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Kapitel 

DICHTKUNST DER KASSAIDEN

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1928

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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TITEL- UND EINBANDZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE

MIT ZWEI KARTEN UND ZEHN ABBILDUNGEN

Die Schöpfungssage (Bassonge; Kalebue Lupungu)

Mwidi (man kann auch verstehen Mwille) war der Vater Fidi Mukullus.

Mwidi war im Anfange mit seiner Frau da. Es war nur ganz wenig Erde. Mwidi sprach nicht viel. Es gab keinen Lärm, es gab keinen Streit. Mwidis Leute wohnten seitwärts. Man blieb immer auf dem gleichen Platze. Die Leute Mwidis hatten Kinder. Die einen drei, andere vier, andere sechs, andere zwölf Kinder. Mwidis Frau hatte keine Kinder. Mwidis Frau war tief traurig.

Eines Tages kam Mwidi von einem Gange heim. Er sagte zu seiner Frau: "Gib mir Speise!" Seine Frau sagte: "Alle Frauen haben Kinder. Alle Leute haben Kinder, die einen drei, andere vier, andere sechs, andere zwölf Kinder. Ich aber schlafe, mache Essen, esse und habe keine Kinder. Ich bin keine Frau!" Mwidi sagte: "Warte! Du sollst einen Tag warten." Die Frau war am andern Tage schwanger. Ihr Leib war mächtig geschwollen. Mwidi sagte: "Du sollst nicht wie andere Frauen lange schwanger sein !" Nach einem Monat gebar die Frau Mwidis.

Die Frau Mwidis gebar. Es donnerte gewaltig. Fidi Mukullu ward geboren. Die Leute Mwidis kamen alle herbei; die einen wuschen den Boden, die Steine, die andern machten geschwind Speise, andere wuschen Fidi Mukullu. Mwidi sagte: "Seid leise, macht keinen Lärm, seid ganz, ganz leise 1" Fidi Mukullu war an einem Tage erwachsen.

Mwidi sagte zu seiner Frau: "Du wirst noch einmal gebären!" Nach zwei Tagen war Mwidis Frau wieder schwanger. Ihr Leib war mächtig geschwollen, und nach einem Monat ward unter mächtigem Donner Luffua geboren. Die Leute wollten wieder den Boden, die Steine, das Kind waschen. Ein Mann berührte den Fuß Luffuas, da starb er auch schon. Er sank tot zur Seite. Alle Leute waren erschrocken. Die Leute sagten: "Bis jetzt kannten wir dies nicht! Was ist das? — Als Fidi Mukullu geboren ward, war alles so herrlich. Aber Luffua verdirbt alles."Alle Leute liefen schnell in ihre Häuser. Mwidi sagte zu Fidi Mukullu: "So sind die Menschen. Sie können nicht einen sterben sehen !"

Danach gebar die Frau noch Tschitenga. Dann gebar sie Jakaboa. Weiter gebar sie nicht.

Fidi Mukullu sagte zu seinem Vater: "Ich möchte mir ein eigenes Dorf bauen." Mwidi sagte: "Laß das, ich weiß schon, was zu tun ist. Unsere Erde ist noch klein." Nach einiger Zeit kam Luffua und sagte zu seinem Vater: "Ich möchte mir mein Dorf bauen!" Der Vater sagte: "Laß das; ich weiß schon, wann es Zeit ist, und was zu machen ist. Unsere Erde ist noch klein."



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Dann aber sagte Mwidi eines Tages zu Fidi Mukullu und Luffua: "Kommt! Es ist Zeit, ich werde euch zeigen, was zu machen ist." Er ging mit den beiden hin, und er nahm Erde und breitete sie aus (der Erzähler ergänzt erklärend das zweitemal: wie man Matten aufrollt), und Fidi Mukullu machte weite Flächen. Dann zog Mwidi Wasser und Bäche durch das Land. Mwidi rief Fidi Mukullu und Luffua ganz dicht heran und sagte ihnen: "Macht viele Bäume, macht Holz, viele Kräuter, denn es werden viele Menschen kommen. Macht Bananen und Erdnüsse und Hirse und Früchte zum Essen. Ich aber will in mein Dorf zurückkehren." Mwidi kehrte in sein Dorf zurück.

Fidi Mukullu und Luffua schafften. Sie schafften sehr viel. Nach einiger Zeit ließ Mwidi wieder beide Söhne zu sich kommen. Er gab ihnen das Feuer in den Steinen (Feuersteine) und sagte zu Fidi Mukullu: "Ich gebe dir das Feuer; gehe aber sorgsam damit um und mache es vorsichtig für die Menschen." Fidi Mukullu ging mit Luffua in das Dorf zurück. Luffua machte dann schnell das Feuer. Und als das Feuer aufflammte, fielen beide zurück. Vordem war alles eben gewesen. In dem Augenblicke, da Fidi Mukullu zu Boden stürzte, entstanden Berge und Täler. Fidi Mukullu verbrannte das Antlitz.

Fidi Mukullu sandte Luffua zu Mwidi und sagte: "Sage meinem Vater, daß der Sklave (damit ist das Feuer gemeint), den er mir gegeben hat, schlecht ist und mich verbrannt hat." Luffua ging zu Mwidi zurück. Mwidi sagte: "Ach, du kommst, ohne daß ich dich gerufen habe." Mwidi war bis über die Beine (bis an die Hüften) schon in der Erde. (Es bleibt unklar, ob dies Sterben infolge des ungerufenen Besuches Luffuas stattfindet. Die Berichterstatter wissen das nicht.) Mwidi starb. Luffua sagte: "Fidi Mukullu sendet mich und läßt dir sagen: ,Der Sklave, den du uns gegeben hast, der ist schlecht, er hat mich verbrannt." Mwidi sagte: "Was soll ich da machen? Lernt eure Sklaven kennen, macht das Feuer für die Menschen, mich laßt sterben." Luffua kehrte zu Fidi Mukullu zurück.

