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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON MASRÛR UND IBN EL-KÂRIBI

Eines Nachts ward der Kalif Harûn er-Raschîd von arger Unruhe geplagt; da sprach er zu seinem Wesir Dscha'far ibn Jahja, dem Barmekiden: ,Hör, ich kann heute nacht keinen Schlaf finden; die Brust ist mir eng, und ich weiß nicht, was ich beginnen soll.' Nun stand sein Eunuch Masrûr vor ihm, und der mußte gerade lachen. Der Kalif rief ihm zu: ,Worüber lachst du? Lachst du etwa, um mich zu verspotten, oder weil du irr geworden biste' Masrûr antwortete ihm: ,Nein, bei Allah, o Beherrscher der Gläubigen' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 400.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Harûn er-Raschîd Masrûr, dem Schwertträger, zurief: ,Lachst du etwa, um mich zu verspotten, oder weil du irr geworden bist?' Masrûr antwortete: ,Nein, bei Allah, o Beherrscher der Gläubigen, bei deiner Verwandtschaft mit dem Fürsten der Apostel, ich habe das nicht aus freiem Willen getan; sondern ich bin gestern abend draußen vor dem Palast spazieren gegangen, und als ich dann zum Ufer des Tigris kam, sah ich dort viel Volks versammelt. Ich blieb stehen und gewahrte dort einen Mann, der das Volk zum Lachen brachte; der hieß Ibn el-Kâribi. Gerade eben mußte ich wieder an das denken, was er sagte, und da kam das Lachen mit Gewalt über mich. Ich bitte dich um Verzeihung, o Beherrscher der Gläubigen!' Der Kalif befahl darauf: ,Bring mir den Mann sofort hierher!' Da eilte Masrûr fort, bis er Ibn el-Kâribi fand, und sprach zu ihm: ,Folge dem Rufe des Beherrschers der Gläubigen!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der. Doch Masrûr fügte noch hinzu: ,Nur unter der Bedingung, daß du, wenn du zu ihm kommst und er dir ein Geschenk macht, davon ein Viertel erhältst, während der Rest mir gehört.' Da sagte Ibn el-Kâribi: ,Nein, dir die Hälfte und mir die Hälfte!' Masrûr aber entgegnete: ,Nein!' Nun sagte Ibn el-Kâribi: ,Dann also mir ein Drittel und dir zwei Drittel!' Nach langem Widerstreben willigte Masrûr endlich darin ein und machte sich mit ihm auf den Weg. Als nun Ibn el-Kâribi zum Herrscher eintrat, begrüßte er ihn mit dem GruBe, der dem Kalifen gebührt, und blieb dann vor ihm stehen. Darauf hub der Beherrscher der Gläubigen an: ,Wenn du mich nicht zum Lachen bringst, so gebe ich dir drei Schläge mit diesem Sacke!' Ibn el-Kâribi sagte sich: ,Was sind denn etwa drei Schläge mit diesem Sack, da mir sogar Peitschenhiebe nichts schaden?' Denn er glaubte,



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der Sack sei leer. Nun erzählte er so lustige Dinge, daß selbst ein Zorniger hätte lachen müssen, und er trug allerlei Arten von Scherzen vor. Doch der Kalif lachte nicht und verzog keine Miene zum Lächeln. Darüber war Ibn el-Kâribi verwundert und bestürzt, und er geriet in Furcht. Und der Beherrscher der Gläubigen sprach: ,Jetzt hast du die Schläge verdient', nahm den Sack und gab ihm einen Schlag; indem Sack aber waren vier Kieselsteine, von denen ein jeder zwei Pfund wog. Wie nun der Schlag seinen Nacken traf, schrie er laut auf; aber er dachte sofort an das, was er mit Masrûr abgemacht hatte, und so rief er: ,Vergebung, o Beherrscher der Gläubigen! Höre zwei Worte von mir an!' Als der Kalif antwortete: ,Sprich, was du zu sagen hast!' fuhr er fort: ,Masrûr hat mir eine Bedingung gestellt, und ich habe mich mit ihm darüber geeinigt; die ist, daß von allen Gnadengaben, die mir der Beherrscher der Gläubigen verleiht, nur ein Drittel mir zukommen soll, während ihm die beiden anderen Drittel gehören. Und darin hat er erst nach starkem Widerstreben eingewilligt. Nun hast du mir kein anderes Gnadengeschenk verliehen als die Schläge; dieser Schlag ist mein Anteil, die beiden übrigen Schläge gehören ihm. Ich habe meinen Anteil erhalten; da steht er, o Beherrscher der Gläubigen, zahle ihm, was ihm gebührt!' Als der Herrscher diese Worte von ihm vernahm, lachte er, bis er auf den Rücken fiel; danach rief er den Masrûr herbei und gab ihm einen Schlag. Der aber schrie auch und rief: ,O Beherrscher der Gläubigen, ein Drittel ist genug für mich, gib ihm zwei Drittel!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 401. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Masrûr ausrief: ,O Beherrscher



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der Gläubigen, ein Drittel ist genug für mich, gib ihm zwei Drittel!' Da lachte der Kalif über die beiden und wies einem jeden tausend Dinare an. Und nun gingen beide, erfreut über das Geschenk des Kalifen, ihrer Wege.

Ferner wird erzählt


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