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Kapitel 

DICHTKUNST DER KASSAIDEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1928

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT ZWEI KARTEN UND ZEHN ABBILDUNGEN

Die Tochter Mauesses (Kanioka)

Vier Billua (Jäger) gingen zur Jagd. Es fiel ein Regen (Mwula). Alle vier machten sich eiligst auf den Heimweg. Drei Jäger kamen glücklich heim. Einer der Jäger blieb zurück. Er verirrte sich und kam in Mauesses Dorf an. Die Leute fragten den Tschillua (Einzahl von Billua): "Wie kommst du hierher?" Der Tschillua sagte: "Ich war mit andern zur Jagd. Es fiel Regen, ich verirrte mich." Die Leute fragten: "Weißt du, wo du bist?" Der Tschillua sagte: "Nein." Die Leute sagten: "Du bist im Dorfe Mauesses, der alles gemacht hat."Der Tschillua sagte: "Es ist gut, ich bleibe hier." Die Leute gaben ihm ein Haus. Der Tschillua blieb.

Am andern Tage sah der Kassongo (der Tschillua) Tanga Ngoi, die Tochter Mauesses. Kassongo sagte zu Mauesse: "Ich möchte Tanga Ngoi heiraten." Mauesse sagte: "Es ist gut, heirate sie." Kassongo heiratete Tanga Ngoi. Er blieb zwei Tage bei ihr. Am dritten Tage sagte Mauesse: "Nun kehre in dein Dorf zurück und bleibe eine Regenzeit daheim. Wenn dann wieder eine Regenzeit kommt, so kannst du kommen, deine Frau zu holen."

Kassango ging und kam heim. Kassango kam jedoch vor der Zeit in das Dorf Mauesses. Er fand im Dorfe Mauesses alles geschlossen. Alle Häuser waren zu. Er öffnete eine Tür. Die Leute darin waren tot. Er öffnete ein anderes Haus. Es lagen Frauen darin. Sie waren tot. Er schloß die Tür und öffnete wieder ein Haus. Er fand darin seine eigene Frau. Sie war tot. Er wollte Tanga Ngoi am Bein anfassen. Das Bein brach ab. Kassongo ging schnell hinaus. Er schloß das Haus und ging in sein Dorf zurück.

Als wieder Regen fiel, ging Kassongo den gleichen Weg zurück in Mauesses Dorf. Mauesse sagte: "Du bist hier gegen meinen Befehl gewesen. Du hast Tanga Ngois Bein abgebrochen. Geh in dein Dorf zurück und nimm dies Paket mit." Mauesse gab dem Tschillua ein Paket. Kassongo ging wieder in sein Dorf. Bald darauf starb der Sohn des Tschillua. Kassongo wußte nicht, was das war, denn damals starben die Menschen nicht. Er ging zurück zu Mauesses Dorf und sagte zu Mauesse: "Mein Sohn ist gestorben. Was ist das?" Mauesse sagte: "Geh in jenes Haus. Dort sind Leute." Kassongo



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ging in das Haus. Die Leute in dem Hause sagten: "Du warst gegen den Willen Mauesses hier. Du hast das Bein Tanga Ngois abgebrochen. Das Paket, das dir Mauesse gab, enthielt die Strafe, die er dir zugedacht hat. Nun geh hin, leg deinen Sohn auf eine Matte und dann trauert um ihn. So wirst du sehen, was Mauesse machen wird."

Kassongo ging in sein Dorf-zurück. Er ließ seinen Sohn auf eine Matte legen. Alle Leute setzten sich herum und weinten und klagten. Mauesse rief einen Hund und sagte: "Geh hinab und sieh zu, ob die Menschen, während sie trauern sollen, essen oder lachen." Der Hund ging. Der Hund sah die Menschen weinen. Dann sah er sie weggehen um zu essen. Dann sah er sie wiederkommen um zu weinen. Dann sah er sie seitwärts gehen und spielen. Der Hund ging zurück zu Mauesse und sagte: "Erst sah ich die Menschen klagen. Dann sah ich die Menschen essen, dann sah ich die Menschen klagen. Dann sah ich die Menschen spielen und lachen." Mauesse sagte: "Wenn die Menschen nicht einmal trauern können, dann sollen sie alle das Sterben kennen lernen." — Seitdem sterben die Menschen.


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