Luffua suchte den Ort Fidi Mukullus. Luffua konnte den Ort nicht finden. Denn überall waren in Luffuas Abwesenheit die Bananen und Palmen und Sträucher und Gräser und Lianen Fidi Mukullus hoch aufgeschossen. Luffua rief: "Fidi Mukullu !" Man hörte es nicht, denn überall waren die Bananen und Palmen und Sträucher und Gräser und Lianen Fidi Mukullus. Luffua sagte: "Ich kann meinen Bruder nicht finden. Ich will zu meinem Vater zurückkehren." Luffua kehrte um und wollte gehen. Aber alles wuchs um ihn schnell zusammen. Alle Flüsse stiegen empor. Luffua konnte nicht weitergehen. Luffua sagte: "Was mein Vater schuf, das war klein, was mein Bruder macht, ist groß. Ich bin Luffua. Wenn diesen Fluß mein Vater machte, möge er bleiben. Wenn diesen Fluß mein Bruder



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machte, möge er vergehen. Ich bin Luffua." Luffua trat mit einem Fuß in den Fluß. Er verging. Fidi Mukullu hatte ihn gemacht. Luffua kam an einen mächtigen Wald. Er sagte: "Ich bin Luffua. Wenn diesen Wald mein Vater machte, möge er bestehen. Wenn ihn mein Bruder machte, möge er vergehen! Ich bin Luffua." Der Wald verging. Fidi Mukullu hatte ihn gemacht.

So kam Luffua zum zweiten Male zu Mwidi, ohne daß er gerufen war. Mwidi war nun ganz in der Erde. Er war gestorben. —Luffua, Tschitenga und Jakaboa waren am Platze des Vaters. Auch Fidi Mukullu kam. Fidi Mukullu rief seine Brüder Tschitenga und Jakaboa beiseite und flüsterte ihnen zu: "Hütet euch vor Luffua. Seht, das ist Luffua: Es starb ein Mensch, als er geboren ward!"

Erst wollten die Brüder ein gemeinsames Dorf beziehen. Dann aber beschlossen sie, jeder ein eigenes Dorf in einer andern Richtung aufzubauen. Fidi Mukullu sagte: "Wir wollen dem Vater vier Schafe schlachten." Luffua sagte: "Nein, jeder soll für sich dem Vater opfern." Fidi Mukullu sagte: "Es ist recht." Fidi Mukullu schlachtete vier Schafe und brachte Essen und Trinken zum Grabe des Vaters. Er legte es nieder und sagte: "Vater, du bist gestorben. Du hast mir alle Gewalt gegeben, alles zu schaffen. Ich habe vieles geschaffen. Nun sage mir noch einmal Gutes oder Schlechtes." Fidi Mukullu sah eine mächtige Grube sich auftun. Er trat hinein. Es war wie ein Haus. In dem Hause waren viele Waffen und Stoffe und Wertvolles. Fidi Mukullu sagte: "Ich bin der älteste von vier Brüdern. Ich will meine andern drei Brüder rufen und mit ihnen teilen, damit sie nicht sagen können, ich hätte gestohlen." Fidi Mukullu sandte zu seinen Brüdern, sie zur Teilung zu rufen. Doch die Brüder antworteten: "Das ist nicht unsere Sache. Jeder mache sein Opfer und sehe, was sein Vater ihm gibt." Da nahm Fidi Mukullu alle Waffen und Stoffe in sein Dorf mit.

Darauf schlachtete Luffua vier Schafe und bereitete Essen und Trank und brachte es zum Grabe des Vaters. Der Vater sagte aus der Erde: "Kehre morgen zurück." Luffua ging. Am andern Morgen kehrte er zurück und fand ein Difuma (Speer), ein Mudimba (Kriegspauke, Holzpauke) und eine Tschiselle (Tragstock) zum Kriegführen und zum Forttragen der Toten. Am andern Tage machte Tschitenga sein Opfer und fand ein Lufette (Messer) und ein Tschilonda (Beil). Tschitenga ward Schmied. Am andern Tage machte Jakaboa sein Opfer, und er erhielt eine Ngomma Ditumba (Tanztrommel), eine Madimba (Holzklavier) und eine Tschilamba (Webschurz). Da führte Jakoboa einen Tanz auf. Fidi Mukullu sagte zu Jakaboa: "Das ist nicht absonderlich gut. Wenn die Leute mit dir Krieg führen, kannst du dich nicht wehren." Tschitenga machte für Jakaboa ein Messer und sagte: "Steck dir das an die Seite, wenn du tanzt."Tschitenga



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machte eine Tschilonda (Axt) und gab sie den Frauen Jakaboas und sagte: "Nun könnt ihr arbeiten."Jakaboa webte für Bilamba (Schurze).

Fidi Mukullu sagte: "Nun will ich Menschen machen." Er machte einen Batuamann und eine Batuafrau und setzte sie in den Wald. Er machte ein Paar Baluba, ein Paar Kalebue, ein Paar Tschibentschi, ein Paar Bena Ki, ein Paar Bassonge, ein Paar Bamboe und viele andere und setzte jedes Paar an seinen Platz.


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