihr Kampf mit jeder Stunde,
Bis sie dann, wenn das Dunkel sie umhüllt,
Auf gleichem Bette schlafen in trautem, Bunde.

Als der König diese beiden Verse gelesen hatte, wunderte er sich und war entzückt und aufs höchste erstaunt, und er sprach zu seinem Eunuchen: ,Geh zu deiner Herrin, zu Sitt el-Husn, und sage zu ihr: Der König läßt dich rufen, du möchtest kommen und dir diesen wunderbaren Affen ansehen!' Der Eunuch ging hin und kehrte alsbald mit der Herrin zurück; kaum sah sie mich, so verhüllte sie ihr Gesicht und rief: ,O mein Vater! Wie kommt es, daß es deinem Herzen gefällt, nach mir zu



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senden und mich fremde Männer sehen zu lassen?' ,O Sitt el-Husn', erwiderte er, ,hier ist niemand, außer diesem kleinen Mamluken, dem Eunuchen, der dich aufzog, und mir, deinem Vater. Vor wem also verschleierst du dein Antlitz?' Da rief sie: ,Siehe, dieser Affe ist ein Jüngling, der Sohn eines Königs; aber er ist verzaubert, denn der Dämon Dschardscharîs, aus dem Stamme des Iblis, verzauberte ihn, nachdem er sein eigenes Weib getötet hatte, die Tochter des Königs Ifitamûs, des Herrn der Ebenholzinseln. Der aber, den du für einen Affen hältst, ist ein kluger und verständiger Mann!' Und der König staunte über die Worte seiner Tochter und fragte, indem er mich anblickte: ,Ist das wahr, was sie von dir sagt?' Ich nickte mit dem Kopfe ein Ja und weinte. Da fragte der König seine Tochter: ,Woher weißt du, daß er verzaubert ist?', und sie antwortete: ,Mein lieber Vater, in meiner Jugend war eine alte Frau um mich, eine kluge Hexe, und sie lehrte mich die Zauberei und ihre Ausübung; die behielt ich und lernte sie gründlich, und ich habe im Gedächtnis einhundertundsiebenzig Kapitel von Zauberformeln, durch deren geringste ich die Steine deiner Stadt fortschaffen könnte hinter den Berg Kaf, dann könnte ich sie in einen Abgrund des Meeres verwandeln und ihre Bewohner in Fische, die darin schwimmen.' ,O meine Tochter', rief ihr Vater, ,ich beschwöre dich bei meinem Leben, entzaubere uns diesen Jüngling, auf daß ich ihn zu meinem Wesir machen kann; denn er ist wahrlich ein feiner und kluger Jüngling.' ,Mit größter Freude', erwiderte sie; dann nahm sie ein Messer in die Hand und umschrieb einen Kreis. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 14. Nacht anbrach, sprach sie: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Bettelmönch der Dame also weiter erzählte: ,O



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meine Herrin, des Königs Tochter nahm in die Hand ein Messer, darauf hebräische Namen standen, und beschrieb einen weiten Kreis inmitten der Halle des Palastes; in diesen schrieb sie geheimnisvolle Namen und Talismane. Und sie murmelte Zauberformeln und sprach Worte, von denen man einige verstehen konnte, andere aber nicht. Nach einer kurzen Weile wurde die Welt vor unseren Augen dunkel, und siehe, der Dämon stieg auf vor uns in eigener Gestalt. Er hatte Hände wie Worfschaufeln, Beine wie Schiffsmasten und Augen wie Feuerbrände. Wir waren in großer Angst vor ihm; die Tochter des Königs aber rief: ,Kein Willkommen für dich und keinen Gruß!' Da verwandelte der Dämon sich in die Gestalt eines Löwen und sagte: ,Verräterin, du hast den Eid gebrochen! Haben wir einander nicht geschworen, daß keiner von uns dem andern je in den Weg treten sollte?' ,O Verfluchter', erwiderte sie, ,kann es zwischen mir und deinesgleichen Verträge geben?' Da rief der Dämon: ,Nimm hin, was über dich kommt'; und der Löwe stürzte mit offenem Rachen auf die Prinzessin zu. Aber sie war schneller als er, riß sich ein Haar von ihrem Haupte, schwenkte es mit der Hand und murmelte dazu mit ihren Lippen. Alsbald wurde das Haar zu einem scharfen Schwert; mit dem hieb sie auf den Löwen, und er fiel in zwei Hälften auseinander. Sein Kopf aber verwandelte sich in einen Skorpion; da wurde die Prinzessin zu einer gewaltigen Schlange und sprang auf diesen Verfluchten los, der in der Gestalt eines Skorpions war; und die beiden rangen erbittert miteinander. Da plötzlich verwandelte sich der Skorpion in einen Adler, und die Schlange ward zu einem Geier; der verfolgte den Adler eine ganze Stunde lang. Darauf nahm der Adler die Gestalt eines schwarzen Katers an, das Mädchen aber ward aus einem Geier zu einem scheckigen Wolfshund; und wiederum kämpf



