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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM DIEB UND DEM KAUFMANN

Es war einmal ein Mann; der war ein Dieb gewesen, aber er hatte sich in aufrichtiger Reue wieder Allah dem Erhabenen zugewendet und einen Laden eröffnet, in dem er Stoffe verkaufte. So lebte er geraume Zeit dahin. Da begab es sich eines Tages, als er seinen Laden geschlossen hatte und nach Hause gegangen war, daß ein schlauer Dieb, der sich ganz wie jener Kaufmann angezogen hatte, in den Basar kam; erholte Schlüssel aus seinem Ärmel, und da es schon dunkel war, so sprach er zu dem Wächter des Basars: ,Zünde mir diese Kerze an!' Der Wächter nahm die Kerze von ihm entgegen und ging fort, um sie anzuzünden. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 399 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wächter die Kerze von ihm entgegennahm und fortging, um sie anzuzünden. Derweilen öffnete der Dieb den Laden und zündete eine andere Kerze an, die er noch bei sich hatte. Und als der Wächter zurückkehrte, sah er, wie jener im Laden saß, das Rechnungsbuch in der Hand hielt und anschaute und mit den Fingern rechnete; so tat er bis zum Morgengrauen. Dann sprach er zu dem Wächter: ,Hol mir einen Treiber mit seinem Kamele, auf daß er für mich einige Waren fortschaffe!' Da holte der Wächter einen Treiber mit seinem Kamele. Der Dieb nahm vier Ballen Stoffe und reichte sie dem Treiber, und der lud sie auf das Kamel. Dann schloß der Mann den Laden, gab dem Wächter zwei Dirhems und ging hinter dem Kameltreiber



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her; bei dem allen glaubte der Wächter, daß jener der Besitzer des Ladens wäre. Als es aber Morgen ward und das helle Tageslicht schien, kam der wirkliche Besitzer des Ladens, und der Wächter dankte ihm noch einmal für die zwei Dirhems. Der Kaufmann wußte gar nicht, was die Worte bedeuten sollten, und wunderte sich darüber. Doch als er den Laden geöffnet hatte, fand er die Wachstropfen und sah das Rechnungsbuch am Boden liegen; und wie er sich weiter im Laden umschaute, entdeckte er auch noch, daß vier Ballen Stoffe fehlten. Da fragte er den Wächter, was denn geschehen sei; der erzählte ihm, was der andere bei Nacht getan und wie er den Kameltreiber für die Ballen gemietet hatte. ,Bring mir den Treiber, der die Stoffe mit dir in der Dämmerung aufgeladen hat!' befahl der Kaufmann. ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Wächter und brachte ihn. Da fragte der Kaufmann den Treiber: ,Wohin hast du in der Frühe die Stoffe gebrachte' Der Treiber antwortete: ,An den und den Landeplatz; und ich habe sie auf das und das Schiff geschafft.' ,Führ mich dorthin!' befahl der Kaufmann; und der Treiber ging mit ihm dorthin und sprach zu ihm: ,Dies ist das Schiff, und das ist der Fährmann.' Darauf wandte der Kaufmann sich an den Schiffer mit den Worten: ,Wohin hast du den Kaufmann und die Stoffe gefahren?' Jener erwiderte: ,An den und den Ort; und dort holte er sich einen Kameltreiber, ließ die Stoffe auf das Kamel laden und zog davon; ich weiß nicht, wohin er gegangen ist.' ,Bring du mir den Treiber, der von dir aus die Stoffe fortgeschafft hat!' sagte nun der Kaufmann; und als der Schiffer ihn gebracht hatte, forschte der Kaufmann weiter: ,Wohin hast du mit dem Händler die Stoffe aus dem Schiffe geführte' ,Zu der und der Stätte', gab der Mann zur Antwort. Da hub der Kaufmann wieder an: ,Geh mit mir dorthin und zeige sie mir!' Darauf



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begab sich der Treiber mit ihm an eine Stelle, die abseits vom Ufer lag, zeigte ihm den Chân, in dem er die Stoffe abgeladen hatte, und wies ihm auch das Magazin des falschen Kaufmanns. Er trat näher, öffnete es und fand darin die vier Ballen von Stoffen noch verschnürt, wie sie gewesen waren; die übergab er sofort dem Kameltreiber. Nun hatte aber der Dieb seinen Mantel über die Stoffe gelegt; auch den übergab der Kaufmann dem Kameltreiber, der nun alles aufs Kamel lud. Dann verschloß er das Magazin und ging mit dem Treiber davon. Doch siehe, da begegnete ihm der Dieb, und der folgte ihm nach, bis die Stoffe im Schiffe verladen waren. Da sprach der Dieb zum Kaufmann: ,Bruder, du stehst in Gottes Hut; du hast deine Stoffe wiedererhalten und hast nichts davon verloren; nun gib mir auch den Mantel zurück!' Der Kaufmann mußte über ihn lachen, gab ihm den Mantel zurück und belästigte ihn nicht weiter. Darauf zog ein jeder von beiden seines Wegs.

Ferner wird erzählt


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