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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 3

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VOM KALIFEN 'OMAR IBN EL-CHATTÂB UND DEM JUNGEN BEDUINEN

Der Scherif Husain ibn Raijân berichtete: Eines Tages saß der Beherrscher der Gläubigen 'Omar ibn el-Chattâb' auf dem Richterstuhl, um zwischen den Menschen zu entscheiden und über die Untertanen Recht zu sprechen, umgeben von den Vornehmsten seiner Genossen, Männern von trefflichem Urteil, als ein sehr schöner Jüngling in feinem Gewande plötzlich vor ihm stand; und an umklammerten sich zwei Jünglinge, gleichfalls von hoher Schönheit, die ihn am Kragen herbeigeschleppt und vor den Beherrscher der Gläubigen gebracht hatten. Als der Kalif die beiden mit dem anderen erblickte, befahl er ihnen, sie sollten ihn loslassen. Dann ließ er ihn näher treten und fragte die beiden Jünglinge: ,Was habt ihr mit ihm zu tun?' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderten sie, ,als zwei leibliche Brüder stehen wir hier, und echte Jünger der Wahrheit sind wir! Wir hatten einen hochbetagten Vater, einen trefflichen Berater, der unter den Stämmen hoch in Ehren stand, allem Gemeinen abgewandt, und durch seine Tugenden bekannt. Der zog uns auf, als wir noch Kinder waren; und als wir heranwuchsen, ließ er uns viel Güte erfahren.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 396. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die beiden Jünglinge zudem Beherrscher der Gläubigen sprachen: ,Wir hatten einen Vater, der unter den Stämmen in hohen Ehren stand, allem Gemeinen abgewandt, und durch seine Tugenden bei.



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kannt. Der zog uns auf, als wir noch Kinder waren; und als wir heranwuchsen, ließ er uns viel Güte erfahren. Er war ein Füllhorn von Eigenschaften der edelsten Vortrefflichkeit, dem wahrlich der Dichter das Wort geweiht:

Sie fragten: Ist Abu Sakr vom Stamme Schaibân? Ich sagte:
Nein, wahrlich, bei meinem Leben, von ihm entstammt Schaibdn!
Manch Vater stieg hoch in Ehren durch einen edlen Sprößling,
So stieg durch Allahs Propheten an Ehren der Stamm 'Adnân.'

Der ging eines Tages zu einem Garten hinaus, der ihm gehörte, um sich unter den Bäumen dort zu erquicken und die reifen Früchte zu pflücken; da erschlug ihn dieses Jünglings Hand, der sich vom rechten Wege abgewandt. Nun bitten wir dich, seine Untat zu rächen und nach Allahs Gebot über ihn das Urteil zu sprechen.' Da warf 'Omar einen furchterregenden Blick auf den Jüngling und sprach zu ihm: ,Du hast gehört, wie diese beiden jungen Männer wider dich klagen. Was hast du nun als Antwort zu sagen?' Nun hatte aber jener Mann, der junge, ein festes Herz und eine kühne Zunge; abgelegt hatte er das Gewand der Zaghaftigkeit und abgetan den Mantel der Ängstlichkeit; und so lächelte er und begann eine Rede von gewählter Reinheit und begrüßte den Kalifen mit Worten von hoher Feinheit: ,Bei Allah, o Beherrscher der Gläubigen, ich habe vernommen, was sie geklagt; sie haben recht mit dem, was sie gesagt. Sie haben berichtet, was geschehen ist; und Gottes Befehl ist ein vorherbestimmter Beschluß.' Nun will ich dir meine Geschichte erzählen; und dir steht es zu, darüber zu befehlen. Wisse denn, o Beherrscher der Gläubigen, ich bin echter Vollblutaraber Kind, von denen, die unter dein Himmel die edelsten sind. Ich wuchs in den Zeltlagern der Wüste auf,



