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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE DES ERSTEN BETTELMÖNCHES

Wisse, o Herrin, die Ursache, weshalb ich meinen Bart abrasierte und das Auge mir ausgestoßen wurde, ist diese: Mein Vater war König, und er hatte einen Bruder. Dieser sein Bruder war König in einer anderen Stadt; und es traf sich, daß meine Mutter mich gebar am selben Tage, an dem mein Vetter geboren



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wurde, der Sohn meines Vatersbruders. Die Zeiten vergingen mit Jahr und Tag, bis wir aufgewachsen waren. Dann pflegte ich meinen Oheim von Zeit zu Zeit zu besuchen und eine bestimmte Anzahl von Monaten bei ihm zu bleiben. Mein Vetter empfing mich stets mit großen Ehren; er ließ Schafe für mich schlachten, klärte den Wein für mich, und wir saßen beim Trinken zusammen. Als nun einmal der Wein Gewalt über uns gewonnen hatte, sprach meines Oheims Sohn zu mir: ,Mein Vetter, ich habe eine wichtige Bitte an dich, und ich möchte, daß du mich nicht hinderst in dem, was ich zu tun gedenke.' Ich erwiderte: ,Mit größter Freude will ich dir zu Diensten sein.' Da ließ er mich die heiligsten Eide schwören und verließ mich zur selbigen Stunde; nachdem er eine kleine Weile fortgeblieben war, kehrte er zurück mit einer verschleierten Dame hinter sich, die von Wohlgerüchen duftete und die kostbarsten Seidenkleider trug. Er wandte sich zu mir, während die Dame hinter ihm stand, und sagte: ,Nimm diese Dame mit dir und gehe mir voraus zu dem und dem Totenacker.' Und er beschrieb ihn mir so, daß ich ihn kannte. Dann fuhr er fort: ,Tritt mit ihr in das Grabgewölbe und warte dort auf mich.' Ich konnte mich ihm nicht widersetzen, noch ihm seine Bitte abschlagen wegen des Eides, den ich geschworen hatte. So nahm ich denn die Frau mit mir und ging fort, bis ich mit ihr in das Grabgewölbe eingetreten war; kaum hatten wir uns gesetzt, so käm meines Oheims Sohn mit einer Schale Wasser, einem Sack voll Mörtel und einer Axthacke. Mit der Axt in der Hand ging er zu dem Grabe in der Mitte des Gewölbes, brach es auf und legte die Steine auf die Seite des Gewölbes; dann begann er mit der Hacke in das Erdreich des Grabes zu graben, bis eine eherne Platte von der Größe einer kleinen Tür in der Erde bloßgelegt war; und als er sie aufhob, zeigte sich



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darunter eine Wendeltreppe. Da wandte er sich zu der Dame um und sprach zu ihr: ,Jetzt triff deine letzte Wahl!' Da stieg die Dame jene Treppe hinunter. Er aber wandte sich zu mir mit den Worten: ,O Sohn meines Oheims, um deine Güte vollkommen zu machen, so schließe, wenn ich hinabgestiegen bin, die Falltür und häufe das Erdreich darauf genau so, wie es zuvor auf der Tür war; und um deine Güte ganz zu vollenden, mische den ungelöschten Kalk, der in diesem Sack ist, mit dem Wasser, das in der Schale ist; dann verkleide das Grab, wie es früher war, mit einer Steinwandung, so daß niemand, der sie siehet, sage: Dies ist eine neue Öffnung, doch das Innere ist alt. Ein ganzes Jahr lang habe ich mich hier mit etwas abgemüht, davon nur Allah weiß. Dies ist meine Bitte an dich.' Und er fügte noch hinzu: ,Möge Allah uns deiner nicht lange berauben, o Vetter!' Darauf stieg er die Treppe hinab. Als er nun meinen Blicken entschwunden war, schloß ich die Falltür wieder und tat, was er von mir gewünscht hatte, bis das Grab wieder war wie zuvor; während alledem aber war ich noch unter dem Einfluß des Weines und trunken. Darauf kehrte ich in den Palast meines Oheims zurück; doch mein Oheim war zur Jagd ausgeritten. Ich schlief jene Nacht hindurch; aber als der Morgen dämmerte, dachte ich an den Abend vorher und was an ihm mit meinem Vetter geschehen war. Und als die Reue nichts mehr fruchtete, da bereute ich, was ich zusammen mit ihm getan hatte und daß ich seinem Wunsche Folge geleistet hatte. Und ich wollte mir einbilden, es sei nur ein Traum gewesen, und begann nach dem Sohn meines Oheims zu fragen; aber niemand vermochte mir Auskunft zu geben. Dann ging ich hinaus zu den Gräbern auf dem Totenacker und suchte nach jenem Grabgewölbe, aber ich konnte es nicht wiedererkennen. Unaufhörlich wanderte ich von Gewölbe zü Gewölbe



