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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM PRIOR. DER MUSLIM WURDE

Abu Bakr Mohammed ibn el-Anbâri' erzählte: Ich zog einst auf einer meiner Reisen von el-Anbâr' nach 'Ammûrija' im Lande der Griechen. Und unterwegs machte ich bei dem Lichterkloster halt, in einem Dorfe nahe bei 'Ammûrija. Da kam der Vorsteher des Klosters, der Prior über die Mönche, der den Namen 'Abd el-Masîh' trug, zu mir heraus und führte mich in das Kloster hinein. Dort fand ich vierzig Mönche, und die nahmen mich in jener Nacht mit herzlicher Gastfreundschaft auf. Am nächsten Tage verließ ich sie, nachdem ich bei



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ihnen solchen Eifer in der Andacht und solche Frömmigkeit gesehen hatte wie sonst noch nie. Als ich dann in 'Ammûrija meine Geschäfte erledigt hatte, kehrte ich nach el-Anbâr zurück. Im Jahre darauf aber machte ich die Pilgerfahrt nach Mekka. Und während ich den Umzug um das heilige Haus mitmachte, sah ich plötzlich, wie auch 'Abd el-Masîh, der Mönch, an dem Zuge teilnahm, begleitet von fünf seiner Klostergenossen. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß er es wirklich war, trat ich auf ihn zu und fragte ihn: ,Bist du nicht als 'Abd el-Masîh der Mönch bekannt?' Er antwortete: .Nein. ich bin 'Abdallâh, der Barmherzigkeit Allahs zugewandt.' Da begann ich ihm das graue Haar zu küssen und zu weinen; und ich nahm ilm bei der Hand und zog mich mit ihm in einen Winkel des Heiligtums zurück; dort sprach ich zu ihm: ,Erzähle mir, weshalb du Muslim geworden bist!' Er antwortete: ,Es war ein großes Wunder, und es trug sich also zu. Eine Schar von muslimischen Asketen kam einst bei dem Dorfe vorbei, in dem unser Kloster steht, und sie schickten einen Jüngling aus, der Speise für sie kaufen sollte. Der sah auf dem Markte eine christliche Jungfrau, die Brot verkaufte, und die war so schön anzusehen wie wenige unter den Frauen. Kaum hatte der Jüngling sie erblickt, so ward er ganz von ihr bezaubert und sank ohnmächtig zu Boden. Als er aber wieder zu sich gekommen war, kehrte er zu seinen Gefährten zurück und tat ihnen kund, was ihm widerfahren war; dann sprach er zu ihnen: ,Zieht eures Wegs; ich gehe nicht mehr mit euch!' Sie schalten ihn und ermahnten ihn; doch er achtete ihrer nicht. Da verließen sie ihn, während er in das Dorf zurünkging und sich an die Tür des Ladens jener Jungfrau setzte. Sie fragte ihn, was er begehre, und er antwortete ihr, daß er sie liebe; darauf wandte sie sich von ihm ab, er aber blieb drei Tage lang an



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derselben Stätte sitzen, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, und richtete den Blick nur nach ihrem Antlitz hin. Als sie nun sah, daß er nicht von ihr fortging, begab sie sich zu den Ihren und teilte ihnen mit, was er tat. Jene hetzten die Dorfbuben wider ihn, und die warfen so lange mit Steinen auf ihn, bis sie ihm die Rippen zerbrochen und den Kopf eingeschlagen hatten; aber trotz allem rührte er sich nicht von der Stelle. Da beschlossen die Bewohner des Dorfes, ihn zu töten; doch einer aus ihrer Zahl kam zu mir und berichtete mir von dem Zustande des Jünglings. Ich ging zu ihm hin und sah ihn am Boden liegen; und ich wischte ihm das Blut aus dem Gesicht, trug ihn ins Kloster und heilte seine Wunden. Vierzehn Tage lang blieb er bei mir; als er dann aber wieder zu gehen vermochte, verließ er das Kloster.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 413. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh der Mönch des weiteren erzählte: ,Ich trug ihn ins Kloster und heilte seine Wunden. Vierzehn Tage lang blieb er bei mir; als er dann aber wieder zu gehen vermochte, verließ er das Kloster und ging zur Tür des Ladens der Jungfrau zurück, setzte sich nieder und schaute sie an. Wie sie ihn erblickte, kam sie zu ihm heraus und sprach zu ihm: ,Bei Allah, ich habe Mitleid mit dir. Willst du nicht meinen Glauben annehmen, auf daß ich mich dir vermähle?' Doch er rief: ,Allah verhüte, daß ich den Glauben an die Einheit ablege und mich der Vielgötterei ergebe!' Da sprach sie: ,So komm zu mir herein, tu mit mir, was du willst, und geh dann in Frieden deiner Wege!' ,Nein,' erwiderte er, ,ich will nicht zwölf Jahre der Anbetung zunichte machen durch die Lust eines einzigen Augenblicks.'



