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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DI'BIL EL-CHUZÂ'I UND DER DAME UND MUSLIM IBN EL-WALÏD

Di'bil el-Chuzâ'i' erzählte: Ich saß einmal am Tore von eI-Karch; da kam eine Dame an mir vorbei, die war so schön und so ebenmäßig von Wuchs, wie ich noch keine je gesehen hatte. In wiegendem Schritte kam sie einhergegangen, und sie nahm alle, die sie sahen, durch ihre Schönheit gefangen. Als mein Blick auf sie fiel, ward ich ganz von ihr hingerissen, mein Inneres erbebte, und es war mir, als ob mir das Herz aus der Brust davonflöge. Und indem ich vor sie hintrat, sprach ich diesen Vers:

Aus meinem Auge fließt ein Strom von Zahren;
Und Schlaf will meinem Lid sich nicht gewähren.



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Da schaute sie mich an. indem sie ihr Antlitz wandte, und antwortete mir rasch mit diesem Verse:

Das ist dem Mann ein leichtes, wenn die Glut
Aus wunden Augen ihn zur Liebe lud.

Ich staunte ob der Raschheit ihrer Antwort und der Schönheit ihrer Rede; und ich sprach von neuem zu ihr diesen Vers:

Ist meiner Herrin Herz dem wohlgesinnt,
Aus dessen Augen stets die Träne rinnt?

Ohne zu zögern, antwortete sie mir sofort mit diesem Vers:

Wenn du auf meine Lieb begierig bist,
So wisse, daß die Lieb ein Darlehn ist!

Niemals klang lieblichere Rede in mein Ohr als die ihre; niemals hatte ich etwas so Schönes wie ihr Antlitz gesehen. Und nun wechselte ich das Versmaß, um sie auf die Probe zu stellen und mich an ihren Worten zu erfreuen. Ich sprach also diesen Vers zu ihr:

Läßt wohl das Geschick uns die Glückssonne scheinen
Und Liebenden und Geliebte sich einen?

Da lächelte sie; ach, nie habe ich etwas Schöneres als ihren Mund, noch etwas Süßeres als ihre Lippen gesehen! Und sie antwortete mir sofort, ohne zu zögern, mit diesem Verse:

Was sollen Geschick und Bestimmung uns scheren?
Du bist das Geschick, unser Glück zu gewähren!

Da eilte ich auf sie zu und begann ihr die Hände zu küssen, und ich rief: ,Ich hätte nicht gedacht, daß mir das Geschick eine solche Gelegenheit gewähren würde! Folge mir, nicht auf mein Geheiß hin oder widerwillig, sondern in deiner freiwilligen Güte und aus Neigung zu mir!' Dann ging ich weiter, und sie kam mir nach. Nun hatte ich aber zu jener Zeit kein Haus, das ich als ihrer würdig ansah. Aber Muslim ihn el-Walid



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war mein Freund, und er hatte ein schönes Haus. ich ging also dorthin und klopfte an die Tür; da kam er zu mir heraus, und ich begrüßte ilm und sprach: ,Für eine Zeit wie diese sind die Genossen aufgespart.' Er antwortete: ,Herzlich gern! Tretet beide ein!' Wir traten ein, aber wir erfuhren, daß er kein Geld besaß; er gab mir deshalb ein Tuch und sagte: ,Geh zum Markte und verkauf es, und dann hole Speisen und was du sonst noch brauchst!' ich ging eilends zum Markte, verkaufte das Tuch und holte Speisen und was wir sonst noch brauchten; als ich aber zurückkehrte, erfuhr ich, daß Muslim sich mit ihr in ein kühles Erdgemach zurückgezogen hatte. Sobald er mich bemerkte, eilte er mir entgegen und sprach zu mir: ,Allah vergelte dir das Gute, das du an mir getan hast, o Abu 'Alî! Er lasse dir seinen Lohn zuteil werden und rechne es dir unter deine guten Werke am Tage der Auferstehung!' Dann nahm er mir die Speisen und den Wein aus der Hand und schloß die Tür vor meinem Angesicht. Seine Worte machten mich wütend, und ich wußte nicht, was ich beginnen sollte, während er hinter der Tür stand und sich vor Freuden schüttelte. Und als er bemerkte, in welchem Zustande ich mich befand, rief er: ,Bei meinem Leben, Abu 'Alt, wer ist es, der diesen Vers gedichtet hat:

Ich schlief in ihrem Arm; indes mein Freund
War trüb im Herzen und an Gliedern rein -?'

Da ward ich noch wütender über ihn, und ich rief: ,Er, der diesen Vers verfaßte:

Er. der am Gürtel tausend Hörner hat,
Die höher ragen als ein Götzenschrein.''



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Dann beschimpfte und verwünschte ich ihn wegen seines gemeinen Tuns und seines Mangels an Mannesadel, während er schwieg und kein Wort sagte. Doch als ich mit meinem Schelten zu Ende war, rief er lächelnd: ,Weh dir, du Narr! Du bist doch in mein Haus gekommen, hast mein Tuch verkauft und mein Geld ausgegeben. Gegen wen bist du denn so ergrimmt, du Kuppler?' Dann ließ er mich stehen und kehrte zu ihr zurück. Ich aber rief: ,Bei Allah, du hast recht, wenn du mich einen Narren und Kuppler heißest!' Und ich verließ seine Tür, voll heftigen Ärgers, dessen Spuren ich noch bis auf den heutigen Tag in meinem Herzen fühle. Denn ich hatte sie nicht gewonnen und habe auch nie wieder etwas von ihr gehört.

Und ferner erzählt man


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