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wölbe und von Grab zu Grab, bis die Nacht anbrach, ohne daß ich es gefunden hätte. Dann kehrte ich zum Schlosse zurück; doch konnte ich weder essen noch trinken, denn meine Gedanken waren immer bei meinem Vetter, da ich nicht wußte, was aus ihm geworden war; und ich war sehr um ihn besorgt. Dann legte ich mich nieder; aber ich verbrachte die Nacht in Kummer bis zum Morgen. Da ging ich wieder auf den Totenacker, grübelnd über das, was mein Vetter getan hatte, und ich bereute, auf ihn gehört zu haben; und schon war ich wieder bei allen Gewölben umhergegangen, aber jenes Gewölbe und jenes Grab hatte ich nicht wiedererkannt. Wieder befiel mich Reue über alles; und in dieser Weise vergingen sieben Tage, ohne daß ich den Weg zum Grabe gefunden hätte. Dann überwältigten mich die trüben Gedanken, bis ich fast wahnsinnig wurde; und ich konnte mich nicht anders vor ihnen retten als dadurch, daß ich abreiste, um zu meinem Vater zurückzukehren. Aber in dem Augenblick, als ich bei der Hauptstadt meines Vaters ankam, erhob sich beim Stadttor eine Schar wider mich und fesselte mich. Ich geriet darüber in höchstes Erstaunen, da ich doch der Sohn des Sultans dieser Stadt war und diese Leute meines Vaters Diener und meine eigenen Sklaven waren. Und mich befiel große Furcht vor ihnen, und ich sprach in meiner Seele: ,Was mag wohl meinem Vater geschehen seine' Als ich nun die, so mich ergriffen hatten, fragte, weshalb sie also taten, gaben sie mir keine Antwort. Nach einer Weile jedoch sagte einer von ihnen zu mir, und zwar einer, der bei mir Diener gewesen war: ,Siehe, das Glück ist deinem Vater untreu geworden; die Truppen haben ihn verraten, der Wesir hat ihn töten lassen und herrscht jetzt an seiner Statt; wir aber mußten dir auf seinen Befehl auflauern.' Dann schleppten sie mich fort, während ich fast von Sinnen war wegen der



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Trauerbotschaft, die ich über meinen Vater gehört hatte. Und nun stand ich vor dem Wesir.

Zwischen dem Wesir und mir aber herrschte eine alte Feindschaft, und der Grund jener Feindschaft war dieser: Ich liebte es sehr, mit der Armbrust zu schießen, und es geschah eines Tages, als ich auf dem Terrassendach des Palastes stand, daß sich auf das Dach des Hauses des Wesirs, während er dort stand, ein Vogel niederließ. Ich wollte nach dem Vogel schießen; aber da verfehlte das Geschoß sein Ziel, drang dem Wesir ins Auge und riß es ihm aus, wie es vom Schicksal bestimmt war. So heißt es in einem der alten Sprüche:

Wir gehen einen Pfad, der fur uns vorgesehen;
Und wem ein Pfad ist vorgeschrieben, der muß ihn gehen.
Und wem an einer Stätte zuteil werden soll sein Verderben,
Der wird an keiner Stätte als gerade an dieser sterben.