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Darauf sagte sie: ,So geh alsbald von mir fort!' Doch er entgegnete: ,Das erlaubt mir mein Herz nicht.' Nun wandte sie ihr Angesicht wieder von ihm. Bald jedoch sahen die Buben ihn von neuem, liefen auf ihn zu und bewarfen ihn mit Steinen. Er aber warf sich auf sein Antlitz nieder, indem er sprach: ,Fürwahr, mein Beschützer ist Allah, der das heilige Buch herabsandte; und er schützt die Frommen."Da kam ich aus dem Kloster heraus, vertrieb die Buben von ihm, hob sein Haupt vom Boden auf und hörte ihn sagen: ,O Allah, vereinige mich mit ihr im Paradiese!' Dann wollte ich ihn ins Kloster tragen; doch er starb, ehe ich mit ihm dort hinkam. So trug ich ihn denn aus dem Dorf hinaus, grub ihm ein Grab und bestattete ihn darin. Als es aber dunkel geworden und die Hälfte der Nacht verstrichen war, stieß jene Jungfrau, die auf ihrem Bette lag, einen lauten Schrei aus; die Dorfleute strömten zu ihr herbei und fragten sie, was ihr widerfahren sei. Sie antwortete: ,Während ich schlief, trat plötzlich jener muslimische Mann zu mir herein, nahm mich bei der Hand und führte mich zum Paradiese. Doch als wir am Tor standen, wehrte mir der hütende Engel den Zutritt, indem er sprach: ,Das Paradies ist den Ungläubigen versagt!' Da nahm ich durch den Jüngling den Islam an und trat mit ihm ein; dort erblickte ich Schlösser und Bäume, die ich euch nicht zu beschreiben vermag. Und er führte mich zu einem Schlosse aus Edelstein und sprach zu mir: ,Siehe, dies Schloß ist für mich und fur dich; ich will nur mit dir eintreten, und nach fünf Tagen wirst du mit mir in ihm sein, so Gott der Erhabene will.' Dann streckte er seine Hand nach einem Baume aus, der vor dem Tore jenes Schlosses wuchs, pflückte zwei Äpfel von ihm und gab sie mir, indem er sprach: ,Iß den einen und verwahre



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den anderen, damit die Mönche ihn sehen.' Und ich aß den einen; nie habe ich etwas Süßeres als ihn gekostet.'— —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 414. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Jungfrau des weiteren erzählte: ,Als er die beiden Äpfel gepflückt hatte, gab er sie mir, indem er sprach: ,Iß den einen und verwahre den anderen, damit die Mönche ihn sehen.' Und ich aß den einen; nie habe ich etwas Süßeres als ihn gekostet. Dann nahm er mich bei der Hand und führte mich wieder hinaus, bis er mich zu meinem Hause geleitet hatte. Als ich aus meinem Schlafe erwachte, spürte ich noch den Apfelgeschmack in meinem Munde und hielt den anderen Apfel in der Hand.' Mit diesen Worten holte sie den Apfel heraus, und der leuchtete im Dunkel der Nacht wie ein schimmernder Stern. Dann trug man die Jungfrau, die den Apfel in der Hand behielt, in das Kloster; dort erzählte sie den Traum auch uns und zeigte uns den Apfel; und wirklich, wir hatten unter allen Früchten der Welt noch nie seinesgleichen gesehen. Darauf nahm ich ein Messer und zerlegte ihn in so viele Teile, daß ich und jeder meiner Gefährten ein Stück erhielt; nie haben wir etwas gesehen, das süßer geschmeckt oder köstlicher geduftet hätte; doch wir sprachen: ,Vielleicht war das ein Teufel, der ihr so erschien, um sie ihrem Glauben abtrünnig zu machen.' Die Ihren nahmen sie darauf wieder mit sich und gingen fort. Von nun ab enthielt sie sich des Essens und des Trinkens, und als die fünfte Nacht kam, erhob sie sich von ihrem Lager, verließ ihr Haus und wanderte zu dem Grabe jenes Muslims. Dort warf sie sich nieder und starb, ohne daß die Ihren um sie wußten. Als es Morgen ward, kamen zum Dorfe zwei muslimische Scheiche in härenen Gewändern,