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bis mein Stamm heimgesucht ward durch böser Zeiten Lauf. Da zog ich mit dem Stamme, mit Habe und Kindern fort in die Umgebung von diesem Ort. Und ich ging dort umher auf den Wegen und wanderte zwischen den Gartengehegen, mit Kamelinnen, hochgeehrt, die mir lieb und wert; bei ihnen befand sich ein Hengst, dessen edle Art mit schöner Gestalt gepaart, dem ein zahlreich Geschlecht geboren ward; durch ihn wurden der Füllen immer mehr, und er schritt zwischen den Stuten daher, wie wenn er ein gekrönter König wär. Da lief eine der Kamelinnen zu dem Garten des Vaters dieser Jünglinge. Dort ragten die Bäume über die Mauer hervor, und sie langte mit ihrer Lippe danach empor. Ich jagte sie eilends von jenem Garten fort; aber da trat plötzlich ein Alter aus einem Spalt in der Mauer heraus, der von Zorn erglühte und Funken sprühte, und dessen rechte Hand einen Stein emporschwang; wie ein herannahender Löwe wiegte er sich im Gang. Dann warf er den Stein auf den Hengst und brachte ihm den Tod, da sich dem Wurf eine tödliche Stelle bot. Doch wie ich den Hengst neben mir tot niederstürzen sah, da fühlte ich, wie in meinem Herzen die Kohlen des Zornes erglühten, und ich ergriff den selbigen Stein und warf ihn auf den Alten mit Gewalt, und er ward ihm zum Grunde seines Todes alsbald. Das Unheil ward zu ihm zurückgetragen, und er ward mit der eigenen Waffe erschlagen. Aber wie er getroffen war, brach er in ein gewaltiges Schreien aus und jammerte in des Wehes Graus. Da lief ich eiligst von dem Platze fort, an dem ich stand; aber diese beiden Jünglinge stürzten mir nach und ergriffen mich beider Hand. Zu dir schleppten sie mich, und vor dich stellten sie mich!' 'Omar -Allah der Erhabene hab ilm selig! —sprach darauf: ,Du warst so ehrlich, dein Vergehen einzugestehen; es ist unmöglich, dich loszulassen; jetzt muß die Strafe dich erfassen,



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und Zeit zu entrinnen läßt sich nicht mehr gewinnen.",Ich höre', erwiderte der Jüngling, ,und gehorche dem Urteil des Imams und füge mich den Gesetzesforderungen des Islams. Doch ich habe einen Bruder, der ist noch klein, und er nannte einen alten Vater sein; und dieser vermachte ihm vor seinem Hinscheiden Geld in Hülle und Gold in Fülle. Aber der Vater vertraute mir seine Sache an und nahm Allah zum Zeugen wider mich dann, indem er sprach: ,Dies ist für deinen Bruder in deiner Hut, bewahre du es ihm gut!' Ich nahm also jenes Geld von ihm entgegen und vergrub es; und niemand weiß etwas davon als ich allein. Wenn du mich nun zum raschen Tode verurteilst, so ist das Geld verloren; dann bist du die Ursache seines Verlustes, und du bist dem Knaben zur Rechenschaft verpflichtet, wenn dereinst Allah zwischen seinen Geschöpfen richtet. Gewährst du mir aber eine Frist von drei Tagen, so kann ich einem Vormund die Fürsorge für das Kind übertragen. Dann kehre ich zurück und löse meine Schuld hier sofort; und ich habe einen Bürgen für mein Wort!' Da neigte der Beherrscher der Gläubigen sein Haupt eine kurze Weile; darauf blickte er alle an, die zugegen waren, und sprach: ,Durch wen wird mir Bürgschaft für ihn gewährt, daß er zu dieser Stätte wiederkehrt?' Der Jüngling schaute allen, die in der Versammlung waren, ins Gesicht, zeigte unter ihnen allen nur auf Abu Dharr' und sprach: ,Dieser wird für mich einstehen und mein Bürge sein!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 397. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß der Jüngling auf Abu Dharr wies und sprach: ,Dieser wird für mich einstehen und mein Bürge sein!' 'Omar -Allah der Erhabene hab ihn selig! —fragte: ,Abu Dharr, hast du diese Worte vernommen und willst du mir Bürge sein für dieses Jünglings Wiederkommen?' Der antwortete: ,Ja, o Beherrscher der Gläubigen, ich will drei Tage für ihn bürgen.' Der Kalif war damit einverstanden und erlaubte dem Jüngling fortzugehen. Als aber die Dauer des Aufschubs auf der Wende war und die Gnadenfrist beinahe oder schon ganz zu Ende war, und als in 'Omars Rat, der von den Gefährten umgeben war wie der Mond von den Sternen, der Jüngling immer noch nicht trat, während Abu Dharr dort war und die beiden Kläger warteten, da sprachen diese beiden: ,O Abu Dharr, wo ist der Schuldige zu dieser Friste Wie wird einer zurückkehren, wenn er entflohen ist? Wir werden uns nicht eher von der Stelle rühren, als bis wir ihn durch dich erhalten, um unsere Blutrache auszuführen.' Abu Dharr erwiderte: ,So wahr der allwissende König besteht, wenn die Frist der drei Tage vergeht, und wenn der Jüngling dann noch nicht zu euch kam, so erfülle ich meine Bürgschaft und übergebe mich selbst dem lmam!' Da sprach 'Omar - Allah der Erhabene hab ihn selig! —: ,Bei Allah, wenn der Jüngling noch länger ausbleibt, so vollstrecke ich an Abu Dharr, was das Gesetz des Islams vorschreibt.' Da brachen die Tränen aus den Augen der Anwesenden hervor, und aus dem Munde der Zuschauer stiegen Seufzer empor, und ein gewaltiger Lärm erhob sich. Und die Vornehmsten unter den Prophetengenossen baten die beiden Jünglinge, den Tod durch das Wergeld zu sühnen und sich den Dank des Volkes zu verdienen. Aber die beiden weigerten sich und wollten nichts annehmen als die Blutrache. Während nun das Volk hin und her wogte und laut