Als nun dem Wesir das Auge ausgerissen war' — so fuhr der Bettelmönch fort ,konnte er mir kein Wort sagen, da mein Vater der König der Stadt war; so war es gekommen, daß Feindschaft zwischen ihm und mir herrschte. Wie ich aber mit gebundenen Händen vor ihm stand, befahl er, mir das Haupt abzuschlagen. Da fragte ich ihn: ,Für welches Verbrechen lässest du mich töten?' Doch er erwiderte: ,Welches Verbrechen ist größer als dieses?', und er zeigte auf seine leere Augenhöhle. Ich entgegnete: ,Das habe ich aus Versehen getan'; doch er versetzte: ,Wenn du es aus Versehen getan hast, so will ich es mit Absicht tun.' Dann rief er: ,Führt ihn herbei!' Und sie führten mich dicht vor ihn hin, und er stieß mir den Finger ins linke Auge und drückte es aus; seit jener Zeit bin ich einäugig, wie ihr mich seht. Darauf ließ er mich gefesselt in eine Kiste legen und sprach zum Träger des Schwertes: ,Nimm diesen da und zieh dein Schwert; nimm ihn und bringe



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ihn vor die Stadt hinaus. Dort töte ihn und laß um liegen, den wilden Tieren und Raubvögeln zum Fraß !'So zog der Schwertträger mit mir hinaus. Als er draußen vor der Stadt mitten auf freiem Felde war, nahm er mich aus der Kiste, an den Händen gefesselt und an den Füßen gebunden, wie ich war, und wollte mir die Augen verbinden, um mich erst dann zu töten. Aber ich weinte bitterlich, bis er mit mir weinen mußte; und ich sah ihn an und sprach diese Verse:

Ich hielt euch fur einen festen Panzer, um abzuwehren
Der Feinde Pfeile von mir; doch ihr wart die Spitzen von ihnen.
Ich pflegte auf euch zu hoffen einstmals in allen Gefahren,
Wenn meine rechte Hand auch der linken sich mußte bedienen.
Haltet euch doch weit ab von dem Gerede der Tadler
Und lasset die Feinde allein ihre Pfeile auf mich anlegen!
Woher ihr denn nicht selbst mich vor den Feinden beschützen,
So handelt doch weder für sie noch meinem Wohle entgegen.

Und ich fuhr fort:

Bruder, die ich, fur Panzer hielt!
Sie waren's -doch für die Feinde mein!
Ich glaubte, sie seien treffsichre Pfeile.
Sie waren's -doch trafen ins Herz mir hinein.

Als der Schwertträger, der schon der Schwertträger meines Vaters gewesen war und dem ich Wohltaten erwiesen hatte, meine Verse hörte, rief er: ,Ach, Herr, was kann ich tun, da ich doch nur ein Sklave bin, der einen Befehl erhalten hatt' Und er fügte hinzu: ,Flieh um dein Leben, und kehre nie wieder in dieses Land zurück; sonst wirst du zugrunde gehen und mich mit dir zugrunde richten, so wie ein Dichter sagt:

Rette dein Leben, wenn dir vor Unheil graut!
Lasse das Haus beklagen den, der es erbaut!
Du findest schon eine Stätte an anderem Platz:



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Für dein Leben findest du keinen Ersatz.
Mich wundert, wen es im Hause der Schmach noch hält
So weit und frei ist doch die Gotteswelt!
Laß dich in wichtiger Sache auf Boten nicht ein;
In Wahrheit hilft die Seele sich selbst allein.
Des Löwen Nacken ist so kräftig nicht,
Solang es ihm an Selbstvertrauen gebricht.'

Da küßte ich ihm die Hände; denn ich hatte kaum noch an meine Rettung geglaubt. Und der Verlust meines Auges ward mir leicht, da ich dem Tode entronnen war. Ich zog aber fort, bis ich in meines Oheims Hauptstadt kam, trat zu ihm ein und erzählte ihm, was meinem Vater widerfahren war und wie mir das Auge ausgeschlagen ward. Da weinte er bitterlich und sprach: ,Wahrlich, du hast mir Gram auf meinen Gram gehäuft und Kummer auf meinen Kummer; denn dein Vetter ist seit vielen Tagen verschwunden, und ich weiß nicht, was ihm begegnet ist, und niemand kann mir von ihm Nachricht geben.' Und er weinte, bis er ohnmächtig ward; ich aber trauerte schmerzlich um ihn. Und er wollte ein Heilmittel auf mein Auge legen; aber er sah, daß es wie eine leere Walnuß war. Da sprach er: ,O mein Sohn, besser das Auge verloren als das Leben!'

