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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DER BERICHT VON 'ABD ER-RAHMÄN EL-MAGHRIBI ÜBER DEN VOGEL RUCH

Einst ward ein Mann aus dem Volke des Maghrib' von seiner Reiselust in ferne Länder, durch Wüsten und über die Meere getragen; und da hatte ihn das Geschick zu einer Insel verschlagen. Auf ihr blieb er eine lange Weile; dann aber kehrte er in seine Heimat zurück mit einem Federkiele aus dem Flügel des Vogels Ruch, und zwar eines jungen Tieres, das noch im Ei gesessen und noch nicht aus der Schale herausgekrochen war. Jener Kiel vermochte so viel Wasser zu fassen wie ein Schlauch aus einem Ziegenfell; denn man sagt, daß die Länge des Flügels beim Vogel Ruch, wenn er aus dem Ei auskriecht, hundert Klafter beträgt. Das Volk pflegte sich über jenen Kiel zu verwundern, wenn es ihn sah. Jener Mann aber hieß 'Abd er-Rahmân el-Maghribi, und er war auch bekannt unter dem Namen des Chinesen, da er sich lange in China aufgehalten hatte. Und er pflegte Wunderdinge zu erzählen; dazu gehörte, was er über seine Reise im chinesischen Meere berichtete. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 405. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abd er-Rahmân el-Maghribi,



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der Chinese, Wunderdinge zu erzählen pflegte. Dazu gehörte, was er über seine Reise im chinesischen Meere berichtete. Dort war er mit einer Gesellschaft gereist, und sie hatten in der Ferne eine Insel gesichtet. Das Schiff ging mit ihnen bei jener Insel vor Anker, und sie sahen, daß sie groß und ausgedehnt war. Dann ging die Schiffsmannschaft an Land, um Wasser und Holz einzunehmen, und sie hatten Beile, Stricke und Schläuche bei sich; auch jener Mann war bei ihnen. Da sahen sie mitten auf der Insel eine große weiße Kuppel, die hell schimmerte und die hundert Ellen hoch war. Nachdem sie die erblickt hatten, gingen sie auf sie zu, und als sie nahe bei ihr waren, erkannten sie, daß es ein Ei des Vogels Ruch war. Und nun begannen sie mit Äxten und Steinen und Knitteln darauf loszuschlagen, bis sie den jungen Vogel bloßgelegt hatten; der war vor ihren Blicken wie ein festgegründeter Berg. Dann rissen sie eine Feder aus seinem Flügel; aber das konnten sie nur tun, indem sie alle einander halfen, obgleich die Federn des Tieres noch nicht voll ausgewachsen waren. Ferner nahmen sie von dem Fleische des Vogels so viel, wie sie tragen konnten, und trugen es mit sich fort; auch schnitten sie die Wurzel der Feder am Kiele ab. Dann spannten sie die Segel des Schiffes und fuhren die ganze Nacht hindurch mit günstigern Winde dahin, bis die Sonne aufging. Während sie so dahinsegelten, kam plötzlich der alte Vogel Ruch über sie wie eine gewaltige Wolke; der hielt in seinen Klauen einen Stein, der so mächtig war wie ein Felsen und noch größer als das Schiff selbst. Und wie der Vogel gerade über dem Schiff in der Luft schwebte, ließ er den Stein auf das Fahrzeug und die Reisenden, die darin waren, niederfallen. Das Schiff aber, das schnell dahinfuhr, kam ihm zuvor, und so fiel der Stein mit einem gewaltigen Tosen ins Meer. Denn Allah hatte ihre Rettung



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beschlossen, und er bewahrte sie vor dem Untergange. Die Leute kochten jenes Fleisch und aßen es. Nun waren unter ihnen alte Männer mit weißen Bärten; als die am nächsten Morgen aufwachten, sahen sie, daß ihre Bärte schwarz geworden waren; und keiner von all den Leuten, die von dem Fleisch des jungen Vogels Ruch gegessen hatten, wurde jemals grau. Einige von ihnen sagten zwar, der Grund, weshalb sie wieder jung geworden wären und nun keine grauen Haare mehr bekämen, liege darin, daß sie den Kessel mit Pfeilholz geheizt hätten; doch die anderen behaupteten, das Fleisch des jungen Vogels Ruch sei die Ursache davon gewesen. Und dies ist eins der größten Wunder.'

Ferner wird erzählt


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