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begleitet von zwei Frauen, die ebenso gekleidet waren, und sie sprachen: ,Ihr Leute vom Dorf, Allah der Erhabene hat bei euch eine Heilige, die als gläubige Muslimin gestorben ist. Wir wollen an eurer Statt für sie sorgen.' Da suchten die Dorfbewohner nach jener Jungfrau und fanden sie tot auf dem Grabe liegen. Sie sprachen: ,Die da ist eine der Unsrigen; sie ist in unserem Glauben gestorben, und darum wollen wir für sie sorgen.' Doch die beiden Alten entgegneten: ,Nein, sie ist als Muslimin gestorben; darum wollen wir sie bestatten!' Als nun heftiger Streit und Zank zwischen ihnen sich erhob, sprach der eine von den beiden Scheichen: ,Dies sei das Kennzeichen ihres Glaubens: die vierzig Mönche des Klosters sollen zusammen versuchen, sie von dem Grabe hinwegzuziehen; wenn die sie vom Boden aufheben können, so ist sie als Christin gestorben. Gelingt es ihnen aber nicht, so soll einer von uns vortreten, um sie hinwegzunehmen; und wenn ihr Leib sich in seinen Händen erhebt, so ist sie als Muslimin gestorben.' Die Dorfbewohner willigten darin ein, und alsbald kamen die vierzig Mönche. Sie feuerten einer den andern an und traten zu ihr, um sie aufzuheben; aber sie vermochten es nicht. Darauf banden wir einen festen Strick um ihren Leib und zogen alle daran; aber der Strick zerriß, und sie rührte sich nicht. Auch die Dorfbewohner traten heran und taten desgleichen; dennoch rührte sie sich nicht von ihrer Stätte. Schließlich, als wir sie trotz aller Mühe doch nicht heben konnten, sprachen wir zu einem der beiden Scheiche: ,Tritt du hin und heb sie auf!' Da trat der eine von ihnen heran, hüllte sie in seinen Mantel und rief: ,Im Namen Allahs, des barmherzigen Erbarmers, und durch den Glauben des Gesandten Allahs - Er segne ihn und gebe ihm Heil!' Dann hob er sie in seine Arme, und die Muslime gingen mit ihr zu einer Höhle, die sich dort befand. In ihr legten sie



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die Leiche nieder; und nun kamen die beiden Frauen, wuschen sie und hüllten sie ins Leichentuch. Danach trugen die beiden Alten sie wieder zum Grabe, beteten dort über ihr, bestatteten sie neben dem muslimischen Jüngling und gingen fort. Wir hatten dem allem zugesehen; und als wir wieder allein unter uns waren, sprachen wir: ,Fürwahr, die Wahrheit verdient es, daß man ihr folge!' Uns aber ist die Wahrheit sichtbar vor unseren Augen offenbart worden, und es gibt für uns keinen klareren Beweis mehr für die Wahrheit des Islams als das, was wir mit eigenen Augen gesehen haben. Darauf nahm ich den Islam an, und alle Mönche des Klosters wurden Muslime mit mir, desselbengleichen auch die Bewohner des Dorfes. Dann sandten wir zum Volk von Mesopotamien und baten um einen Gottesgelehrten, der uns die Gebote des Islams und die Vorschriften des Glaubens lehren sollte. Da kam ein frommer und gelehrter Mann zu uns und unterwies uns im Gottesdienst und in den Vorschriften des Islams; und wir leben jetzt in großem Wohlergehen. Allah sei Lob und Dank!'

Ferner wird erzählt


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