Jetzt aber so fuhr der Bettelmönch fort konnte ich nicht mehr über meinen Vetter schweigen, der doch sein Sohn war; und so erzählte ich ihm alles, was geschehen war. Da freute mein Oheim sich gar sehr, als er hörte, was ich ihm von seinem Sohn erzählte, und er sagte: ,Komm, zeige mir das Grabgewölbe'; ich aber erwiderte: ,Bei Allah, mein Oheim, ich weiß seinen Ort nicht; ich bin zwar damals viele Male gegangen und habe danach gesucht, aber ich konnte seinen Ort nicht erkennen.' Dennoch gingen ich und mein Oheim auf den Toten-acker und ich spähte nach rechts und nach links; schließlich



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erkannte ich die Stätte wieder, und wir freuten uns beide gar sehr. Ich trat mit ihm in das Gewölbe, wir nahmen den Mörtel weg am Grabe und hoben die Falltür auf; dann stiegen wir etwa fünfzig Stufen hinunter, und als wir zum Fuße der Treppe kamen, siehe, da stieg ein Rauch vor uns auf, der unsere Blicke verdunkelte. Nun sprach mein Oheim den Spruch, der niemanden, der ihn ausspricht, zuschanden werden läßt: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Darauf drangen wir vor, bis wir plötzlich in einen Saal kamen, der voll war von Mehl, Korn und Lebensmitteln aller Art; und in der Mitte sahen wir einen Thronhimmel, unter dem sich ein Lager befand. Mein Oheim blickte auf das Lager und fand seinen Sohn und die Dame, die mit ihm hinabgestiegen war, einander in den Armen liegend; aber sie waren schwarz geworden wie verkohltes Holz, als hätte man sie in eine Feuergrube geworfen. Und als nun mein Oheim dies sah, spie er seinem Sohn ins Gesicht und rief: ,Das verdienst du, du Ekel! Dies ist die Strafe in dieser Welt; aber es bleibt noch die Strafe in jener, eine härtere und schwerere.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 12. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Bettelmönch vor der Dame, während seine Gefährten und Dscha'far und der Kalif zuhörten, also weiterer zählte: ,Mein Oheim schlug seinen Sohn mit dem Schuh, als er so dalag wie ein Haufen schwarzer Kohle. Und ich staunte über sein Tun und war traurig über meinen Vetter und darüber, daß er und die Dame zu schwarzen Kohlen geworden waren; und ich sprach: ,Bei Allah, o mein Oheim, mache dein Herz frei von Zorn! Mein Inneres und meine Ge



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danken sind nur von Trauer erfüllt um das, was deinem Sohne widerfahren ist, wie er und diese Dame zu einem Haufen schwarzer Kohle geworden sind. Ist dies alles noch nicht genug für sie, so daß du ihn noch mit dem Schuh schlagen mußtest?' Er antwortete: ,O Sohn meines Bruders, dieser mein Sohn war seit seiner jugend von Liebe zu seiner eigenen Schwester entbrannt; und immer hielt ich ihn fern von ihr, obwohl ich mir sagte: sie sind noch Kinder. Als sie jedoch herangewachsen waren, begann zwischen ihnen die Sünde, und ich hörte davon; und ob ich es gleich kaum zu glauben vermochte, ergriff ich ihn und schalt ihn, indem auch die Diener auf ihn einredeten, mit heftigen Worten: Hüte dich vor so sündhaften Taten, die vor dir noch keiner beging und keiner nach dir begehen wird; sonst wird dein Name unter denen der Fürsten mit Schmach und Schande bedeckt sein bis ans Ende der Zeiten, und die Kunde von uns wird durch die Karawanen überall ruchbar werden. Darum hüte dich, daß solches Tun von dir ausgeht! Sonst fluche ich dir und lasse dich töten! Und hinfort schloß ich sie getrennt voneinander ein; aber das verruchte Mädchen liebte ihn mit leidenschaftlicher Liebe, und Satan hatte über die beiden Gewalt gewonnen und hatte ihnen ihr Tun in schönen Farben gezeigt. Und als mein Sohn nun sah, daß ich sie getrennt hatte, baute er diese Höhle unter der Erde, richtete sie ein und schaffte Lebensmittel dorthin, wie du siehest; und er benutzte meine Abwesenheit, als ich zur Jagd ausgezogen war, und kam mit seiner Schwester hierher. Aber ein Gottesgericht hat ihn und sie ereilt und sie beide verbrannt, und die Strafe im Jenseits wird noch härter und schwerer sein!' Dann weinte er, und ich weinte mit ihm; und er sah mich an und sprach: ,Du bist mein Sohn an seiner Statt.' Ich sann eine Weile über die Welt und ihre Wechselfälle nach: wie der