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ten sie miteinander dort im Palaste eine ganze Stunde lang. Nun sah der Kater sich besiegt, und da verwandelte er sich und ward zu einem großen roten Granatapfel, der sich mitten in das Springbrunnenbecken des Palastes legte. Der Wolfshund rannte darauf zu, aber der Granatapfel erhob sich in die Luft, fiel auf das Pflaster der Halle nieder, so daß er zerbrach und seine Kerne sich zerstreuten. Überall lag ein Korn für sich, und der Boden der Halle bedeckte sich mit Granatapfelkernen. Aber da schüttelte sich der Wolf und ward zu einem Hahn; der pickte jene Kerne auf, um keinen einzigen Kern mehr übrigzulassen. Durch eine Fügung des Schicksals jedoch hatte sich ein Kern unter dem Brunnenrand versteckt. Der Hahn begann zu krähen und mit den Flügeln zu schlagen und uns mit dem Schnabel Zeichen zu geben. Aber wir verstanden nicht, was er meinte, und er krähte uns so laut an, daß wir dachten, der Palast müsse auf uns stürzen. Und er lief hin und her auf dem Boden der Halle, bis er den Kern sah, der sich unter dem Brunnenrand versteckt hatte; und begierig eilte er darauf zu, um ihn zu picken. Doch siehe, der Kern sprang mitten in das Wasser des Springbrunnens, wurde zu einem Fisch und tauchte bis zum Grunde des Wassers. Da verwandelte auch der Hahn sich in einen großen Fisch, tauchte dem andern nach und verschwand eine Weile; und siehe, wir hörten, wie ein Geschrei und Geheul sich erhob, und wir begannen zu zittern. Darauf stieg der Dämon aus dem Wasser empor als eine brennende Fackel; er machte seinen Mund auf und spie Feuer aus, und aus seinen Augen und seiner Nase quoll Feuer und Rauch. Alsbald kam auch die Prinzessin heraus als eine große feurige Kohle. Und die beiden kämpften miteinander, bis ihre Feuer über ihnen ganz ineinander aufgingen und der Rauch den Palast erfüllte. Wir verschwanden darin und wollten uns ins Wasser



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stürzen aus Furcht, wir würden verbrennen und zugrunde gehen. Da rief der König: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen! Wahrlich, wir sind Allahs, und zu ihm kehren wir zurück! O hätte ich doch meine Tochter nicht gedrängt, die Entzauberung dieses Affen zu versuchen! Denn so habe ich ihr all diese gewaltige Mühe gemacht mit diesem verfluchten Dämonen, gegen den alle die anderen Dämonen, die es in der Welt gibt, nichts vermögen. O hätte ich doch nie diesen Affen kennen gelernt! Allah möge ihn nicht segnen noch die Stunde seiner Ankunft! Wir dachten eine gute Tat an ihm zu tun um Gottes des Erhabenen willen und ihn vom Zauber zu befreien, und nun vergehen wir vor Herzensangst.' Ich aber, o meine Herrin, war stumm und machtlos, ihm ein Wort zu sagen. Und plötzlich, ehe wir uns dessen versahen, heulte der Dämon unter den Flammen hervor, und er war neben uns, als wir in der Säulenhalle standen, und blies uns Feuer in das Gesicht. Die Prinzessin aber holte ihn ein und blies ihm ins Antlitz; und die Funken von ihr und von ihm trafen uns. Ihre Funken taten uns keinen Schaden, aber einer von seinen Funken traf mich ins Auge und zerstörte es, während ich noch in der Gestalt des Affen war. Und ein zweiter Funke traf den König ins Antlitz und verbrannte die Hälfte seines Gesichtes, seinen Bart und Unterkiefer und riß ihm die untere Zahnreihe aus; und ein dritter Funke fiel auf die Brust des Eunuchen; der verbrannte und starb zur selbigen Stunde. Da glaubten wir sicher an unser Verderben und verzweifelten am Leben. Und wie wir in solcher Bedrängnis waren, siehe, da rief eine Stimme: ,Allah ist der Größte! Allah ist der Größte! Er hat Heil und Sieg verliehen und hat den zunichte gemacht, der da leugnet den Glauben Mohammeds des Erleuchters!' Und siehe, da stand die Tochter