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um Abu Dharr klagte, geschah es plötzlich, daß der Jüngling kam, und er trat vor den Imam und begrüßte ihn durch den schönsten Salâm, mit einem Antlitz strahlend hell, überströmt von des Schweißes Perlenquell, und er sprach zu ihm: ,Nun hab ich den Knaben zu den Brüdern seiner Mutter gebracht, und ich hab sie mit allem, was ihn angeht, bekannt gemacht, und in des Geldes Angelegenheit habe ich sie eingeweiht. Der Glut der Mittagssonne trotzte ich sodann, und ich hielt mein Wort als freier Mann!' Da staunte alles Volk ob seiner Treue und Wahrhaftigkeit, und wie er sich so festen Herzens dem Tode geweiht. Und einer aus der Menge sprach zu ihm: ,Wahrlich, du bist ein Jüngling von edelster Art, der seinem Ehrenworte und seiner Pflicht die Treue wahrt !'Darauf erwiderte er: ,Wisset ihr denn nicht, daß keiner dem Tode, wenn der sich einstellt, entrinnen kann? Ich hab mein Wort gehalten, auf daß es nicht heiße, die Treue sei unter den Menschen geschwunden!' Abu Dharr aber rief: ,Bei Allah, o Beherrscher der Gläubigen, ich habe für diesen Jüngling gebürgt, ohne zu wissen, von welchem Stamme er ist; ich hatte ihn auch nie gesehen vor jener Frist. Doch als er sich von allen, die zugegen waren, abwandte und mich erwählte und sprach: ,Dieser wird für mich einstehen und mein Bürge sein', da konnte ich ihn nicht abweisen - es deuchte mich nicht gut - und seine Hoffnung zu enttäuschen verbot mir edler Mannesmut. Mit der Gewährung seines Wunsches war auch kein Schaden verbunden; und so konnte es nicht heißen: Edler Sinn ist unter den Menschen geschwunden!' Und nun sagten die beiden Jünglinge: ,O Beherrscher der Gläubigen, wir vergeben diesem Jünglinge das Blut unseres Vaters; durch die Freude des Wiedersehens heilte er der Verlassenheit Wunden, auf daß es nicht hieße: Die Güte ist unter den Menschen geschwunden!' Da freute sich der



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Imam, daß die Vergebung zu dem Jüngling kam; und er freute sich auch über seine Wahrhaftigkeit, seine Treue und seine Rechtschaffenheit. Er pries den Mannes adel des Abu Dharr, den er über all seine Gefährten erhob; er billigte den Entschluß der beiden Jünglinge, daß sie Güte hatten walten lassen; und er pries sie, wie ein Dankender nur preisen kann, und wandte auf sie das Dichterwort an:

Wer den Geschöpfen Gutes tut, der wird belohnt;
Denn zwischen Gott und Mensch ist Güte nie verloren.

Darauf bot er den beiden an, das Wergeld für ihren Vater aus dem Schatzhause bezahlen zu lassen. Doch sie sprachen: ,Wir haben ihm verziehen in der Hoffnung auf die Gnade Allahs, des Allgütigen und Hocherhabenen. Und wer eine solche Gesinnung hegt, der läßt seiner Güte nichts folgen, was Vorwurf oder Schaden erregt.'

Ferner wird erzählt


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