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Wesir mir den Vater erschlagen und sich auf seinen Thron gesetzt und mir das Auge ausgestoßen hatte; und wie mein Vetter durch das seltsamste Schicksal den Tod finden mußte. Und wiederum weinte ich, und mit mir weinte mein Oheim. Darauf stiegen wir hinauf, legten die eherne Platte wieder an ihre Stelle und häuften das Erdreich darüber; und als wir das Grab wiederhergestellt hatten, kehrten wir in unseren Palast zurück. Kaum aber hatten wir uns gesetzt, so hörten wir den Lärm von Trommeln, Trompeten und Zimbeln; und Lanzen von Kriegern schwirrten, Männer schrien, und Zäume klirrten, Rosse wieherten, und die Welt war bedeckt mit Staub und Sand, die von den Hufen der Pferde aufgewirbelt waren. Unser Verstand geriet in Verwirrung, und wir wußten nicht, um was es sich handelte. So fragten wir, und es ward uns gesagt, der Wesir, der meines Vaters Herrschaft an sich gerissen hatte, habe die eigene Kriegsmacht gerüstet und noch dazu wilde Beduinen in Dienst genommen, und er sei mit Heeren unterwegs, so zahlreich wie der Sand am Meere; ihre Menge konnte nicht gezählt werden, und vor ihnen konnte niemand standhalten. Die stürmten nun plötzlich auf die Stadt ein, und da die Bürger nicht imstande waren, sich ihnen zu widersetzen, so übergaben sie ihm die Stadt; mein Oheim fiel, und ich floh außerhalb der Stadt, da ich mir sagte: wenn du in seine Hände fällst, so wird er dich gewißlich töten. So begann mein Trauern von neuem. Ich grübelte nach über die Dinge, die meinem Vater und meinem Oheim widerfahren waren, und darüber, was ich tun sollte; denn wenn ich mich zeigte, so würden die Leute der Stadt und die Soldaten meines Vaters mich erkennen, und mein elender Tod wäre sicher; und ich fand keinen anderen Weg der Rettung als den, daß ich mir Kinn und Lippen glatt rasierte. Das tat ich also, zog auch andere Kleider an und verließ



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ließ die Stadt. Und ich zog nach dieser Stadt, in der Hoffnung, es werde mir vielleicht einer zu dem Beherrscher der Gläubigen, dem Stellvertreter des Herrn der Welten, Eingang verschaffen, und ich würde ihm meine Geschichte, und was mir widerfahren ist, erzählen und berichten können. Erst gestern abend bin ich in dieser Stadt eingetroffen, und da stand ich nun ratlos, wohin ich mich wenden sollte, als plötzlich dieser zweite Bettelmönch dastand. Den grüßte ich und sprach zu ihm: ,Ich bin ein Fremder', und er erwiderte: ,Auch ich bin ein Fremder.' Während wir noch so sprachen, siehe, da kam dieser unser dritter Geführte zu uns und grüßte uns und sagte: ,Ich bin ein Fremder', und wir erwiderten: ,Auch wir sind Fremde.' Dann gingen wir weiter, bis uns das Dunkel überfiel und uns das Schicksal zu euch führte. Das also ist der Grund, weshalb mein Kinn und meine Lippen rasiert sind und weshalb ich mein linkes Auge verlor.' Da sprach die Herrin des Hauses: ,Führe deine Hand zum Kopf und geh fort'; er sagte jedoch: ,Ich gehe nicht fort, bis ich die Geschichte der anderen gehört habe.' Alle aber waren erstaunt über seine Erzählung, und der Kalif sprach zu Dscha'far: ,Bei Allah, dergleichen, wie es diesem Bettelderwisch widerfahren ist, habe ich nie gehört noch gesehen.' Nun trat der zweite Bettelmönch vor; und er küßte den Boden und begann


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