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des Königs vor uns; die hatte den Dämon verbrannt, und er war zu einem Häuflein Asche geworden. Sie trat. nun zu uns und sagte: ,Reicht mir eine Schale Wassers.' Als man sie ihr gebracht hatte, sprach sie Worte darüber, die wir nicht verstanden; dann besprengte sie mich mit dem Wasser und rief: ,Durch die Kraft des einzig wahren Gottes und durch die Kraft des allerhöchsten Namens Allahs! Kehre in deine einstige Gestalt zurück!' Da schüttelte ich mich, und siehe da, ich war ein Mensch wie zuvor, nur daß ich ein Auge völlig verloren hatte. Sie aber rief: ,Das Feuer! Das Feuer! O mein Vater, ich werde nicht am Leben bleiben, denn ich bin nicht gewohnt, mit den Dämonen zu kämpfen; wenn er ein Mensch gewesen wäre, so hätte ich ihn gleich zu Anfang getötet. Ich war nicht in Not, bis der Granatapfel platzte und ich die Kerne pickte; denn ich vergaß den einen Kern, in dem die Seele des Dämonen stak. Hätte ich diesen aufgepickt, er wäre sofort gestorben. Aber das Schicksal bestimmte, daß ich ihn nicht sah; so fiel er über mich her, und zwischen ihm und mir entspann sich ein erbitterter Kampf unter der Erde und in der Luft und im Wasser. Sooft ich einen Zauber gegen ihn wirkte, wirkte er einen anderen Zauber gegen mich, bis er gegen mich den Zauber des Feuers anwandte. Selten kommt einer, gegen den der Zauber des Feuers angewandt wird, mit dem Leben davon. Aber das Schicksal stand mir bei gegen ihn; so kam ich ihm zuvor und verbrannte ihn, nachdem ich ihn gezwungen hatte, den islamischen Glauben zu bekennen. Ich aber muß sterben, und Allah tröste euch über meinen Tod!' Dann erflehte sie Hilfe vom Himmel und ließ nicht ab, um Hilfe gegen das Feuer zu beten; doch siehe, ein schwarzer Funke stieg empor zu ihrer Brust, und dann stieg er empor bis zu ihrem Gesicht. Als er ihr Gesicht erreicht hatte, da weinte sie und rief: ,Ich bezeuge, es



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gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist der Prophet Allahs!' Dann aber sahen wir von ihr nur noch, daß sie ein Häuflein Asche geworden war, neben dem Häuflein Asche, das der Dämon gewesen war. Da waren wir tiefbetrübt um sie; und ich wünschte, daß ich an ihrer Stelle gewesen wäre und nicht gesehen hätte, wie jenes liebliche Antlitz, das mir so viel Gutes getan hatte, zu Asche wurde; aber es gibt keinen Widerspruch gegen den Willen Allahs. Als der König sah, daß seine Tochter zu einem Häuflein Asche geworden war, riß er sich aus, was von seinem Bart noch geblieben, schlug sich das Antlitz und zerriß sich seine Kleider; und ich tat das gleiche, und beide weinten wir über sie. Da kamen die Kammerherren und die Großen des Reiches, und sie sahen den König in Ohnmacht und die beiden Häuflein Asche; sie erschraken und standen um den König herum eine ganze Weile. Als er erwachte, erzählte er ihnen, was seiner Tochter von dem Dämon widerfahren war, und ihr Gram war sehr groß; die Frauen und Sklavinnen aber schrien und erhoben die Totenklage sieben Tage lang. Doch der König ließ über der Asche seiner Tochter ein großes, gewölbtes Grabgebäude errichten, und es wurden Wachskerzen und Totenlampen darin angezündet; die Asche des Dämonen aber streuten sie in alle Winde und wünschten den Fluch Allahs auf ihn herab. Darauf erkrankte der König an einer Krankheit, die ihn dem Tode nahe brachte; die Krankheit dauerte einen Monat, aber dann kehrte seine Gesundheit zurück, und sein Bart wuchs wieder. Nun ließ er mich rufen und sprach zu mir: ,O Jüngling, wir hatten unsere Tage im glücklichsten Leben und sicher vor den Wechselfällen der Zeit hingebracht, bis du zu uns kamst. O hätten wir dich nie gesehen, noch auch den Tag deiner unglückseligen Ankunft! Wir haben um deinetwillen alles verloren. Erstlich habe ich meine Tochter verloren,



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die mir hundert Männer wert war; zweitens widerfuhr mir das Unheil von dem Feuer, und ich verlor meine Zähne, und dann starb auch noch mein Diener. Und dabei habe ich doch früher nie etwas von dir gesehen! Aber alles kommt von Allah, über dich und über mich, und Er sei gepriesen! Du bist es, den meine Tochter erlöst hat, du, der ihren Tod herbeigeführt hat. Mein Sohn, ziehe fort aus diesem Ort! Genug ist's, was um deinetwillen geschehen ist. Doch all das ist uns ja vom Schicksal bestimmt, mir sowohl wie dir. So ziehe hin in Frieden; doch wenn ich dich je wiedersehe, so werde ich dich töten lassen.' Und er schrie mich an. Dann zog ich fort von ihm, o Herrin; aber ich glaubte kaum an meine Rettung und wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte. Alles stand mir vor Augen, was mir widerfahren war: wie man mich auf dem Wege verlassen hatte und ich so mich retten konnte; wie ich dann einen Monat lang gewandert und als Fremder in die Stadt gekommen war; wie ich den Schneider getroffen und das Mädchen unter der Erde gefunden hatte; wie ich dann dem Dämon entkommen war, trotzdem er beschlossen hatte, mich zu töten - alles was mein Herz erlebt hatte von Anfang bis zu Ende. Und ich dankte Allah und sagte: ,Mein Auge, doch nicht mein Leben!' Ehe ich die Stadt verließ, ging ich ins Bad und ließ mir den Bart abrasieren; auch legte ich ein schwarzes, härenes Gewand an und begab mich dann sofort auf die Pilgerfahrt, o Herrin! Jeden Tag aber weine ich und denke an die Schicksalsschläge, die mich betroffen haben, und an den Verlust meines Auges. Und jedesmal, wenn ich daran denke, was mir widerfahren ist, weine ich und spreche folgende Verse:

Verwirrt bin ich. Bei Gott, kein Zweifel ist an meiner Lage:
Ringsum ist Trauer; ich weiß nicht, woher sie auf mich dringt.
Geduldig bin ich, bis Geduld ob meiner Geduld ermüdet;



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Geduldig bin ich, bis Gott meine Sache zu Ende bringt.
Geduldig bin ich, überwunden, doch ohne zu klagen, geduldig,
So wie ein dürstender Wandrer im heißen Tale ist.
Geduldig bin ich, bis Geduld es selber erfähret, daß ich
Geduldig war in einer Not, die bittrer als Aloe frißt.
Es gibt nichts, das wie Geduld so bitter wäre, und dennoch
Ist's bitterer als die beiden, wenn die Geduld mir bricht.
Meines Herzens Gedanken sind Dolmetsch meines Gewissens,
Wenn die innerste Stimme in dir so wie in mir spricht.
Hätten die Berge zu tragen, was ich trug, sie würden stürzen;
Das Feuer würde erlöschen, der Wind würde nicht mehr wehrt.
Und wer da sagt: ,Siehe, das Leben hat doch viele süße Dinge',
Fürwahr, der wird einen Tag noch bittrer als Aloe sehn.

Dann begann ich zu reisen von einem Land zum andern und von Stadt zu Stadt zu wandern, und ich machte mich auf den Weg zur ,Stätte des Friedens', Baghdad, um dort vielleicht Eintritt zum Beherrscher der Gläubigen zu erlangen und ihm zu erzählen, was mir widerfahren ist. Ich kam heute abend in Baghdad an und traf diesen meinen ersten Gefährten, wie er ratlos dastand. Ich sprach zu ihm: ,Friede sei über dir!' und begann mit ihm zu plaudern, da trat unser dritter Gefährte an uns heran und sagte: ,Friede sei über euch! Ich bin ein Fremdling.' Wir antworteten: ,Auch wir sind Fremde und kamen hierher in dieser gesegneten Nacht.' Dann gingen wir weiter zu dritt, ohne daß einer unter uns die Geschichte des anderen gekannt hätte, bis uns das Schicksal an diese Tür führte und wir zu euch eintraten. Nun weißt du den Grund, weshalb mein Kinn und meine Lippen rasiert sind und ein Auge verloren ist.'

Da sprach die Herrin des Hauses: ,Wahrlich, deine Geschichte ist wunderbar; führe deine Hand zum Kopf und gehe deines Weges'; aber er rief: ,Ich gehe nicht fort, bis ich die Geschichte meiner Gefährten gehört habe.' Da trat der dritte Mönch vor und sagte: ,Erlauchte Herrin! Meine Geschichte ist nicht wie



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die der Gefährten, sondern noch wunderbarer und erstaunlicher; und sie ist der Grund, weswegen mein Kinn rasiert und mein Auge verloren ist. Jene hat Schicksal und Verhängnis betroffen, aber ich habe das Schicksal mit eigener Hand herbeigezogen und Trauer über meine Seele gebracht. Und dies ist meine Geschichte.


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